Im Blick: Lohnsteuerrecht
Neue Urteile prägen das Lohnsteuerrecht: Betriebsstätte gilt bei Selbstständigen unabhängig von der ersten Tätigkeitsstätte, Tarifverträge können Entgeltumwandlung ausschließen, und der Soli steht vor dem Verfassungsgericht.
Begriff Betriebsstätte knüpft nicht an Begriff der ersten Tätigkeitsstätte an
FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19.06.2024 – 1 K 1219/21
Die Frage, ob der Begriff der Betriebsstätte im Rahmen der Geltendmachung von Reisekosten eigenständig auszulegen ist oder sich aus dem für Arbeitnehmerfälle geltenden Begriff der ersten Tätigkeitsstätte ableitet, wurde vom Finanzgericht Rheinland-Pfalz mit Urteil vom 19.06.2024 (1 K 1219/21) entschieden.
Der Kläger, ein selbstständiger IT-Berater, war in den Jahren 2016 bis 2018 fast ausschließlich für eine einzige Firma tätig, deren Firmensitz er an vier Tagen pro Woche aufsuchte. Sein ursprünglich auf drei Monate befristeter Beratervertrag wurde mehrfach verlängert. Aufgrund seiner regelmäßigen Tätigkeit richtete er eine Zweitwohnung im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung ein.
In einer Betriebsprüfung machte der Kläger geltend, dass der Firmensitz seines Auftraggebers keine Betriebsstätte im Sinne des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) darstelle. Daher sollten seine Familienheimfahrten unbegrenzt als Betriebsausgaben abziehbar sein, und die Verpflegungsmehraufwendungen sollten auch nach Ablauf der Drei-Monats-Frist anerkannt werden. Das Finanzamt lehnte dies ab.
Das Finanzgericht Rheinland-Pfalz gab dem Finanzamt Recht und entschied, dass der Kläger am Firmensitz seines Auftraggebers eine Betriebsstätte unterhielt. Somit unterliegen seine Familienheimfahrten und Verpflegungsmehraufwendungen der gesetzlichen Beschränkung nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG.
Die Richter beriefen sich dabei auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), die zur Rechtslage vor der Reisekostenreform 2014 ergangen war. Demnach gilt als Betriebsstätte für die steuerliche Behandlung von Fahrtkosten der Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden, die den steuerbaren Einkünften zugrunde liegen.
Entscheidend ist hierbei:
- Eine eigene Verfügungsmacht über die Räumlichkeiten ist nicht erforderlich.
- Bei dienstvertraglich tätigen Unternehmern ohne eigene Betriebsstätte gilt der Betrieb des Auftraggebers als Betriebsstätte.
- Die Richter stellten klar, dass die normspezifische Auslegung des Betriebsstättenbegriffs auch nach der Reisekostenreform weiter gilt. Die Reform bezieht sich ausdrücklich nur auf Arbeitnehmerfälle, sodass der Begriff der ersten Tätigkeitsstätte keine Bedeutung für selbstständige Unternehmer hat.
- Nach Auffassung des Gerichts bleibt die bisherige Rechtsprechung zum Betriebsstättenbegriff für Gewerbetreibende weiterhin maßgeblich, da sich aus der Gesetzesbegründung keine Hinweise darauf ergeben, dass der Begriff der ersten Tätigkeitsstätte auf Unternehmer ausgedehnt werden sollte.
Gegen das Urteil wurde Revision beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegt (Az. VIII R 15/24). Steuerpflichtige in vergleichbaren Fällen sollten daher Einspruch gegen ablehnende Bescheide einlegen und das Ruhen des Verfahrens beantragen, um die Entscheidung des BFH abzuwarten.
Geändertes Muster für den Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung 2025
Wie jedes Jahr hat die Finanzverwaltung im September den neuen Vordruck für die Jahreslohnsteuerbescheinigung des Folgejahres bekannt gegeben, zuletzt am 24.09.2024. Nun wurde ein geändertes Muster für den Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung 2025 veröffentlicht.
Nach dem aktualisierten Muster ist zusätzlich zu den bereits unter Nummer 9 bescheinigten Versorgungsbezügen künftig unter Nummer 30 des Ausdrucks das Kalenderjahr des Versorgungsbeginns anzugeben. Diese Anpassung geht auf das BMF-Schreiben vom 05.09.2024, Tz. 16b, zurück.
Für die Berechnung der Freibeträge für Versorgungsbezüge nach § 19 Abs. 2 EStG sind die Bemessungsgrundlage des Versorgungsfreibetrags, das Jahr des Versorgungsbeginns sowie bei unterjähriger Zahlung der erste und letzte Monat, für den Versorgungsbezüge gezahlt wurden, maßgeblich. Wird ein Hinterbliebenenbezug nach einem Versorgungsbezug gezahlt, richten sich der Prozentsatz, der Höchstbetrag des Versorgungsfreibetrags sowie der Zuschlag zum Versorgungsfreibetrag nach dem Jahr des ursprünglichen Versorgungsbeginns des verstorbenen Leistungsempfängers. Falls der Hinterbliebenenbezug erstmals im laufenden Kalenderjahr gezahlt wird, ist dies zusätzlich unter Nummer 31 des Ausdrucks als unterjährige Zahlung zu bescheinigen.
Der Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung darf zwar formal vom amtlichen Muster abweichen. Allerdings muss er sämtliche erforderlichen Angaben in der vorgegebenen Reihenfolge enthalten und sich in Format und Aufbau an das veröffentlichte Muster halten. Diese Änderung soll eine einheitlichere und genauere Erfassung der steuerlichen Freibeträge im Zusammenhang mit Versorgungsbezügen ermöglichen. Arbeitgeber sollten sicherstellen, dass ihre Lohnabrechnungssoftware rechtzeitig an die neuen Anforderungen angepasst wird.
Tarifverträge können Entgeltumwandlung für Arbeitnehmer ausschließen
BAG, Urteil vom 11.03.2025 – 3 AZR 53/24
Keine Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), aber auch aus lohnsteuerrechtlicher Sicht nicht unwichtig ist die Rechtsprechung zu alten Tarifverträgen, die keine Entgeltumwandlung zulassen. Die mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz eingeführte Regelung war jetzt vor dem höchsten Arbeitsgericht Thema.
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat entschieden, dass auch vor 2018 abgeschlossene Tarifverträge von den gesetzlichen Regelungen zur Entgeltumwandlung abweichen können. Dies betrifft insbesondere den Anspruch auf einen Arbeitgeberzuschuss zur betrieblichen Altersversorgung nach § 1a Abs. 1a Betriebsrentengesetz (BetrAVG). Eine solche Abweichung muss nicht ausdrücklich im Tarifvertrag geregelt sein, um wirksam zu sein (Urteil vom 11.03.2025 – 3 AZR 53/24).
Im konkreten Fall forderte ein seit 1995 beschäftigter Sachbearbeiter, dessen Arbeitsverhältnis dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes der Kommunen (TV-VKA) unterliegt, einen Arbeitgeberzuschuss von 15 Prozent des umgewandelten Entgelts in seine Altersversorgung. Er argumentierte, dass der maßgebliche Tarifvertrag keine explizite Abweichung von der Zuschusspflicht vorsehe, da er vor 2018 geschlossen wurde.
Das BAG stellte klar, dass die Zuschussverpflichtung zwar grundsätzlich seit dem 01.01.2018 für Pensionsfonds, Pensionskassen und Direktversicherungen gilt (§§ 1a Abs. 1a, 23 Abs. 2 BetrAVG), Tarifverträge jedoch gemäß § 19 Abs. 1 BetrAVG hiervon abweichen können. Der TV-EUmw/VKA sei eine solche abweichende Regelung, auch wenn er den Zuschuss nicht ausdrücklich ausschließt oder kompensiert.
In einem Parallelverfahren (3 AZR 75/24) entschied das BAG ähnlich für den „Tarifvertrag über die Förderung einer tariflichen Altersvorsorge und Entgeltumwandlung“, den die Gewerkschaft NGG und der Bundesverband der Deutschen Süßwarenindustrie e. V. abgeschlossen hatten. Damit bestätigt das Gericht, dass vor 2018 geschlossene Tarifverträge weiterhin Vorrang vor der gesetzlichen Zuschusspflicht haben können, selbst wenn sie diese nicht explizit ausschließen.
Urteilsverkündung zum Solidaritätszuschlag erwartet
Das Bundesverfassungsgericht wird am 26.03.2025 sein Urteil zum Solidaritätszuschlag für die Jahre 2020 und 2021 verkünden (Az. 2 BvR 1505/20).
Das Verfahren wurde im Jahr 2020 von Mitgliedern des FDP-Bundestagsfraktionsvorstands eingeleitet. Hintergrund ist das „Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995“ vom 10.12.2019, mit dem der Solidaritätszuschlag im Jahr 2020 unverändert weiter erhoben und ab 2021 die Freigrenze nach § 3 Solidaritätszuschlaggesetz (SolZG) 1995 angehoben wurde. Dadurch wurden rund 90 Prozent der Steuerpflichtigen von der Abgabe entlastet.
Die Beschwerdeführer streben eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags mit Wirkung zum 01.01.2020 an. Sie argumentieren, dass die Weitererhebung nach dem Auslaufen des Solidarpakts II zum 31.12.2019 verfassungswidrig sei. Zudem beanstanden sie eine Ungleichbehandlung verschiedener Einkommensgruppen durch die Reform des Solidaritätszuschlags.
Die mündliche Verhandlung fand am 26.09.2024 statt. Mit der bevorstehenden Entscheidung wird das Bundesverfassungsgericht nun klären, ob die Erhebung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 mit dem Grundgesetz vereinbar war.
Wir werden das Urteil und seine Begründung in einer der nächsten Ausgaben der LOHN+GEHALT darstellen.
Markus Stier