Payroll der Zukunft – Flexibel im Ruhestand : Neue Hinzuverdienstmöglichkeiten für Rentenbezieher
Das Achte SGB IV-Änderungsgesetz beinhaltet neben den geänderten technischen Rahmenbedingungen im Bereich der Digitalisierung ganz wesentlich die Fortentwicklung der rechtlichen Grundlagen für die beitrags- und melderechtlichen Regelungen im Vierten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV). Bestehende Verfahren der Sozialversicherung sollen weiterentwickelt und neue Verfahren im Sinne der Digitalisierung und Entbürokratisierung vorangetrieben werden.
Hierfür sollen elektronische Meldewege weiter ausgestaltet und optimiert werden. Die in dem Gesetz vorgesehenen Maßnahmen sind zielführend im Sinne einer Digitalisierung und Entbürokratisierung administrativer Prozesse, und die gesetzlichen Regelungen tragen zur Rechtssicherheit bei. Im Folgenden sollen die Regelungen zum Hinzuverdienst näher beleuchtet werden.
Regelungen zum Hinzuverdienst bei Rentenbeziehern
Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten für die Zeit bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze auf das 14-Fache der monatlichen Bezugsgröße angehoben. Diese Anhebung war bis zum 31.12.2022 befristet. Ohne die gesetzliche Neuregelung wäre die Hinzuverdienstgrenze bei vorgezogenen Altersrenten ab 01.01.2023 wieder auf 6.300 Euro abgesenkt worden.


Mit der vorübergehenden Anhebung der Hinzuverdienstgrenze bei den vorgezogenen Altersrenten wollte es der Gesetzgeber – vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Corona-Pandemie – diesem Personenkreis erleichtern, den Bezug einer Altersrente mit Erwerbstätigkeit zu verbinden, und damit auch der Arbeitskräfteknappheit entgegenwirken. Dies betraf etwa Ärzte in Krankenhäusern sowie medizinisches Fachpersonal in den Gesundheitsverwaltungen.
Das Achte SGB IV-Änderungsgesetz hat die gesetzlichen Vorgaben des Hinzuverdienstes neben der Rente neu ausgerichtet.
So wurden die Hinzuverdienstgrenzen bei Beziehern vorgezogener Altersrenten ab 01.01.2023 vollständig abgeschafft. Bei Beziehern von Renten wegen Erwerbsminderung wurden sie deutlich angehoben. Die neue Hinzuverdienstgrenze wird von 6.300 Euro angehoben und beträgt bei Renten wegen voller Erwerbsminderung rund 17.820 Euro. Beim Bezug einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ergibt sich im Jahr 2023 eine Hinzuverdienstgrenze von rund 35.650 Euro. Der sogenannte Hinzuverdienstdeckel, der mit dem Flexirentengesetz eingeführt worden war, entfiel.
Chancen bei vorgezogenen Altersrenten
Welche konkreten Anreize der Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen auf die vorzeitige Inanspruchnahme von Altersrenten bei den hierfür in Frage kommenden Personengruppen hat und mit welchen Effekten auf das Erwerbsverhalten der Betroffenen zu rechnen ist, hängt von zahlreichen individuellen und arbeitsmarktbezogenen Faktoren sowie der weiteren gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ab.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Teil der Bezieher von Renten die neuen Möglichkeiten nutzt und entweder den Rentenbeginn vorzieht und dennoch erwerbstätig bleibt oder die Erwerbstätigkeit über den ohnehin angestrebten individuellen Rentenbeginn hinaus verlängert oder ausweitet. Manche streben auch eine Kombination aus beidem an. Dafür können unterschiedliche, auch steuerliche Motive ausschlaggebend sein.
Bei abschlagsfreien Altersrenten für besonders langjährig Versicherte (Personen mit 45 versicherungsrechtlichen Jahren) ist der Anreiz für einen vorgezogenen Rentenbeginn besonders stark. Durch den Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen bei den vorgezogenen Altersrenten wird sich der Verwaltungsaufwand für die Rentenversicherungsträger verringern, da die jährliche Überprüfung des erzielten Hinzuverdienstes und die Rückforderung überzahlter Renten entfallen.

Chancen und Risiken bei Erwerbsminderungsrenten
Mit der deutlichen Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen bei Renten wegen Erwerbsminderung und dem Wegfall des Hinzuverdienstdeckels werden Anreize gesetzt, neben der Erwerbsminderungsrente eine Beschäftigung aufzunehmen bzw. den Umfang einer bereits ausgeübten Beschäftigung auszuweiten.
Für Personen mit Wiedereingliederungspotenzial kann dies eine Chance sein, dauerhaft wieder im Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Da das Verfahren der Spitzabrechnung bei den Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit beibehalten wird, wird weiterhin durch die Deutsche Rentenversicherung jährlich zu prüfen sein, ob die Hinzuverdienstgrenzen eingehalten werden und ob gegebenenfalls überzahlte Beträge zurückgefordert werden müssen. Auch wird nun häufiger als bisher zu prüfen sein, ob sich die ausgeübte Beschäftigung noch im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens bewegt.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass eine deutliche Ausweitung der Erwerbstätigkeit eine Rückkoppelung auf den Grundanspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit haben kann. Danach kann der Anspruch auf die Rente wegen Erwerbsminderung entfallen, sofern im jeweiligen Einzelfall die ausgeübte Beschäftigung das festgestellte Restleistungsvermögen von unter drei oder unter sechs Stunden überschreitet.

Sonderfall: Hinterbliebenenrenten
Zu den Hinterbliebenenrenten zählen neben den Renten an Witwen, Witwer und überlebende eingetragene Lebenspartner auch Waisenrenten und Erziehungsrenten. Außer bei der Waisenrente wird in gewissem Umfang eigenes Einkommen angerechnet. Witwen und Witwer können sich zu ihrer Hinterbliebenenrente etwas hinzuverdienen. Einkünfte wie Arbeitsentgelt oder Altersrente werden auf die Hinterbliebenenrente angerechnet.
Entscheidend ist hierbei der Nettobetrag. Ermittelt wird dieser aus dem Bruttoeinkommen durch den Abzug gesetzlich festgelegter Pauschalbeträge. Bis zu einem festgelegten Freibetrag bleibt die Hinterbliebenenrente unberührt. Übersteigen die Nettoeinkünfte jedoch den festgelegten Freibetrag für die Einkommensanrechnung, werden die übersteigenden Einnahmen zu 40 Prozent auf die Rente angerechnet. Der Freibetrag für die Einkommensanrechnung liegt derzeit bei 950,93 Euro im Westen und 937,73 Euro im Osten Deutschlands.
Auswirkungen bei Renten mit Abschlägen
Vor dem Hintergrund des weiter steigenden Arbeits- und Fachkräftebedarfs lassen sich Auswirkungen bei den betroffenen Personengruppen erkennen. Diese werden beeinflusst von verschiedenen Faktoren, etwa von dem Zeitpunkt der individuellen Beendigung der Erwerbsphase, dem Zeitpunkt des Renteneintritts, dem Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit und damit der Höhe des anzurechnenden Einkommens und dem gewählten Teilrententeil.
Mit den früheren Regelungen zum Hinzuverdienst war eine zeitliche Abfolge von Erwerbseinkommen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze und Rentenbezug die Regel. Dieser Zusammenhang ist nun durch die Aufhebung der Hinzuverdienstgrenze nicht mehr gegeben. Die Auswirkungen sind danach zu unterscheiden, ob es sich um Renten mit Abschlägen oder um abschlagsfreie Renten handelt. Bei Altersrenten mit Abschlägen wird die durch den früheren Rentenbeginn entstehende längere Rentenlaufzeit individuell grundsätzlich durch versicherungsmathematisch kalkulierte Rentenabschläge kompensiert. Entsprechend werden im Einzelfall die zunächst anfallenden Mehrausgaben für die Rentenversicherung aufgrund des vorgezogenen Rentenbeginns durch die dauerhaft mit Abschlägen behaftete niedrigere Rente im Laufe der Zeit ausgeglichen.
Werden mehrere Jahrgänge von Rentenzugängen betrachtet, erweitert sich das Bild. In jedem Zugangsjahr treten neue Jahrgänge mit vorgezogenen Renten hinzu. Bei abschlagsbehafteten Altersrenten wird ein Ausgleich von Mehrausgaben (durch einen vorgezogenen Rentenbeginn) und Minderausgaben (durch Abschläge) in einer Periode erreicht, wenn alle betreffenden Altersrenten im Rentenbestand abschlagsbehaftet sind. Bis zu diesem Zeitpunkt übersteigen die Mehrausgaben durch den früheren Rentenbeginn die Minderausgaben durch die Abschläge. Diese Zusammenhänge gelten jedoch für abschlagsfreie Altersrenten nicht.

Auswirkungen bei abschlagsfreien Renten
Das betrifft Altersrenten für besonders langjährig Versicherte und Altersrenten für schwerbehinderte Menschen, die zwischen der speziellen abschlagsfreien Altersgrenze (63 plus) für diese Renten und der Regelaltersgrenze (65 plus) beginnen. Die Regelung setzt damit für Versicherte, die bis zur Regelaltersgrenze arbeiten wollen, erhebliche Anreize, den Rentenbezug vorzuziehen, während sie dem Arbeitsmarkt weiterhin zur Verfügung stehen. Für die Rentenversicherung entstehen in diesen Fällen dauerhafte Mehrausgaben, die im Laufe des Rentenbezugs nicht mehr kompensiert werden können.
Auswirkungen bei der gesetzlichen Rentenversicherung
Durch die Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen können sowohl Mehrausgaben als auch Mehreinnahmen entstehen. Mehrausgaben werden durch den teilweisen Wegfall der Anrechnung des Hinzuverdienstes und ein mögliches Vorziehen des Rentenbeginns bewirkt, Mehreinnahmen durch die mögliche Ausweitung der Erwerbstätigkeit. Die Beitragsmehreinnahmen relativieren sich in allen Fällen bei Hinzuverdienst im Übergangsbereich, da dort im Verhältnis höhere Rentenanwartschaften entstehen. Ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die beschriebenen Effekte eintreten, ist abhängig von den tatsächlichen Auswirkungen der Neuregelungen auf das Verhalten der Betroffenen. Dabei stehen Beitragsmehreinnahmen immer auch höhere Rentenanwartschaften gegenüber, die bei Altersrenten relativ kurzfristig zu höheren Rentenausgaben führen. Einem früheren Rentenbeginn stehen zum Teil langfristig höhere Rentenabschläge gegenüber. Bei abschlagsfreien Altersrenten ist dagegen eher von einem häufigeren Vorziehen des Rentenbeginns auszugehen. Da eine genaue Bezifferung der Mehrausgaben angesichts der noch unklaren Verhaltensänderungen und damit ungewissen Fallzahlen nicht möglich ist, wird eine Bewertung (Evaluation) der Regelungen zum Hinzuverdienstrecht bis zum 31. Dezember 2027 erfolgen. Dies dient der Feststellung, ob die mit der Aufhebung der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten und der Einführung höherer Hinzuverdienstgrenzen für Bezieher von Erwerbsminderungsrenten formulierten Ziele erreicht worden sind. Bei den vorgezogenen Altersrenten soll insbesondere untersucht werden, ob vermehrt eine Erwerbstätigkeit neben dem Rentenbezug aufgenommen wird oder Beschäftigte verstärkt einen vorzeitigen Renteneintritt wählen. Damit können notwendige Bedarfe für künftige gesetzliche Anpassungen abgeleitet werden.
Digitale Umsetzung des neuen Hinzuverdienstrechts
Die Umsetzung des neuen Hinzuverdienstrechts erfordert eine Anpassung der Berechnungsprogramme im IT-System der Deutschen Rentenversicherung, die am 01.01.2023 begann. Die Überprüfung aller hinzuverdienstabhängigen Teilrenten wird in der ersten Jahreshälfte 2023 abgeschlossen werden.
Flexibilisierung des Rentenübergangs
Mit dem Wegfall der Hinzuverdienstgrenzen bei vorgezogenen Altersrenten wird Folgendes angestrebt: eine Flexibilisierung des Renteneintritts, eine weitere Steigerung der Erwerbsquote älterer Personen sowie eine Verwaltungsvereinfachung. Die Änderungen führen dazu, dass das Ende der Erwerbsphase und der Rentenbeginn stärker voneinander entkoppelt werden können. Dies ermöglicht sowohl eine Verlängerung der Erwerbsphase als auch einen früheren Rentenbeginn, der flexibler als bisher mit einer Erwerbstätigkeit verknüpft werden kann. Es ergeben sich hieraus auch finanzielle Mehrbelastungen für die Deutsche Rentenversicherung, insbesondere dann, wenn vorgezogene Altersrenten abschlagsfrei in Anspruch genommen werden können.
Das Achte SGB IV-Änderungsgesetz benennt Mehrausgaben in einer Größenordnung von 15 Mio. Euro, bezogen auf 1.000 durchschnittliche vorgezogene Altersrenten. Dabei sind die konkreten finanziellen Auswirkungen davon abhängig, wie viele Rentenbezieher, die ohnehin weitergearbeitet hätten, sich unter Geltung des neuen Rechts dazu entschließen, neben ihrer Erwerbstätigkeit die Rente zu beziehen. Die Anhebung der Hinzuverdienstgrenzen bei den Renten wegen Erwerbsminderung verfolgt das Ziel, Rentenbeziehenden besser als bisher einen Weg zur Rückkehr in das Erwerbsleben zu ermöglichen.
Bessere Möglichkeiten zur Kombination einer Rente wegen Erwerbsminderung mit einer Beschäftigung können für diejenigen Personen eine Brücke bzw. einen Anreiz zur teilweisen oder vollständigen Wiedereingliederung in das Erwerbsleben darstellen, deren Gesundheitszustand eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt oder eine Ausweitung der bisherigen Erwerbstätigkeit zulässt. Die bekannte Situation auf dem Arbeitsmarkt kommt der Erreichung dieses Ziels entgegen.
Raschid Bouabba, MCGB GmbH