New Work : So bereiten sich Unternehmen auf ein neues Arbeitszeitalter vor
Der Ruf nach mehr Flexibilität am Arbeitsplatz wird lauter. Laut einer Studie des Bayerischen Forschungsinstituts für digitale Transformation wünschten sich im Mai 2021 zuletzt 55 Prozent der Befragten, von zu Hause arbeiten zu können – auch dann, wenn die Pandemie einmal vorbei sein sollte. 72 Prozent ist bei der Suche eines neuen Arbeitgebers wichtig, dass er Möglichkeiten zu mobilem Arbeiten anbietet.

Ein Umdenken ist also notwendig. Für HR und Führungskräfte lohnt sich ein Blick auf Trends in der Arbeitswelt und anschließend auf die eigenen Strukturen. Es sind hybride Konzepte, die sich zunehmend bewähren. Aber diese passen nicht immer – das richtige Modell muss das Unternehmen zunächst für sich ausloten. Führungskräfte und HR stehen vor einer großen, aber spannenden Aufgabe.
Homeoffice als Herausforderung
Die Pandemie hat eines sehr deutlich gemacht: Mitarbeiter können von zu Hause genauso effektiv sein wie vor Ort im Büro – oder sogar effektiver. Viele sehen die Möglichkeit zur freien Zeiteinteilung als Vorteil und können sich zu Hause besser konzentrieren. Für Führungskräfte kann eine Umstellung auf mobile und flexible Arbeitsweisen aber herausfordernd sein. Der persönliche Kontakt ist wichtig, auch um die Stimmung innerhalb der Belegschaft einschätzen zu können.
So ist beispielsweise die Gefahr groß, dass die lange Zeit der Homeoffice-Pflicht während der Pandemie zu einer Entfremdung innerhalb der Belegschaft führt. Liz Fosslien, Expertin für Emotionen am Arbeitsplatz, stellt beispielsweise im Manager Magazin einen Sechs-Schritte-Plan vor, den Führungskräften hilft, mit dieser Entfremdung umgehen. Zu ihren Praxistipps zählen zum Beispiel Vier-Augen-Gespräche zwischen den Mitarbeitern, erprobte Übungen, um individuelle Fähigkeiten zu fördern, oder auch konkrete und langfristige Zielsetzungen für Teams, die diese dann in Etappen eigenverantwortlich organisieren. Nichtsdestotrotz liegen die Vorteile von Homeoffice und flexibler Arbeit auf der Hand. Am deutlichsten zeigt sich dies in spürbar zufriedeneren und produktiveren Arbeitnehmern. Das war in einer bereits 2020 durchgeführten Bitkom-Studie die größte Erkenntnis. Sofern es dem Unternehmen möglich ist, ist es also ratsam, an flexiblen Arbeitsweisen festzuhalten und diese sogar noch auszubauen und zu festigen – auch für die Zeit nach der Pandemie.
Diese Unternehmen machen es vor
Dass große Unternehmen diesen Wandel bereits sehr ernst nehmen, lässt sich aktuell vielerorts beobachten – dazu muss man nicht direkt ins Silicon Valley schauen. So plant zum Beispiel die Otto Group ein hybrides Arbeitsmodell, dessen Kern die gemeinsame Absprache der An- und Abwesenheitszeiten in den jeweiligen Abteilungen bildet. Mitarbeiter sollen dort zum Einsatz kommen, wo sie ihre Arbeitsleistung am effektivsten erbringen können, erzählt Irene Oksinoglu, Leiterin der FutureWork-Initiative bei OTTO, dem W&V-Magazin. Die generelle Präsenzpflicht solle abgeschafft werden, vorausgesetzt natürlich, dass die Arbeit von unterwegs möglich sei. Und auch traditionsreiche Unternehmen entdecken den Mehrwert von New Work für sich. Beim Sportwagenhersteller Porsche etwa können Mitarbeiter künftig an bis zu zwölf Tagen im Monat mobil arbeiten – vor der Pandemie waren zwei Tage pro Woche möglich.
Diese Beispiele zeigen nur zwei von zahlreichen möglichen Modellen flexibler Arbeit. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zählt in einer Studie allein 16 verschiedene Ansätze mit ihren Vor- und Nachteilen auf – darunter zum Beispiel Jobsharing, Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit. Welches Format zum eigenen Unternehmen passt, ist also keine einfache Entscheidung. Vor der festen Implementierung empfiehlt sich demnach eine realistische Analyse der eigenen Strukturen.
Drei Erfolgsfaktoren auf dem Weg zum flexiblen Modell
1. Prozesse festlegen, die bleiben
Die Pandemie hält den Mittelstand nach wie vor in Atem und zwingt Verantwortliche auch zwei Jahre nach Ausbruch zu ungeahnten Experimenten. Noch ist offen, wann wieder so etwas wie Normalität einkehren wird. Möglicherweise werden auch die gegenwärtig unsteten Zeiten zur Gewohnheit werden. Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheit ist es für Führungskräfte, HR und die einzelnen Abteilungen ratsam, in regelmäßigen Abständen zu überlegen, welche neu eingeführten Prozesse sich bewähren und daher bestehen bleiben sollten und welche nicht. Als erster Schritt empfehlen sich Mitarbeiterbefragungen, um mehr über die Vorstellungen und Bedürfnisse der Teams zu erfahren und die weiteren Entscheidungen auf Daten zu stützen.
2. Gemeinsame Strategie
Die Flexibilisierung der Arbeit kann einen großen Change-Prozess darstellen – und Change-Prozesse scheitern genau dann, wenn sie von vornherein nicht zu Ende gedacht sind oder die Mitarbeiter negativ auf den Wandel reagieren. Daher ist es besonders wichtig, den Fokus auf eine gemeinsame Gestaltung zu legen. Mithilfe von praxiserprobten Methoden wird die Herangehensweise an eine solche Strategieentwicklung konkreter. Alle in der Wissenschaft diskutierten Methoden heben die Kommunikation mit den Betroffenen, also den Stakeholdern und damit allen voran den Mitarbeitern, hervor. Von besonderer Bedeutung sind außerdem eine gemeinsame Vision und das frühzeitige, aktive Einbinden aller Beteiligten.
3. Digitale Strukturen schaffen
Ohne die richtigen Tools kein mobiles und agiles Arbeiten. Sich möglichst dezentral aufzustellen, ist daher ein Muss auf dem Weg zum flexiblen Modell. IT-Systeme, die auch mobil anwendbar sind, helfen dabei, wichtige Inhalte des täglichen Geschäfts für alle sicher zugänglich zu machen, ganz egal, wo sich die Mitarbeiter befinden. Dabei ist es ratsam, den Teams die Chance zu geben, sich an die neuen, digitalen Strukturen und Arbeitsweisen zu gewöhnen. So beugen Führungskräfte und HR-Experten dem Risiko vor, dass sich alte Routinen und Gewohnheiten wieder einschleichen.
Fazit: Flexibilität zahlt sich aus
Es ist an der Zeit, das Konzept „Büro“ zu überdenken. Immer mehr Unternehmen gehen unter dem Eindruck einer anhaltenden Pandemie verstärkt der Frage nach, ob sie die Performance ihrer Mitarbeiter tatsächlich anhand von Anwesenheit und Arbeitszeit messen wollen – und kommen meist zu dem Schluss, dass diese Vorstellung nicht mehr zeitgemäß ist. Hybride Modelle scheinen sich zunehmend zu bewähren. Das Office hat nun die Chance, primär ein Ort des Zusammenkommens und des Austauschs zu werden. Es muss nicht mehr der einzige Ort zum Arbeiten sein.

Simone Seidel,
Director People Central Europe bei Sage