Ändert die Ansprache : Was Recruiting und Dating gemeinsam haben
Das Jahr 2022 hat den Arbeitsmarkt ziemlich aufgewirbelt. Ellenlange Jobausschreibungen in Stellenportalen haben ausgedient. Lange und unpersönliche Bewerbungsprozesse ebenso. Eine Jobanbahnung ist der Beginn einer neuen Arbeitsbeziehung, die hoffentlich passt, gut laufen wird und möglichst lang halten soll. Und nicht zu vergessen: Recruiting als Einstieg in die Employee Journey weist hier unbestritten nicht wenige Parallelen zum Dating-Prozess auf. Aber: Was spricht an, führt zum Erfolg und bindet auch wirklich dauerhaft? Eines ist unbestritten: Ein neues Mindset ist gefragt!
Mal sehen, was so matched?
Eine – echte – persönliche Ansprache neuer Talente seitens HR und die konstante Sichtbarkeit bei der Zielgruppe sind gefragt, was eben auch bedeuten kann, künstliche Intelligenz zu implementieren. Ganz so, wie es die Dating-Portale bereits schon länger mit den Matching-Prinzipien vormachen. Dabei gilt auf jeden Fall, die richtigen Kanäle nutzen, denn Teenies melden sich nicht unbedingt auf Ü-40-Single-Plattformen an. Ist das Targeting erst einmal richtig eingestellt, erreicht man die potenziellen Mitarbeiter „von heute und morgen“. Je nach Kanal können die Vorgehensweise und die Suche aktiv oder passiv sein: Die Nutzer der Social-Media-Plattformen bleiben stets über Jobangebote informiert, bekommen durch die Algorithmen immer wieder aufs Neue die aktuellen Jobempfehlungen angezeigt und können mit nur einem Klick direkt zum Job gelangen. Damit ist aber lediglich der erste Schritt getan. Besonders hilfreich ist die Ansprache von passiven Kandidaten, die man auf klassischem Wege nicht erreichen – oder wofür wurden gleich nochmal auch die Dating-Apps erfunden? Der große Vorteil sind die schnelle Aufmerksamkeit und die unmittelbare Resonanz.
Bye-bye Fakes
Das größte Beschwerde-Potenzial bei den Single-Börsen haben Fake-Profile. Vielleicht nicht wirklich wie ein „Fake“, aber viel zu künstlich oder abgehoben und aufgesetzt wirkt immer noch eine Vielzahl an Unternehmenssauftritten. „Abtörnend“ sind nichtssagende Unternehmensprofile und überzogene Job-Offerten. Und wer mag es beim (ersten) Date schon, wenn der andere nur oder zu viel über sich selbst spricht? Reines Job-Ad-Posting hat ausgedient, wahlloses Joboffer-Spreading auch!
Du, Du oder doch Du?
Wer mag schon „plumpe Anmachsprüche“, die er schon 1.000-mal gehört hat? Mit „Wir suchen Dich“ beginnen gefühlt inzwischen 90 Prozent der Stellenausschreibungen. Die richtige Ansprache für die Zielgruppe ist das A und O. Was bitte sind „bunte Jobs“??? Diversity bedeutet übrigens nicht, bestimmte Gruppen ansprechen zu wollen, indem man sie dafür in einen Topf wirft und dann mit einem Pürierstab zu einer glatten Masse verarbeitet, die man anschließend undifferenziert zusülzt. Wie man in den sozialen Medien liest, zeigen sich beispielsweise queere Menschen empört darüber, mit Gehandicapten in einem Atemzug genannt zu werden. Wie beim Dating auch, tappt man in ein übles Fettnäpfchen, wenn man die angeblich auserwählte Person bzw. Zielgruppe mit dem „falschen“ Namen anspricht.
Echtes Interesse zeigen
Viele Stellenangebote gehen immer noch zu sehr von inhaltlichen Anforderungen aus als vom echten Menschen, der diese Arbeit dann schaffen soll. Sich für das Gegenüber zu interessieren, bedeutet nicht, mit möglichst hochtrabendendem Gerede von sich zu überzeugen wie ein eitler Gockel. Also: Mehr an den Mehrwert des Menschen denken (und darüber sprechen), statt stets nur auf seinen eigenen Wert fokussiert zu sein. Dann fühlt der andere sich auch gewollt, gebraucht und möchte gern kommen und auch bleiben.
„Freunde“ fragen?
Was gibt es Besseres, als andere über einen sprechen zu lassen, die es wissen müssen? Deshalb kommt es gut an, die eigenen Mitarbeiter als Unternehmensstimme einzubeziehen. Jeder von uns hat sicher schon versucht, über Freunde und Bekannte mehr herauszufinden, über eine bestimmte Person, die wir interessant fanden.
Gelesen werden eben nicht nur vorwiegend die Schaltungen aus dem HR-Recruiting-Marketing, sondern sehr beliebt sind insbesondere die Beiträge, Storys oder Empfehlungen aus dem Netzwerk. Ewig hin und her schreiben bringt weder im Dating noch im Recruiting wirklich etwas, denn es geht hier ja nicht um Brieffreundschaften. Der direkte Kontakt muss das nächste Ziel sein.
Die Kunst des „Verführens“
Für die Arbeitgeberpositionierung und Glaubwürdigkeit ist es aber immens wichtig geworden, wenn man in Social Media auch das lebt, was man in der Stellenanzeige und auf der Karriereseite beschreibt und verspricht – und das möglichst kontinuierlich. Wie auch in jeder „Balzphase“ heißt es: Dranbleiben statt alles zuzuquatschen. Das Active Sourcing bedeutet nicht nur, initial mit dem potenziellen Job-Kandidaten in Kontakt zu treten und danach abzuwarten. Die Kunst ist es, in Verbindung zu bleiben, ohne zu nerven – also bloß keine „Stalker-Allüren“ entwickeln. Wer es schafft, dezent und angenehm zu interagieren, der bleibt als „Verehrer“ positiv im Gedächtnis des potenziellen Mitarbeiters und könnte vielleicht nicht nur das nächste Date, sondern das „perfect Match“ sein.
Gefühlsecht agieren
Weil man ja auch ein bisschen was zu gucken haben will, lohnt es sich natürlich, begeisternde Videos, Grafiken und Audios zu produzieren. Inwiefern und inwieweit man dafür Online-Marketing-Experten zurate ziehen will, sollte man dabei genau bedenken – denn nicht wenige Agenturen geben sich über Nacht als wahre HR-Spezialisten aus. Auch wenn gerade der Trend in den USA zum „Romance-Ghostwriter“ geht, so müsste sich das immerhin insofern lohnen, als der Cyrano-de-Bergerac-Effekt dem absoluten Authentizitismus nahekommt. Nur was echt ist, hält auch.
Gemeinsam lachen
Wie simpel es gelingen kann, aus einer vermeintlichen „Quatsch-Idee“ eine erfolgreiche Employeer-Branding-Maßnahme zu machen, darüber berichtet Selma Sadikovic (HR Lead bei SNOCKS, Speakerin und Freelance-HR-Beraterin für Start-ups). Seit fast einem Jahr erscheint jeden Freitag auf dem SNOCKS-Instagram-Account eine Folge des eigenen Formats. Das Prinzip ist einfach: Wöchentlich wird ein Job herausgepickt, der vorgestellt werden soll. Statt die Infos in ein Slide zu packen und einen Link hinzuzufügen, sucht das SNOCKS-Team rund um das Themengebiet des Jobs ein Meme in Videoform aus, das dann in eine Moderation eingebunden wird. Das Ergebnis: witzige Storys mit Wiedererkennungswert. Selma Sadikovic ist überzeugt, dass darin auch das Geheimnis des Erfolgs liegt: „Das Format will nicht viel, es will in erster Linie unterhalten. Und schickt so auch direkt subtil eine Message mit: Ein Arbeitgeber, der solche Videos macht, um seine Jobs zu promoten, muss doch irgendwie ‚cool‘ sein, oder?“ Nicht nur beim Dating erweist es sich immer wieder: Wer denselben Humor teilt, versteht sich auch sonst gut. Zudem punktet der Faktor Natürlichkeit hier enorm.
Ghosting – geht gar nicht!
Wer kennt es nicht, als man noch Bewerbungsmappen verschickt hat, von denen man wusste, man bekommt mindestens die Hälfte keinesfalls zurück. Diese „Unsitte“ hat vor dem digitalen Zeitalter leider nicht Halt gemacht. Im Dating spricht man bereits länger vom „Ghosting“ – im Recruiting leistet man sich diese Unhöflichkeit ebenso noch viel zu oft. Und das, während man als Unternehmen gerade noch gepostet hat, wie cool und easy es ist, dass hier schnell und unkompliziert kurz etwas hochgeladen werden kann. Reagiert wird natürlich nur, wenn es sofort „perfekt matched“. Das geschieht auch, wenn der Bewerber genau gesehen hat, wer von der HR oder den Geschäftsführern kurz mal das Profil „gestalkt“ hat. Da wurde man dann eben als Mensch und potenzieller Mitarbeiter einfach kurz „nach links geswipt“ und kommentarlos aussortiert. Vielleicht kein Grund, ein „Profil zu melden“, aber ein durchaus gerechtfertigter Anlass, das Unternehmen auf entsprechenden Portalen für den schlechten Stil ebenso zu bewerten.
Die gleiche Sprache sprechen
Sie sind eindeutig im Kommen: die hohen Ansprüche an den Social-Media-Content der Arbeitgeber. Da vor allem bereits die Generation Z über die Social-Media-Kanäle sehr viel (Video-)Content konsumiert und diesen auch selbst produziert, muss man sich künftig im Recruiting einiges einfallen lassen. Ein qualitativ ansprechender Content unter Einbindung der entsprechenden Kanalfeatures (Filter, Memes, Typen, Sticker usw.) wird zukünftig für Unternehmens-Accounts noch weiter an Bedeutung gewinnen. Mit ein paar Likes, Smilies oder Herzchen wird man hier nicht mehr weit kommen, sondern sich wohl schon bald mit den angesagten Emoticons der Generation-Z-Kandidaten beschäftigen müssen. TikTok wird dabei voraussichtlich der Social-Media-Kanal sein, der die Generation Alpha am meisten prägen wird. Die Content-Ansprüche der Generation Alpha werden gerade in puncto „Schnelligkeit“ noch einen Schritt weiter gehen, wodurch Realtime-Content für diese Generation eine noch größere Rolle spielen wird, wie aktuelle Trendforschungen belegen. Im Vergleich zu Instagram und Co. wird dann also auf kurzfristige und unerwartete Bilder gesetzt statt auf lang geplanten Content. Sich erfolgreich einen ansprechenden jüngeren Kandidaten zu angeln, galt ja auch schon immer beim Dating als die „Königsdisziplin“ und Kür – also: Ran an die Matches!
Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin + Recruiting-Spezialistin