Offener Brief
Generation Z oder so …
Liebe Leserin, lieber Leser,
nichts gegen Work-Life-Balance – bin ich auch ein großer Fan von, aber bei mir steht das „Work“ eben vorn und damit an erster Stelle. Bei den jungen Leuten, die jetzt ins Berufsleben starten, scheinen die Prioritäten andere zu sein. Neulich war ich – auf Bitten unseres Ausbilders – bei einigen Bewerbungsgesprächen um einen Ausbildungsplatz dabei. Ein interessantes Erlebnis!

Die erste Frage des Kandidaten war nicht nach der Ausbildungsvergütung – das hätte ich ja noch verstanden –, sondern nach zusätzlichen (!) freien Tagen. Außerdem könne er am Dienstag und Donnerstag nicht länger als bis 16 Uhr arbeiten, denn danach müsse er zum Yoga. Zweite Frage dann: Wie viel Urlaub gibt es und ob er auch ein Sabbatical machen könne.
Auf unsere Frage, was er sich denn von dem ins Auge gefassten Beruf verspreche und warum er diesen erlernen wollte, konnte er keine wirkliche Antwort geben. Nach einigem Insistieren kam dann heraus, dass die Eltern den Beruf für ihn gut finden würden.
Na ja, wir haben ihn dann doch lieber nicht eingestellt. Wie auch einen anderen Kandidaten, bei dem die Mutter unbedingt mit ins Vorstellungsgespräch wollte und richtig ungehalten wurde, als wir darauf bestanden, allein mit ihrem Sohn sprechen zu wollen. Wohl bemerkt: Der junge Mann war schon 19 Jahre alt.
Ja, haben denn alle jungen Leute solche Hubschraubereltern? Unser Ausbilder ist auch am Verzweifeln: Einen Auszubildenden einmal auszuschimpfen, wenn der schon zum dritten Mal denselben Fehler macht – das traut er sich schon gar nicht mehr. Entweder ist am nächsten Tag die Mutter im Betrieb und beschwert sich, oder der Azubi ist erst einmal bis auf Weiteres krankgeschrieben. Die Diagnose erfahren wir natürlich nicht, aber ich tippe entweder auf psychischen Erschöpfungszustand oder ein posttraumatisches Belastungssyndrom.
Mal fünf Minuten länger machen, damit man eine Arbeit abschließen kann? Nein, in der Ausbildung sollen keine Überstunden gemacht werden.
Ich mache mir ernsthaft Sorgen – um unsere Wirtschaft, aber natürlich auch um mich und meine Zukunft. Denn in wenigen Jahren gehe ich in Rente (bin auch so ein asozialer Baby-Boomer) – aber wer zahlt mir die denn dann noch? Wenn keiner mehr so richtig arbeiten will?
Zum Glück gibt es auch noch andere junge Leute – fleißig, interessiert und freundlich. Ich fürchte zwar, das ist inzwischen die Minderheit, aber vielleicht irre ich mich ja und ich hatte einfach nur Pech bei meinen Erlebnissen. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt.
Herzlichst, Ihr
Felix, der Glückliche