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Betriebliche Zusatzversicherungen : Betriebliche Zusatzversicherungen – Sicherer Hafen anstatt Schicksal?

Alexandra BubaFokus
Lesezeit 9 Min.

Konservativer Backlash trifft chronischen Ruf nach Reform – moderne Ambivalenz zeitigt Angebot und Nachfrage in wenig greifbaren Produkten. Wenn also die gesetzlichen Sozialversicherungssysteme vermeintlich wanken, wächst die Kreativität bei betrieblichen Versicherungen. Doch treten Arbeitgeber damit nicht eigentlich in eine vormoderne Rolle ein? Überspannen sie nicht ihren Einflussbereich und machen sich zu willfährigen Handlangern von Politik und Finanzwirtschaft? Was bedeutet dies für die Belegschaft? Versicherung – das klingt einfach schon gut. Sicher, unbesorgt, aufgehoben. Wer möchte das nicht? Vor allem heute, wo Despoten die Welt bedrohen, das Weltklima bald ganze Landstriche in die Katastrophe kippt, Pflegeroboter die letzten Bezugspersonen sein werden und sich Leistung zwar meistens nicht lohnt, aber doch die einzig gültige Währung scheint. Wie schön ist es da, wenigstens sonst keine Probleme zu haben, As – se – cura – nz, ohne Sorge zu sein.

Aber gilt das auch tatsächlich für alle? Sind junge Arbeitnehmer heute tatsächlich Weicheier, die sich eher von einer betrieblichen Krankenzusatzversicherung und Riester-Zuschüssen motivieren lassen als von einem flotten Dienstwägelchen? Oder einem Haufen Verantwortung und Geld? Die noch etwas Jüngeren – Teilnehmer der letzten Shell-Jugendstudie – beurteilen zumindest mehrheitlich die gesellschaftliche Zukunft optimistisch. Allerdings reden wir hier von 52 Prozent und einer Ära Prä-Trump. 48 Prozent der jungen Generation sind also in jedem Fall bald dankbare Versicherungskunden, was die Frage nach dem Interesse künftiger Arbeitnehmer für betriebliche Versicherungen in jedem Fall bejahen dürfte.

Also, her mit den betrieblichen Versicherungen. Sie nützen allen: Der Staat ist aus dem Obligo, sich um die Zukunftsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme allzu sehr scheren zu müssen, die Versicherungswirtschaft hat trotz Nullzins- und Renditepolitik wieder Marktsegmente, um Wachstum zu sichern, die Arbeitgeber sparen Sozialversicherungsbeiträge und können ihre Payroll-Mitarbeiter beschäftigen, und die Arbeitnehmer fühlen sich irgendwie gut.

Sinn und Zweck von Versicherungen

Tatsächlich ist das Prinzip der Versicherung ja erst einmal so schlecht nicht. Ein Risiko wird durch die Einbringung in ein Kollektiv für den Einzelnen beherrschbarer und der Gedanke an es erträglicher gemacht. Dabei ist offen, was eine Versicherung im modernen Sinn eigentlich genau leisten muss, denn eine gesetzliche Definition existiert nicht, lediglich das Richterrecht regelt einige wesensmäßige Eigenschaften – so die Verpflichtung, dass im Worst Case dann schon Geld fließen sollte. Eine Urversicherung kannten bereits die Babylonier. Karawanenteilnehmer verpflichteten sich, Schäden gemeinsam zu ersetzen. Aus einer vertraglichen Fixierung der gegenseitigen Hilfe im Ernstfall wurde bald ein richtiges Geschäft mit der Angst gegen Beitragszahlung, zunächst als Seeversicherung bei den Mittelmeeranrainern. In Deutschland tauchten die ersten Versicherungen – ebenfalls dieser Art – etwa vor vierhundert Jahren auf.

Neben dem Wasser war das Feuer als größter Feind erkannt, außerdem der Tod, Witwen- und Waisen- und Sterbekassen sollten den ausfallenden Ernährer ersetzen und vor Verarmung schützen. Das ganze Geschäft lief allerdings holprig, oft konnte nichts ein- oder ausgezahlt werden, da statistische Grundlagen fehlten. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts entstanden die ersten professionellen Versicherungen, deren Anbieter demografische Daten auswerteten und die Wahrscheinlichkeit des Todes berechnen konnten. Im Jahr 1866 liegt die Geburtsstunde der kapitalbildenden Lebensversicherung. Unternehmer kamen jetzt als Kunden, aber auch als Anbieter ins Spiel. Denn mit der Industrialisierung lösten sich traditionelle Solidargemeinschaften auf, auf Druck der Gewerkschaften führten Bismarcks Sozialreformen zu unseren heutigen staatlichen Systemen; Ende des 19. Jahrhunderts hatte Deutschland das weltweit beste staatliche Sozialversicherungssystem.

Kumpel als Pioniere

Die erste betriebliche Altersabsicherung betrieben die Bergleute in Knappschaften, einzelne Großunternehmen folgten und richteten bereits mit der industriellen Revolution aus eigenem sozialen Antrieb Versorgungswerke für ihre Belegschaft ein, die Alter und Invalidität absichern sollten. Der Staat griff dies Engagement dankbar auf, und seit 1974 regelt das Betriebsrentengesetz die betriebliche Altersversorgung (bAV) in Deutschland.

Offiziell in den Stand einer unverzichtbaren – laut Herrschenden und Versichernden – Vorsorgekomponente für alle Arbeitnehmer rückte die bAV dann mit Arbeitsminister Riester auf, erstmals wurde 2001 offenkundig, dass privat-betriebliche Vorsorge notwendig sein wird, um das Niveau künftig abgesenkter Renten aufzufüllen. Doch das läuft bekanntermaßen noch nicht so ganz rund.

Die Leute müssen mehr riestern und weniger gesetzliche Rente verlangen – was ihnen mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz, das zum 01.01.2018 in Kraft trat, leichter fallen soll. Damit lassen sich nunmehr auf tariflicher Grundlage reine Beitragszusagen oder sogenannte Optionssysteme einführen. Die abzugsfähigen Spielräume und die Anordnung von Arbeitgeberzuschüssen sollen die Last der Verantwortung ein wenig von den schmäler werdenden Schultern der gesetzlichen Rentenkasse auf das breitere finanzielle Kreuz der Wirtschaft verschieben.

Riester ist ein guter Mann

Ein bisschen mischt freilich das Milchmädchen mit, denn mehr Abzugsmöglichkeiten bedeuten umgekehrt weniger Steuereinnahmen und möglicherweise stopft man damit bereits die eine – nicht erhobene – Abgabe von der einen Tasche in den bodenlosen Beutel eines Systems in demografischer Hanglage. Ja, das lässt an das böse Wort von der steuerfinanzierten Rente denken.

Außerdem hat der gute Riester auch noch ein paar andere Schönheitsfehler: Die Zukunft der Sparer und ihrer Einlagen hängt vom Kapitalmarkt ab, die Verträge sind unflexibel und schlecht übertragbar, ein Makel in hyperflexiblen Zeiten mit hoher Fluktuation. Verbraucherschützer kritisieren die Riester-Rente daher seit langem als zu teuer, zu bürokratisch und zu unrentabel. Als Bereicherungsprogramm für die Finanzindustrie gilt ein Konstrukt, bei dem kaum jemand sagen kann, was der eigene Vertrag eigentlich an Gebühren und Provisionen kostet und was er am Ende einbringen wird.

Dementsprechend stürzte nach anfänglicher, durch massive Werbung geschürter Akzeptanz die Zahl der Neuabschlüsse schon nach zwei Jahren ab und pendelte sich auf etwa einem Zehntel des Anfangsniveaus ein. Derzeit gibt es in Deutschland laut Bundesarbeitsministerium rund 10,8 Millionen Versicherungsverträge, knapp 3,3 Millionen Investmentfondverträge, 1,8 Millionen sogenannter Wohn-Riester-Verträge und etwa 0,7 Millionen Banksparverträge.

Die Zahl der Verträge lässt indes keinen unmittelbaren Rückschluss auf die Anzahl der Personen oder Unternehmen zu, die tatsächlich laufend einen Riester-Vertrag besparen, da ein Arbeitnehmer grundsätzlich mehrere Riester-Verträge abschließen kann oder Verträge auch dauerhaft ungefördert bleiben. Was für den Status quo von Riester gilt, kann daher auch für die Zukunft der bAV insgesamt gelten: eher ungewiss.

Lieber krank als alt

Doch aus dem Dreamteam Arbeitgeber, Finanzamt, Rentenversicherung, Krankenkasse und Versicherungswirtschaft lässt sich zum Glück noch viel mehr herausholen, wenn man das gesamte kreative Potenzial ausschöpft. So macht gerade die betriebliche Krankenversicherung als „sinnvolle Alternative zur Gehaltserhöhung“ von sich reden. Als solche wird sie jedenfalls von der Versicherungswirtschaft beworben.

Ungeachtet der dringend notwendigen Frage, welcher Arbeitnehmer wohl seine eigene Gehaltserhöhung als sinnlos empfinden würde, lockt das Produkt Unternehmen mit der Aussage „Gesunde Mitarbeiter leisten mehr“. Das Charmante dabei: Der Mitarbeiter selbst wird doppelt zum Produktionsfaktor, denn er trägt nicht mehr nur durch seine Arbeitsleistung, sondern auch ganz unmittelbar durch seinen Konsum von Versicherungsprodukten und später Gesundheitsleistungen zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung bei.

Aus eins mach drei?

Die Rechnung ist dabei im Grunde eine ganz einfache. Denn: Ein Euro bleibt ein Euro. Nur sein Verbleib und die Aufteilung ändern sich. Das gilt freilich nur für den Netto-Euro. In dem Moment, in dem die Finanzindustrie sich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber klinkt, zeigt sich der Staat freigiebig und macht aus einem Euro erst einmal 1,05 Euro.

Die Geschichte dazu geht in etwa so: Herr Superschlaudochkaumgenau ist ein tüchtiger Mitarbeiter und verdient 95 Cent; sein Arbeitgeber macht in der nächsten Gehaltserhöhungsrunde freundlicherweise einen Euro daraus – allerdings nicht cash, das wäre ja nicht „sinnvoll“, viel besser ist da ein wie auch immer gearteter Gehaltsbaustein in Form eines Zuschusses – am besten natürlich zu einer betrieblichen Versicherung. Krankenversicherung oder bAV? Herr Superschlaudochkaumgenau grübelt ein bisschen.

Beides spart Sozialversicherungsabgaben und Steuern – das scheint an dieser Stelle ein bisschen schade für den Staat, der damit einige Cent nicht vereinnahmt. (Was er allerdings dann später tut, wenn er die Betriebsrente besteuert. Mit welchem Steuersatz? Werden wir sehen.) Gesparte Sozialabgaben sind jedenfalls schon mal sehr gut für den Arbeitgeber, der muss sie ja später auch nicht mehr bezahlen, denn das macht Herr Superschlaudochkaumgenau als Rentner in einigen Jahren selbst, wenn er sich in Abhängigkeit zur Höhe seiner Gesamtrente krankenversichern muss.

Irgendwie findet er das trotzdem alles ganz gut. Doch wenn er in sein Portemonnaie blickt, dann sieht er – nichts. „Noch nicht“, sagen die Versicherer ganz schnell, die auf einmal mitreden. „Jetzt doch nicht, sondern in Zukunft!“ Sie müssen es wissen, vom Geldvermehren verstehen sie schließlich etwas, denn ein Blick auf ihre Kasse zeigt, dass sie sich füllt, und zwar nicht in Zukunft, sondern jetzt. Verwaltungsgebühren und Provisionen, ein Cent von der Gehaltserhöhung wandert direkt mal dorthin. Und dann läuft die Zeit. Der Arbeitnehmer hat sie – um alt oder krank zu werden. Ersteres wird er hoffentlich, Zweiteres lieber nicht.

Da sind sich übrigens wieder alle vollkommen einig: er selbst natürlich an erster Stelle, der Arbeitgeber sowieso, aber auch die Versicherer, die nicht liefern müssen, und der Staat, der sein produktives Steuersubjekt behält. Dann nützte die Gehaltserhöhung in Form einer betrieblichen Krankenversicherung dem Arbeitnehmer ja gar nichts? Na und! Gesund ist doch schließlich besser als gut verarztet, oder? Alle nicken, nur dass dabei die Arbeitgeber sparen, Versicherer verdienen, Arbeitnehmer dulden.

Aber geht es wirklich immer nur um Geld? Schließlich hat Herr Superschlaudochkaumgenau viel mehr bekommen als ein schnödes Fünferl: Es ist das wohlige Gefühl der Sicherheit, das kein Vermögen (außer vielleicht ein sehr nennenswertes) kaufen kann. Versicherungen privat abschließen, das ginge zwar auch, aber nur ohne Steuerspareffekt. Doch erst damit setzt wie beim roten Sale-Schild zwangsweise das kritische Bewusstsein aus. Denn der Mensch kann ja gar nicht anders, als Schnäppchen zu machen, die Dopaminsucht unserer Gehirne will es so. Der Zeitgeist verschafft der Sache den nötigen Rückenwind, denn „fühlen“ und „meinen“ haben „denken“ und „wissen“ vielfach abgelöst.

Renaissance des Industriellen-Barons

Neben diesen rein finanziellen Betrachtungen sollte vielleicht ein Schlenker auf die Moralphilosophie nicht gänzlich fehlen – nämlich wenn es darum geht, die Autonomie des Subjekts zu verteidigen. Nicht weniger als sie steht auf dem Spiel, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer über das Finanzamt und die Krankenkasse und die Versicherungskonzerne Pakte auf Lebenszeit aushandeln.

Denn jeder ordentliche Arbeitsvertrag ist kündbar – die Versicherungskontrakte sind es selbstverständlich auch, doch konterkariert genau dies ihren Sinn. Denn Sicherheit mit Verfallsdatum ist keine, und deshalb binden Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich durch eine betriebliche Krankenversicherung oder eine bAV mehr aneinander, als sie dies durch einen Tankgutschein tun. Wobei Letzterer ja eigentlich die Menschen eher zusammenbringt.

Wer als Arbeitgeber seine Mitarbeiter versichert, der übernimmt eine vormoderne Rolle in deren Leben: als Kümmerer, Versorger und Überpapa. Die Zeit der Industrialisierung kennt ein solches Unternehmerbild, im Spätkapitalismus kehrt es nicht nur im Silicon Valley zurück: Die Firma wird zum zentralen Netzwerk, das sowohl traditionelle Gemeinschaftszugehörigkeiten als auch alte Solidaritätsbeziehungen ersetzt.

Dabei gelten allerdings andere Kodizes als in Familie, Nachbarschaft oder Kirche. Denn während dort moralischer Konsens herrscht, und selbst der Staat sein Verhältnis zum Bürger allumfassend geregelt sieht, fehlen der Wirtschaft verbindliche Schranken dafür, wo das Ich aufhört und das Du anfängt. Wie weit geht der Einfluss? Was bedeutet Abhängigkeit? Sind sich Arbeitgeber dieser Verantwortung bewusst? Und wollen sie das?

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