Erwartungen in der Arbeitswelt – Interview mit Timm Steuber : L(i)ebenswerte Leistung
Für die einen heißt es maximale „Work-Life-Balance“, die anderen sollen Superheld 4.0 der Arbeit werden. Der Arbeitspuls der Zeit wird heiß diskutiert, kann aber in ganz unterschiedlichen Rhythmen schlagen. Woher soll also das „Allheilrezept“ kommen? Welche Rolle spielt Leistung dabei und was dürfen wir erwarten?
Ein gesunder „Arbeitsgeist“ wohnt in einem Unternehmenskörper, der nicht nur mit schönheitschirurgischen Korrekturen beeindruckt und begehrten Talenten den Kopf verdreht. Laut Work-Happiness-Report 2024 würden beeindruckende 73 Prozent der Arbeitnehmer Gehalt gegen Glück im Job tauschen, wobei die Arbeitszufriedenheit entscheidend ist für Kreativität und Motivation. Ganze 37 Prozent denken oft darüber nach, zu kündigen, und es gibt mittlerweile deutlich schnellere und häufigere Wechsel in der Probezeit durch Arbeitnehmer.
Wo sollte man schnellstens die (neuen) Symptome erkennen und was tun, um die Fluktuation zu reduzieren und wertvolle Talente langfristig an das Unternehmen zu binden? Wie stellt man das Human Capital Management (HCM) für die Mitarbeiterbindung auf eine neue gesunde Basis, damit Arbeit positiv von innen heraus wachsen kann und Leistung wieder positiv bewertet wird? Antworten darauf gibt Führungskräftecoach Dr. med. Timm Steuber, Berater und „Notarzt für die Seele“.
Sich Montag schon auf Freitag freuen? Was läuft schief, wenn das der Sinn des Berufslebens sein soll? Warum und wie müssen wir dahinkommen, dass Arbeitszeit wieder grundsätzlich mehr als schöne Lebenszeit gesehen wird und nicht als zwei Dinge, die sich gegenseitig im Weg stehen oder
bekämpfen? An welchen das Arbeitswohlbefinden vergiftenden Denkweisen krankt es hier am stärksten?
Arbeit und Leben zu trennen, ist eine relativ neue Idee. Früher gab es eine Berufung. Der Sohn des Bäckers wurde Bäcker, denn sonst hatte das Dorf kein Brot. Der Sinn der Arbeit war jeden Tag klar sichtbar. Dann wurde daraus ein Beruf. Also begab man sich täglich zu einem Job, den man sich in jungen Jahren so überlegt hatte. Und dann wurde es sportlich: Erst kam die Laufbahn und dann sogar die Karriere. Klingt nach „Carrera“, oder? Ich bin mir sicher, dass wir in wenigen Jahrzehnten das Wort „Arbeit“ neu definieren werden und auch mal den Kopf schütteln werden über diese Zeit des Rennens und Kämpfens.
Wer sein „Warum“ kennt, für den ist das „Wie“ dann nicht mehr schwer. Es wird ganz sicher eine der größten Herausforderungen einer modernen, gesunden Führung sein, den Mitarbeitern eine Arbeit zu bieten, die motiviert. Weil sie ein „Warum“ bietet, zur eigenen Entwicklung beiträgt und Freude macht.
Das „New Normal“ der Arbeitswelt pendelt sich nach der Pandemie erst wieder ein – das zeigt sich ganz deutlich in den neuen Homeoffice-Debatten mit den Diskussionen von Pflicht zur Rückkehr ins Büro. Nach aktueller Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov, im Auftrag des Autozulieferers Continental, sagen 47 Prozent der Büroangestellten, sie würden den Job wechseln, wenn ihre Arbeitgeber die Heimarbeit abschaffen oder stark einschränken würden. Sind wir wirklich schon bereit, darüber nachzudenken, „Wellbeing“ im Aktien-Index zu einem wichtigen Faktor der Unternehmensperformance zu machen, indem sogar „messbares Gutgehen“ als positiver Teil der Produktivität erfasst wird?
Wir haben gar keine andere Wahl, als das Wohlergehen des Menschen in den Fokus zu rücken. Dabei sollten wir aber unbedingt zwei Dinge nicht verwechseln: Es geht nicht darum, dass Arbeit immer „Spaß“ oder „Fun“ bringt. Das ist ein unsinniges und auch unrealistisches Ziel. Es geht darum, dass es den Mitarbeitern auch in stürmischen Zeiten gut gehen kann. Resilienz wird ein Schlüsselwort, denn die Zeiten sind definitiv extrem schnell, unzuverlässig, widersprüchlich und oft nicht von uns beeinflussbar. Da bringt es nichts, einfach alles wegzulächeln. Da muss ein Leuchtturm her, der auch bei Wolken sichtbar ist. Da müssen Führungskräfte eine neue Zuversicht vorleben und zeigen: Die miesen Tage sind ok. Sie gehen vorbei und nur dadurch können wir die guten Tage auch erkennen.
Ist die Life-Work-Balance auch eine Frage der Lebensphase? Ein Kern der aktuell geführten Generationendebatte ist, dass man erst etwas leisten und sich verdienen soll, bevor man sich „ausruhen“ und es sich gut gehen lassen darf. Sind die älteren Generationen wirklich so große Vorbilder, obwohl sie ihr Leben augenscheinlich auf „später“ verschoben haben?
Vor allem ist die Generation Z das Ergebnis der Erziehung und des Aufwachsens der vorherigen Generationen. Einstellung, Arbeitsweise und Werte sind ja nicht vom Neptun gekommen. Wie Kinder oft aufwachsen, gerade in gut situierten Familien, ist weder gut noch schlecht, aber führt natürlich zu einer Einstellung zum Leben, zu Frustration, zu Motivation und Disziplin. Wer in seinem Aufwachsen niemals ein Hindernis vor sich hatte, weil die Eltern jede Frustration fernhalten wollte, einem jeden Wunsch erfüllten und dabei noch jede Entscheidung abnahmen, muss sich doch 15 Jahre später nicht wundern, dass dieses Aufwachsen Spuren hinterlässt.
Ich bin trotzdem sehr positiv. Ich empfinde viele junge Leute als freiheitsorientiert, nicht freizeitorientiert. Und es ist ein bisschen wie mit der Pubertät: Junge Leute legen den Finger in die Wunde, sie sind einfach immer weniger bereit, ihre Lebenszeit für den Konsum zu opfern.
Derzeit wird heftig darüber diskutiert, dass wir uns zu sehr vom Leistungsprinzip entfernen – z. B. durch die Abschaffung von Schulnoten oder den zunehmenden Abbau von kompetitiven Strukturen bei Sport und Arbeit. Führt das langfristig zum Verschwinden der intrinsischen Motivation und fehlt es zu sehr an einer Hands-on-Mentalität – gerade bei den Jüngeren? Verlernen wir gerade „selbstverschuldet“, vielleicht sogar systematisch, das Leisten zu lieben? Woher kommt denn eine gute Leistung?
Motivation kommt von Motiv: Leiste ich etwas, weil ich interessiert bin, gerne dazulerne, begeistert bin? Lerne und arbeite ich, weil es aus mir heraus kommt? Intrinsisch und nachhaltig? Wache ich nachts auf und kann nicht weiterschlafen, weil mich eine Idee so kickt?
Oder bin ich zu Leistung bereit, weil ich von klein auf extrinsisch motiviert werde? Weil mein Vater mir sagte, ich müsse immer Vollgas geben? „Kannste was, dann haste was, dann biste was“ war lange das Credo für Erfolg.
Deshalb loben ja viele Eltern ihre Kinder, selbst für die absurdesten Handlungen. Das führt zu einem kleinen Karriere-Roboter, der für Noten, Abschlüsse, Zertifikate, Beförderung und Boni praktisch alles tun würde. Und nicht selten mit 50 in die tiefe Krise gerät und sich fragt: „Was habe ich eigentlich getan, außer im Hamsterrad zu rennen?“
Wenn ich meine drei Töchter sehe, dann weiß ich: Der Mensch muss nicht motiviert werden. Er hat von Natur aus einen Drang zum Lernen, Ausprobieren und Verstehen. Echter Erfolg kommt von innen.
Welchen immer noch zu großen Anteil an der „Fachkräfteproblematik“ und am Leiden an der Arbeit haben Ihrer Meinung nach unwissende, ignorante und toxische Leader? Warum sollte im Grunde jeder von uns im Sinne der gesunden Selbstführung vielleicht sogar selbst erst einmal lernen, sein „eigener Chef“ zu werden, um dann eine echte Liebesbeziehung mit seiner Arbeit einzugehen?
Sich selbst zu führen, ist sehr wichtig. Denn nur so kann jemand sein Leben führen und dann auch andere. Deshalb arbeite ich auch oft im 1:1-Coaching mit Entscheidern und Führungskräften. Und es ist erstaunlich, wie selbst Top-Leute sich selbst kaum kennen. Viele ahnen, dass es ihnen nicht gut geht, aber sie geben einfach weiter Vollgas. Und verlieren sich dabei.
Ein wichtiger Teil meiner Arbeit sind WERTE. Diese Werte für sich und sein Unternehmen klar zu haben, das ist die Basis des Erfolgs.
Denn die Zeiten sind sehr wechselhaft, wir können bei Entscheidungen oft gar nicht vorhersagen, ob das so richtig ist. Und wenn wir so oft nicht wissen, WAS genau richtig ist, dann wird plötzlich entscheidend, WAS wir tun.
Manche Entscheider sagen: „Ich muss jeden nehmen und an jedem festhalten“ und schieben das auf den Fachkräftemangel. Dabei bleiben die guten Leute genau deshalb fern, WEIL dein Team eben noch an toxischen Leuten festhält. Wenn ich ein Seminar für Führungskräfte mache, dann frage ich oft, wer das größte „schwarze Loch“ in der Abteilung ist. Und es sagen ALLE den gleichen Namen. Es ist immer eine fachlich sehr gute, aber menschlich ungeeignete Führungskraft, die von oben das ganze Team verunsichert. Und das ist ein großes und teures Problem!
Wenn ich nur einen einzigen Tipp geben dürfte, was den Erfolg von morgen ausmacht, dann den: „Besetze deine wichtigen Positionen ausschließlich mit tollen Leuten, und der Erfolg kommt fast von allein!“
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Dr. Silvija Franjic (Jobcoach und Redakteurin)