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Verzicht auf Mindesturlaub im Prozessvergleich unwirksam

Das Bundesarbeitsgericht hat klargestellt: Der gesetzliche Mindesturlaub kann auch im gerichtlichen Vergleich nicht wirksam abbedungen werden. Pauschale Verzichtsklauseln bleiben selbst bei Abfindungszahlungen unwirksam.

Lesezeit 4 Min.
Kalender mit durchgestrichenem Wort „Urlaub“ und traurigem Smiley – symbolisiert ausgefallenen oder verweigerten Urlaub.
Foto: © stock.adobe.com/FM2

Ein arbeitsrechtlicher Knaller. In der arbeitsrechtlichen Praxis sind umfassende Abgeltungsklauseln in Beendigungsszenarien gängige Praxis: Ob Aufhebungsvertrag, außergerichtlicher Vergleich oder Prozessvergleich – häufig findet sich dort ein pauschaler Verzicht auf wechselseitige Ansprüche, mit dem „auch der Urlaub miterledigt“ sein soll. Doch Vorsicht: Der gesetzliche Mindesturlaub ist rechtlich unverzichtbar – selbst dann, wenn sich beide Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung einigen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese dogmatische Linie nun bekräftigt – und zugleich die Anforderungen an Tatsachenvergleiche deutlich verschärft.

 

Verortung des Urteils

Abgrenzung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Mehrurlaub

Zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem vertraglich (freiwillig gewährten) Mehrurlaub gibt es zahlreiche Unterschiede. Der gesetzliche Mindesturlaub ist nicht disponibel – daran lässt das Bundesarbeitsgericht erneut keinen Zweifel. § 7 Abs. 4 BUrlG regelt, dass der Urlaub abzugelten ist, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann. Daraus folgt jedoch kein „Freibrief“ zur nachträglichen Erledigung von Urlaubsansprüchen im Vergleichswege. Denn nach der zwingenden Regelung des § 13 Abs. 1 Satz 3 BUrlG ist ein Verzicht auf den gesetzlichen Mindesturlaub während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses grundsätzlich unwirksam – und das gilt auch dann, wenn der Urlaub aufgrund von Krankheit nicht mehr in natura genommen werden kann.

Strikte Unverzichtbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs

Die Unverzichtbarkeit dient dem Gesundheitsschutz und folgt direkt aus Art. 7 der EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG. Ein finanzieller Ausgleich ist nur bei tatsächlicher Beendigung des Arbeitsverhältnisses und nur im Umfang der noch offenen Mindesturlaubstage zulässig – nicht hingegen durch pauschale oder verdeckte Klauseln, die den Anspruch „miterledigen“ sollen.

Zulässigkeit vertraglicher Regelungen beim Mehrurlaub

Anders kann dies bei zusätzlich gewährten, vertraglichen Mehrurlaub sein: Dieser unterliegt nicht den strengen Vorgaben des Bundesurlaubsgesetzes und kann – sofern vertraglich vorgesehen – grundsätzlich durch Abgeltung oder Verzicht erledigt werden. Voraussetzung ist jedoch eine eindeutige und transparente Regelung im Arbeitsvertrag.

 

Der Sachverhalt

Arbeitsverhältnis und Krankheit

Strikte Unverzichtbarkeit des gesetzlichen Urlaubsanspruchs

Der Kläger war bei der Beklagten vom 01.01.2019 bis zum 30.04.2023 als Betriebsleiter tätig. Ab Jahresbeginn 2023 war er durchgehend arbeitsunfähig erkrankt und konnte seinen Urlaub nicht mehr in Anspruch nehmen. Im Rahmen eines Kündigungsrechtsstreits einigten sich die Parteien im März 2023 auf einen gerichtlichen Vergleich: Das Arbeitsverhältnis sollte durch arbeitgeberseitige Kündigung zum 30.04.2023 enden, der Kläger eine Abfindung in Höhe von 10.000 Euro erhalten. Unter Ziffer 7 des Vergleichs hieß es pauschal: „Urlaubsansprüche sind in natura gewährt.“

Hinweis auf Unwirksamkeit und Klage auf Urlaubsabgeltung

Noch vor Abschluss des Vergleichs hatte die klägerische Anwältin auf die Unwirksamkeit eines Verzichts auf den gesetzlichen Mindesturlaub hingewiesen – den Vergleich jedoch gleichwohl abgeschlossen. Einige Wochen später forderte der Kläger sodann die Abgeltung von sieben Urlaubstagen aus dem Jahr 2023 in Höhe von 1.615,11 Euro – mit dem Argument, dass ein wirksamer Verzicht nicht möglich sei. Das Landesarbeitsgericht Köln gab der Klage statt. Die Revision der Beklagten vor dem BAG blieb ohne Erfolg.

 

Die Entscheidung

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Urlaubsabgeltung

Das BAG bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen und wies die Revision der Arbeitgeberin im Wesentlichen zurück. Der Kläger habe gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung des nicht genommenen gesetzlichen Mindesturlaubs.

Gerichtlicher Vergleich mit pauschaler Urlaubsklausel

Ziffer 7 des Vergleichs sei – soweit sie einen Verzicht auf gesetzlichen Urlaub regeln sollte – nach § 134 BGB nichtig. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG untersagt jede vertragliche Regelung, die den Anspruch auf Mindesturlaub beschränkt oder ausschließt. Dies gelte auch im gerichtlichen Vergleich und unabhängig davon, ob die Abgeltung durch Zahlung einer Abfindung „kompensiert“ werden soll.

Hinweis auf Unwirksamkeit und Klage auf Urlaubsabgeltung

Die Arbeitgeberin konnte sich auch nicht mit Erfolg auf einen Tatsachenvergleich berufen.

In diesem Kontext äußert sich das BAG besonders deutlich zur Konstruktion eines sog. Tatsachenvergleichs: Ein solcher liegt nur dann vor, wenn zwischen den Parteien objektive Unklarheit über die tatsächlichen Voraussetzungen des Anspruchs besteht und diese durch gegenseitiges Nachgeben ausgeräumt werden. Im entschiedenen Fall habe eine solche Unsicherheit nicht vorgelegen – der Kläger sei durchgehend arbeitsunfähig gewesen. Die Formulierung „Urlaub in natura gewährt“ habe deshalb nicht der Klärung tatsächlicher Streitpunkte gedient, sondern vielmehr versucht, einen unwirksamen Verzicht zu konstruieren.

Grenzen der Berufung auf Treu und Glauben

Auch der Versuch, sich auf Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu stützen, schlug fehl. Wer bewusst eine rechtswidrige Regelung vereinbart – und das war hier nach Einschätzung des BAG offensichtlich der Fall – kann sich nicht darauf berufen, auf deren Wirksamkeit vertraut zu haben.

Vorrang des Europarechts: Art. 7 Abs. 2 Arbeitszeitrichtlinie

Zudem unterstreicht das Gericht die europarechtliche Schutzwirkung des Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie. Danach darf eine finanzielle Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs ausschließlich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses erfolgen – nicht im laufenden Arbeitsverhältnis und schon gar nicht im Rahmen pauschaler Vergleichsformeln, die faktisch einem Verzicht gleichkommen. Im Ergebnis bestand daher der Urlaubsabgeltungsanspruch neben der gezahlten Abfindung fort.

 

#KurzErklärt

  • Das Gericht stellt klar, dass der gesetzliche Mindesturlaub selbst dann nicht pauschal abgegolten werden kann, wenn der Arbeitnehmer wegen Krankheit faktisch nicht mehr in der Lage ist, diesen Urlaub zu nehmen.
  • Ein gerichtlicher Vergleich, der den Urlaub „in natura“ für erledigt erklärt – hält nicht (mehr)!
  • Das BAG betont die unabdingbare Geltung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Einigung. § 13 Abs. 1 S. 3 BUrlG i.  m. § 134 BGB führt zur Nichtigkeit einer solchen Klausel.
  • Das BAG schärft zudem die Voraussetzungen an einen Tatsachenvergleich. Dieser setzt eine objektive Unsicherheit voraus!

 

Praxistipps

Rechtssichere Gestaltung von Vergleichen und Aufhebungsverträgen

Vergleiche und Aufhebungsverträge sollten zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub trennen – sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Zudem müssen Arbeitgeber bei den Verhandlungen aufbauen und sicherlich die aktuellen Vorlagen überarbeiten!