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Interview mit Prof. Dr. Florian Kunze : Die Debatte wird sehr ideologisch geführt

Studien zur Arbeit im Homeoffice gibt es viele: Je nach Auftraggeber und Zielrichtung kommen sie allerdings zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Einer wissenschaftlichen Langzeitwürdigung des Themas hat sich die Universität Konstanz angenommen. Seit Anfang der Pandemie wurden in zehn Befragungswellen im Homeoffice Tätige befragt. Prof. Dr. Florian Kunze weiß daher exakt, wie die Lage derzeit ist.

Lesezeit 5 Min.

Herr Prof. Dr. Kunze, was unterscheidet Ihre Studie von denen der Krankenkassen oder Wirtschaftsinstitute?

Prof. Dr. Florian Kunze: Unsere Studie hat ganz klar einen wissenschaftlichen Fokus, der Chancen und Risiken neutral analysiert und keine Interessenlage im Hintergrund berücksichtigen muss oder will.

Was lieferte den Anstoß für Ihre Studie?

Ich forsche schon länger zu verschiedenen Formen der modernen und digitalen Arbeitsorganisation und habe das gesamtgesellschaftliche Experiment, durch das wir alle aufgrund der Corona-Situation gehen, natürlich sehr gern aufgegriffen. Mit meinem Team habe ich gleich zu Beginn des ersten Lockdowns im März unsere Konstanzer Homeoffice-Studie gestartet. Das Projekt ist im Übrigen nicht beendet; die Befragung dauert an, auch über den zehnten Kontakt zu den Teilnehmenden hinaus, der gerade stattgefunden hat. Wir wollen verstehen, wie sich die Arbeitswelt auch nach Corona durch das aktuelle mobile Arbeiten verändert.

Was haben Sie herausgefunden?

Wir konnten zu Beginn der Pandemie eine regelrechte Euphorie beobachten. Diese hatte ihre Ursache vor allem darin, dass das Arbeiten von zu Hause aus im deutschen Arbeitskontext bislang sehr unüblich war. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben aber diese Form der flexiblen Beschäftigung schon lange gewollt und waren mit ihrem Ansinnen vielleicht bereits gescheitert. Wenn dann etwas von jetzt auf gleich möglich wird, löst das bei vielen eine hohe Motivation aus.

Genau diese hohe Motivation haben Sie ja auch in Ihrer Befragung gemessen…

Ja, plötzlich bekamen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Autonomie über die eigene Zeit, das gab einen Push, der besonders im Frühjahr dazu geführt hat, dass das Arbeiten von zu Hause sehr stark geschätzt wurde.

Was passierte anschließend?

Wir merken, dass die absolute Präferenz des Homeoffice bereits wieder rückläufig ist. Zwar ist es immer noch attraktiv, auch von zu Hause zu arbeiten, doch hat sich die Zeit, die Menschen daneben gern im Büro verbringen möchten, im Durchschnitt von zwei auf drei Tage erhöht.

Was folgt daraus für die Unternehmen?

Sie sind gefragt, gute Hybridmodelle zu entwickeln. Denn kaum jemand will volle fünf Tage von zu Hause aus arbeiten, der soziale Faktor der Arbeit wird nach den jüngsten Erfahrungen sehr stark wertgeschätzt. Und auch für die Produktivität und Kreativität von Teams und Abteilungen ist es wichtig, dass es einen regelmäßigen, persönlichen Austausch im Büro gibt, wenn das die Pandemielage wieder zulässt.

In der Praxis wurde das Homeoffice-Modell von den Unternehmen nach dem Frühjahr ja zunächst wieder zurückgefahren. Mit welchen Folgen?

Wir sehen bei denjenigen Befragten, die im Oktober wieder in voller Präsenz im Büro arbeiten mussten, einen Rückgang der Produktivität und einen Anstieg der Erschöpfung. Dies scheint also keine gute Strategie zu sein, um die Mitarbeitenden nachhaltig zu motivieren.

Was folgern Sie daraus für die künftige Entwicklung?

Tatsächlich ist es die entscheidende Aufgabe für Arbeitgeber, das Engagement, das zusätzlich entstanden ist, mitzunehmen in eine neue flexiblere Form der Arbeit und Organisation. Denn in 40 bis 50 Prozent der Firmen ist das Projekt Homeoffice sehr viel besser gelaufen als zuvor prognostiziert. Allerdings kehrt inzwischen etwas von der alten Kultur zurück, das wird aber auf Dauer nicht funktionieren, zumal nicht im Wettbewerb um Fachkräfte. Besonders jüngere Bewerberinnen und Bewerber werden zukünftig erwarten, dass es Angebote zum mobilen Arbeiten gibt.

Professioneller Mann im blauen Anzug, der selbstbewusst vor neutralem Hintergrund lächelt und auf Humanressourcen spezialisiert ist.

Professor Florian Kunze
leitet den Lehrstuhl für Organisational Studies und das Konstanz Future
of Work Lab an der Universität Konstanz. Er ist einer der führenden
wissenschaftlichen Experten zu den Themen Generationenmanagement,
erfolgreiche Führung, Personalmanagement, Digitalisierung in der Arbeitswelt
und erfolgreiches Arbeiten im Homeoffice.

Brauchen wir tatsächlich ein Homeoffice-Gesetz?

Derzeit wird die Debatte sehr ideologisch geführt, und das ist meiner Meinung nach nicht zielführend. Ein Gesetz kann eine Menge Bürokratie mit sich bringen, im Zweifel aber wenig positive Entwicklungen. Ein gesetzlicher Anspruch ist meines Erachtens nicht notwendig, da sich künftig zum Beispiel auch die Betriebsräte stärker in dieser Richtung engagieren werden. Und was die Festlegung der Arbeitszeit betrifft, um einer Entgrenzung vorzubeugen, lässt sich nur sagen, dass es dafür eigentlich bereits Regelungen gibt.

Wie sollten Unternehmen Ihrer Meinung nach jetzt vorgehen?

Sie sollten Ihre Homeoffice-Policy partizipativ mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entwickeln. Das beginnt mit einer Befragung, wie es denn in den vergangenen Monaten so lief, welche Dinge verbesserungswürdig sind, welche unbedingt beibehalten werden sollten und so weiter. Leider haben wir festgestellt, dass erst etwa ein Drittel der Unternehmen, die das Homeoffice massiv ausgeweitet hatten, eine solche Befragung durchgeführt hat.

Die Entscheidung für mehr Arbeit von zu Hause aus wäre früher womöglich in vielen Firmen ein mehrjähriges Projekt gewesen. Geht das nun insgesamt nicht sehr viel schneller?

Das tut es – und das ist wichtig. Denn aus meiner früheren Forschung ergibt sich zum Beispiel, dass insbesondere der Anspruch auf flexibles Arbeiten ein großer Unzufriedenheitsfaktor werden kann. Hängt es etwa von einzelnen Vorgesetzten ab, ob Homeoffice möglich ist oder nicht, wirkt das fatal auf die Zufriedenheit.

Deshalb geht es darum, spezifische Konzepte zu erarbeiten, die firmenweit gelten, und diese als Betriebsvereinbarung auszugestalten.

Dennoch bleibt das Problem, dass ja nicht alle Tätigkeiten gleichermaßen von zu Hause aus erledigt werden können, zum Beispiel in der Produktion oder Dienstleistung. Wie sollen Betriebe damit umgehen?

Das ist in der Tat ein heikler Punkt. Man gerät sehr schnell in eine Gerechtigkeitsdebatte und muss daher sehen, dass man dies gut verpackt und abfedert.

Gibt es außerdem noch Dinge, die Unternehmen nicht vergessen sollten?

Aus unserer Studie wissen wir, dass bis dato noch 55 Prozent der Homeoffice-Mitarbeiter keine gute und sichere IT-Ausstattung zu Hause haben. Hier gilt es zu investieren. Ebenso wichtig – aber häufig übersehen – ist das Investment in die Kompetenz des Teams, und zwar sowohl der Führungskräfte als auch der Homeoffice-Mitarbeitenden. Erstere lernen zum Beispiel, wie sie aus der Distanz führen, und Letztere, wie sie ihren Tag sinnvoll strukturieren können. Tatsächlich hatten erst 16 Prozent der von uns Befragten bis dato überhaupt eine Schulung zum Thema mobiles Arbeiten erhalten. Hier gibt es also großen Nachholbedarf.

Alexandra Buba, M. A., Wirtschaftsredakteurin

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