Sozialversicherung : Aus Gleitzone wird Übergangsbereich : Neue Regelungen ab 1. Juli 2019
Warum das Kind einen neuen Namen bekommen musste, können wahrscheinlich nur Politiker verstehen. Denn aus der bisherigen „Gleitzone“ wird ab 1. Juli 2019 der „sozialversicherungsrechtliche Übergangsbereich“. Wobei das Prinzip im Wesentlichen unverändert bleibt. Aber der Reihe nach.
Die Gleitzone gibt es schon seit dem Jahr 2003. Sie wurde im Zusammenhang mit den Hartz-Gesetzen eingeführt. Sinn und Zweck der Regelung ist es bis heute, den Übergang von der geringfügig entlohnten, versicherungsfreien Beschäftigung (Minijob) zu erleichtern. Da der Beschäftigte im Minijob bei Rentenversicherungsfreiheit (auf Antrag) gar keinen eigenen Beitragsanteil zahlt, bei Rentenversicherungspflicht nur einen geringen Eigenanteil von 3,6 Prozent, verringert sich sein verfügbares Nettoeinkommen durch eine Erhöhung des Arbeitsentgelts auf über 450 Euro monatlich durch den Arbeitnehmeranteil zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung kräftig. Ohne Gleitzone …
Bei einem monatlichen Entgelt von 450 Euro, also einem Minijob, fallen für den Beschäftigten selbst entweder keine (bei Befreiung von der Rentenversicherung) oder nur geringe eigene Beiträge an.
Beispiel | |
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Entgelt | 450,00€ |
Abzug Rentenversicherung (2019 = 3,6 Prozent) | 16,20€ |
netto | 433,80€ |
Arbeitgeberanteil | 150,00€ |
Bei einer Erhöhung des Entgelts auf 460 Euro monatlich entsteht Sozialversicherungspflicht in allen Zweigen. Ohne Gleitzonenregelung würde der Beschäftigte sofort den vollen Arbeitnehmeranteil tragen müssen.
Beispiel | |
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Entgelt | 460,00€ |
Arbeitnehmeranteil | 91,90€ |
netto (ohne Steuern) | 368,10€ |
Arbeitgeberanteil | 90,75€ |
Ohne Gleitzonenregelung würde der Arbeitgeber 59,25 Euro einsparen, der Arbeitnehmer hingegen mit zusätzlich 65,70 Euro belastet werden. Die Erhöhung des Gehaltes wäre also ein schlechter Deal.
Mit Gleitzone
Innerhalb eines Entgeltrahmens von 450,01 Euro bis 850,00 Euro wird die Gleitzonenregelung angewandt. Dabei wird das tatsächliche Entgelt mittels des sogenannten Faktors „F“ heruntergerechnet. Das tatsächlich beitragspflichtige Entgelt wird dadurch geringer. Der Unterschied ist bei 450,01 Euro am größten, bei 850,00 Euro entspricht das beitragspflichtige dann wieder dem tatsächlichen Entgelt. Die Beiträge werden aus dem verringerten Entgelt berechnet, der Arbeitgeberanteil jedoch aus dem tatsächlich erzielten Entgelt. Die Differenz stellt dann den Arbeitnehmeranteil an den Beiträgen dar.
Beispiel | |
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Entgelt | 460,00€ |
beitragspflichtig | 353,21€ |
SV-Beitrag gesamt | 140,93€ |
Arbeitgeberanteil | 91,20€ |
Arbeitnehmeranteil | 49,73€ |
netto (ohne Steuern) | 410,27€ |
Im Vergleich ohne Gleitzonenregelung spart der Beschäftigte 42,17 Euro. Zwar ist das Nettoentgelt im Vergleich zum Minijob etwas niedriger, dafür besteht aber ein voller (eigener) Krankenversicherungsschutz mit Krankengeldanspruch sowie ein Anspruch in der Pflege- und Arbeitslosenversicherung.
Der Faktor „F“
Der Faktor „F“ wird zur Umrechnung des tatsächlichen in das beitragspflichtige Entgelt verwendet. Er ist wesentlicher Bestandteil der Umrechnungsformel. Der Faktor ergibt sich, indem der pauschale Beitragssatz für Minijobs von 30 Prozent (13 Prozent KV, 15 Prozent RV und zwei Prozent Pauschalsteuer) durch die Summe der Beitragssätze am 01.01. eines Kalenderjahres zur Krankenversicherung (einschließlich durchschnittlicher Zusatzbeitrag), Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung geteilt wird. Für 2019 bestand am 01.01. ein Gesamtbeitragssatz von 39,65 Prozent. Daraus ergibt sich ein Faktor F von 0,7566.
Neue Regelung ab 01.07.2019
Kern der veränderten Regelung ab 01.07.2019 sind zwei wesentliche Faktoren. Zum einen wird der Bereich der bisherigen Gleitzone (jetzt Übergangsbereich) von bisher 450 Euro bis 850 Euro auf 450 Euro bis 1.300 Euro erweitert. Entsprechend wird die Umrechnungsformel angepasst. Diese lautet nunmehr: F × 450 + [{1.300 / (1.300 – 450)} – {450 / (1.300 – 450)} × F] × (AE – 450). So können deutlich mehr Beschäftigte von den verringerten Beiträgen profitieren. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Zahl der Begünstigten von rund 1,3 Millionen auf bis zu 3,5 Millionen Menschen steigt. Die zweite wesentliche Änderung betrifft die Berechnung der Rentenhöhe bei Beitragszahlung im Übergangsbereich (siehe Abschnitt Rentenhöhe).
Rentenhöhe
Bei der bisherigen Regelung gab es für die betroffenen Arbeitnehmer einen gravierenden Nachteil. Sie zahlten zwar niedrigere Beiträge, allerdings wirkte sich das auch auf die dadurch erzielte Rentenhöhe aus. Denn die Berechnung der Rente ging (und geht bis 30.06.2019) nur von der tatsächlichen Beitragszahlung aus. Deshalb bestand für die Rentenversicherung die Möglichkeit, auf die Verringerung des Entgelts zu verzichten. In diesem Fall zahlte neben dem Arbeitgeber auch der Beschäftigte den vollen Beitragsanteil zur Rentenversicherung. Mit dem Effekt, dass die Rente dann nach dem tatsächlichen Entgelt berechnet wurde. Die Wahl des Beschäftigten, die dieser gegenüber dem Arbeitgeber erklären konnte, wirkte sich durch die Abhängigkeit von der Höhe des rentenversicherungspflichtigen Entgelts auch auf die Umlagen zur Entgeltfortzahlungsversicherung (U1 und U2) und die Insolvenzgeldumlage aus.
Diese Wahlmöglichkeit entfällt ab 01.07.2019. Von diesem Zeitpunkt an wird die Rentenhöhe in jedem Fall nach dem tatsächlichen Arbeitsentgelt berechnet. Die dadurch entstehenden Mehrausgaben bzw. Mindereinnahmen für die Rentenversicherung sind politisch gewollt.
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Meldeverfahren
Schon bisher war die Beitragsberechnung in der Gleitzone auf den Entgeltmeldungen entsprechend zu vermerken. Dafür gibt es ein besonderes Kennzeichen. Gemeldet wurde bisher aber ausschließlich das rentenversicherungspflichtige Entgelt, also entweder das gekürzte Entgelt oder – bei entsprechender Erklärung des Beschäftigten – das tatsächliche Entgelt. Durch die Neuregelung ist es erforderlich, in jedem Fall sowohl das beitragspflichtige als auch das tatsächliche Arbeitsentgelt in die Meldung aufzunehmen. Das beitragspflichtige Entgelt dient dann der Überprüfung von gemeldeten Entgelten und abgeführten bzw. nachgewiesenen Beiträgen, das tatsächliche Entgelt dann der Aufnahme ins Rentenkonto des Beschäftigten und damit der späteren Berechnung der Rentenhöhe.
Datenfeld Übergangsbereich
Dieses Feld dient der Unterscheidung, ob das gemeldete Entgelt ganz oder teilweise innerhalb des Übergangsbereichs zwischen 450 Euro und 1.300 Euro (bis 30.06.2019 bis 850 Euro) lag. Das Feld ist nur bei der Erstattung von Entgeltmeldungen, also bei Jahresmeldungen, Abmeldungen und Unterbrechungsmeldungen, auszufüllen. Dabei gelten folgende Schlüsselzahlen:
- 0 = kein Arbeitsentgelt innerhalb des Übergangsbereichs,
- 1 = Übergangsbereich; die tatsächlichen Arbeitsentgelte liegen in allen Entgeltabrechnungszeiträumen dieser Meldung zwischen 450,01 Euro und 1.300,00 Euro,
- 2 = Übergangsbereich; die Meldung umfasst sowohl Entgeltabrechnungszeiträume mit tatsächlichen Arbeitsentgelten von 450,01 Euro bis 1.300,00 Euro als auch solche mit tatsächlichen Arbeitsentgelten unter 450,01 Euro oder über 1.300,00 Euro.
Beispiele ab 01.07.2019
Die Änderung der Formel bewirkt auch bei den schon bisher durch die Gleitzone begünstigten Beschäftigten eine weitere Absenkung der Beitragsbelastung. Hier einige Beispiele für die finanziellen Auswirkungen der Neuregelung für den Arbeitnehmer (da der Arbeitgeber seinen Anteil immer aus dem tatsächlichen Arbeitsentgelt berechnen muss, ergeben sich für ihn keine Auswirkungen):
tatsächliches Entgelt | beitragspflichtiges Entgelt bis 30.06.2019 | beitragspflichtiges Entgelt ab 01.07.2019 |
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500 Euro | 404,16 Euro | 396,91 Euro |
600 Euro | 531,54 Euro | 509,79 Euro |
800 Euro | 786,30 Euro | 735,55 Euro |
1000 Euro | 1.000,00 Euro | 961,31 Euro |
1200 Euro | 1.200,00 Euro | 1.187,07 Euro |