Zusammenarbeit mit virtuellen Teams : Führung auf Distanz: Manches ist anders!
Wo sind meine Mitarbeiter? Alle weg! Manche Führungskraft wurde von der plötzlichen flächendeckenden Einführung von Homeoffice kalt erwischt. Ein echter Kulturschock: Plötzlich sind die Mitarbeiter nicht mehr vor Ort, nicht mehr „im direkten Zugriff“.
In der Tat ist es ein erheblicher Unterschied in der Führung, ob die Mitarbeiter klassisch im Büro – immer in der Nähe – arbeiten oder jeder für sich an unterschiedlichen Standorten aktiv ist. So völlig neu ist eine solche Situation ja nicht. Führungskräfte im Vertrieb kennen das schon lange – und führen auch. Also müssen wir klären, was anders ist und was die Führungskraft anders machen sollte.
Für alle neu
Die Situation, plötzlich im Homeoffice zu arbeiten (arbeiten zu müssen), ist für alle neu. Für die Mitarbeiter genauso wie für die Führungskraft. Da muss nun das Beste daraus gemacht werden.
Klare Spielregeln
Ganz besonders für virtuelle Teams gilt: Es muss klare Spielregeln geben, die für alle verbindlich sind. Das können Jour-fixe-Termine sein, bei denen die Teilnahme für alle verpflichtend ist, aber auch Zeiten, in denen jeder konzentriert und ohne Störungen arbeiten kann (dann darf auch der Vorgesetzte nicht stören!).
Für virtuelle Teamrunden und Besprechungen sind klare Regeln noch notwendiger als für Präsenztermine. Dazu gehören eine klare Struktur, ein Rede-Knigge und die Verpflichtung einer zuvor ausgestellten Agenda.
Verbindliche Arbeitszeiten können die Trennung von Arbeit und Privatleben auch im Homeoffice sicherstellen. Das sind Spielregeln, die für alle gelten (auch für den Chef). Das dient zudem dem Schutz der Mitarbeiter vor sich selbst. Führungsaufgabe: gelegentlich (mit oder ohne Anlass) an die Einhaltung der abgesprochenen Regeln erinnern.
Vertrauen ist gut …
Für manche Führungskräfte auch heute noch schwierig: Vertrauen in die Mitarbeiter, auf Kontrollen weitgehend verzichten müssen. Eine Frage der Unternehmensphilosophie, aber auch der individuellen Einstellung (und Erfahrungen) der einzelnen Führungskraft. Aber es geht gar nicht anders! Wenn die Mitarbeiter in der Ferne arbeiten, kann eine direkte und ständige Kontrolle nicht (mehr) erfolgen. Und das ist auch gut so! Alle Untersuchungen zeigen, dass Beschäftigte besser und produktiver arbeiten, wenn sie dies eigenverantwortlich und ohne ständige, misstrauische Kontrolle tun können. Mut zum Loslassen, Vertrauen entgegenbringen (bis zum Beweis des Gegenteils), das sind die Grundvoraussetzungen für eine gute Führung (nicht nur digital).
Führen mit Aufgaben und Ergebnissen
Der Führungsstil ist entscheidend. Laisser-faire ist bei virtuellen Teams genauso fehl am Platz wie die autoritäre Variante. Ohne Vertrauen geht es nicht! Die Führung muss über Absprachen, über Aufgaben, Ziele und Ergebnisse erfolgen. Es muss grundsätzlich unwichtig sein, wie (und wann) der Mitarbeiter seine Aufgabe erledigt hat. Entscheidend ist zunächst das Ergebnis, aber unter Einhaltung der intern verabredeten Spielregeln und natürlich der gesetzlichen Einschränkungen (Sonntagsarbeit, Arbeitszeitrahmen usw.).
Diese Führungsform setzt eine häufige Kommunikation und regelmäßiges, wertschätzendes Feedback voraus.
Das Soziale nicht vergessen
Die Arbeit muss stimmen, aber das ist nicht alles. Die soziale Komponente ist genauso wichtig. Das Miteinander, die Kommunikation, der Umgang mit Konflikten, all das ist entscheidend für die Qualität der Arbeit, die Zufriedenheit und letztlich die Gesundheit der Mitarbeiter.
Wenn die „normale“ Kommunikation (an der Kaffeemaschine, auf dem Büroflur) wegfällt, sind Alternativen besonders wichtig. Deshalb sollte – sowohl für die Führungskraft als auch für die Mitarbeiter untereinander – der Grundsatz gelten: Telefon vor E-Mail! Auch wenn eine E-Mail oft schneller verschickt ist und wenn Mitarbeiter telefonisch schwerer zu erreichen sind, weil sie ständig in Video- oder Telefonkonferenzen stecken, ist das Telefongespräch immer vorzuziehen. Einfach weil mehr Informationen ausgetauscht werden, auch mal ein persönliches Wort gesprochen werden kann. Noch besser sind Videotelefonate, weil hier zusätzlich zur Stimme auch optische Eindrücke aufgenommen werden können. Das kann dem Vorgesetzten helfen, die Stimmung und Gemütslage des Mitarbeiters besser einzuschätzen.
Und eine persönliche Frage nach dem Befinden oder der Familie stellt man mündlich viel eher, als sie in einer E-Mail zu formulieren.
Routinen und Rituale
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier! Das hat ein paar Nachteile (zum Beispiel, wenn ich mir das Rauchen abgewöhnen will), aber auch viele Vorteile. Rituale sind wichtig für den Zusammenhalt in einer Gruppe. Wenn bisherige Routinen und Rituale, die sich für das Team bewährt haben, wegen der virtuellen Arbeit so nicht mehr möglich sind (etwa das gemeinsame Mittagessen in der Kantine), müssen neue „erfunden“ werden, die in der virtuellen Welt funktionieren. Das kann auch das gemeinsame Kaffeetrinken im täglichen Jour fixe sein – idealerweise mit Kamera, damit man sich dabei auch „in die Augen sehen“ kann.
Wir-Gefühl – geht auch virtuell
Die entscheidende Aufgabe der Führungskraft in diesen Zeiten: Das Wir-Gefühl im Team aufrechtzuerhalten. Auch wenn man nicht zusammensitzt, sondern sich nur auf dem Bildschirm sehen und über die Internet- oder Telefonleitung miteinander sprechen kann. Hier ist ein wenig Fantasie gefragt – das Kaffeetrinken ist nur eine Möglichkeit.
Je nach Aufgabenstellung kann es sinnvoll sein, mit bestimmten Aufgaben ein Tandem zu beauftragen – das hilft gegen die Isolation.
Wenn und wo möglich, sollte ein Bürotag für gemeinsame Treffen beibehalten werden. Mitarbeiter, die lange isoliert im Homeoffice arbeiten, sehnen sich geradezu danach, wieder einmal ins Büro zu kommen und andere Kollegen zu treffen.
Jürgen Heidenreich