Offener Brief: Ohrhörer
Können wir wirklich nicht mehr ohne Dauerbeschallung, ohne ununterbrochene Kommunikation auskommen? Wie viel entgeht den Menschen, die sich so von ihrer Umgebung abschotten? Am frühen Morgen mit dem Hund unterwegs, die Vögel zwitschern, der Wind rauscht in den Bäumen, der Bach plätschert vor sich hin, die Insekten summen um einen herum – gibt es etwas Schöneres?
Liebe Leserin, lieber Leser,
nun bin ich schon etwas älter und kann mich gut an Zeiten erinnern als Menschen, die auf der Straße allein unterwegs waren und laut sprachen und gestikulierten als Fall für eine psychische Einrichtung angesehen wurden. Heute ist das offenbar völlig normal. Beim Spaziergang fällt mir auf, dass die große Mehrheit entweder Stöpsel im Ohr hat oder sogar große Kopfhörer trägt – auf der Straße. Nun weiß ich natürlich inzwischen, dass diese Instrumente weder gegen Kälte schützen sollen noch den Lärm minimieren – eher im Gegenteil.
Können wir wirklich nicht mehr ohne Dauerbeschallung, ohne ununterbrochene Kommunikation auskommen? Wie viel entgeht den Menschen, die sich so von ihrer Umgebung abschotten? Am frühen Morgen mit dem Hund unterwegs, die Vögel zwitschern, der Wind rauscht in den Bäumen, der Bach plätschert vor sich hin, die Insekten summen um einen herum – gibt es etwas Schöneres? Kann da die Beschallung aus der noch so aktuellen Playlist mithalten?
Abgesehen davon, dass die Abschottung auch nicht ganz ungefährlich ist, wenn man am Straßenverkehr teilnimmt – gleich ob als Fußgänger, Rad- oder gar Autofahrer. Wenn ich mit dem Fahrrad unterwegs bin und einmal klingeln muss, weil Fußgänger auf dem Radweg unterwegs sind – es nützt nichts, weil sie meine Klingel nicht hören. Heavy Metal ist da lauter. Sirenen der Feuerwehr oder vom Rettungswagen – da gibt es inzwischen unterschiedliche Einstellungen – lautstärkenmäßig, damit die Chance gehört zu werden, größer wird.
Zugegeben, in der Bahn wünsche ich mir mitunter auch einen Kopfhörer mit Musik und am besten noch mit Noise Cancelling – um nicht die privaten Telefongespräche der anderen Fahrgäste mithören zu müssen. Dafür bekäme ich dann aber die Durchsagen über Verspätungen und nicht erreichbar Anschlusszüge auch nicht mit – ich bin gerade unsicher, ob das nun eher ein Vor- oder Nachteil ist.
Grundsätzlich aber sorgen die Ohr- und Kopfhörer und die Dauerbeschallung dafür, dass wir nur noch wenig von unserer Umwelt mitbekommen – uns immer mehr in uns selbst zurückziehen, Kommunikation nur noch digital stattfindet und nicht mehr Auge in Auge bzw. Ohr zu Ohr. Auch im Büro stelle ich das fest. Nun ist es sicher entspannter, mit einem Headset zu telefonieren als immer das Telefon am Ohr zu halten, aber dazwischen könnte man die Ohrmuscheln auch mal absetzen. Das würde das Gespräch mit den Kollegen vereinfachen. Der Flurfunk ist als Nachrichtenbörse auch nicht zu unterschätzen – ganz analog versteht sich.
Bei aller Begeisterung für die moderne Technik – manches sollte auch ohne gehen und geht sogar oft besser.
In diesem Sinne: Befreien Sie doch mal wieder Ihre Ohren. Lauschen Sie auf die natürliche Musik da draußen – das Rauschen des Windes in den Bäumen und das Zwitschern der Vögel – das entspannt besser als jede Musikrichtung.
Herzlichst, Ihr
Felix, der Glückliche