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Verprasst die Budgets! : Unterwegs produktiver!

188 Millionen Reisen unternehmen deutsche Mitarbeiter jedes Jahr im Firmenauftrag. Außer Landes dürfen sie dabei meist nicht und logieren außerdem bescheiden in Drei-Sterne-Hotels.

Dennoch haftet der Geschäftsreise der Hauch des Besonderen an, das Budget der Bedeutsamkeit. Und das ist nicht nur ein Gefühl: Die Kosten für Geschäftsreisen sind fast doppelt so hoch wie die von Urlaubsreisen – obwohl berufliche Trips in Zeiten von Skype eigentlich fast lässlich sind.

Mittwochmorgens, halb acht in Deutschland: Wohl dem, der um diese Uhrzeit noch im Bett liegen kann, doch so lang schlafen die wenigsten Arbeitnehmer. Schon längst auf den Beinen sind jetzt nicht nur diejenigen, die schulpflichtige Kinder haben. Noch einmal umdrehen, die Glieder wohlig dehnen, das geht freilich schon – aber nur, wenn die Pflicht fernab der Heimat ruft, und zwar deutlich später als in derselben: Wer auf Geschäftsreise weilt, schläft länger und ist außerdem nur ein paar Schritte vom einladenden Frühstücksbuffet entfernt. Während zuhause kaum Zeit für ein paar Frühstücksflocken bleibt, dürfen es jetzt schon ein oder zwei Gänge sein, denn es ist ja das Andere, das Außeralltägliche, um das es bei der Dienstreise geht.

Schließlich ist man es dem Arbeitgeber wert, er sponsert den angenehmeren Tageseinstieg gern, und nicht nur der Komfort mildert die Anstrengung des Tagesbeginns, sondern auch die als unbedingt notwendig erachtete Anwesenheit der eigenen Person an einem anderen Arbeitsort als dem gewöhnlichen verleiht erhebende Bedeutsamkeit – zumindest dann, wenn die Dienstreise nicht der Normal- und die Präsenz im Büro der Ausnahmefall ist.

Erleben lässt sich dies nicht nur am Drei-Sterne-Buffet in aller Frühe, sondern auch zu jeder Tageszeit bei der Deutschen Bahn. Im ICE fragt man sich öfter als gelegentlich, wie die vielen in sich ruhenden Menschen in (Hosen-)Anzügen auf Erster-Klasse-Sesseln, die ihr gewichtiges Mienenspiel fast ausschließlich ihren Business-Mobile-Devices zuwenden, wohl in ihrer Freizeit mobil sein mögen. Zweiter Klasse und in Jeans? Kommunikativer oder gestresster? Zugewandter oder unfreundlicher gegenüber Personal und Mitreisenden? Dass es einen Unterschied geben muss, ist fühlbar und sichtbar, wenn man auf die Masse der Privatreisenden schaut, und in der Moderne ist dies oftmals kein reiner Klassenunterschied.

Der Mitarbeiter – das unbekannte Wesen

Es ist tatsächlich die andere Sphäre, die einen selbst verändert, die Rolle, die ein anderes Selbst hervorbringt. Nur lässt sich hier nicht länger ganz schlicht zwischen beruflich und privat unterscheiden, denn im Beruf sind wir im Büro ja auch, aber eben anders. Die Entwicklungspsychologie beschreibt die Rolle des Anderen als eine Art negativen Spiegel; durch das Mich-Abgrenzen von dem, was ich (gerade) nicht bin, weiß ich, wer ich bin.

Nur was schert das die Unternehmenslenker und mit ihnen die Payroll? Möglicherweise lernen sie zunächst einmal, dass eine Dienstreise vielleicht viel mehr als jedes andere Phänomen des geschäftlichen Daseins weit entfernt davon ist, nur als zweckorientierte Einheit zu funktionieren. Denn streng genommen ist das berufliche Unterwegssein in vielen Berufen heute eigentlich überflüssig – längst lassen sich Besprechungen via Skype organisieren, Produktvorführungen virtualisieren und Maschinen fernwarten.

Doch der Mensch will Mensch bleiben – und sich als solchen erleben, tut er offenbar im beruflichen Kontext vor allem außer Haus. Tatsächlich genießen die meisten Geschäftsreisenden ihre bezahlte Abwesenheit vom Stammarbeitsplatz ja – jedenfalls gaben das zuletzt 90 Prozent von gut 5.000 befragten Geschäftsreisenden in Nordamerika, Europa und im asiatisch-pazifischen Raum in einer Umfrage der Expedia Group an.

Topverdiener und Gregor1Samsa

Wer es noch genauer wissen will, dem sei das Netz empfohlen – dort schreiben Nutzer anonym ganz unverblümt über ihre beruflichen Trips, so zum Beispiel der Mann, der sich „Topverdiener“* nennt: „Ich mag Dienstreisen. Man hat abends oft die Möglichkeit, durch die Stadt zu gehen, wenn es einem genehm ist, darf ein bisschen Spesen anhäufen und hat mal Ruhe vor seiner Frau.“

„Gregor1Samsa“* mag offenbar nicht nur Kafka, sondern auch Dienstreisen, „denn sie bieten zusätzlich die Möglichkeit, sich an der Hotelbar gepflegt volllaufen zu lassen und dann mit der Lieblingskollegin aufs Zimmer zu entschwinden. Und das vollkommen unabhängig vom geschäftlichen Erfolg. Aber der Hotelstandort sollte sorgfältig gewählt sein, idealerweise nicht in der Nähe des Magdeburger Hauptbahnhofs.“

Außer Spesen nix gewesen

Ein Ausnahmefall? Wohl eher nicht, aber wenn man diese Dimension von Dienstreisen ehrlich mit ins Kalkül zieht – sollte die Firma wirklich derartiges finanzieren? Payroller haben zunächst einmal gar nicht die Wahl, über den Sinn und Zweck eingereichter Reisen zu spekulieren, sondern lediglich den Job, sie gemäß der Reiserichtlinien durchzuwinken oder zu beanstanden. Was von beiden Phänomenen häufiger der Fall ist, kommt ganz auf die Perspektive an. So legt die bereits zitierte Studie nahe, dass die meisten Reisen korrekt gebucht und auch entsprechend eingereicht werden: 82 Prozent der Mitarbeiter sagen jedenfalls selbst von sich, immer innerhalb der Reiserichtlinien zu agieren.

Frankreich, Deutschland und Schweden gehören dabei zu den gewissenhaftesten Ländern mit einem Compliance-Anspruch von 87 Prozent, während sich knapp zwei Drittel der Mitarbeiter in den USA auch einmal nicht korrekt verhalten. Wie kommen sie dazu? Der häufigste Grund für die Buchung gegen die Norm sei, dass sie nicht weit genug im Voraus buchen könnten, um die Richtlinien einzuhalten, so die Aussage. Dies merken 49 Prozent weltweit und 57 Prozent in Deutschland an.

Abrechnung nicht ganz korrekt

Eine etwas andere Einschätzung als die Reisenden selbst hat der Softwareanbieter techconsult GmbH, der Reiseprozesse mittels seiner Produkte optimieren möchte. Das Unternehmen stellt in einer Studie „Optimierungsbedarf bei der Belegerfassung, der Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und der Reisekostenrückerstattung“ fest. Betroffen sei nicht nur die Reisekostenabrechnung, sondern auch die Reisebuchung und Verwaltung der Reisekosten wiesen Defizite auf, wenn auch weniger gravierende.

Wenn dem so ist, so entsteht hier ein erheblicher Mehraufwand für die Payroll, zumal das Reisevolumen der deutschen Mitarbeiter gewaltig ist: Laut Verband Deutsches Reisemanagement (VDR) haben im Jahr 2017 rund 11,2 Millionen Geschäftsreisende insgesamt 187,5 Millionen Geschäftsreisen unternommen. Ihren Arbeitgebern sind dadurch Ausgaben in Höhe von 52,5 Milliarden Euro entstanden.

Doppelt so viel Budget wie im Privaturlaub

Ein Tag auf Geschäftsreise kostet rein rechnerisch im Durchschnitt pro Mitarbeiter 157 Euro – und damit laut VDR nahezu doppelt so viel wie der Betrag, den sich derselbe Mensch als tägliches Urlaubsreisebudget selbst zugesteht.

Geschäftsreisen sind Luxus – obwohl 88 Prozent aller Geschäftsreisen Inlandsreisen sind. Einquartiert wurden die meisten Geschäftsreisenden im Jahr 2017 in Drei-Sterne-Häusern – zwischen 54 Prozent und 68 Prozent schliefen laut VDR in Betten dieser Kategorie. Seit zehn Jahren sei der Preis das Auswahlkriterium Nummer eins bei Übernachtungsangeboten.

Trotzdem sagen vier Fünftel aller befragten Verantwortlichen in größeren Unternehmen, dass sie die Belange der Mitarbeiter heute stärker als früher in den Planungen berücksichtigen müssen. Denn: Reise-Extras beeinflussen nicht nur die Mitarbeiterbindung – sie sorgen nach Meinung der Chefs auch dafür, dass während der Geschäftsreise besser gearbeitet wird.

Unterwegs produktiver

Tatsächlich schätzt laut Umfrage knapp die Hälfte aller befragten 18- bis 34-Jährigen die eigene Produktivität auf Reisen höher ein als im Büro – und zwar um mehr als 20 Prozent. Das wirft Fragen auf, wo doch die größte Belastung auf Dienstreisen das Lächeln sei, wie Jens Jessen einst schrieb.

Ob das auch für den Typus „Topverdiener“ und „Gregor1Samsa“ gilt? Ihr Gebaren erinnert eher an die Grand Tour der adeligen Söhne – und damit an einen rein privaten Zweck. Doch gibt es diesen überhaupt noch in einer Zeit, in der die Arbeitswissenschaft längst erkannt hat, dass Motivation der Schlüssel zur Leistung ist und ein vielgestaltiges Instrumentarium vorhält, diese zu befördern? Nicht offen bekundet, aber doch nicht zu leugnen ist demnach, dass auch die mit dem Maßstab des alltäglichen Pragmatismus gemessenen sinnlosen Reisen betriebswirtschaftlichen Sinn ergeben.

So sind heute schon in Vorstellungsgesprächen Reiserichtlinien ein beliebtes Thema, insbesondere für die darin enthaltenen Goodies interessieren sich laut obiger Umfrage drei Viertel der 18- bis 34 Jährigen; auch bei den Älteren ist dies noch für die Hälfte ein Thema.

Billig macht unbeliebt

Hoch im Kurs rangieren dabei tatsächlich Zugfahrten erster Klasse und die private Nutzung von Bonusmeilen, ebenfalls wichtig ist die Mitsprache bei der Hotelwahl, Taxi statt ÖPNV und Business Class bei längeren Flugreisen. Laut Expedia-Umfrage sind Preisbeschränkungen und deren Auswirkungen auf die Qualität der Unterkunft (31 Prozent), gefolgt von begrenzten Upgrade Optionen (15 Prozent) – wohl neben dem schon erwähnten Lächeln – die wichtigsten Kritikpunkte von Businessreisenden.

Auf der anderen Seite begnügen sich die meisten dieser Luxustraveller die übrige Zeit ihres beruflichen Daseins klaglos mit nur zehn Quadratmeter großen Arbeitsräumen ohne sonderlich geschmackvolles Mobiliar oder ansprechende Innenausstattung. Wie entsteht die Kluft zwischen dem, was der arbeitende Mensch auf Reisen, und dem, was er als täglichen Arbeitsort akzeptiert?

Reisen ist Glaubenssache

Die Ursache scheint tatsächlich schlicht mit dem Wesen und der Natur der Reise als solcher zusammenzuhängen. Unterwegssein ist für den Menschen immer von einer besonderen Bedeutung gewesen. Die Historie besagt, dass die ersten Reisen nach dem menschlichen Nomaden- Dasein höchstwahrscheinlich religiös motivierte Wallfahrten zu den Tempeln ägyptischer Gottheiten waren.

Die klassischen Geschäftsreisen waren damals Handelsfahrten, Rauboder Kreuzzüge. Regelrecht freiwillig und mit mehr Esprit reisen erst die Menschen des 16. und 17. Jahrhunderts – es beginnt die Epoche der Entdecker auf See. Auch jetzt verschwimmen privater und geschäftlicher Zweck: Columbus ließ sich schließlich von der spanischen Königin finanzieren. Und wenn die wohlhabenden Bürgerlichen und Adeligen ab dem 18. Jahrhundert auf „Grand Tour“ gehen, dient das nicht nur der Staatsräson, sondern auch dem internationalen Netzwerk.

Dem Unterwegssein haftet scheinbar ein Heilsversprechen an: Religion, Glaube und Erwartung sind es vorrangig, die den Menschen in die Fremde treiben; dort findet er fast immer etwas, manchmal sogar mehr, als er suchte.

Füllt die Kassen!

Dieser Gedanke mag womöglich über berechtigten Ärger hinweghelfen, den überzogene Spesenabrechnungen gelegentlich provozieren – denn wer weiß, welche Produktivitätssteigerungen die Abwesenheit des Ehepartners und die Anwesenheit von ausreichend angenehmeren Stimulanzien im Einzelfall zu zeitigen im Stande sind? Womöglich spricht tatsächlich einiges für üppige Reisebudgets und eine Eindämmung des kleingeistigen Sparens.

Vor allem die Weisheit der vielen: Denn ein Blick auf die Statistik zeigt, dass die Unternehmen ihre Mitarbeiter oft und gern in die Fremde schicken. Trotz aller neuen digitalen Möglichkeiten nimmt die Zahl der Geschäftsreisen in Deutschland stetig zu, wie der VDR berichtet. Zuletzt erhöhte sich ihre Anzahl im Jahr 2017 um 2,3 Prozent.

Öfter, aber kürzer

Ob dabei auch der Spaßfaktor stieg, ist nicht belegt. Die Zahlen legen nahe, dass dies eher nicht der Fall war. Denn die Gesamtausgaben für Geschäftsreisen stiegen lediglich um 1,7 Prozent – und damit weniger stark als die Zahl der Reisen. Eine Ausnahme bildete nur der öffentliche Sektor, wo die Dienstreisekosten überproportional (3,7 Prozent) zum Reisevolumen (1,7 Prozent) anstiegen.

Dass fast überall die Kosten langsamer als das Reisevolumen stiegen, führt der Verband auf die Tatsache zurück, dass Geschäftsreisen zunehmend ohne Übernachtung stattfanden. Mit mehr Eintagesreisen seien dafür die Kosten für den Transportbereich insgesamt gestiegen – anteilig von 47 Prozent der Gesamtausgaben im Jahr 2016 auf 49 Prozent im Jahr 2017.

Das widerspricht nun der Philosophie des Reisens um des Reisens willen ganz erheblich und verfehlt vielleicht gerade ganz genau das Ziel, das Unternehmen mit Dienstreisen – jenseits der vordergründigen Motive wie Messe, Weiterbildung oder Kundenbesuch – verfolgen könnten. Denn um es mit Johann Wolfgang von Goethe zu sagen: „Man reist ja nicht, um anzukommen, sondern um zu reisen.“

* Weder der Nickname, noch die Aussagen sind von der Autorin erfunden – es handelt sich um echte, wörtliche Zitate, die einen Artikel aus der Wochenzeitung „Die Zeit“ zum Thema „Geschäftsreise“ kommentierten.

Alexandra Buba M. A. Wirtschaftsredakteurin Fuchsmühl

 

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