Offener Brief
Was halten Sie von künstlicher Intelligenz?
Ich traf kürzlich einen alten Schulfreund, wir hatten uns lange nicht gesehen. Nach dem Austausch über die üblichen Themen (Familie, Kinder, Hund, Corona) erzählte er von seiner Arbeit. Voller Begeisterung – wie ich ihn aus der Schule kannte. Er gab damals schon immer alles. Er arbeitet jetzt im IT-Bereich und beschäftigt sich mit künstlicher Intelligenz (KI).
Meinen spontanen Einwand, wir sollten uns vielleicht erst mal um die menschliche Intelligenz kümmern – denn dabei liegt ja erfahrungsgemäß einiges im Argen –, wollte er nicht gelten lassen. Es entspann sich eine intensive Diskussion. Für mich – als bekennenden IT-Laien – kann ein Computer nur Algorithmen verarbeiten, die man ihm vorher beigebracht hat. Mein Freund versicherte hingegen, dass Computer selbst lernende, letztlich vernunftbegabte Wesen seien. Und dann bekannte er, dass er schwerpunktmäßig an IT-Anwendungen für den HR-Bereich arbeite. Wodurch die Diskussion richtig hitzig wurde. Er bot mir eine Wette an: Ich würde bei einem Telefonat mit einem HR-Recruiter nicht merken, ob an der anderen Seite ein Mensch oder ein IT-System mit KI sitzt.
Ich habe es probiert und mich pro forma auf mehrere Stellenausschreibungen, die mir mein Freund weitergeleitet hatte, telefonisch beworben. Mal stellte ich mich schon fast dämlich an, mal log ich, dass sich die Balken bogen. Bei drei von sieben Anrufen hätte ich eine Einladung zu einem persönlichen Gespräch bekommen. Immer da, wo ich meine Kenntnisse und Fähigkeiten positiv übertrieben hatte.
Bei zwei Anrufen vermutete ich einen Computer am anderen Ende – aber mehr als ein Gefühl war es nicht. Und was soll ich sagen? Ich lag komplett daneben. Alle sieben Anrufe landeten bei IT-Systemen! Ich war, gelinde gesagt, schockiert, aber auch fasziniert. Nun waren es allerdings nur Test-Systeme, also (noch) keine echten Stellenausschreibungen, aber der Weg dahin scheint nicht mehr weit
Wird HR vollständig durch KI ersetzt? Brauchen wir noch Abrechner oder kann das alles der Computer nach den Selbst-Eingaben der Mitarbeiter machen? Einstellung, Gehaltsverhandlung, Kündigung, Zeugnis usw. – alles ohne lebendigen HR-Mitarbeiter?
Die Nacht war unruhig, ich schlief schlecht. Ich hatte einen Traum. Aber keinen wirklich schönen. In meinem Traum erstellten Computer Stellenausschreibungen und veröffentlichten sie in Internetportalen. Es bewarben sich andere Computer mit KI darauf. Darauf folgte eine Vorauswahl und anschließend Bewerbungsgespräche – zwischen den Computern. Einer stellte einen anderen an. Im Traum blieb nur etwas neblig, wie das mit den Gehältern funktionieren würde. Wie viel Geld braucht so ein Computer im Monat? Da fehlte mir wohl die Fantasie.
Die Vision ging noch weiter: Computer stellen ein, geben Arbeitsaufträge, mahnen bei Minderleistung (gibt es die bei Computern überhaupt?) ab, kündigen, stellen dem Kollegen ein Zeugnis aus und führen Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht (auch die Richter sind natürlich Computer).
Als ich schweißgebadet aufwachte, sah ich die Welt mit anderen Augen. Wir nutzen Computer als Arbeitserleichterung, zur Beschleunigung von Prozessen, zur Vermeidung langweiliger, stupider Arbeiten, aber als vollständigen Ersatz für Menschen?
Mein Freund wollte meine Befürchtungen zerstreuen und meinte, so schnell ginge das alles denn nun doch nicht, ich würde es in meinem Alter wohl nicht mehr erleben. Aber völlig ausschließen wollte er mein geträumtes Szenario auch nicht.
Also deshalb hier der Appell an alle HR-Spezialisten: Lasst nicht zu, dass Computer euch vollständig ersetzen. Aber ich glaube immer noch, dass auch die beste KI niemals so kreativ und flexibel sein kann wie der gut ausgebildete und erfahrene HRler. Manchmal muss man darauf hoffen, dass Träume lieber nicht wahr werden.
In diesem Sinne – frohes Schaffen!
Herzlichst, Ihr Felix, der (Un-)Glückliche