Blog „Entgelt & Co.“ : Goodbye-Kultur statt Rachekündigung
Ich habe in meiner Arbeit schon viele Austritte miterlebt – manche leise und professionell, andere chaotisch und mit viel Bitterkeit. Und ich merke immer wieder: Wie jemand ein Unternehmen verlässt, hinterlässt einen bleibenden Eindruck.

Ich sage oft: Man sieht sich immer zweimal im Leben. Und tatsächlich habe ich es mehrfach erlebt: Jahre später trifft man alte Kolleginnen und Kollegen wieder, manchmal in völlig neuen Kontexten. Die Erfahrungen von damals – ob positiv oder negativ – begleiten einen. Was unausgesprochen blieb, was vielleicht unfair war, bleibt hängen. Und wer einmal mit einem schlechten Gefühl gegangen ist, trägt dieses Gefühl nicht selten auch in die neue Arbeit hinein.
Genau deshalb schaue ich mit großem Interesse nach Japan, wo gerade ein Phänomen diskutiert wird, das hierzulande noch wenig Beachtung findet: die sogenannten Rachekündigungen. Dabei verlassen Mitarbeitende das Unternehmen nicht einfach, sondern fügen ihm bewusst Schaden zu – durch gelöschte Daten, verweigerte Übergaben oder offene Sticheleien. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass rund zwölf Prozent der Befragten solche Vorfälle bereits erlebt haben.
Man könnte meinen, dies sei ein rein japanisches Thema. Aber wer genau hinsieht, erkennt: Auch in Deutschland gibt es ähnliche Muster, sie tragen nur andere Namen. In meiner Beratungspraxis habe ich immer wieder gesehen, dass Austritte lieblos und unstrukturiert verlaufen. Es wird verwaltet, nicht gestaltet. Und genau dort liegt das Problem.
Das Offboarding ist der blinde Fleck im Personalmanagement. Recruiting, Onboarding, Talentförderung – alles wichtig, alles präsent. Aber wenn eine Person geht, verlässt sie nicht nur einen Arbeitsplatz, sie verlässt auch eine Kultur. Der letzte Eindruck wirkt nach. Er prägt, was über das Unternehmen nach außen getragen wird. Er entscheidet, ob ehemalige Mitarbeitende als stille Kritiker oder als glaubwürdige Botschafter auftreten.
Ein Fall aus einem mittelständischen Softwareunternehmen zeigt, wie schnell sich die Folgen eines chaotischen Abschieds entfalten können. Ein Teamleiter kündigte nach wiederholten Konflikten, die aus seiner Sicht nie ernst genommen worden waren. Beim Austritt verschleppte er Übergaben, ließ Dokumentationen unvollständig und gab wichtige Projektdaten nicht weiter. Die Folge: Verzögerungen bei Kunden, steigende Belastung für die Verbleibenden und spürbarer Imageverlust nach außen. Hier war nicht der einzelne Mitarbeitende das Problem, sondern die fehlende Kultur der Wertschätzung und Transparenz.
Noch deutlicher zeigt sich die Dimension im öffentlichen Sektor. Eine Verwaltung mit rund 200 Beschäftigten hatte keinerlei Strukturen für das Offboarding.
Ein Kollege kündigte, ohne eine saubere Übergabe vorzunehmen. Die verbleibenden Teammitglieder standen plötzlich ohne Dokumentation da und mussten in Eigenregie Prozesse rekonstruieren. Die Folge waren Überstunden, Frustration und steigende Fehlzeiten. Auch hier wurde klar: Offboarding ist nicht nur ein HR-Prozess, sondern hat direkte Auswirkungen auf die Gesundheit und Motivation der Beschäftigten.
Selbst große Unternehmen sind vor Fehlern nicht gefeit. In einem Konzern mit mehreren tausend Mitarbeitenden kündigte ein Manager offiziell ohne Groll. Doch intern verweigerte er Übergaben und ließ bewusst Unklarheiten zurück. Das führte nicht nur zu Reibungsverlusten im Tagesgeschäft, sondern auch zu Verunsicherung bei anderen Führungskräften. Die Botschaft war klar: Wer im Groll geht, kann Spuren hinterlassen – und diese Spuren reichen oft weit über das einzelne Team hinaus.
Es wäre zu einfach, Rachekündigungen oder chaotische Austritte allein den Beschäftigten zuzuschreiben. Dahinter steht fast immer ein tieferes Muster: fehlende Kommunikation, mangelnde Wertschätzung, das Gefühl, dass Kritik nie gehört wurde. Wer über Jahre hinweg keine Stimme hatte, nutzt manchmal den letzten Tag als Ventil. Das ist keine Entschuldigung, aber eine Erklärung. Unternehmen tragen Verantwortung dafür, solche Eskalationen gar nicht erst entstehen zu lassen.
Wenn Übergaben verweigert oder Daten absichtlich in Unordnung hinterlassen werden, trifft das vor allem die Teams, die bleiben. Sie schultern plötzlich zusätzliche Aufgaben, oft unter Zeitdruck. Der Stress steigt, Projekte geraten ins Wanken. Ein chaotischer Abschied ist damit nicht nur eine Personalfrage, sondern auch ein Risiko für die Gesundheit der Beschäftigten und für die Stabilität ganzer Abläufe.
Ich bin überzeugt, dass Offboarding in den kommenden Jahren zu einem strategischen Thema wird. Je dynamischer die Arbeitswelt wird, desto häufiger wechseln Menschen ihre Jobs. Das Modell der lebenslangen Loyalität ist Vergangenheit. Umso mehr wird zählen, wie Unternehmen den Moment des Abschieds gestalten. Wer darin nur einen Verwaltungsakt sieht, verliert Chancen, Reputation und Know-how. Wer jedoch eine bewusste Goodbye-Kultur etabliert, gewinnt Vertrauen, Respekt und nicht zuletzt Botschafter, die nach außen tragen, dass hier professionell und menschlich gearbeitet wird.
Rachekündigungen sind ein Symptom, nicht die Ursache. Sie zeigen, dass an anderer Stelle schon lange etwas schieflief. Die Lösung liegt nicht in strenger Kontrolle, sondern in einer Führungskultur, die Konflikte ernst nimmt, Transparenz lebt und den Abschied genauso wertschätzt wie den Anfang. Das Offboarding ist kein Nebenschauplatz – es zeigt, ob ein Unternehmen seine Personalpolitik wirklich ernst nimmt.
Janette Rosenberg