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Serie, Teil 2 : Psychische Erkrankungen

Der Anteil der psychischen Erkrankungen steigt seit vielen Jahren stetig an (siehe Teil 1 in Heft 5/2020). Die Gründe dafür sind vielfältiger Natur. Ein gewisser Teil ist sicherlich darauf zurückzuführen, wie wir heute mit der Diagnose „psychische Erkrankung“ umgehen. Depressionen und Burnout sind sozusagen „gesellschaftsfähig“ geworden. Aus der Stigmatisierung ist Lifestyle geworden. Was prinzipiell zu begrüßen ist (von einigen Auswüchsen einmal abgesehen).

Management
Lesezeit 5 Min.
Eine Reihe roter Streichhölzer, zwischen denen ein verbranntes Streichholz hervorsticht.

Die Normalisierung im Umgang mit psychischen Störungen hat auch bei den Ärzten zu einem Umdenken geführt. Die Diagnose einer psychosomatischen Erkrankung wird häufiger gestellt, „Standarderkrankungen“ wie Rückenschmerzen, Verdauungsprobleme und andere „Klassiker“ werden häufiger hinterfragt und nach möglichen psychischen Ursachen untersucht.

Das alles erklärt aber nur einen Teil des Anstiegs. Bleiben zwei wesentliche Bereiche übrig, in denen Veränderungen zu einer stärkeren Belastung geführt haben: der private und der berufliche Bereich. Beginnen wir mit dem privaten Umfeld. Auch wenn das Unternehmen hier wenig bis gar keinen Einfluss hat, ist es wichtig, die Ursachen zu kennen. Schon um möglicherweise feststellen zu können, dass die Ursachen eben nicht im Einflussbereich des Unternehmens liegen.

Privater Stress

Nicht nur im Beruf, auch im Privatleben ist der stetige Zwang zur „Selbstoptimierung“ spürbar. Der Gruppendruck ist häufig hoch und führt zu Aktivitäten, die man eigentlich gar nicht wirklich möchte. Sind wirklich alle Aktiven in einem Fitnessstudio ehrlich überzeugt von dem, was sie da tun? Oder folgen sie nur dem Druck, weil es ja alle machen?

Ist es so schlimm, einmal einen Abend oder sogar ein Wochenende faul auf dem Sofa zu verbringen, statt zu zahlreichen Aktivitäten aufzubrechen, von Theater über Stadtteilfest bis zum Feuerwehrball oder Osterfeuer? Uns fehlt mitunter einfach der Mut, einmal „Nein“ zu sagen. Sind noch Kinder vorhanden, multipliziert sich der Stress. Denn diese haben auch ihre Aktivitäten und müssen dorthin gefahren werden (müssen sie?). Ballett, Fußball, Musikunterricht, Schwimmtraining, oder, oder. Und immer spielen die Eltern Chauffeur. Muss es wirklich der „Nobelklub“ sein, auch wenn es um die Ecke einen „normalen“ Fußballverein gibt, wo der Filius zu Fuß oder mit dem Fahrrad hinfahren kann?

Freunde sollen auch nicht vernachlässigt werden – was auch richtig und vernünftig ist. Aber die zahlreichen Aktivitäten führen dazu, dass man kaum einmal eine spontane Verabredung treffen kann. Hat man selbst einmal Zeit, sind die anderen unterwegs und umgekehrt. Was dazu führt, dass man langfristige Termine mit den Freunden absprechen muss, Wochen oder manchmal Monate im Voraus. Das füllt den Terminkalender und sorgt für zusätzlichen Stress. Der selbstgemachte Freizeitstress sollte in seiner Wirkung nicht unterschätzt werden. Sicherlich machen die meisten Dinge Spaß, aber zu viel „Spaß“ ist auch wieder nicht gut. Mal davon abgesehen, dass durch zu viele Termine das ganze Familienleben leidet. Gemeinsame Mahlzeiten sind heute eher die Ausnahme, weil irgendjemand immer irgendeinen Termin hat.

Verschlimmernd kommt hinzu, dass durch den Druck zur Selbstoptimierung das Zeigen oder Einräumen von Schwächen immer schwieriger wird. Das Verständnis für Schwächen im direkten Umfeld ist meist nicht besonders ausgeprägt. Wenn jemand nicht richtig funktioniert, zieht man sich lieber schnell zurück – statt, wie man es von echten Freunden erwarten würde, Hilfe und Unterstützung anzubieten. Alles zusammen führt zu einer hohen Grundbelastung. In vielen Fällen kann das private Umfeld den beruflichen Stress (dazu kommen wir gleich) nicht mehr ausgleichen. Es wird viel von der Work-Life-Balance gesprochen, dabei aber oft vergessen, dass auch das „Life“, also der private Bereich, heute durch Stressfaktoren belastet ist und so seiner Ausgleichsfunktion nicht mehr richtig nachkommen kann.

Und was geht das den Arbeitgeber an? Eine ganze Menge, denn Probleme und Überlastungen im privaten Bereich wirken sich in vielen Fällen unmittelbar auf die Leistungsfähigkeit im Beruf aus. Auch privater Stress und psychische Probleme mit privaten Ursachen können zu Arbeitsunfähigkeiten führen. Spätestens dann ist der Arbeitgeber direkt betroffen.

Stress im Job

Ja stimmt, gab es schon immer – jedenfalls in einigen Bereichen. Fakt ist aber, dass der Arbeitsdruck ständig gestiegen ist (und weiter steigt), die Arbeit immer weiter verdichtet wird.

Die Erwartungshaltung der Kunden – und damit des Unternehmens – hat sich verändert. Früher war es normal, wenn man innerhalb von acht bis zehn Tagen eine Antwort auf eine Anfrage bekam – per Brief. Heute wird in Zeiten von E-Mail und Facebook eine sofortige Reaktion erwartet. Die Anfragen und Anliegen sind aber nicht einfacher, sondern eher komplexer geworden. Durch den Zwang zur schnellen Beantwortung ist die Gefahr von Fehlern gestiegen – was zusätzlichen Stress verursacht. Zumindest, wenn das Unternehmen über keine gute Fehlerkultur verfügt – was leider die Regel ist.

Nicht nur die Mitarbeiter sollen optimiert werden, sondern insbesondere die Unternehmensgewinne – besonders ausgeprägt bei den börsennotierten Unternehmen. Meldungen über größere Entlassungswellen erscheinen regelmäßig in den Medien. Und es handelt sich durchaus nicht immer um Unternehmen, die mit solchen Maßnahmen um ihr Überleben kämpfen. Vielfach geht es nur darum, den Gewinn zu erhöhen. Ich will das an dieser Stelle gar nicht bewerten, aber das Problem dabei ist: Die Arbeit bleibt, die Anzahl der Mitarbeiter wird verringert. Was zu einer weiteren Verdichtung der Arbeit führt.

Pausen sind heute so gut wie ausgestorben. War man früher auf einer Dienstreise im Zug oder Flugzeug eben für Stunden nicht erreichbar, gilt das heute nicht mehr. Im Zug, am Flughafen und immer häufiger auch im Flieger kann man ja arbeiten – was inzwischen ganz selbstverständlich vorausgesetzt wird. Die ständige Erreichbarkeit per Smartphone oder Computer verwischt die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben immer mehr. Mit der Folge, dass natürliche Erholungszyklen verkürzt werden oder gleich ganz entfallen. Es sei an dieser Stelle noch einmal ganz deutlich gesagt: Das macht krank! Sicherlich ist die Widerstandsfähigkeit der Mitarbeiter sehr unterschiedlich. Mancher, der Spaß an seiner Arbeit hat, wird es zunächst gar nicht als Stress empfinden, aber irgendwann fordert der Körper (und die Psyche) auch hier sein Recht.

Unternehmen sind daher gut beraten, auf ihre Mitarbeiter Acht zu geben. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels muss es darum gehen, die qualifizierten Arbeitskräfte möglichst lange gesund und leistungsfähig zu erhalten. Was die Unternehmen dafür tun können, ist Thema in Teil 3 dieser Serie.

Jürgen Heidenreich

Eine Gruppe von Streichhölzern, wobei ein verbranntes Streichholz zwischen den unverbrannten hervorsticht.

Lebenskrisen werden zu Jobkrisen

Der aktuelle Fehlzeitenreport der AOK zeigt es auf: Probleme im privaten Bereich haben unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit. Präsentismus, Unkonzentriertheit, aber auch Arbeitsunfähigkeiten haben vielfach ihre Ursache im privaten Umfeld. Insbesondere private Konflikte, der Tod, schwere Erkrankungen von Angehörigen oder finanzielle Probleme können körperliche, psychische oder psychosomatische Erkrankungen zur Folge haben.

Trotz der Ursachen im privaten Bereich kann der Arbeitgeber Unterstützung anbieten. In anderen Ländern sind beispielsweise sogenannte EAP-Programme (Employer Assistance Program) längst Standard. Dabei stehen den Mitarbeitern qualifizierte Ansprechpartner bei allen Problemen, seien es private oder berufliche, zur Verfügung. Finanziert wird das Ganze vom Arbeitgeber, durchgeführt aber durch dritte, unabhängige Anbieter, so dass die Geheimhaltung auf jeden Fall gewährleistet ist. An diese Spezialisten können sich die Mitarbeiter – meist telefonisch, bei Bedarf aber auch persönlich – wenden und Hilfe erhalten. Solche Programme kosten zwar Geld, bringen aber ein Vielfaches an Gewinn, weil Arbeitsunfähigkeiten verkürzt oder sogar verhindert werden, die Produktivität erhöht und Präsentismus verringert wird.

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