Fokus /// Entsendung : Internationale Beschäftigung : Wo stehen wir?
Wir sprachen mit Jürgen Heidenreich, einem ausgewiesenen Kenner der Besonderheiten und Schwierigkeiten der internationalen Beschäftigung. Heidenreich ist auch Mitautor des Buches „Auslandsentsendung und Beschäftigung ausländischer Mitarbeiter“.

Wir sprachen mit Jürgen Heidenreich, einem ausgewiesenen Kenner der Besonderheiten und Schwierigkeiten der internationalen Beschäftigung. Heidenreich ist auch Mitautor des Buches „Auslandsentsendung und Beschäftigung ausländischer Mitarbeiter“.
Herr Heidenreich, was hat sich im Bereich der internationalen Beschäftigung in den letzten Jahren verändert? Was gibt es für aktuelle Trends?
Da müssen wir differenzieren. Bei der Entsendung, also der vorübergehenden Beschäftigung von Mitarbeitern im Ausland, hat sich die Struktur in den letzten Jahren gravierend verändert. Die Entsendungen werden kürzer, dafür ggf. häufiger. Die langfristigen Aufenthalte für mehrere Jahre sind inzwischen eher selten geworden. Zum einen wegen der Kosten, zum anderen sind viele Mitarbeiter auch nicht mehr bereit, für einen solchen Zeitraum in ein fremdes Land zu gehen, insbesondere, wenn schon eine Familie vorhanden ist. Das klassische Modell des arbeitenden Mannes und der ihn „begleitenden“ Ehefrau gibt es so kaum noch. Auch die Partner arbeiten in der Regel, haben zum Teil hochqualifizierte Jobs, die nicht so einfach gewechselt werden können. Weiterer Grund ist die Unsicherheit in vielen Teilen der Welt, wie beispielsweise in der Türkei oder im arabischen Raum, aber auch in Teilen Asiens. In anderen Regionen gibt es extreme Umweltverschmutzung, wie in den großen Städten Chinas, was Familienväter und -mütter abschreckt.
Ein Weiteres hat die technische Entwicklung dazu beigetragen, ich nenne nur Videokonferenzen, Virtual Reality und ähnliche Entwicklungen. Es gibt also eine ganze Reihe von Faktoren, die sich entsprechend auswirken. Innerhalb Europas spielt insbesondere der Brexit eine wichtige Rolle, aber auch die politischen Entwicklungen beispielsweise in Polen oder Ungarn. Vielfach scheuen Unternehmen vor einem Engagement in diesen Staaten zurück, so dass gar kein Bedarf mehr an einer Entsendung im früheren Umfang besteht.
Und bei den Impats? Wie ist da die Entwicklung?
Genau anders herum. Wesentlicher Faktor hier ist der Fachkräftemangel, der in einigen Branchen und Regionen teilweise schon erschreckende Formen angenommen hat. Es gibt beispielsweise wohl kaum noch ein IT-Unternehmen, das ohne ausländische Mitarbeiter auskommt. Oder im Pflegebereich, um nur ein weiteres Beispiel zu nennen.
Wie kommen die Unternehmen denn an die ausländischen Fachkräfte?
Auf den unterschiedlichsten Wegen, weil die Suche nicht immer ganz einfach ist. Einer der Favoriten ist die digitale Suche im Internet, wo auf speziellen Plattformen branchen- oder aufgabenbezogen nach Spezialisten gefahndet wird. Erfolgversprechend ist die Anwerbung über bereits vorhandene Mitarbeiter mit ausländischen Wurzeln, die ihre Kontakte in die Heimat nutzen können, um Interessenten zu gewinnen. Natürlich gibt es ergänzend auch die Möglichkeit, es über die entsprechende Fachkräftevermittlung der Bundesagentur zu versuchen – allerdings mit recht unterschiedlichen Ergebnissen. Weitere Möglichkeit ist die Kontaktaufnahme über eigene Dependancen oder Filialen im Ausland. Vor Ort sind die Möglichkeiten trotz aller Digitalisierung immer noch am erfolgversprechendsten.
Wenn ein Kandidat gefunden wurde – welche Probleme stehen dann noch im Raum? Oder geht es dann unproblematisch weiter?
Leider nicht. Ein Problem ist die häufig sehr unterschiedliche Arbeits- und Entscheidungspraxis der Ausländerbehörden. Was in der einen Stadt völlig einfach „durchgeht“, ist an einem anderen Ort unmöglich. Hier ist viel Initiative und Unterstützung von Seiten der Unternehmen gefragt. Der potenzielle Beschäftigte selbst ist damit meist völlig überfordert. Das beginnt ja schon damit, dass in vielen zuständigen Behörden die Mitarbeiter nicht einmal Englisch sprechen. Schließlich ist die Amtssprache ja bekanntermaßen Deutsch!
Und wenn endlich alles geklärt ist und die Arbeitserlaubnis erteilt wurde?
Dann kommt es auf die Verhältnisse im Unternehmen an. Ohne entsprechende Unterstützung ist eine schnelle Integration nicht möglich. Vielleicht noch im Unternehmen, aber nicht darüber hinaus. Und wenn ein ausländischer Mitarbeiter in Deutschland nicht „ankommt“, sich hier nicht wohlfühlt oder sich seine Familie nicht wohlfühlt, ist der Abbruch vorprogrammiert. Für die Unternehmen eine Katastrophe, weil dann die Suche von vorn beginnt, zusätzliche Kosten entstehen und Aufträge nicht abgearbeitet werden können.
Was können die Unternehmen tun, um die Integration zu sichern?
Das hängt in erster Linie vom Ist-Zustand des Unternehmens ab. Arbeiten in einer Firma schon zwanzig verschiedene Nationalitäten zusammen, macht eine einundzwanzigste Nationalität keinen großen Unterschied mehr. Ist das Unternehmen aber bisher nicht divers aufgestellt, also zum Beispiel wenn die Mitarbeiter weiß, männlich und älter sind, wird die Einstellung eines „andersartigen“ Mitarbeiters zum Vabanquespiel. Hier ist eine gute Vorbereitung nicht nur des neuen, sondern auch der vorhandenen Mitarbeiter essentiell.
Davon abgesehen sollte das Unternehmen aber nicht nur auf die betriebliche Welt schauen, sondern auch das private Umfeld berücksichtigen, insbesondere wenn der neue Beschäftigte mit Familie anreist. Die Unterstützung bei der Wohnungssuche, der Auswahl der Schule, einer neuen Beschäftigung für den mitgereisten Partner und das Erlernen der deutschen Sprache kosten zwar Geld, sind aber eine gute Investition. Selbst wenn die „Amtssprache“ im Unternehmen Englisch ist, sind gute Deutschkenntnisse für die Integration und für das „Wohlfühlen“ in der neuen Umgebung unerlässlich.
Welche Probleme können denn sonst noch auftreten, wenn ein neuer ausländischer Mitarbeiter gefunden wurde und der Aufenthaltsstatus geklärt ist?
Schwierigkeiten bzw. Besonderheiten kann es bei der Steuer und in der Sozialversicherung, speziell in der Krankenversicherung geben. Der korrekte Abzug der Lohnsteuer ist beispielsweise von der Steuer-Identifikationsnummer abhängig. Die hat der neue Mitarbeiter logischerweise noch nicht. Diese wird grundsätzlich automatisch erstellt, wenn sich der Betroffene bei der Meldebehörde angemeldet hat – klappt aber in der Praxis nicht immer und kann auch manchmal dauern. Um die Abrechnung des Gehaltes vornehmen zu können, muss der Arbeitgeber auf eine vorläufige Einstufung zurückgreifen, er ermittelt also zunächst selbst die voraussichtliche Lohnsteuerklasse und eventuelle zu berücksichtigende Kinder. Andere Freibeträge bleiben zunächst unberücksichtigt. Diese vorläufige Abrechnung darf aber nur für maximal sechs Monate vorgenommen werden. Liegt bis dahin noch kein ELStAM-Abruf vor, muss die Abrechnung nach Steuerklasse VI erfolgen und auch für die vergangenen sechs Monate entsprechend korrigiert werden. Da ist es also sinnvoll, sehr gezielt die Vorlage der Steuer-ID zu überwachen und gegebenenfalls nachzuhaken – sonst sind Konflikte vorprogrammiert.
In der Sozialversicherung ist es etwas einfacher. Hier besteht grundsätzlich Versicherungspflicht, die Beitragssätze und das beitragspflichtige Entgelt sind dem Arbeitgeber bekannt, so dass er Meldung und Beitragsabführung vornehmen kann. Allerdings besteht in der Krankenversicherung eine Besonderheit, wenn das Entgelt über der Krankenversicherungspflichtgrenze liegt (2019 = 60.750 Euro). Dann besteht keine Krankenversicherungspflicht. Der Betroffene muss sich dann entscheiden, ob er eine private Krankenversicherung abschließt oder einer gesetzlichen Krankenkasse beitritt. Das Beitrittsrecht besteht für drei Monate nach Aufnahme der Beschäftigung. Die freiwillige Versicherung tritt dann rückwirkend ab Beschäftigungsbeginn ein. Diese Form der freiwilligen Versicherung gilt nur für die erstmalige Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland (wobei eventuelle frühere Beschäftigungszeiten während eines Studiums nicht schädlich sind). Da das deutsche Sozialversicherungsrecht für die ausländischen Mitarbeiter in der Regel völlig unbekannt ist, kommt dem Arbeitgeber hier eine besondere Verantwortung zu.
Ihr Fazit?
Die Einstellung ausländischer Mitarbeiter ist in vielen Bereichen alternativlos. Die Unternehmen sollten bereit sein, die notwendige Unterstützung zu gewähren, auch wenn es aufwändig ist und Geld kostet. Es rechnet sich trotzdem, da die Alternative (Abbruch, Kündigung, Rückkehr) noch viel teurer wäre. Und das Thema wird uns in den nächsten Jahren noch sehr intensiv beschäftigen und birgt für die Unternehmen große Herausforderungen – die aber mit gutem Willen und dem notwendigen Einsatz gemeistert werden können.
Markus Matt
Chefredakteur LOHN+GEHALT