Lohnsteuerrecht : Einführungsseminar und Steuerpflicht
Sensibilisierungswoche durch Arbeitgeber ist steuerpflichtiger Arbeitslohn
Fällt eine Sensibilisierungswoche, die der Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer anbietet, unter den steuerpflichtigen Arbeitslohn? Mit dieser Frage befasste sich der Bundesgerichtshof (BFH) und entschied mit Urteil zum Aktenzeichen VI R 10/17, dass der Arbeitgeber mit der Teilnahme an einer Sensibilisierungswoche seinen Arbeitnehmern steuerbaren Arbeitslohn zuwendet.
Die Arbeitgeberin erstellte ein Konzept, das dazu dienen sollte, die Beschäftigungsfähigkeit, Leistungsfähigkeit und Motivation der aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmend alternden Belegschaft zu erhalten. Im Rahmen dieses Konzepts bot die Arbeitgeberin ihren Arbeitnehmern ein einwöchiges Einführungsseminar zur Vermittlung grundlegender Erkenntnisse über einen gesunden Lebensstil an. Diese sog. Sensibilisierungswoche umfasste u. a. Veranstaltungen, Kurse und Workshops betreffend Ernährung und Bewegung, Körperwahrnehmung und Eigendiagnostik, (Herz-Kreislauf-)Training und Belastung, Achtsamkeit, Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit sowie ein Koordinationstraining für den Alltag.
Nach dem von der Arbeitgeberin erstellten Material war die Sensibilisierungswoche ein unverzichtbarer strategischer Grundpfeiler der Personal-, Persönlichkeits- und Organisationsentwicklung. Es gehe darum, Führungsstil, Mitbestimmung, Umgang und Kommunikation im Hinblick auf gesundheitliche Auswirkungen zu überprüfen.
Das Angebot richtete sich an sämtliche Mitarbeiter der Arbeitgeberin. Eine Pflicht zur Teilnahme an der Sensibilisierungswoche bestand nicht. Hatte ein Arbeitnehmer die Teilnahme zugesagt, war er aber verpflichtet, an der Sensibilisierungswoche teilzunehmen. Bei Verletzung dieser Verpflichtung drohten Sanktionen. Die Teilnehmer hatten einen dies regelnden Vertrag zu unterzeichnen.
Die Kosten für die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche bezifferte die Klägerin auf ca. 1.300 Euro pro Mitarbeiter (Übernachtungskosten für sechs Übernachtungen 204 Euro, Verpflegungskosten 330 Euro und Seminarkosten 766 Euro). Diese Kosten übernahm die Arbeitgeberin. Die Fahrtkosten hatten die teilnehmenden Arbeitnehmer selbst zu tragen. Sie hatten für die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche zudem Zeitguthaben oder Urlaubstage aufzuwenden.
Im Streitzeitraum (2008 bis 2010) nahmen ca. 16,5 Prozent der Arbeitnehmer der Klägerin an einer solchen Sensibilisierungswoche teil. Zwei gesetzliche Krankenkassen beteiligten sich mit Zuschüssen gemäß § 20a SGB V an den Kosten der Sensibilisierungswochen. Die Arbeitgeberin wurde für ihren Einsatz zugunsten ihrer Mitarbeiter mehrfach ausgezeichnet.
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung vertrat das Finanzamt die Auffassung, die Arbeitgeberin habe ihren Arbeitnehmern durch die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche Sachbezüge zugewandt, die lediglich in dem gemäß § 3 Nr. 34 EStG beschriebenen Umfang steuerfrei zu belassen seien. Das Finanzamt forderte daher Lohnsteuer einschließlich Nebenabgaben nach. Das Finanzgericht bestätigte die Auffassung des Finanzamtes.
Die Richter des BFH gaben dem Finanzamt Recht.
Zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit gehören gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG -neben Gehältern und Löhnen – auch andere Bezüge und Vorteile, die „für“ eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, unabhängig davon, ob ein Rechtsanspruch auf sie besteht und ob es sich um laufende oder um einmalige Bezüge handelt (§ 19 Abs. 1 Satz 2 EStG). Diese Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind, ohne dass ihnen eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers zugrunde liegen muss. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich die Leistung des Arbeitgebers also im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist.
Vorteile, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen erweisen, sind dagegen nicht als Arbeitslohn anzusehen. Vorteile besitzen danach keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Das ist der Fall, so die Richter, wenn sich aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergibt, dass diese Zielsetzung ganz im Vordergrund steht und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden kann.
Ob sich eine unentgeltlich oder verbilligt überlassene Sachzuwendung als geldwerter Vorteil oder als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung des Arbeitgebers erweist, hängt folglich von den Umständen des Einzelfalls ab, so die Richter. Ergibt die Würdigung aller Umstände des Einzelfalls, dass die Zuwendung ausschließlich oder ganz überwiegend der Entlohnung des Arbeitnehmers dient, ist der geldwerte Vorteil in voller Höhe Arbeitslohn. Ergibt die Würdigung demgegenüber, dass sich die Zuwendung nahezu ausschließlich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweist, liegt insgesamt kein steuerpflichtiger Arbeitslohn vor. Dies gilt nach Auffassung der Richter auch, wenn die Zuwendung für den Arbeitnehmer mit angenehmen Begleitumständen verbunden ist.
Eine Sachzuwendung kann nach der Ansicht der Richter auch gemischt veranlasst sein, so dass eine Aufteilung in Arbeitslohn und eine Zuwendung im betrieblichen Eigeninteresse in Betracht kommt.
Nach der bisherigen Rechtsprechung ist z. B. in der Übernahme von Kurkosten durch den Arbeitgeber grundsätzlich Arbeitslohn zu sehen. Dagegen können vom Arbeitgeber veranlasste unentgeltliche Vorsorgeuntersuchungen ebenso im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse liegen wie Maßnahmen zur Vermeidung berufsbedingter Krankheiten.
Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichtes handelte es sich bei der Sensibilisierungswoche um eine gesundheitspräventive Maßnahme der Arbeitgeberin für ihre Arbeitnehmer, die keinen Bezug zu berufsspezifisch bedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufwies. Nach dem Inhalt des festgestellten Wochenplans bildete die Gesundheitsvorsorge einen Hauptgegenstand der Sensibilisierungswoche. Dem entspricht es, dass zwei gesetzliche Krankenkassen im Zusammenhang mit der Sensibilisierungswoche Leistungen zur Gesundheitsförderung und Prävention nach §§ 20, 20a SGB V erbrachten. Die Sensibilisierungswoche vermittelte nach Auffassung der Richter nach dem Wochenplan insbesondere Erkenntnisse über einen gesunden Lebensstil. Neben allgemeinen Gesundheitsfragen wurden im Rahmen der Sensibilisierungswoche auch Themen wie Burnout, Stressbewältigung und die Erkennung eigener Defizite behandelt.
Nach Ansicht der Richter gewährte die Arbeitgeberin ihren Arbeitnehmern durch die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche hiernach Vorteile, die mit der Gesundheitsförderung in den Bereich der Lebensführung fielen. Die Arbeitnehmer waren durch diese Zuwendungen privat bereichert. Die Zuwendung der Vorteile war auch durch das Dienstverhältnis veranlasst, so die Richter weiter.
Ob eine Zuwendung durch das Dienstverhältnis veranlasst ist, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung durch das Finanzgericht.
Die persönlichen Auffassungen und Einschätzungen der an der Zuwendung Beteiligten sind insoweit unerheblich, so die Richter. Die tatrichterliche Würdigung der finanzgerichtlichen Richter, dass sich die Zuwendung der Sensibilisierungswoche im weitesten Sinne als Gegenleistung der Arbeitgeberin an die teilnehmenden Arbeitnehmer für das Zurverfügungstellen ihrer individuellen Arbeitskraft darstellte, hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
Nach Ansicht der Richter stand die Zuwendung im wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis und stellte für die teilnehmenden Arbeitnehmer eine Frucht ihrer Arbeitsleistung dar. Anhaltspunkte dafür, dass die Zuwendung auf einer neben dem Arbeitsverhältnis bestehenden Sonderrechtsbeziehung zwischen der Arbeitgeberin und ihren Arbeitnehmern beruhte, hat das Finanzgericht nicht festgestellt.
Das Finanzgericht hat auch ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Arbeitgeberin an der Zuwendung in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise verneint. Die Würdigung der Richter des Finanzgerichtes aus den Begleitumständen der Zuwendung ergibt nicht, dass der von der Arbeitgeberin mit der Sensibilisierungswoche zweifellos auch verfolgte betriebliche Zweck ganz im Vordergrund stand und ein damit einhergehendes eigenes Interesse der Arbeitnehmer, den Vorteil zu erlangen, deshalb vernachlässigt werden konnte.
Dafür sprachen folgende Gründe: Die Arbeitnehmer waren nach den Feststellungen der Vorinstanz arbeitsrechtlich nicht verpflichtet, an der Sensibilisierungswoche teilzunehmen. Die Teilnahme war vielmehr freiwillig. Die Arbeitnehmer, die sich für die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche entschieden hatten, verpflichteten sich erst aufgrund einer gesonderten mit der Arbeitgeberin getroffenen Vereinbarung, während der Sensibilisierungswoche anwesend zu sein.
Die Richter des Finanzgerichtes konnten auch nicht feststellen, dass es der Schwerpunkt des Programms der Sensibilisierungswoche gewesen sei, ein verändertes Führungsverhalten und ein anderes Miteinander-Umgehen in den Betrieben anzustoßen. Das Programm der Sensibilisierungswoche und die daraus abgeleitete Würdigung der Veranstaltung als gesundheitspräventive Maßnahme auf freiwilliger Basis stehen nach Auffassung der Richter der Annahme entgegen, die Woche als betriebliche Fortbildungsveranstaltung anzusehen.
Gegen ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Arbeitgeberin spricht außerdem, dass die Teilnahme der Arbeitnehmer an der Sensibilisierungswoche nicht als Arbeitszeit zählte oder die Arbeitgeberin die Sensibilisierungswoche nicht zumindest auf die Arbeitszeit anrechnete. Vielmehr mussten die Arbeitnehmer für die Teilnahme an der Sensibilisierungswoche Urlaub nehmen oder ihr Zeitguthaben aufwenden. Fahrtkosten mussten die teilnehmenden Arbeitnehmer ebenfalls selbst tragen.
Nach Auffassung der Richter liegt eine gesunde, leistungsbereite und leistungsfähige Arbeitnehmerschaft im Übrigen stets im eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers. Daraus folgt aber nicht, dass das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Gesunderhaltung seiner Arbeitnehmer es von vornherein ausschließt, eine Zuwendung an die Arbeitnehmer zur Gesundheitsförderung als Arbeitslohn zu qualifizieren.
Das Finanzgericht hat es auch zu Recht abgelehnt, so die Richter des BFH, die Aufwendungen der Arbeitgeberin für die Sensibilisierungswoche als gemischt veranlasst anzusehen. Denn eine Aufteilung von Sachzuwendungen an Arbeitnehmer in Arbeitslohn und Zuwendungen im betrieblichen Eigeninteresse scheidet aus, wenn die jeweiligen Veranlassungsbeiträge so ineinandergreifen, dass eine Trennung nicht möglich und daher von einer einheitlich zu beurteilenden Zuwendung auszugehen ist.
Die Sensibilisierungswoche kann nach Auffassung der Richter nur einheitlich beurteilt werden. Sie kann nicht in betriebsfunktionale Bestandteile und Elemente mit Vorteilscharakter aufgeteilt werden.
Praxishinweis:
Maßnahmen des Arbeitgebers für die Gesundheitsvorsorge der Belegschaft, die keinen Bezug zu berufsspezifischen Gesundheitsbeeinträchtigungen aufweisen, führen zu Arbeitslohn, wenn sie sich bei objektiver Würdigung aller Umstände als Entlohnung darstellen. Dies hat der BFH für die Sensibilisierungswoche bejaht, da es sich um eine allgemein gesundheitspräventive Maßnahme auf freiwilliger Basis handelte. Maßnahmen zur Vermeidung berufsspezifischer Erkrankungen können hingegen im ganz überwiegenden eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegen und deshalb nicht als Arbeitslohn einzustufen sein. Zudem kommt für Leistungen des Arbeitgebers zur betrieblichen Gesundheitsförderung eine Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Betracht.
Dieser Hinweis ist entscheidend, um die steuerliche Behandlung von Gesundheitsförderungsmaßnahmen im Rahmen von Arbeitsverhältnissen richtig zu erfassen und deutet darauf hin, dass die spezifische Natur und der Kontext der Maßnahme wesentlich sind, um ihre steuerliche Behandlung zu bestimmen.