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Sozialversicherung : Minijobs – Arbeit auf Abruf als trojanisches Pferd

Lesezeit 5 Min.

Die neuen Bestimmungen zur Arbeit auf Abruf wirken in der Welt der Minijobs wie ein trojanisches Pferd. Der Überraschungseffekt lässt viele Personalabteilungen und Lohnbüros aufschrecken. Was ist passiert? Der nachfolgende Beitrag zeigt die potenziellen Risiken und nennt die notwendigen Maßnahmen für Arbeitgeber.

Hintergrund
Mindestens 1,8 Millionen Menschen arbeiteten 2016 nach Zahlen des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) auf Abruf und die Kritik wurde mit der Zeit immer lauter. Es handle sich um ein Arbeitsverhältnis, das in vielen Branchen und besonders häufig im Einzelhandel, in der Hotellerie und Gastronomie anzutreffen ist sowie in der gewerblichen Personenbeförderung (Busse, Taxis). Es sind Branchen, in denen Mitarbeiter als Flexibilisierungspotential dienen, die wenig Sicherheit für ihre Einkommensperspektive haben oder für die Planbarkeit, was den einzelnen Tag betrifft.

Was ist Arbeit auf Abruf?
Arbeit auf Abruf liegt vor, wenn sowohl die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden als auch die zu zahlende Vergütung schwankt. Denn in diesem Fall wälzt der Arbeitgeber sein Auslastungsrisiko auf den Arbeitnehmer ab. Die Arbeit auf Abruf zählt daher zu den Formen der Teilzeitarbeit und ist im Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) gesetzlich geregelt. Zum 01.01.2019 traten Rechtsänderungen der Arbeit auf Abruf im § 12 TzBfG mit folgenden Neuerungen und Auswirkungen in Kraft.

Risiken der Arbeit auf Abruf
Wie bisher gilt, wer als Arbeitgeber Arbeit auf Abruf im Betrieb vereinbaren möchte, muss die zu leistenden Arbeitsstunden als regelmäßige Wochenarbeitszeit vereinbaren. Tut er dies nicht, wird die Wochenarbeitszeit gesetzlich vermutet. Diese vermutete Wochenarbeitszeit lag bisher bei zehn Stunden. Nun wurde zum 01.01.2019 dieser Wert gem. § 12 Abs. 1 S. 3 TzBfG auf 20 Stunden pro Woche angehoben. Dies ist brisant, weil es wegen der Pflicht zur Einhaltung des Mindestlohns (seit 01.01.2019: 9,19 Euro pro Stunde) zum Verlust des Minijobs kommt. Dies resultiert aus der rechnerischen Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze von 450 Euro. Wie kann das geschehen? Nun, in Verbindung mit dem gesetzlichen Mindestlohn wird bei der versicherungsrechtlichen Beurteilung ein Phantomlohn von 796,47 Euro pro Monat als fiktive Bemessungsgrundlage für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zugrunde gelegt.

Arbeit auf Abruf

Arbeit auf Abruf 2018

Arbeit auf Abruf 2019

vermutete 10-Stunden-Woche

vermutete 20-Stunden-Woche

Mindestlohn von 8,84 Euro

Mindestlohn von 9,19 Euro

Phantomlohn: 383,07 Euro

Phantomlohn: 796,47 Euro

Grenzen der Arbeit auf Abruf
Im Einzelnen schreibt das Gesetz folgende Grenzen der Abrufarbeit vor: Die arbeitsvertragliche Vereinbarung über die Arbeit auf Abruf muss eine bestimmte Mindestdauer der wöchentlichen Arbeitszeit und der täglichen Arbeitszeit festlegen, also z. B. acht Stunden pro Woche bei mindestens vier Stunden Arbeit pro Tag. Wenn die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit entgegen dieser gesetzlichen Vorschrift nicht vertraglich festgelegt ist, gilt eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden als vereinbart. Wenn die Dauer der täglichen Arbeitszeit entgegen dem Gesetz nicht festgelegt ist, hat der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers täglich jeweils für mindestens drei aufeinanderfolgende Stunden abzurufen. Außerdem ist der Arbeitnehmer nur dann zur Arbeitsleistung verpflichtet, wenn der Arbeitgeber ihm die Lage seiner Arbeitszeit innerhalb der gesetzlichen Ankündigungsfrist – das sind jeweils mindestens vier Tage – im Voraus mitteilt.

Im Zusammenhang mit der Arbeit auf Abruf gibt es klare gesetzliche Regelungen, die nicht einfach umgangen werden können. Beispielsweise hat das Landesarbeitsgericht Bremen entschieden, dass bei einer vertraglich vereinbarten Arbeitszeit von zehn Stunden, die tatsächlich aber regelmäßig zwischen 20 und 30 Stunden liegt, der Arbeitgeber verpflichtet sein kann, mindestens 20 Stunden pro Woche zuzuweisen.

Des Weiteren hat die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts Grenzen für die Flexibilisierung von Mindest- und Höchstarbeitszeiten gesetzt. Ist eine Mindestarbeitszeit festgelegt, darf der Arbeitgeber maximal 25% zusätzliche Arbeitszeit abrufen. Bei einer vereinbarten Höchstarbeitszeit kann der Arbeitgeber hingegen nur bis zu 20% weniger Stunden abrufen. Diese gesetzlichen Vorgaben bieten einen Rahmen, um faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten und die Rechte der Arbeitnehmer zu schützen.

 

Lohn

Mindestlohn

Phantomlohn

Arbeitnehmer können den Mindestlohn bis zu drei Jahre geltend machen.

Die Deutsche Rentenversicherung wird den Gesamtsozialbeitrag bis zu vier Jahre nachfordern.

Arbeitnehmer können bei Unterschreiten des gesetzlichen Mindestlohns innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfristen den Lohn nachfordern. Wegen des arbeitsrechtlichen Entstehungsprinzips für laufendes Arbeitsentgelt in der Sozialversicherung wird die Deutsche Rentenversicherung im Rahmen von Sozialversicherungsprüfungen auch dann Sozialversicherungsbeiträge und Umlagen sowie Säumniszuschläge nachfordern, wenn die betroffenen Arbeitnehmer keine Kenntnis von dieser rechtlichen Situation erhalten und folglich keine weiteren Lohnforderungen geltend gemacht haben. Im Übrigen muss die Deutschen Rentenversicherung bei Kenntnis von Mindestlohnunterschreitungen eine Pflichtmeldung an den Zoll machen. Dies hat zur Folge, dass Bußgeldverfahren eingeleitet werden, die in ihrer gewerberechtlichen Dimension bis zum Verlust der Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen führen können.

Gesetzliche Vorgaben zur Entgeltfortzahlung

Das Bundesarbeitsgericht hatte in der Vergangenheit (u. a. Urteil v. 26.06.2002, Az. 5 AZR 592/00) entschieden, dass bei unregelmäßigen Schwankungen der individuellen Arbeitszeit zur Bestimmung der ausgefallenen „regelmäßigen“ Arbeitszeit der Durchschnitt der vergangenen zwölf Monate heranzuziehen ist. Hier sind Krankheits- und Urlaubstage nicht in die Durchschnittsberechnung einzubeziehen, soweit die ausgefallene Arbeitszeit selbst auf einer Durchschnittsberechnung beruht. Nun wurde gesetzlich geregelt, was im Falle der Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit sowie an gesetzlichen Feiertagen gilt (§ 12 Abs. 4 und 5 TzBfG). Zur Berechnung der Entgeltfortzahlung ist als maßgebliche Arbeitszeit für den betreffenden Tag der Entgeltfortzahlung die durchschnittliche Arbeitszeit der letzten drei Monate vor der Arbeitsunfähigkeit bzw. vor dem Feiertag zugrunde zu legen. Es ist das Günstigkeitsprinzip anzuwenden. Das heißt, dass für den Arbeitnehmer günstigere Berechnungen aufgrund individualrechtlicher (Arbeitsvertrag) oder kollektivrechtlicher (Tarifvertrag) Regelungen der beschriebenen gesetzlichen Berechnungsweise vorzuziehen sind.

Vorgaben für die rechtssichere Vertragsgestaltung

Wird Arbeit auf Abruf vereinbart, ist eine feste Wochenstundenzahl verbindlich festzulegen. Denn nur dann ist sichergestellt, dass die geringfügige Beschäftigung gem. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV (Minijob) auch einer sozialrechtlichen Prüfung standhält. Ebenfalls ist es notwendig, die tägliche Arbeitszeit festzulegen. Wenn dies vergessen wird, muss der Arbeitgeber die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers gem. § 12 Abs. 1 S. 4 TzBfG für mindestens drei aufeinanderfolgende Stunden in Anspruch nehmen. Schließlich muss der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Lage seiner Arbeitszeit gem. § 12 Abs. 3 TzBfG vier Tage im Voraus mitteilen. Wenn der Arbeitgeber dies versäumt, ist der Arbeitnehmer berechtigt, seine Arbeitsleistung zu verweigern. Unterschreitet der Arbeitgeber die vier Tage, kann der Arbeitnehmer trotzdem zur Arbeit antreten.

Dringender Handlungsbedarf bei Arbeit auf Abruf

Soweit die Arbeitszeit der Minijobber bisher vertraglich nicht fixiert ist oder nur lockere Absprachen bestehen, sollten die bestehenden Arbeitsverträge der geringfügig entlohnt Beschäftigten ergänzt und die vereinbarte Arbeitszeit schriftlich – d. h. durch eigenhändige Unterschrift der Vertragsparteien – festgelegt werden. Nur dann ist sichergestellt, dass künftige Sozialversicherungsprüfungen der Deutschen Rentenversicherung in diesem Punkt risikofrei erfolgen.

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