Banner Online Kompaktkurse für fundiertes Wissen zu neuesten Gesesetzesänderungen und Abrechnungskriterien
Abo

Recruiting-Parcours : Zwischen Bewerberlust und Bewerberfrust

Als Jobcoach bereite ich Arbeitsuchende auf den Bewerbungsprozess vor – denn ein wilder „Dschungeltrip“ wäre oft nichts dagegen. Ein Blick hinter die Kulissen meiner Arbeit soll Einblicke von der „anderen Seite“ hergeben. Vielleicht mag das eine oder andere Unternehmen seine technischen Tools, Praktiken und sein Selbstverständnis noch etwas hinterfragen.

Lesezeit 5 Min.

Und vielleicht wird hierdurch auch ein bisschen klarer und deutlicher, warum bei manchen Menschen Motivation, Präzision und auch der positive Selbstdarstellungswille und das „bedingungslose“ Anbieten in den Bewerbungsprozessen inzwischen total nachgelassen haben. Hinzu kommt: Die eingesetzten Tools und Techniken machen es leider auch nicht immer besser.

„Präzise“ Vorbereitung ist alles?

Im Vorfeld heißt es für sich Bewerbende oft, erst einmal gut raten, wie groß das Datenvolumen denn diesmal sein darf. Dann noch am besten alle Dateien für alle Fälle optimalerweise in allen möglichen Varianten vorbereiten. Bedeutet mindestens: Anschreiben, Lebenslauf und Zeugnisse einzeln oder doch auch lieber als Ganzes bereithalten. Das Bewerbungsbild – bitte möglichst vom Profi-Fotografen, tagesaktuell – in kleinerer und größerer Dateigröße und in sämtlichen Ausschnittstypen vorbereiten. Zusätzlich auch vorausahnen, ob die Unternehmen aufgrund ihrer Philosophie im Recruiting-Prozess oder aufgrund einer entsprechenden Policy Bilder bereits aus Antidiskriminierungsgründen aus den Verfahren verbannt haben. Dann die Kosten für das Foto einfach trotzdem von der Steuer absetzen und die Bilder alternativ für Social Media verwenden – oder ganz analog für die Oma oder die Familie ausdrucken. Der Job, den man noch nicht hat, holt die Ausgaben schon irgendwann rein. Es empfiehlt sich zudem für den Bewerber unbedingt, nicht nur alle Programme und Tools zum Komprimieren der Daten am besten in Lizenz zu besitzen – noch besser wäre oftmals eine Glaskugel fürs Hellsehen, dann würde es oft einfacher gehen.

Immer schön locker bleiben, aber zack, zack!

Zurück zur „soliden Datenbasis“: Das Anschreiben sollte man am besten zusätzlich als reine Textdatei bereithalten und möglichst variable Längen und auch unterschiedliche Fassungen für verschiedene Freifeldtexter vorhalten. Dabei natürlich auch stets auf drei „Random“-Fragen vorbereitet sein, deren Antwort man am besten immer gleich perfekt aus dem Ärmel schüttelt – egal wie sie lauten könnten. Dabei nicht ins Schwitzen geraten oder gar ins „Schwimmen“. Es könnte beispielsweise im Hintergrund die Zeit getrackt werden zum Vergleich mit anderen. Denn hier heißt es ja jetzt schließlich: „Survival of the Fittest“, nicht wahr?

Das bisschen Arbeit …

Ach ja, und natürlich sollte man ebenso schon vorher ahnen, ob ein Anschreiben überhaupt gebraucht wird. Wenn die Mühe umsonst war, „so what“!? Bitte locker sehen, kostet ja nicht die Zeit des Unternehmens. So was hätte man „auch schon vorher schnell testen“ können, indem vorab x Seiten und Felder mit Daten befüllt werden. Wer wird sich denn da schon jetzt so anstellen wollen, wegen ein bisschen unnötiger Extra-Arbeit? Und vielleicht kommt ja am Ende doch noch so ein Freitextfeld, wo man noch was Wichtiges sagen soll, kann oder muss – wer weiß?

Fast so schön wie „früher“?

Was immer noch passieren kann: Bitte die Abiturnote und Nachweise dazu stets separat haben – auch, falls man sich z. B. bei einer Behörde (auch mit Ü50) bewirbt – irgendwo muss ja noch vorab „ausgesiebt werden“, ganz wie früher. Und es wäre ja nicht schlimm, wenn man sich doch nicht mehr mit dem leidigen Motivationsschreiben abmühen müsste, oder? Wenn doch: Was kostest es schon, wenn man sich mit einer gleichsam umwerfenden wie kreativen, lustigen und natürlich trotzdem seriösen Begründung abmüht, warum man sich bei der gefühlt tausendsten Bewerbung natürlich ganz explizit, einzig und allein genau bei diesem Unternehmen bewirbt. Selbstredend auf Lebenszeit und unter jeglichen Konditionen – von Bewerberseite natürlich immer zu 100.000 Prozent mit Haut, Haaren und dem Herzen dabei. Sind das dann nicht fast schon wieder die „schönen, guten alten Zeiten“ des Arbeitgebermarktes? Wer wird sich da nicht freuen wollen?

Sei immer du – aber nimm’s nicht persönlich!

Alle reden davon, dass man immer authentisch sein soll, aber bitte immer schön mit den richtigen Emotionen. Natürlich wird man es dann so ganz und gar nicht persönlich nehmen und zusätzlich völlig verstehen und bis ins kleinste Detail nachvollziehen können, wenn dann ein ohne jegliches Feedback ganz und gar nicht individuelles KI-Absageschreiben irgendwann und irgendwo eintrudelt. Was später zählt, ist doch auch die „gute Erinnerung“ daran, oder? Wer will da schon nachtragend sein bis in alle Ewigkeit und das anschließend nicht einfach nur ein klein wenig weglächeln? Waren ja nur „Nuancen“, die entschieden habe. Und wenn jeder so eine schnöde Standardabsage erhält, geht es doch immerhin irgendwie auch „gerecht“ zu, oder?

Über Geld wird nicht (genau) geredet?

Die Gehaltsangabe sollte man auch am besten immer und in jedem Fall auf den Cent genau treffen – selbst wenn die Aufgaben und Verantwortungen im Stellenprofil erst einmal ganz schön schwammig gefasst und allgemein sind. Aber bitte niemals zu viel fordern, denn sonst könnte man schon raus sein. Was würde man da auch diskutieren wollen über mögliche weitere menschlichen oder fachliche Mehrwerten, die so ein Formular überhaupt nicht vorsieht? Zu besprechen gibt es später ja dank der Technik dann eh weniger. Wofür hat man denn vorab immerhin so viel Zeit und Geld in Tools investiert? Und ein Benefit sogar mal im Voraus wählen? Das ist doch kein „Wunschkatalog“ hier – sondern ein knallharter Parcours. Spaß machen sollte das an keiner Stelle – denn hier wird es schließlich „ernst“ und es geht um was!

Immer schön ans Glück glauben?

Und zu guter Letzt: wirklich immer optimistisch bleiben, wenn es heißt: „Es liegt eine Nachricht im Portal für Sie vor.“ Dann unbedingt hoffen, dass man in der weiteren Auswahl ist und dort nicht einfach die Standardabsage hinterlegt ist – denn Einladungen erhält man ja doch meist per E-Mail. Es gibt allerdings große Institutionen, da kennt man diese Antwort, bevor man sie überhaupt je lesen müsste. Im Portal sind die Absagen ja schön „rechtssicher“ hinterlegt. Eine persönliche E-Mail sind nur die Kandidaten wert, die man dann auch treffen will. Was sollte man an dieser Stelle schon auch noch mehr wollen und hoffen? Sonst gäbe es ja noch die noch schlimmere Option, dass keine Antwort auch eine Antwort ist. Dann wäre man halt dummerweise im Bewerberpool ganz „abgesoffen“ – passiert. Ein bisschen „Schwund“ ist ja immer. Denn es sind ja „nur Fachkräfte“, die dringend fehlen …

Dr. Silvija Franjic, Jobcoach und Fachredakteurin

Diesen Beitrag teilen: