Urlaubsmanagement – Kompakt : Mindesturlaub
Vor vielen Jahren erschreckte viele Arbeitgeber und Personalverantwortliche ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), demzufolge der gesetzliche Urlaubs-anspruch bei Arbeitsunfähigkeit nicht mehr verfällt. Die Fülle an Rechtsprechungen des EuGH sowie des Bundesarbeitsgerichts (BAG) haben den Anspruch der Beschäf¬tigten auf bezahlten Mindesturlaub zur Erholung seither deutlich gestärkt. Zuletzt hat der Europäische Gerichtshof die Tür weit aufgestoßen und strenge Vorausset¬zungen an die Verjährung des urlaubsbezogenen Vergütungsanspruchs geknüpft. Wir nehmen dies zum Anlass, eine Bestandsaufnahme zu machen und einen kom¬pakten Überblick über die Vielzahl der aktuellen Regelungen zu geben.
Gesetzlicher Mindesturlaub im Überblick
Alle Arbeitnehmer haben grundsätzlich in jedem Kalenderjahr einen Anspruch auf Gewährung bezahlten Erholungsurlaubs. Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt nach dem Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) vier Wochen.
Entsprechend besteht bei einer Fünf-Tage-Woche ein gesetzlicher Mindesturlaub von 20 Arbeitstagen. Eine längere Urlaubsdauer kann sich aus dem Arbeitsvertrag oder einem Tarifvertrag ergeben. Derzeit ist ein tariflicher Jahresurlaub von fünf bis sechs Wochen üblich. Zu Beginn eines Arbeitsverhältnisses entsteht gem. § 4 BUrlG ein voller Urlaubsanspruch erstmalig nach Vollendung der Wartezeit von sechs Monaten. Maßgeblich ist hier allein der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses, ohne dass es auf die tatsächliche Erbringung von Arbeitsleistungen ankommt. Es gilt das Gebot der Gleichbehandlung, folglich gehören auch Berufsausbildungs-, Teilzeit- und geringfügige Beschäftigungsverhältnisse dazu.
Ein Teilurlaubsanspruch besteht bei Ausscheiden innerhalb der Wartezeit gem. § 5 BUrlG in Höhe von einem Zwölftel (1/12) des jährlichen Urlaubsanspruchs je vollen Monat des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Der Urlaub soll grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr zusammenhängend gewährt und genommen werden. Ein Übertragungsanspruch bis zum 31.03. des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres oder darüber hinaus kann einzelvertraglich vereinbart werden oder sich aus Tarifverträgen ergeben.
Gesetzlicher Vergütungsanspruch für Urlaub
Der Arbeitnehmer hat Anspruch auf Entgeltfortzahlung während des Urlaubs (Urlaubsentgelt). Die Höhe richtet sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst des Arbeitnehmers in den letzten 13 Wochen vor Beginn des Urlaubs. Überstundenvergütungen werden nicht berücksichtigt. Ein gesetzlicher Anspruch auf ein zusätzliches Urlaubsgeld (Gratifikation) besteht nicht.
Häufig wird aufgrund tarifvertraglicher oder arbeitsvertraglicher Regelungen Urlaubsgeld gewährt. Daneben kann sich ein Rechtsanspruch aus betrieblicher Übung ergeben. Dies gilt, wenn in drei aufeinanderfolgenden Jahren jeweils auf freiwilliger Basis Urlaubsgeld gewährt wurde, ohne dass der Arbeitgeber gegenüber den Beschäftigten einen schriftlichen Freiwilligkeitsvorbehalt erklärt hat.
Urlaubsanspruch und Arbeitsunfähigkeit
Der gesetzliche Anspruch auf Mindesturlaub erlöscht nicht, wenn zum Ende des Übertragungszeitraums (gesetzlich ist das der 31.12. eines Jahres) die Urlaubsnahme infolge Arbeitsunfähigkeit unmöglich ist (EuGH vom 22.01.2009, Az. C-350/06 und C-520/06; BAG vom 07.08.2012, Az. 9 AZR 353/10).
Dieser Anspruch verfällt erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres (EuGH vom 22.11.2011, Az. C-214/19, BAG vom 09.08.2011, Az. 9 AZR 425/10 sowie BAG vom 07.08.2012, Az. 9 AZR 353/10), d. h. zum 31. März des übernächsten Jahres. Setzt ein langzeiterkrankter Arbeitnehmer nach seiner Genesung die Arbeit fort, gehen nach einer Entscheidung des BAG (Urteil vom 09.08.2011, Az. 9 AZR 425/10) während der Arbeitsunfähigkeit angesammelte Ansprüche mit dem Ende des laufenden Kalenderjahres unter, in dem der Arbeitnehmer nach seiner Genesung die Arbeit fortsetzt.
Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Arbeitnehmer im aktuellen Urlaubsjahr so rechtzeitig wieder gesund wird, dass er seinen Urlaub in der verbleibenden Zeit noch nehmen kann. Dann muss er – um den Verfall des Urlaubs zu verhindern – seinen gesamten, während der Krankheitszeit angesammelten Urlaub im selben Kalenderjahr bzw. gegebenenfalls spätestens zum Ablauf des Übertragungszeitraums geltend machen.

Urlaubsbezogene Hinweispflichten des Arbeitgebers
Der gesetzliche Urlaubsanspruch eines Arbeitnehmers erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor über seinen Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt hat (LAG Köln, Urteil vom 09.04.2019, Az. 4 Sa 242/18). Diese Initiativlast des Arbeitgebers bezieht sich auch auf den Urlaub aus vorangegangenen Jahren.
Kein automatischer Verfall des Urlaubsanspruchs
Der Europäische Gerichtshof hat ganz aktuell (EuGH, Urteil vom 22.09.2022, Az. C-120/21) in drei Fällen aus Deutschland entschieden, dass der Urlaubsanspruch in bestimmten Fällen doch nicht verfällt bzw. verjährt. Die Fälle drehten sich einerseits um zwei Sachverhalte mit langer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit und andererseits um einen Sachverhalt der aufgeschobenen Urlaubsgewährung aufgrund eines auslastungsbedingt hohen Arbeitsaufwands. Entscheidend sei, so der EuGH, ob der Arbeitgeber seinen Teil dazu beigetragen und beispielsweise darauf hingewiesen hat, dass der Urlaub bald verfällt. Für eine Verjährung müsse er den Arbeitnehmer zuvor durch entsprechende Aufforderung tatsächlich in die Lage versetzt haben, seinen Urlaubsanspruch auszuüben.
Urlaubsabgeltung nur bei Ausscheiden wirksam
Es ist grundsätzlich unzulässig, nicht in Anspruch genommenen Urlaub in Geld auszubezahlen (Urlaubsabgeltung). Dies würde dem Grundgedanken des Urlaubs widersprechen. Urlaub soll gewährt und eben nicht „abgekauft“ werden.

Die Urlaubsabgeltung ist rechtlich nur zulässig, wenn der Urlaubsanspruch wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllt werden kann. Gekündigte Arbeitnehmer müssen ihren noch ausstehenden Urlaub nicht mehr bis Jahresende beziehungsweise bis zum Ende des Übertragungszeitraums geltend machen (BAG, Urteil vom 19.06.2012, Az. 9 AZR 652/10). Für die Berechnung ist das gewöhnliche Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers maßgebend.
Allerdings können tarifliche oder vertragliche Ausschlussfristen zum Verfall des Abgeltungsanspruchs führen. Bei übergesetzlichem Mehrurlaub führt eine einzelvertragliche oder tarifliche Ausschlussfrist immer zum Verfall des Abgeltungsanspruchs.
Das BAG hat am 09.08.2011 (Az. 9 AZR 365/10) entschieden, dass eine tarifliche Ausschlussklausel auch für die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs gilt. Sieht ein Tarifvertrag z. B. eine dreimonatige Ausschlussklausel nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor, so verfallen alle Abgeltungsansprüche mit Ablauf dieses Zeitraums.
Endet das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers, haben dessen Erben nach § 1922 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung des von dem Erblasser nicht genommenen Urlaubs. Dies entschied das BAG mit Urteil vom 22.01.2019, Az. 9 AZR 45/16.
Handlungsempfehlungen
Arbeitgeber sollten Mitarbeiter rechtzeitig auffordern, ihren Urlaub zu nehmen. Der Inhalt der jährlichen Aufforderung sollte in verständlicher Form eine vollständige und zutreffende Mitteilung über die Höhe des jährlichen Urlaubsanspruchs sowie über die Anzahl der restlichen Urlaubstage mit den jeweiligen Verfallsfristen beinhalten.
Die Mitteilung sollte schriftlich erfolgen und mit der Aufforderung verbunden sein, den Urlaub fristgerecht zu nehmen. Die EuGH-Entscheidung im Hinblick auf quarantänebezogene Sachverhalte bleibt abzuwarten.
Raschid Bouabba, MCGB GmbH
