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EuGH: Arbeitgeber müssen Arbeitsbedingungen an Eltern behinderter Kinder anpassen

Der EuGH hat entschieden, dass Arbeitgeber Arbeitsbedingungen so gestalten müssen, dass Eltern behinderter Kinder ihre Pflegeaufgaben erfüllen können. Das Diskriminierungsverbot umfasst auch mittelbare Diskriminierung durch die Behinderung naher Angehöriger.

AllgemeinArbeitsrecht
Lesezeit 2 Min.
Foto: © stock.adobe.com/Pixel-Shot

EuGH-Urteil stärkt Rechte von Eltern behinderter Kinder

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen so zu gestalten, dass Eltern behinderter Kinder in der Lage sind, ihre Pflegeaufgaben zu erfüllen. Anlass war der Fall einer italienischen Mutter, die ihren vollinvaliden Sohn betreut und deshalb eine Änderung ihrer Arbeitszeiten verlangte.

Diskriminierungsverbot gilt auch für mittelbare Benachteiligung

Die Frau war als Stationsaufsicht tätig und beantragte mehrfach, künftig nur noch vormittags mit festen Arbeitszeiten eingesetzt zu werden. Ihre Begründung: Nur so könne sie sich ausreichend um ihren schwerbehinderten Sohn kümmern. Zwar gewährte der Arbeitgeber ihr vorübergehend eine entsprechende Anpassung der Arbeitszeit, lehnte jedoch eine dauerhafte Regelung ab. Die Mutter wandte sich daraufhin an die italienischen Gerichte. Der Kassationsgerichtshof in Italien legte dem EuGH die Frage vor, ob sich eine nicht behinderte Person – in diesem Fall die Mutter – auf das in der EU-Richtlinie 2000/78 verankerte Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung berufen kann. Zudem sollte geklärt werden, ob Arbeitgeber verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht angemessene Vorkehrungen zu treffen, um Benachteiligungen zu vermeiden.

Bezug zur EU-Grundrechtecharta und UN-Behindertenrechtskonvention

Der EuGH stellte in seinem Urteil vom 11.09.2025 (C-38/24, Bervidi) klar, dass das Diskriminierungsverbot der Richtlinie 2000/78 auch Fälle mittelbarer Diskriminierung umfasst – und zwar auch dann, wenn die betroffene Person selbst nicht behindert ist, aber aufgrund der Behinderung eines nahen Angehörigen benachteiligt wird. Damit bestätigte der EuGH, dass auch Eltern behinderter Kinder unter den Schutzbereich der Richtlinie fallen, wenn sie im beruflichen Kontext benachteiligt werden, weil sie Unterstützungs- oder Pflegeaufgaben übernehmen.

Verpflichtung der Arbeitgeber zu angemessenen Anpassungen

Der Gerichtshof betonte, dass die Rahmenrichtlinie im Lichte der Grundrechtecharta der Europäischen Union sowie der UN-Behindertenrechtskonvention auszulegen sei. Daraus ergebe sich, dass das allgemeine Diskriminierungsverbot auch sogenannte mittelbare Diskriminierung durch Assoziierung umfasst. Menschen, die mit behinderten Personen in familiärer Beziehung stehen, dürfen im Arbeitsleben also nicht benachteiligt werden, nur weil sie mit der Pflege oder Betreuung befasst sind.

Zugleich stellte der EuGH klar, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, angemessene und zumutbare Anpassungen vorzunehmen, damit Arbeitnehmer mit pflegebedürftigen Kindern ihrer Verantwortung nachkommen können. Allerdings dürfe dabei keine unverhältnismäßige Belastung für den Arbeitgeber entstehen. Es sei Aufgabe des vorlegenden Gerichts zu prüfen, ob der Wunsch der Klägerin, ausschließlich am Vormittag zu arbeiten, für die Arbeitgeberseite unzumutbar ist.

Parallelen zum EuGH-Urteil Coleman (2008)

In seiner Entscheidung verwies der EuGH auch auf das bereits 2008 entschiedene Verfahren Coleman (C-303/06), in dem eine britische Anwaltssekretärin aufgrund der Geburt eines behinderten Kindes und der damit verbundenen Betreuungspflichten von ihrem Arbeitgeber benachteiligt wurde. Schon in diesem Fall stellte der EuGH fest, dass die Schutzwirkung der Richtlinie 2000/78 nicht auf Menschen mit Behinderung selbst beschränkt ist, sondern auch Personen umfasst, die wegen der Behinderung eines nahestehenden Menschen benachteiligt werden.

Bedeutung für die betriebliche Praxis

Die Entscheidung ist für die betriebliche Praxis von großer Bedeutung. Sie stellt klar, dass Arbeitgeber nicht nur bei der Beschäftigung behinderter Menschen Rücksicht nehmen müssen, sondern auch dann, wenn ihre Mitarbeitenden aufgrund der Pflege eines behinderten Kindes besondere Unterstützung benötigen. Die Pflicht zu angemessenen Vorkehrungen wird damit um eine wichtige Dimension erweitert.

 

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