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Wer führen will, muss fühlen? : Wer führen will, muss fühlen?

Arbeitsverhältnisse sind vor allem auch eines: zwischenmenschliche Beziehungen. Das ist eine Kunst, die es nicht nur zu beherrschen, sondern gerade auf Managementebene zu erlernen und weiter zu trainieren gilt.

Lesezeit 11 Min.

Wie lebt man Augenhöhe, Empathie und Motivation in der Arbeitswelt und bleibt angemessen professionell? Auf welche Weise meistert man gemeinsam Herausforderungen und wie feiert man zusammen nicht nur den Erfolg, sondern meistert Herausforderungen, ohne dass (eigene) Emotionen zu „Fallstricken“ werden?

Einige „Coaches“ plädieren aktuell verstärkt für einen Kuschelkurs und proklamieren, Führungskräfte sollten vor allem eigene Emotionen zeigen, sich nahbar geben – sozusagen als Basis für eine gute und produktive Zusammenarbeit „auf Augenhöhe“. Soll das der Weg der Zukunft sein, um Mitarbeiter wirklich zu erreichen, sie voranzubringen und die Anreize für die anstehenden Arbeitsziele zu schaffen?

Wie viele und vor allem welche Gefühle kann und sollte sich die moderne Führungskraft von morgen leisten – ohne sich in der Funktion des Vorgesetzten zu demontieren? Und geraten wir geradezu in Gefahr einer kontraproduktiven Gefühlsduselei? Dazu treten Dr. Silvija Franjic (Jobcoach und Fachredakteurin) und Dr. med. Timm Steuber (Notarzt und Führungskräftecoach) zu fünf zentralen Fragen in einen intensiven Dialog.

Keine Angst vor Quiet Quitting?

Dr. Silvija Franjic: Unzufriedene Mitarbeiter tun sich in der Regel schwer, Missstände gegenüber ihren Führungskräften und der Geschäftsleitung zu äußern. Das zeigt sich auch darin, dass die Quote der „inneren Kündigungen“ weiter zunimmt. Das kann zum einen an einer Geschäftsleitung liegen, die sich nicht rechtzeitig beziehungsweise nicht im ausreichenden Maße um ein Thema kümmert: ganz nach dem Motto „solange der Laden noch läuft …“

Hinzukommen können aber noch zahlreiche individuelle Gründe und Motive von Mitarbeitenden, die nicht selten als eine Art subjektive Verletzung empfunden werden. Wie gut muss eine Führungskraft mittlerweile zwischen den Zeilen lesen und sich nonverbal einfühlen können? Und wie kommt man in einen vertrauensvollen Austausch, der von der Furcht einer möglichen Benachteiligung befreit ist, wenn Kritik geäußert wird oder Missstände benannt werden?

Dr. med. Timm Steuber: Aus meiner Erfahrung als Notarzt und Coach weiß ich: Frühwarnzeichen sind entscheidend – im Körper wie im Unternehmen. Wenn Mitarbeitende innerlich kündigen, passiert das selten plötzlich. Oft haben sie bereits lange zuvor das Gefühl gehabt, dass Missstände entweder nicht gehört oder nicht ernst genommen werden. Und das ist gefährlich – nicht nur für die Stimmung im Team, sondern auch für die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens.

Führung heute bedeutet mehr als Fachwissen und Organisation. Es geht darum, mit Menschen zu arbeiten – mit all ihrer Motivation, ihren Sorgen und manchmal auch Verletzungen. Dafür braucht es Ehrlichkeit, Selbstreflexion und eine Haltung, die klar und verlässlich ist.

Eine offene Feedback-Kultur ist dabei zentral. Aber sie entsteht nicht von selbst. Feedback muss gelernt und regelmäßig geübt werden. Es braucht Klarheit, Struktur und Vertrauen – sonst verläuft es im Sande oder führt zu Frust. Feedback ist kein Raum für endlose Diskussionen, sondern ein Werkzeug, um gemeinsam besser zu werden.

Was ich in vielen Organisationen beobachte: Führung wird häufig mit Harmonie verwechselt. Wer Konflikten konsequent aus dem Weg geht, läuft Gefahr, seine engagiertesten Mitarbeitenden zu verlieren. Denn gerade leistungsstarke Menschen wollen Orientierung, Verlässlichkeit und Werte, die nicht nur auf dem Papier stehen.

Wer als Führungskraft Werte klar formuliert, diese konsequent – und dabei fair – einfordert, die Ressourcen der Mitarbeitenden im Blick behält und ihnen auf Augenhöhe begegnet, der schafft Vertrauen. Und Vertrauen ist die Grundlage für Veränderung, Motivation und langfristigen Erfolg.

Gefühl schlägt Geld?

Dr. Silvija Franjic: Was vielen immer noch nicht bewusst ist: Unternehmen sollten verstärkt immaterielle Anreize für Mitarbeitende und nicht mal so sehr vor allem materielle und finanzielle Anreize im Fokus haben. Nachdem die Kosten für Energie und Co. auch für Unternehmen enorm gestiegen sind, können die Ausgaben im Personalbereich nicht noch zusätzlich unendlich in die Höhe getrieben werden.

Zudem sollte es das erklärte Ziel von Unternehmern sein, dass Mitarbeitende nicht ausschließlich aus einer monetären Berechnung heraus für ihre Firma tätig sind. Wer allerdingsimmer nur auf die intrinsische Motivation seines Personals setzt, droht ebenso, dieses auszulaugen. Wie schafft man es – gerade auf der Gefühlsebene – mit einfachen Mitteln, die Bindung und die Motivation der Mitarbeitenden zu steigern?

Dr. med. Timm Steuber: Ob wir Menschen wirklich motivieren können – das ist eine viel diskutierte Frage. Aber eines ist klar: Wir dürfen sie nicht demotivieren. Genau hier liegt in vielen Unternehmen ein blinder Fleck. Allzu oft wird darauf gesetzt, dass „Hard Facts“ wie Gehalt, Boni oder Benefits die entscheidenden Hebel sind. Doch aus meiner Sicht als Berater greift das zu kurz.

Natürlich ist eine faire Bezahlung die Grundlage – aber eben fair, nicht beliebig steigerbar. Intransparenz, Ungleichbehandlung oder das Gefühl, nicht gerecht entlohnt zu werden, sind massive Demotivatoren. Und auch zusätzliche Benefits wie Jobräder oder Obstkörbe sind am Ende nur das Sahnehäubchen – sie ersetzen keine echte Bindung.

Was ich in meiner Arbeit in gesunden wie kränkelnden Unternehmen immer wieder beobachte: Die besten Organisationen schaffen Bindung durch Haltung – durch eine Unternehmenskultur, die sichtbar ist, gelebt wird und für alle spürbar ist. Mitarbeitende fühlen sich gesehen – als Mensch, nicht nur als Ressource. Sie wissen, wofür sie morgens aufstehen. Sie sehen Sinn in ihrer Arbeit, identifizieren sich mit dem Team, der Führungskraft und den Zielen.

Genau daran arbeite ich mit meinen Kunden. Wir schaffen gemeinsam Strukturen, in denen diese Kultur wachsen kann. In denen Führungskräfte nicht nur verwalten, sondern wirklich führen – mit Klarheit, Wertschätzung und Konsequenz. Wo Feedback ehrlich und regelmäßig stattfindet. Und wo Mitarbeitende sich nicht nur als Teil des Unternehmens fühlen, sondern als aktive Gestalter.

Das verändert viel: Die Menschen bleiben gesünder, motivierter, übernehmen Verantwortung – und sie tragen das auch nach außen weiter. So entsteht nicht nur Leistung, sondern auch Anziehung. Und genau das macht den Unterschied im Wettbewerb um Talente.

Verfluchte Vorbildrolle?

Dr. Silvija Franjic: Man sagt: Führen macht einsam. Aber muss das so sein? Beruflichen Erfolg und (finanzielle) Unabhängigkeit verbinden viele mit dem Erreichen einer Führungsposition. Vielleicht fachlich qualifiziert für diese Rolle, unterschätzen nicht wenige immer wieder die Verantwortung und die Konsequenzen – gerade auf der zwischenmenschlichen Ebene.

Wer aber lässt die Muster und Denkfehler erkennen, die das Team am Weiterkommen hindern, wenn nicht auch eine professionelle Distanz besteht? Brauchen Führungskräfte für den Austausch nicht eher Sparringspartner auf ihrer hierarchischen Ebene? Und müssen sie dabei nicht zunächst vor allem bei sich selbst beginnen, um das richtige Setting und die richtigen Voraussetzungen für ein gemeinsames Mindset zu schaffen?

Dr. med. Timm Steuber: „Führen macht einsam“ – dieser Satz fällt oft, und er enthält einen wahren Kern. Aber er beschreibt keinen unvermeidbaren Zustand, sondern vielmehr ein Ergebnis falscher Rollenverständnisse. Viele Führungskräfte glauben, sie müssten sich entweder zum „Best Buddy“ ihrer Mitarbeitenden machen oder in kühler Distanz verharren, um ihre Autorität zu wahren. Beides funktioniert nicht langfristig.

Was es braucht, ist Präsenz – nicht im Sinne von Kontrolle, sondern von ehrlichem Interesse und echter Verbindung. Und gleichzeitig Klarheit in der Rolle. Wer führen will, muss sich zeigen, ohne seine Respektsposition zu verlieren. Dieser Spagat ist herausfordernd – aber er lässt sich trainieren.

In meiner Arbeit als Coach sehe ich oft: Der Schlüssel liegt darin, sich selbst führen zu können. Selbstführung ist die Basis jeder erfolgreichen Teamführung. Nur wer sich seiner eigenen Muster, Unsicherheiten und Reaktionen bewusst ist, kann authentisch und wirksam mit anderen arbeiten.

Wenn ein Team nicht weiterkommt, lohnt sich ein genauer Blick. Denn meist sind es nicht fehlende Kompetenzen, sondern blockierende Strukturen oder unausgesprochene Konflikte, die den Fortschritt verhindern. Und genau da braucht es Führung – mit klaren Gesprächen, regelmäßigem Austausch und echter Nähe.

Deshalb sage ich gern provokant: Vergesst das Mitarbeiterjahresgespräch – ersetzt es durch das Mitarbeitertagesgespräch. Führung ist kein Termin im Kalender, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Wer regelmäßig im Gespräch bleibt, nah am Team ist und dabei klar in Führung geht, schafft Vertrauen, Orientierung und Entwicklung – für die anderen und für sich selbst.

Zwischen Reiz und Reaktion?

Dr. Silvija Franjic: Wer hat nicht schon vom cholerischen Chef gehört oder ihn selbst erlebt? Warum werden manche Führungskräfte dünnhäutig und gereizt und anderen fehlt dafür häufig Energie und Kraft? Eine Antwort liegt oft in den Gewohnheiten: John C. Maxwell, der weltweit bekannte Leadership-Coach, führt das darauf zurück, dass Menschen über ihre Gewohnheiten entscheiden und ihre Gewohnheiten über ihr Sein und ihr Zukunft. Da sind also ein paar Punkte zu benennen, wie der Umgang mit dem Leistungsdruck, der zunehmenden Informationsflut oder dem Pausen- und Erholungsverhalten.

Wer sich selbst in seiner Arbeit verliert, wird irgendwann nach dem Sinn suchen. Oder er schaltet ab und macht aus seiner Belegschaft eine funktionierende Masse als eine Art Ersatzteillager für Ansprüche und rekrutiert passgenaue Arbeitsdiener und Erfüllungsgehilfen. Wie lässt sich so etwas selbst bei hoher Arbeitslast verhindern? Und wie können Führungskräfte und deren Vorgesetzte dafür sorgen, dass man sich nicht in eine solche Abwärtsspirale hineinziehen lässt?

Dr. med. Timm Steuber: Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen: Führungskräfte werden in vielen Unternehmen immer noch nach veralteten Kriterien ausgewählt. Wer fachlich stark ist, wer sich gut verkauft oder schlicht den stärksten Willen zur Karriere hat – der wird Führungskraft. Doch Führung ist kein Bonus für gute Leistung, sondern ein eigener, anspruchsvoller Beruf. Und genau deshalb braucht es ein Umdenken.

In meiner Arbeit mit Unternehmen erlebe ich oft: Führungskräfte werden ernannt – und dann alleingelassen. Ohne echte Vorbereitung, ohne Begleitung, ohne Feedback. Dabei müssten wir heute Führung ganzheitlich denken: mit einer gezielten Auswahl, einer strukturierten Einführung, regelmäßiger Reflexion, klarer Entwicklungsperspektive – und ja, im Zweifelsfall auch mit einer ExitStrategie.

Das Problem ist menschlich nachvollziehbar: Fachlichkeit lässt sich leichter prüfen – per Lebenslauf, Zertifikat, Abschluss. Führungskompetenz ist subtiler, komplexer – aber letztlich entscheidend. Denn wir leben in einer Zeit, in der Expertise überall vorhanden ist. Wir haben Spezialisten, KI, Expertenteams. Was fehlt, ist jemand, der das alles zusammenhält, koordiniert, inspiriert. Jemand, der wirklich führt.

Eine gute Führungskraft muss nicht alles wissen – sie muss dafür sorgen, dass das Team gemeinsam stark ist. Und sie muss sich ihrer Wirkung bewusst sein. Denn Führung ist immer auch Projektionsfläche. Mitarbeitende beobachten genau, wie sich ihre Vorgesetzten verhalten. Wie sie mit Druck umgehen. Ob sie fair sind. Ob sie zuhören. Ob sie das leben, was sie fordern.

Führungskräfte sind das „Abendbrotthema“ ihrer Teams – und genau deshalb ist diese Rolle so wirksam. Wer sich dieser Verantwortung stellt, wer Vorbild sein will, wer sich führen lässt, um besser zu führen – der hat eine riesige Chance. Nicht nur, um die Leistung zu steigern, sondern auch, um echte Kultur zu gestalten. Und das macht am Ende den Unterschied.

Dr. med. Timm Steuber: Die jungen Leute sind nicht plötzlich aus einem Raumschiff gestiegen – das sind unsere Kinder. Wir haben sie großgezogen. Und ja, sie ticken anders, genau wie jede Generation ihre Eigenheiten hatte. Ich sehe das bei meinen drei Töchtern ganz deutlich: In der Pubertät bekommt man ehrliches Feedback – und manchmal auch den eigenen blinden Fleck aufgezeigt. Sie sagen, was sie anders machen wollen. Und genau das ist auch eine Stärke.

Deshalb glaube ich nicht, dass junge Menschen keine Lust mehr auf Arbeit haben. Sie wollen nur einen anderen Umgang damit. Sie wollen nicht Karriere um jeden Preis, nicht das nächste große Auto oder das dickere Gehalt jeden Monat. Sie wollen Freiheit – und sie wollen Sinn. Sie wollen nicht ihre Lebenszeit damit verbringen, Zielen hinterherzujagen, die eigentlich gar nicht ihre eigenen sind.

Und ja, das darf uns herausfordern – weil es eben auch unser Lebensmodell infrage stellt. Aber genau darin liegt auch eine große Chance. Junge Menschen sind nicht „freizeitorientiert“ – sie sind „freiheitorientiert“. Und das verdient Respekt.

Was wir als Führungskräfte tun können? Wir sollten nicht mit vorgefertigten Navis kommen, sondern mit einem Kompass. Keine starren Routen vorgeben, sondern eine klare Richtung. Den eigenen Weg sollen sie gehen dürfen – aber in einem Umfeld, das Orientierung gibt, Vertrauen schenkt und zeigt, wie bereichernd Arbeit sein kann.

Ich erlebe das in meiner Arbeit als Berater immer wieder: Wer jungen Menschen echte Verantwortung zutraut, wer ihnen zuhört, sie fordert und fördert – der bekommt unglaublich viel zurück. Nicht sofort. Nicht immer planbar. Aber ehrlich, engagiert und auf Augenhöhe.

Wenn wir also vermeiden wollen, dass Frust laut oder leise eskaliert – sei es in Form von innerer Kündigung oder „Revenge Quitting“ – dann müssen wir anfangen, anders zu führen. Nicht weichgespült, sondern klar. Nicht besserwisserisch, sondern begleitend. Und vor allem: mit echtem Interesse an dem, was junge Menschen bewegt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Dr. Silvija Franjic, Jobcoach und Fachredakteurin

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