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Lohnsteuerrecht : Anhängige Revisionsverfahren zum Begriff der ersten Tätigkeitsstätte

Lesezeit 6 Min.

Seit 2014 ist die erste Tätigkeitsstätte gesetzlich in § 9 Abs. 4 EStG definiert. Danach liegt diese bei einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten vor, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Die Zuordnung wird durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Das Kriterium dauerhaft ist gegeben, wenn ein Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer Tätigkeitsstätte tätig werden soll.

Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte und hat er nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen, liegt ein sog. Sammelpunkt vor. Mittlerweile gibt es einige Revisionsverfahren beim BFH zur Frage der ersten Tätigkeitsstätte. Hier ein Überblick:

1. Hafengebiet

Mit Urteil vom 30.08.2016 hat das Finanzgericht (FG) Hamburg entschieden (Aktenzeichen 2 K 218/15), dass Arbeiter des Gesamthafenbetriebs Hamburg zwar keine erste Tätigkeitsstätte haben, aber der Hafen für den Gesamthafenarbeiter ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet darstellt.
Der Arbeitnehmer war arbeitsvertraglich verpflichtet, typischerweise arbeitstäglich zu Hafeneinzelbetrieben zu kommen, die im Hafengebiet ansässig und tätig sind. Nach Auffassung des Arbeitgebers sei er als Gesamthafenarbeiter bei der Gesamthafenbetriebs-Gesellschaft als Leiharbeiter tätig. Er erfahre seine Einsatzorte oft sehr kurzfristig. Er arbeite nicht in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet, sondern an verschiedenen, gegebenenfalls sogar ständig wechselnden Tätigkeitsstätten.
Das FG hat sich aber der Auffassung des Finanzamtes angeschlossen, wonach von einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet auszugehen sei. Ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet erfordere, dass eine Fläche von einer bestimmten (Mindest-)Größe – „weiträumig“ – vorliegt, die auf dienst- oder arbeitsrechtlicher Grundlage als typischerweise arbeitstäglicher Tätigkeitsbereich festgelegt wird.
Die Revision hat das Aktenzeichen VI R 36/16.

2. Fliegendes Personal

Das FG Hamburg hat mit Urteil vom 13.10.2016 zum Aktenzeichen 6 K 20/16 entschieden, ob ein Pilot für die Fahrten zwischen seinem Wohnsitz und dem Stationierungs- oder Heimatflughafen seit dem 01.01.2014 nur noch die Entfernungspauschale als Werbungskosten geltend machen darf.
Das FG folgte der Auffassung des Finanzamtes und entschied, dass erste Tätigkeitsstätte der Heimatflughafen ist, dem man im Arbeitsvertrag zugewiesen wurde. Entscheidend sei, dass der Arbeitgeber die Zuordnungsentscheidung tatsächlich und dauerhaft getroffen habe und der Betroffene sich in seiner privaten Lebensgestaltung darauf hätte einrichten können. Der Umfang der am Flughafen zu erbringenden Vor- und Nachbereitung der Flugeinsätze reiche aus, um den Flughafen als „Tätigkeitsstätte“ zu bezeichnen. Die Revision hat das Aktenzeichen VI R 40/16.
Wie das FG Hamburg hat auch das FG Hessen zum fliegenden Personal mit Urteil vom 23.02.2017 zum Aktenzeichen 1 K 1824/15 entschieden, dass der Stationierungs- oder Heimatflughafen, der einem Flugzeugführer bzw. einer Flugbegleiterin vom Arbeitgeber im Arbeitsvertrag unbefristet zugewiesen wird und an dem sie ihre Einsätze regelmäßig beginnen und beenden, ihre erste Tätigkeitsstätte ist. Auch hier wurde Revision eingelegt, welche unter dem Az. VI R 17/17 beim BFH anhängig ist.

3. Leiharbeitnehmer

Das FG Niedersachsen hat mit Urteil vom 30.11.2016 zum Aktenzeichen 9 K 130/16 entschieden, dass ein Leiharbeitnehmer im Betrieb des Entleihers keine erste Tätigkeitsstätte hat.
Im entschiedenen Fall war der Arbeitnehmer ganzjährig für einen Entleihbetrieb tätig, welchem er laut Arbeitsvertrag „bis auf Weiteres“ überlassen wurde. Das Finanzamt ging dabei von einer dauerhaften Zuordnung zum Entleihbetrieb aus. So sieht es auch das BMF-Schreiben vom 24.10.2014, BStBl 2014 I S. 1412, Tz. 13 vor.
Das FG widersprach dieser Auffassung. Die Zuweisung des Leiharbeitgebers, „bis auf Weiteres“ in einer betrieblichen Einrichtung des Entleihers tätig zu sein, könne nicht als unbefristet i. S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alt. EStG angesehen werden. Das FG geht darüber hinaus davon aus, dass aufgrund der gesetzlichen Beschränkung der Arbeitnehmerüberlassung in § 1 Abs. 1 Satz 2 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz bereits aus Rechtsgründen bei Leiharbeitsverhältnissen keine dauerhafte (sondern nur eine vorübergehende) Zuordnung zu einem Entleihbetrieb denkbar ist.
Die Revision hat das Aktenzeichen VI R 6/17.

4. Polizeibeamte im Streifendienst

Für einen Polizeibeamten im Streifendienst hat das FG Niedersachsen mit Urteil vom 24.04.2017 mit Aktenzeichen 2 K 168/16 entschieden, dass auch der Polizist an der Dienststelle eine erste Tätigkeitsstätte begründet. Die Revision ist unter dem Aktenzeichen VI R 27/17 anhängig.

5. Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte

Das FG Münster hat mit Urteil vom 24.01.2018 zum Aktenzeichen 7 K 1007/17 E im Falle eines Auslandssemesters entschieden, dass eine Universität nicht nur im Fall eines vollständigen Auslandsstudiums, sondern auch im Fall eines Auslandssemesters als erste Tätigkeitsstätte des Studenten anzusehen ist. Das FG Münster schließt aus § 9 Abs. 4 Satz 8 EStG, dass die für Arbeitnehmer geltenden Regelungen nicht für Studenten gelten, sondern allein für das Vorliegen einer ersten Tätigkeitsstätte entscheidend ist, dass eine Bildungseinrichtung aufgesucht wird. Die Bildungseinrichtung im Inland könne während des Auslandssemesters nicht als erste Tätigkeitsstätte angesehen werden, weil diese tatsächlich nicht aufgesucht wird. Die Revision hat das Aktenzeichen VI R 3/18.

Ein weiteres Revisionsverfahren zur Frage der Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte ist unter dem Aktenzeichen VI R 24/18 anhängig. Hier hatte sich das FG Nürnberg mit Urteil vom 09.05.2018 zum Aktenzeichen 5 K 167/17 mit der Frage zu beschäftigen, ob bei einem auf mehr als drei Monate angelegten, in Vollzeit außerhalb eines Arbeitsverhältnisses absolvierten Fortbildungslehrgang am Ort der Bildungseinrichtung eine erste Tätigkeitsstätte besteht. Das FG kam auch hier zu dem Ergebnis, dass die Bildungseinrichtung als erste Tätigkeitsstätte anzusehen ist. Dem stehe auch die befristete Lehrgangsdauer von gut drei Monaten nicht entgegen, weil der Gesetzeswortlaut nicht von einer Zuordnung für einen bestimmten Zeitraum spricht, sondern vom tatsächlichen Aufsuchen.

6. Entsendungen ins Ausland:

Werden Arbeitnehmer von ihrem Arbeitgeber befristet an ein verbundenes Unternehmen entsandt, stellt sich die Frage, ob beim aufnehmenden Unternehmen eine erste Tätigkeitsstätte vorliegt. Das FG Niedersachsen hatte gleich in mehreren Urteilen vom 19.01.2018 zu den Aktenzeichen 5 K 262/16, 5 K 256/16 und 5 K 266/16 mit der Frage zu tun. In allen Fällen ging es um eine Entsendung nach Amerika, die befristet war für drei Jahre. Mit Beginn des Auslandseinsatzes schloss der Arbeitnehmer einen lokalen Arbeitsvertrag mit der Gastgesellschaft ab, welchen Regeln er auch unterlag.

Das FG ist der Auffassung, dass der Arbeitnehmer der Tätigkeitsstätte in Amerika für die gesamte Dauer seiner Entsendung dauerhaft zugeordnet sei. Die Zuordnung ergäbe sich aus dem Entsendevertrag und aus dem lokalen Arbeitsvertrag, welche zusammen ein arbeitsrechtliches Regelungswerk bildeten. In diesen Verträgen werden mit den Vertragspartnern, der Vertragsdauer, der zugewiesenen Aufgabe, den Arbeitszeiten und der Höhe der Vergütung einschließlich Zusatzleistungen alle vertragswesentlichen Bestandteile eines Arbeitsvertrages geregelt. Zudem werde der Arbeitnehmer dem Direktionsrecht des aufnehmenden Unternehmens in Amerika unterstellt, welches eine dienst- oder arbeitsrechtliche Zuordnung zum ausländischen Tätigkeitsort darstellt. Die Revisionen haben das Aktenzeichen VI R 21/18, 22/18 und 23/18.

7. Lokführer:

Das FG Köln hat mit Urteil vom 11.07.2018 zum Aktenzeichen 4 K 2812/17 entschieden, dass das Einsatzgebiet eines Werkslokführers seine erste Tätigkeitsstätte darstellt. Für die Annahme einer ersten Tätigkeitsstätte genüge bei einem Werkslokführer die firmeneigene Eisenbahn („Werksbahn“) mit ihrem betriebseigenen Schienennetz als Verbindung der betrieblichen Einrichtungen, um von einem insgesamt geschlossenen bzw. zusammenhängenden Gelände des Arbeitgebers ausgehen zu können (weiträumiges Tätigkeitsgebiet). Dies gelte auch dann, wenn die einzelnen betrieblichen Einrichtungen nicht direkt örtlich aneinandergrenzen. Jedenfalls in einem Fall, in dem sich die erste Tätigkeitsstätte nach dem betrieblichen Schienennetz der Werksbahn bestimmt, das schon aus geographischen Gründen als geschlossen und nicht beliebig erweiterbar erscheint und zeitlich innerhalb von 45 Minuten vollständig befahren werden kann, ist noch eine Fläche gegeben, über die sich eine großflächige Tätigkeitsstätte erstrecken kann. Die Revision ist unter dem Aktenzeichen VI R 36/18 anhängig. Das Verfahren gilt aber nicht für Fälle von Lokführern der DB-AG.

Sollte gleichgelagerte Fälle in der Praxis streitig sein, empfiehlt es sich, Einspruch zu erheben und die Verfahren bis zu einer Entscheidung des BFH ruhen zu lassen.

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