Ganz normal oder doch echt krank? : Arbeitswelt auf den Kopf gestellt
Corona hat die Arbeitswelt ziemlich auf den Kopf gestellt. Aber auch das Thema New Work hält alle auf Trab – und das nicht immer nur im Guten. Welche Auswüchse und „gezüchteten Geschwüre“ es gibt und wie und wo sie zu erkennen sind, das sollten Unternehmen unbedingt eingehender auf dem Schirm haben. Dass „Healthy und Healy Work“ noch viel mehr auf dem Plan stehen sollte, scheint in der Realität vieler „Beschäftigungskosmen“ viel zu oft noch ein „blinder Fleck“ zu sein. Wir verzeichnen nicht gerade gesunde Phänomene wie: Präsentismus, Workathomeismus oder Eskapismus – und auch das Thema Mobbing ist nicht frei von neuen Varianten.
Vom ungesunden Arbeitsanschein
Wer kennt sie nicht? Kollegen, die krank zur Arbeit kommen oder angeschlagen den „Homeoffice-Helden“ spielen? Arbeiten trotz Erkrankung, auch Präsentismus (oder neu: Workathomeismus) genannt, ist ein aktuelles Phänomen der modernen Arbeitswelt. Die genaue Verbreitung lässt sich nur annäherungsweise bestimmen, genauso wie die Kosten durch tatsächliche Produktivitätsverluste oder durch die mögliche Chronifizierung von Krankheiten.
In Zeiten wie der Corona-Krise tritt der negative Aspekt des Präsentismus ganz deutlich zutage: Wer krank zur Arbeit geht, bringt immer auch das Risiko der Ansteckung mit an den Arbeitsplatz. Nicht einmal durch Bestimmungen bezüglich strengerer Hygiene- und Abstandsregeln scheint es gelungen, „Unverbesserliche“ Davon abzuhalten, letztlich Unvernünftiges zu tun – egal, ob es um Selbstschutz oder den Schutz anderer geht.
Übertreiben lässt es sich vor Ort genauso wie im Homeoffice. Dabei geht es nicht unbedingt überall „nur“ um den bestimmten Arbeitnehmertyp, der sich für unentbehrlich hält. Es können andere Faktoren ausschlaggebend sein wie Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes oder um die Entwicklungsperspektive oder auch einfach, arbeitstechnisch und/oder persönlich den Anschluss zu verlieren. Die Fürsorgekultur vieler Unternehmen lässt da noch zu wünschen übrig beim Thema „krank arbeiten“ – da gehören definitiv immer zwei Seiten dazu.
Aber Achtung auch bei Eskapismus: Ist man „weg“ im Homeoffice, merkt man oft erst dann den Unterschied zum sonst der eigenen Gesunderhaltung entgegenstehenden Zustand: Der Abstand zu demotivierenden Verhältnissen, zu Führungskräften, zu schlechten Prozessen oder die eigenen Werte verletzenden Arbeitsbedingungen wirkt plötzlich erstaunlich „erholsam“ oder gar heilsam. Obwohl man gern arbeitet, ist man froh, nun nicht mehr direkt bei der Arbeit zu sein, und fühlt sich dadurch besser. So entgleiten zunächst eher unbemerkt eigentlich willige und wertvolle Arbeitskräfte, denen die Arbeit mindestens aufs Gemüt und vielleicht längst auf die Gesundheit schlägt. Fachkräftefluktuation hat verschiedene Gesichter und eines davon ist Arbeit, die krank macht.
Experten sind sich weitgehend darüber einig: Ein niedriger oder auch sinkender Krankenstand bedeutet nicht zwangsläufig, dass sich die Gesundheitssituation der Beschäftigten verbessert. Ein reduzierter Krankenstand kann auch mit einem steigenden (hausgemachten oder wirtschaftlichen, umständebedingten) Leistungsdruck im Unternehmen einhergehen – und ist dann auch nicht wirklich ein gutes Signal.
Und ewig grüßt das Mobbingtier
Mit Corona erhält Mobbing am Arbeitsplatz nun auch Verstärkung durch eine weitere Variante – Cybermobbing. Frauen sind häufiger Mobbingopfer als Männer (38 Prozent im Vergleich zu 27 Prozent). Allerdings unterscheidet sich der Wert dann beim Cybermobbing nicht mehr so stark. Hier sind 12 Prozent der Frauen und 11 Prozent der Männer betroffen.
Rechtsanwälte berichten zudem, dass nun sogar eine eigene Corona-Variante existiert: Da entwickelten sich bereits schädliche betriebsinterne Dynamiken in Bezug auf „Maskenverweigerer“ oder sogenannte „Corona-Leugner“. Zu beobachten war auch, dass Kollegen, die oftmals wochen- oder monatelang ausfielen, gut und gerne mitunter von den Kollegen gemobbt wurden, die sich rühmten, während der Pandemie im Betrieb die Stellung gehalten zu haben, sobald sie wieder anwesend waren. Die vieldiskutierte Spaltung machte auch vor den Büros nicht halt. So gab es Benachteiligung in Zeiten angeordneter Kurzarbeit und weitreichende Folgen bei der Verweigerung von Homeoffice.
Während des vielgefeierten Homeoffice-Hypes sind die digital verlagerten Auswüchse von Ausgrenzung und Schikanen bisher kaum zur Sprache gekommen und wurden wohl eher von Sorgentelefonen oder Juristen „abgefangen“ als von Arbeitgebern oder gar der Gesellschaft. Diese Schattenseite von New Work.
Und selbst, wenn manche „nur“ von einer leicht steigenden Tendenz, aber nicht von einer extremen Zunahme sprechen, so ist es Fakt, dass Corona als Mobbing-Verstärker wirken kann und dies auch bereits getan hat. Das Risiko für ein Ellbogen-Klima oder Mobbing wurde damit auf jeden Fall erhöht, ein neuer Nährboden bereitet. Die Fragen sind, welche unguten Samen hier vielleicht weiter- oder neu keimen könnten, wenn sich der existenzielle Druck durch die Inflationskrise nun zunehmend essenziell erhöht.
Man geht davon aus, dass die Arbeitsleistung von Gemobbten um 50 Prozent sinkt – dass Mobbing die Volkswirtschaft Milliarden kostet, ist hinlänglich bekannt –, trotzdem passiert meist erst dann etwas, wenn es schon „zu spät“ ist.
Dr. Silvija Franjic, Onlineredakteurin + Jobcoach