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Im Blick: Arbeitsrecht

Lesezeit 16 Min.

Krankheitsbedingte Kündigung: neue Entscheidung zum BEM

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 15.12.2022, 2 AZR 162/22

Krankheitsbedingte Fehlzeiten eines Arbeitnehmers sind für Unternehmen regelmäßig ein nicht unerheblicher Kostenfaktor und bedeuten für Kollegen häufig zusätzliche Belastungen durch Überstunden. Aber auch die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) oder der wirksame Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung stellen Unternehmen vor diverse Fallstricke. Das BAG hat in einer Entscheidung vom 15.12.2022 wichtige Grundsätze in diesem Zusammenhang klargestellt.

Verortung des Urteils

Vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ist dem Arbeitnehmer in der Regel ein BEM gemäß § 167 Abs. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) IX anzubieten. Das BEM ist das zentrale Element, um krankheitsbedingte Fehlzeiten zu reduzieren. Denn das BEM-Verfahren dient der Schaffung individuell angepasster Maßnahmen zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit und der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit, d. h. letztlich des Arbeitsplatzes. Das BEM soll helfen, krankheitsbedingte Kündigungen möglichst zu vermeiden. Adressat kann jeder Beschäftigte unabhängig von einer Voll- oder Teilzeitstelle, einer Schwerbehinderung oder einer Tätigkeit als Beamter sein.

Grundsätzlich muss ein BEM durchgeführt werden, wenn Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkrankt sind. Nicht erforderlich ist, dass die Krankheitstage an einem Stück angefallen sind. Es reicht vielmehr, wenn die Summe häufiger Kurzerkrankungen innerhalb eines Betrachtungszeitraums von 365 Tagen die sechs Wochen tatsächlich übersteigt.

In der Praxis wird das BEM regelmäßig durch den Arbeitgeber angestoßen, der entweder die rechtlichen Voraussetzungen einer krankheitsbedingten Kündigung schaffen möchte oder den Arbeitnehmer schlicht an den Arbeitsalltag heranführen und in diesen integrieren möchte. Zwar ist ein ordnungsgemäß durchgeführtes BEM nach der Rechtsprechung des BAG keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine krankheitsbedingte Kündigung. Allerdings hat in der Praxis eine krankheitsbedingte Kündigung ohne vorheriges ordnungsgemäßes BEM in den allermeisten Fällen keine Aussicht auf Erfolg. Denn ein fehlendes BEM bzw. ein nicht ordnungsgemäßes BEM verschärft die Darlegungs- und Beweislast des Arbeitgebers erheblich. Nach der BAG-Rechtsprechung muss der Arbeitgeber nämlich dann die objektive Nutzlosigkeit des BEM darlegen und beweisen können. Eine solche Darlegung samt Beweis wird der Arbeitgeberseite allerdings nur äußerst selten gelingen.

Der Sachverhalt

Es geht um die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. Die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Klägerin war seit dem 12.12.2014 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt.

Am 24.05.2019 fand auf Initiative der Arbeitnehmerin ein Präventionsgespräch statt, an dem auch Arbeitnehmer des Integrationsamts teilnahmen. Mit Schreiben vom selben Tag lud der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin zu einem BEM ein. Die Arbeitnehmerin nahm diese Einladung an, unterzeichnete allerdings nicht die von dem Beklagten übermittelte datenschutzrechtliche Einwilligung, sondern stellte Rückfragen und wählte eigene Formulierungen. Daraufhin erhielt die Arbeitnehmerin eine Einladung zu einem Gespräch am 24.07.2019. In diesem wurde die Arbeitnehmerin darauf hingewiesen, dass ohne ihre Unterschrift unter die vorformulierte Datenschutzerklärung ein BEM-Verfahren nicht durchgeführt werden könne. In der Folgezeit wies der Arbeitgeber die Arbeitnehmerin mehrfach, zuletzt in einem Gespräch vom 27.08.2019, darauf hin, dass die Durchführung eines BEM ohne die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht möglich sei. In der Zeit vom 17.09.2019 bis zum 29.10.2019 war die Arbeitnehmerin im Rahmen einer Wiedereingliederung tätig.

Nach der Einholung der Zustimmung zur Kündigung seitens des Integrationsamts kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristgemäß zum 31.12.2020. Gegen diese Kündigung erhob die Arbeitnehmerin Kündigungsschutzklage. Das Arbeitsgericht wies die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin ab, das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hob diese Entscheidung mit der Begründung auf, der Arbeitgeber hätte ein erneutes betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen können und müssen.

Krankheitsbedingte Kündigung
Krankheitsbedingte Kündigung

Das BAG gab der Klage ebenfalls statt und stellte die Unwirksamkeit der erfolgten Kündigung fest. Das Gericht betonte, dass vorrangig zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein BEM hätte durchgeführt werden müssen. Kommen Arbeitgeber der Verpflichtung zum BEM nicht nach, seien diese darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein BEM nicht dazu hätte beitragen können, neuerlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten entgegenzuwirken und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Die Durchführung eines BEM ist zwar nicht selbst ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung, so das BAG. § 167 Abs. 2 SGB IX konkretisiere aber den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Mithilfe eines BEM können mildere Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erkannt und entwickelt werden.

Unterlaufen Arbeitgebern bei der Durchführung des BEM Fehler, ist für den Umfang der Darlegungslast von Bedeutung, ob der Fehler Einfluss auf die Möglichkeit hatte oder hätte haben können, Maßnahmen zu identifizieren, die zu einer relevanten Reduktion der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers hätten führen können.

Dem Beklagten hätte die Darlegung oblegen, dass auch mithilfe eines BEM keine milderen Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätten erkannt oder entwickelt werden können. Diese Darlegung ist dem Beklagten nicht gelungen. Stattdessen hatte der Beklagte sich darauf berufen, dass er das BEM angeboten, die Arbeitnehmerin es aber ausgeschlagen habe, indem sie die datenschutzrechtliche Einwilligung nicht erteilt habe.

Damit hatte es sich der Arbeitgeber aber nach Auffassung des BAG zu einfach gemacht. In der bloßen Nichtunterzeichnung der Einwilligung liege noch keine Ausschlagung des BEM-Angebots. Vielmehr sei es dem Arbeitgeber auch ohne diese datenschutzrechtliche Einwilligung möglich und zumutbar gewesen, zunächst mit dem beabsichtigten BEM zu beginnen und mit der Arbeitnehmerin in einem Erstgespräch den möglichen Verfahrensablauf zu besprechen. Datenschutzrechtliche Fragen im Zusammenhang mit der Erhebung und Verarbeitung von Gesundheitsdaten des Arbeitnehmers seien frühestens dann von Bedeutung, wenn sich die Beteiligten des BEM darüber verständigt haben, welche Angaben über den Gesundheitszustand für eine Reduzierung der Arbeitsunfähigkeitszeiten voraussichtlich erforderlich sind.

Kurz erklärt

  • Das BAG folgt mit dieser Entscheidung seiner bisherigen ständigen Rechtsprechung und zeigt wieder einmal die gravierenden kündigungsrechtlichen Konsequenzen bei einem unterbliebenen BEM für Arbeitgeber auf.
  • Das BAG hat die bisherige Rechtsprechung dahingehend ergänzt, dass Arbeitgeber nicht bereits dann auf das BEM verzichten dürfen, wenn die betroffenen Arbeitnehmer keine datenschutzrechtliche Einwilligung erteilen.
  • Die „datenschutzrechtliche Einwilligung“ (§ 26 Abs. 2 Bundesdatenschutzgesetz (BDSG)) ist von der sog. „Zustimmung“ zur Durchführung des BEM-Verfahrens“ (§ 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) zu unterscheiden.

Die Durchführung eines BEM-Verfahrens ist zwar von der Zustimmung des betroffenen Beschäftigten abhängig. Damit ist allerdings nicht geregelt, dass oder welche Daten erhoben werden dürfen, sondern „nur“, dass der Betroffene freiwillig an dem BEM-Verfahren teilnehmen möchte.

  • Das BEM-Verfahren ist gesetzlich nicht an eine datenschutzrechtliche Einwilligung gebunden. • Der Hintergrund ist, dass im Rahmen eines BEM-Verfahrens personenbezogene Daten erhoben werden – und damit geht es noch nicht zwangsläufig um besonders schützenswerte Daten (Art. 9 Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) und § 26 Abs. 3 BDSG), sondern allein um personenbezogene Daten. Für jede Datenerhebung ist eine Rechtsgrundlage erforderlich. Als Rechtsgrundlage kommt die Einwilligung gem. § 26 Abs. 2 BDSG oder ein gesetzlicher Erlaubnistatbestand (§ 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG) in Betracht.

Praxistipp

Bei jeder krankheitsbedingten Kündigung müssen Arbeitgeber prüfen, ob sie verpflichtet sind, ein BEM bei ihren Arbeitnehmer:innen durchzuführen. Jedenfalls nach der aktuellen Entscheidung sollte dabei keine datenschutzrechtliche Einwilligung verlangt werden. Wir raten für die Eröffnung des BEM-Verfahrens nunmehr zum bloßen Hinweis auf die Verwendung der Daten.

Krankheitsbedingte Kündigung 2
Krankheitsbedingte Kündigung 2

Datenschutz: Arbeitnehmerüberwachung bei Amazon

Verwaltungsgericht (VG) Hannover, Urteil vom 09.02.2023, Az. 10 A 6199/20

Die Motive, warum Unternehmen ihre Arbeitnehmer gern „überwachen“ bzw. „kontrollieren“ wollen, sind vielfältig. Amazon hat beispielsweise das Interesse, in einem Logistikzentrum die Arbeitsgeschwindigkeit der Arbeitnehmer fortlaufend zu überwachen. Zu Recht – wie nun das VG Hannover entschied.

Verortung des Urteils

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stuft bislang Maßnahmen von Unternehmen, bei denen Arbeitnehmer einem permanenten Überwachungsdruck ausgesetzt sind, grundsätzlich als rechtswidrig ein. 2017 erklärte es den Einsatz einer „Keylogger-Software“, mit der der Arbeitgeber heimlich und dauerhaft die Tastaturbewegungen von Arbeitnehmern aufzeichnete und auswertete, für unverhältnismäßig und damit unzulässig (Urteil vom 27.07.2017, Az. 2 AZR 681/16).

Rechtlich ist bei der Frage nach einer zulässigen Kontrolle das Datenschutzrecht maßgeblich. Denn bei der Leistungsund/oder Verhaltenskontrolle durch technische Mittel werden personenbezogene Daten der Arbeitnehmer verarbeitet. Dafü  – und somit letztlich für jeden Überwachungsvorgang – braucht der Arbeitgeber einen Erlaubnisgrund. In dem vorliegenden Fall hatte die niedersächsische Datenschutzbehörde Amazon untersagt, in einem Logistikzentrum in Winsen/Luhe mittels einer Software minutengenau und fortlaufend die Arbeitsschritte aufzuzeichnen, die Beschäftigte mit einem Handscanner durchführten. Dies sah das Verwaltungsgericht nun anders.

Der Sachverhalt

Amazon klagte gegen eine Untersagungsverfügung der Niedersächsischen Landesbeauftragten für Datenschutz, die die minutengenaue Erfassung von Quantitäts- und Qualitätsdaten untersagte. Amazon beschäftigt am Standort Winsen in Niedersachsen in einem sogenannten Fulfillment Center zwischen 1.700 und 2.200 Arbeitnehmer. Im Durchschnitt werden ca. 220.000 Pakete am Tag, die einer Termingarantie unterliegen, versandt.

Die Arbeitnehmer verwenden Handscanner, um jeden ihrer Arbeitsschritte zu dokumentieren (z. B. Erfassen des Wareneingangs oder dass Ware in ein Paket verpackt wurde). Die in Echtzeit erhobenen Daten werden von der Klägerin gespeichert und mit der Software „Fulfillment Center Labor Management“ (FCLM) ausgewertet. FCLM ist eine webbasierte Anwendung des Ressourcen- und Leistungsmanagements innerhalb des Logistikzentrums. FCLM enthält außerdem Funktionen, die eine Erfassung und Auswertung von Teamleistungen sowie von individuellen Beschäftigtenleistungen auf den diversen Prozesspfaden des Logistikzentrums ermöglichen.

Zusammengefasst handelt es sich um aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsdaten der Beschäftigten, die ununterbrochen erhoben und zur Erstellung von Quantitätsleistungs- und Qualitätsleistungsprofilen sowie für Feedbackgespräche und Prozessanalysen genutzt werden.

Hinsichtlich der Datenverarbeitungszwecke teilte Amazon Folgendes mit: Aktuelle und minutengenaue individuelle Leistungswerte der Arbeitnehmer würden für die Steuerung der Logistikprozesse benötigt, um auf Leistungsschwankungen durch das Verschieben von Arbeitnehmern in verschiedenen Arbeitsbereichen reagieren zu können. Anhand der Echtzeitdatenverarbeitung könne live ausgewertet werden, ob „schnell“ oder „langsam“ gearbeitet werde und ob Personal umverteilt werden müsse, damit eine gleich hohe Arbeitsverteilung und ein gleichmäßiger Warenfluss, um die Lieferziele einzuhalten, gewährleistet werden können. Anhand der Daten könnten die Arbeitnehmer auch lokalisiert werden, ohne sie zeitaufwendig im Logistikzentrum suchen zu müssen.

Arbeitnehmer erhielten aufgrund der Leistungsdaten ein objektives Feedback, ohne dass ein „Nasenfaktor“ sie beeinflusse. Die Daten würden auch bei Personalentscheidungen berücksichtigt (z. B. Entfristung oder Weiterbefristung von Arbeitsverträgen), die dadurch objektiver würden. Dies forderte auch der Betriebsrat, da Personalentenscheidungen so objektiv seien.

Die Aufsichtsbehörde argumentierte, dass die ununterbrochene, minutengenaue Erhebung der Leistungsdaten rechtswidrig sei; es liege ein Verstoß gegen § 26 BDSG vor. Die Datenauswertung sei zur Erreichung der verfolgten Zwecke geeignet, aber eine dauerhafte Datenerfassung sei für die Zweckerreichung nicht erforderlich. Die Aufsichtsbehörde argumentierte u. a., dass eine befristete sowie anonymisierte Datenerhebung ausreichend sei. Dauerhafte Kontrollen führen zu Anpassungs- und Leistungsdruck.

Die Entscheidung

Krankheitsbedingte Kündigung 3
Krankheitsbedingte Kündigung 3

Das VG entschied, die Datenerhebung ist rechtmäßig und kann auf Art. 88 Abs.1 DS-GVO i. V. m. § 26 Abs.1 Satz 1 BDSG gestützt werden.

Zunächst stellte das VG fest, dass § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG lex specialis zu Art. 6 Abs. 1 lit. b DS-GVO sei, sodass das VG allein § 26 BDSG prüfte. Die Datenverarbeitung sei in diesem Sinne erforderlich. Denn der Arbeitgeber hat an der Verwendung bestimmter Daten ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse. Dieses Interesse muss aus objektiver Sicht so schwerwiegend sein, dass das Interesse von Beschäftigten am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte zurücktritt.

Das VG erkannte in diesem Zusammenhang drei wesentliche Zwecke:

  1. die Steuerung der Logistikprozesse,
  2. die Steuerung der individuellen Qualifizierung von Arbeitnehmern und
  3. die Schaffung objektiver Bewertungsgrundlagen für individuelles Feedback und Personalentscheidungen.

Das VG stellte fest, dass die Datenverarbeitung geeignet und erforderlich sei, um die Interessen von Amazon zu wahren:

  1. Die Interessen von Amazon sind die Optimierung der Logistikprozesse, um auf Schwankungen im Warendurchsatz auf einzelnen Prozesspfaden durch das Verschieben von Arbeitnehmern ad hoc zu reagieren und so den reibungsfreien Ablauf aller Prozesse innerhalb des Logistikzentrums zu garantieren.
  2. Ein weiteres Interesse liege darin, dass die Daten für individualisierte Qualifizierungsbedarfe, Feedbackschleifen und Beförderungsentscheidungen genutzt würden. Mildere Mittel hierfür stünden nach der Auffassung des VG nicht zur Verfügung. Das Gericht ging davon aus, dass die garantierten Liefertermine ohne die Datenverarbeitung nicht realisiert werden könnten. Das VG berücksichtigte, dass es tägliche Leistungsschwankungen gebe und diese durch die Datenverarbeitung ausgeglichen werden müssten. Ohne eine Echtzeitüberwachung der Betriebsprozesse würde es zu Verzögerungen im Betriebsablauf kommen. Auch die Kontaktaufnahme und die lokale Ortung der Arbeitnehmer seien rechtmäßig, da andere Kommunikationsmittel den Anforderungen von Amazon nicht gerecht würden. Weiter wurde berücksichtigt, dass auch der Betriebsrat bestätigt habe, dass diese Datenverarbeitung „erforderlich“ sei, um die Betriebsabläufe so effizient gestalten zu können. Das VG führte wörtlich Folgendes aus: „Aufgrund der Begebenheiten im Logistikzentrum ist es für das erkennende Gericht nachvollziehbar, dass eine erfolgreiche und effiziente Steuerung der Logistikprozesse auf Basis von Daten, die keinen Personenbezug aufweisen, nicht möglich ist.“
  3. Außerdem sei die fortlaufende Auswertung der Leistungsdaten für die Feedbackprozesse und für die Vorbereitung von Personalentscheidungen erforderlich. Die kontinuierliche Durchführung von Feedbackgesprächen gehört zu den gesicherten Grundsätzen guter Arbeitnehmerführung und sei daher erforderlich.

Kurz erklärt

Achtung: Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

  • Die Begründung des VG lässt sich auf eine einfache Formel reduzieren: Ein Betrieb muss nur entsprechend organisiert sein, dann folgt die datenschutzrechtliche Zulässigkeit den betriebsspezifischen Anforderungen. Das VG argumentierte in den Kategorien „nachvollziehbar“ und „plausibel“. Dies lässt sich in dieser Form nicht auf andere Konstellationen übertragen. Andernfalls ließe sich die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung mit den entsprechenden Betriebsabläufen darstellen.
  • Dass Amazon ein Interesse daran hat, Leistungsversprechen einzuhalten, ist nachvollziehbar und zählt zum Geschäftsmodell, ist aber aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht pauschal ausreichend, um eine Datenverarbeitung zu legitimieren und der Nachweispflicht aus Art. 5 Abs. 2 DS-GVO nachzukommen.

Praxistipp

Arbeitgeber dürfen sich künftig nicht auf die Entscheidung des VG verlassen. Die einfache Prüfungsfrage bei § 26 BDSG lautet: Ist es für die Durchführung der Arbeitsverhältnisse zwingend notwendig, diese Daten so zu erheben? Allein Zweckmäßigkeitserwägungen sind nach der DS-GVO nicht ausreichend, eine Datenverarbeitung zu legitimieren!

Krankheitsbedingte Kündigung 4
Krankheitsbedingte Kündigung 4

Unfallversicherung: kein Versicherungsschutz bei Unfall während Firmenlauf

Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21.03.2023, Az. L 3 U 66/21

Das LSG Berlin-Brandenburg entschied, dass eine Arbeitnehmerin nicht als Beschäftigte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht, wenn sie bei einem sogenannten Firmenlauf stürzt und sich dabei verletzt.

Verortung des Urteils

Nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall liegt dann vor, wenn es sich um einen Unfall eines Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit handelt.

Konkret geht es um die Frage, ob Unfälle bei sportlichen Veranstaltungen, die im Zusammenhang mit dem Betrieb steht, als Arbeitsunfall zu qualifizieren sind oder nicht.

Das Bundessozialgericht (BSG) hatte letztes Jahr entschieden (Urteil vom 28.06.2022, Az. B 2 U 8/20 R), dass ein Unfall bei einem betriebsinternen Fußball-Cup kein Arbeitsunfall ist. Das Spiel sei weder als Betriebssport noch als eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung einzustufen, so das BSG. Als betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung ließe sich das Fußballturnier nicht einstufen, weil die Teilnahme nur für eine bestimmte Gruppe der Beschäftigten interessant war. Nun lag dem LSG ein vergleichbarer Fall zu einem Unfall während eines Firmenlaufs vor.

Der Sachverhalt

Im Mai 2019 fand im Tiergarten der Berliner Firmenlauf statt, an dem zahlreiche Unternehmen und Einzelbewerber teilnahmen. Nach dem sportlichen Teil erfolgte eine Siegerehrung, im Anschluss bestand Gelegenheit, sich gemeinsam auf einer „Run-Party“ zu vergnügen. Auch das Unternehmen der klagenden Arbeitnehmerin bewarb intern die Veranstaltung. Das Unternehmen übernahm die Startgebühr für seine Beschäftigten und stellte Lauf-Shirts inklusive Firmenlogo zur Verfügung.

Die Klägerin kam nach dem Start auf der Skaterstrecke auf nassem Untergrund ins Rutschen, stürzte und brach sich das rechte Handgelenk. Die Unfallkasse lehnte es ab, diesen Vorfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und für den entstandenen Schaden aufzukommen. Es habe sich nicht um eine Betriebsveranstaltung gehandelt.

Die Entscheidung

Sowohl das Sozialgericht Berlin als auch das LSG teilten diese Einschätzung. Die Zurechnung des Firmenlaufs zur Beschäftigung scheitere an dem fehlenden inneren Zusammenhang.

Zum einen liege kein Betriebssport vor, der eine gewisse Regelmäßigkeit und das Ziel gesundheitlichen Ausgleichs voraussetze. Da der Firmenlauf nur einmal im Jahr stattfinde und inklusive Siegerehrung und „Run-Party“ eher den Charakter eines Wettstreits aufweise, lehnte das LSG diese Einordnung ab. An dem Wettkampfcharakter ändere sich auch nichts dadurch, dass sich einige Beschäftigte gemeinsam auf den Lauf vorbereitet und mit einheitlichem Teamnamen angemeldet haben. Vielmehr habe es sich bei dieser Gruppe um einen privaten Kreis von Beschäftigten des Unternehmens gehandelt, die die Leidenschaft für das sportliche Hobby des Inlineskatens teilen.

Zum anderen habe es sich bei dem Firmenlauf auch nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung gehandelt. Zur Begründung führte das Gericht – ähnlich wie in der Entscheidung zum Fußball-Cup – an, dass der Firmenlauf nur für eine kleine, sportlich engagierte Gruppe von Beschäftigten des Unternehmens interessant war. Ein spezielles Programm für den großen Teil der nichtlaufenden Beschäftigten habe es nicht gegeben. Der Firmenlauf sei daher nicht geeignet gewesen, den betrieblichen Zusammenhalt zu fördern. Zudem stand die von einem Berliner Sportverein organisierte Großveranstaltung noch etlichen anderen Unternehmen, Organisationen sowie Freizeit- und Nachbarschaftsteams zur Verfügung. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Klägerin kann beim Bundessozialgericht die Zulassung der Revision beantragen.

Unfallversicherung
Unfallversicherung

Kurz erklärt

  • Damit knüpft das LSG-Urteil an die vorhergehende Rechtsprechung des BSG an. • In einem Gerichtsverfahren, bei dem es um die Anerkennung eines Arbeitsunfalls geht, prüft das jeweils zuständige Gericht, ob der Arbeitnehmer zur Zeit des Unfalls der Verrichtung einer versicherten Tätigkeit nachgegangen war, ob diese Verrichtung zu dem Unfallereignis geführt hatte und ob das Unfallereignis zu einem Gesundheitsschaden des Arbeitnehmers führte.
  • Anders ist die Rechtslage daher, wenn der Arbeitnehmer während der Pause durch einen Gabelstapler verletzt wird. Dies gilt als Arbeitsunfall (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2023 – L 1 U 2032/22). Argumentiert wird hier insoweit, dass die Gefahr in dem entschiedenen Fall von einem Betriebsmittel des Arbeitgebers, dem Gabelstapler, ausging. Die erhöhte Gefährlichkeit von Gabelstaplern gegenüber dem alltäglichen Straßenverkehr sei nachgewiesen und Gegenstand besonderer Unfallverhütungsvorschriften. Ein Arbeitnehmer dürfe darauf vertrauen, während einer gestatteten Pause auch in einem vom Arbeitgeber ausgewiesenen Bereich keinen gegenüber dem allgemeinen Leben erhöhten Gefahren ausgesetzt zu sein.
  • Anders ist die Rechtslage auch, wenn sich ein Arbeitnehmer im Pool des Arbeitgebers erfrischt und sich währenddessen ein Unfall ereignet. Dies kann ausnahmsweise ein Arbeitsunfall sein, so das Sozialgericht München (Urteil vom 07.03.2023 – S 9 U 276/21). Dies gelte nach Ansicht des Gerichts zumindest dann, wenn das Bad im Pool mit allen anwesenden Kolleginnen und Kollegen sowie dem Chef stattfinde und der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit diene. Grundsätzlich würde man das Baden im Pool zwar als eine rein private Verrichtung einordnen, welches nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegt. Argument hier jedoch: Der Arbeitgeber habe seine Beschäftigten ausdrücklich zur Erfrischung im Pool aufgefordert – mit dem Ziel, die Arbeitsfähigkeit für den restlichen Arbeitstag zu erhalten bzw. wiederherzustellen.

Praxistipp

Die Abgrenzungsfrage, ob ein Arbeitsunfall bei einer sportlichen Betätigung im Zusammenhang mit dem Arbeitgeber vorliegt, wird in der Regel verneint. Dass ein Unfall bei einer Erfrischung in einem Pool als ein Arbeitsunfall eingestuft wird, stellt eine absolute Ausnahme und nicht die Regel dar. Grundsätzlich sind Verletzungen bei sportlichen Betätigungen im betrieblichen Umfeld nicht durch die Unfallversicherung geschützt, wie das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg zum Firmenlauf belegt. Denn: Höchstpersönliche Verrichtungen oder eigenwirtschaftliche Tätigkeiten führen meist zu einer Unterbrechung des Versicherungsschutzes.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte

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