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Mitarbeiterportal : IT-Euphorie in der Personalwirtschaft?

Dr. Silvija FranjicFokus
Lesezeit 5 Min.

Welche Chancen und Grenzen gibt es bei der Digitalisierung?

Im Zuge der Digitalisierung in der Personalwirtschaft ist viel von effizienter und strategischer Gestaltung der HR-Abläufe die Rede. Es geht um den Wandel der Bedingungen und Instrumentarien — auch der Aufgabenfelder im Hinblick auf den Nutzen und die Machbarkeit. Ins Visier genommen wird der Mitarbeiter in einem Umfeld von potenziellen neuen Arbeitsweisen und Geschäftsmodellen innerhalb der schönen neuen digitalen HR-Welt. Da sieht man schon Controller ihre Tabletts zücken, die Kostensenker eifrig kalkulieren bis hin zum mitarbeiterlosen Büro. Wird es wirklich so weit kommen oder ist das die laute und viel zu euphorische Zukunftsmusik HR-IT-Begeisterter? Wo steht die Personalwirtschaft im Zuge der Digitalisierung wirklich? Und wohin wird die Reise realistischerweise vermutlich tatsächlich noch hingehen — zumindest mal konkret auf die nächsten ein bis zwei Jahrzehnte bezogen? Hierzu fünf Fragen an Prof. Dr. Thomas Batz, Studiendekan im Fachbereich BWL-Dienstleistungsmanagement und Studiengangsleiter Human Resources an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) in Heilbronn.

Ist die „HR-Digitalwende“ in der deutschen Wirtschaft überhaupt schon angekommen?

Der deutschen (Personal-)Wirtschaft ist durchaus bewusst, dass sie von den Herausforderungen der Digitalisierung (wahrscheinlich erheblich) betroffen sein wird. Allerdings fällt es den Unternehmen aktuell auch sehr schwer einzuschätzen, wie diese Herausforderungen konkret aussehen könnten und welche Chancen und Risiken damit im Zusammenhang stehen. Durch die Digitalisierung können die Effizienz und die Effektivität der Personalarbeit sowie der Wert des Human Capital spürbar gesteigert werden. Ein ausgesprochen wichtiger und erfolgskritischer Faktor. Da in Deutschland aber häufig große Skepsis gegenüber Veränderungen besteht, ergibt sich die Gefahr, dass Digitalisierungsmaßnahmen sowohl durch Unternehmen wie auch durch die Politik möglicherweise zögerlich und verspätet initiiert werden. Dadurch könnten sich für deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich gravierende Nachteile ergeben. Aktuell nutzen nur etwas mehr als 10 Prozent aller Personalabteilungen z. B. die Möglichkeiten der HR Predicitive Analytics, um durch datengestützte Vorhersagen die Sicherheit und Qualität von Personalentscheidungen zu erhöhen. Ein sehr niedriger Wert.

Der leuchtende Text „Web 2.0“ liegt auf einem dunklen Hintergrund voller Binärcode (Einsen und Nullen) und sich kreuzender blauer Linien, die an ein digitales Netzwerk erinnern.

Zwar planen circa 50 Prozent der Unternehmen, zukünftig digitale Personallösungen einzusetzen, unklar bleibt aber, welche Lösungen dies sein werden sowie wann und wie diese Einführung erfolgen soll. Entsprechend kann von einer IT-Euphorie im Hinblick auf die Personalarbeit in deutschen Unternehmen gegenwärtig sicher nicht gesprochen werden.

Wie könnten Möglichkeiten der Digitalisierung praxistauglich in Alltagsbeispielen ablaufen und in welchen Bereichen sollte insgesamt tatsächlich sogar noch mehr Fantasie entwickelt werden?

Durch die Digitalisierung wird die Personalarbeit nicht neu erfunden, aber der Wirkungsgrad der HR-Maßnahmen kann spürbar erhöht werden. Die Nutzung von Big Data, umfassende Datenverknüpfung und fast unbegrenzte Automatisierungsmöglichkeiten erhöhen und führen zu umfassenden Zeit- und Qualitätsvorteilen. Diese Vorteile zu erkennen und umzusetzen, ist für das Personalmanagement aufgrund des enorm gestiegenen Anspruchs in vielen Bereichen der Personalarbeit essentiell. Viele Arbeitsmärkte haben sich von Arbeitgeber- zu Arbeitnehmermärkten gewandelt und sind teils regelrecht leergefegt, die Schlagworte Fachkräftemangel und „War for Talents“ gewinnen kontinuierlich an Bedeutung. Neue Generationen von Arbeitnehmern wie z. B. die aktuell auf den Arbeitsmarkt drängende Generation Z, die völlig veränderte Rolle der Frau in der Arbeitswelt sowie der wichtige Aspekt der Diversity begründen ganz neue und sehr weitreichende Ansprüche an die Personalarbeit. Auf der Basis dieser Erkenntnisse ist zu prüfen, inwieweit die Digitalisierung in wichtigen Engpassbereichen der Personalarbeit zu Wettbewerbsvorteilen führen kann. Dabei sind in erster Linie die Aufgabenfelder Recruiting, Talent- und Retention Management sowie das Employer Branding zu nennen. Mit Hilfe der Digitalisierung könnten damit deutlich besser als in der analogen Personalarbeit die richtigen Mitarbeiter gewonnen und ans Unternehmen gebunden sowie deren Fähigkeiten optimal entwickelt werden.

Mit welchen Ansätzen sollte man grundsätzlich rangehen und welche Unterschiede könnte es je nach Unternehmensform und -größe geben?

Die Personalarbeit fokussiert sich prinzipiell sowohl auf ökonomische Ziele und damit auf den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens als auch auf soziale Ziele und damit vor allem auf die Zufriedenheit der Mitarbeiter. Diese zentralen Ziele definieren den Rahmen der Personalarbeit und sind damit natürlich auch im Hinblick auf die Umsetzung der Digitalisierung von großer Bedeutung. Dabei kann es wohl nur in sehr eingeschränktem Umfang standardisierte Lösungen geben. Vielmehr sind in Abhängigkeit von Unternehmensgröße, Unternehmensform und insbesondere unter Berücksichtigung von definierten Unternehmensleitbildern und gelebten Führungsleitlinien individuelle Lösungen zu gestalten. Hierbei wird gute HR Beratung von essentieller Bedeutung sein.

Welche Bereiche der HR-Wirtschaft werden am stärksten von der Digitalisierung betroffen sein und welche werden es am schwersten haben, den Wandel zu vollziehen?

Ein professionelles Porträt eines Mannes mit kurzen braunen Haaren und Bart, der Anzug und Krawatte trägt. Der Text darunter lautet: Prof. Dr. Thomas Batz, Professor und Dekan für Personalwesen an der DHBW Heilbronn. Der Hintergrund zeigt abstrakte digitale Elemente.

Die Umsetzung von Digitalisierungsstrategien im HRM wird kaum möglich sein, wenn Personalabteilungen schlecht organisiert und Personalprozesse unzureichend strukturiert sind. Leider aber ist es nicht selten gelebte Realität, dass sich Personalmanager auf ihr „Bauchgefühl“ verlassen und entsprechend weitgehend subjektive Entscheidungen treffen. An dieser Vorgehensweise wird häufig festgehalten, auch wenn sich negative Entwicklungen wie z. B. Früh-Fluktuation und ungewollte Kündigungen einstellen.

Andererseits darf aber auch der „Faktor Mensch“ gerade in einer digitalisierten Arbeitswelt nicht ignoriert werden, der in der Interaktion zwischen Personalmanagement und Mitarbeitern von zentraler Bedeutung ist und bleiben wird. Um die Umstellung auf die Digitalisierung erfolgreich gestalten sowie deren Möglichkeiten umfassend nutzen zu können und auch die Zusammenarbeit zwischen Menschen zu fördern, sind also im Vorfeld gezielte organisatorische, strukturelle und kulturelle Vorbereitungen erforderlich. Insbesondere empfiehlt es sich, Betriebspartner und Belegschaft frühzeitig und transparent zu informieren, um diese im Rahmen des Change-Prozesses als Unterstützer gewinnen zu können.

Wie sollte die Personalfunktion der Zukunft aufgestellt sein und welche Kernkompetenzen werden gefordert sein und hinzukommen müssen?

Durch die Nutzung von Big Data im Rahmen von HR Analytics werden umfassende und inhaltlich/kombinatorisch beinahe unbegrenzte Auswertungen ermöglicht, Vergleiche wie z. B. der Kosten-/Erfolgsbeitrag pro Mitarbeiter, Fehlzeitenanalysen etc. stehen „auf Knopfdruck“ zur Verfügung. Geschickte Datenerhebungen und Verknüpfungen führen problemlos zum sogenannten „gläsernen Mitarbeiter“. Diese Erkenntnisse können natürlich zum Wohle der Mitarbeiter eingesetzt werden, z. B. durch die Gestaltung von gezielten Weiterbildungs- und Qualifikationsmaßnahmen. Sollte das Personalmanagement aber durch unangemessene digitale Überwachungsprozesse oder Auswertungen zum Nachteil der Mitarbeiter das Vertrauen der Betriebspartner und der Belegschaft verlieren, kann Personalarbeit nicht mehr erfolgreich gestaltet werden, weder digital noch analog. Gegen den Widerstand der Betriebspartner und der Belegschaft werden sich Digitalisierungsstrategien und Maßnahmen in der Personalarbeit nicht erfolgreich umsetzen lassen. Nur wenn die Chancen der Digitalisierung und damit die möglicherweise deutlich gestiegenen Vorteile für die Unternehmen und die Mitarbeiter vermittelt werden können, besteht die Chance, eine digitale HR-Euphorie bei allen Beteiligten auszulösen.

Herr Batz, vielen Dank für das Gespräch.

Eine Frau mit kurzen braunen Haaren und Brille lächelt in die Kamera. Sie ist vor einem braunen Hintergrund abgebildet. Ihr Name, Dr. Silvija Franjic, und der Titel „Online-Redakteurin“ sind rechts auf einem grünen Hintergrund zu sehen.

 

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