Viel Verantwortung, viele Risiken : Tatort Entgeltabrechnung
Ausgangssituation:
Trotz aller Forderungen der Kammern und Unternehmerverbände steigt die Komplexität der rechtlichen Vorgaben für eine sachlich und rechnerisch richtige Entgeltabrechnung. Dies geht einher mit verschärften Anforderungen an die Einhaltung dieser Regeln (Compliance). Neben der fehlerhaften Beurteilung einzelner Sachverhalte im Steuer- oder Sozialversicherungsrecht rückt zunehmend das Fehlverhalten einzelner oder Gruppen von Beschäftigten etwa bei Bestechung, Bereicherung oder Betrug in den Mittelpunkt. Und nun steht unter dem Titel des Verbandssanktionsgesetzes (VerSanG) eine weitere Verschärfung der Sanktionierung von Unternehmensstraftaten ins Haus, die auf Druck der EU aus der Pflicht zur nationalen Umsetzung einer EU-Richtlinie resultiert.
Risiken in der Entgeltabrechnung
Der Arbeitgeber haftet im Grunde immer für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag bestehend aus Pflichtbeiträgen, Umlagen sowie den Beiträgen zur gesetzlichen Unfallversicherung und zur Künstlersozialkasse.

Das „Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt“ gem. § 266a StGB steht hier im Mittelpunkt. Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle (= gesetzliche Krankenkasse) Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle unrichtige oder unvollständige Angaben macht. Das gilt auch, wenn die Einzugsstelle über sozialversicherungsrechtlich relevante Tatsachen in Unkenntnis gelassen wird. Gerade dieser letzte Punkt greift, wenn etwa Unsicherheit darüber besteht, ob es sich bei einem Vertrag mit einem Selbständigen möglicherweise um sogenannte Scheinselbständigkeit handelt.
Risiko: Fremdpersonaleinsatz durch Arbeitnehmerüberlassung
Die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) bringt IT-Unternehmen in große Schwierigkeiten und kann den Erfolg von IT-Projekten gefährden. Insbesondere das „Aus“ der sogenannten Vorratserlaubnis zwingt Unternehmen hier zum Umdenken. Der Einsatz von Fremdpersonal im Rahmen der Arbeitsnehmerüberlassung muss angesichts der gesetzlichen Vorgaben rechtssicher gestaltet werden. Die Arbeitnehmerüberlassung muss als solche transparent gegenüber den zum Einsatz kommenden Arbeitnehmern erfolgen. Ein Verstoß führt zum Entstehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher. Die Höchstdauer darf 18 Monate nicht überschreiten. Kettenüberlassungen verstoßen gegen geltendes Recht, d. h. Unternehmen tragen das Risiko der fehlerhaften Einordnung eines Vertragstyps. Equal Pay ist nach neun Monaten zu gewährleisten.

Risiko: Scheinselbständigkeit
Der Fremdpersonaleinsatz im Rahmen von Dienst- oder Werkverträgen (Freelancer, Honorarkräfte, Clickworker etc.) ist demgegenüber weitgehend frei von gesetzlichen Vorgaben, aber besonders risikoreich. Bei einer fehlerhaften Einordung des jeweiligen Vertragstyps drohen Bußgelder bis zu 30.000 Euro je Verstoß. Das ungewollte Entstehen eines Arbeitsverhältnisses, der Wegfall von Gewährleistungsrechten und insbesondere die strafrechtliche Verfolgung der verantwortlichen Entscheider (Personalleiter, Inhaber, Geschäftsführer, Vorstände etc.).
Risiko: Scheinarbeitsverhältnis
Fingiert jemand Arbeitsverhältnisse und beantragt anschließend gegenüber mehreren Krankenkassen die Erstattung von vermeintlichen Entgeltfortzahlungen an die zum Schein Beschäftigten, liegt ein vollendeter Betrug vor, wenn die Krankenkassen daraufhin entsprechende Zahlungen leisten. Dagegen ist in Fällen, in denen die Krankenkassen Erstattungsbeträge mit eigenen angenommenen Ansprüchen auf Sozialversicherungsbeiträge verrechneten, ein Vermögensschaden der Krankenkassen und ein vollendetet Betrug nicht belegt (Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 7. August 2019 — 3 StR 267/19)
Risiko: Nichtabführen von SV-Beiträgen
Im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsbetrug“ (BT-Drucksache 19/8691 v. 25. März 2019; s. dazu die Stellungnahme des Bundesrates vom 12. April 2019 und die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucksache 19/9768) soll im Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) ein neuer Tatbestand für eine Ordnungswidrigkeit geschaffen werden. Mit einem Bußgeld soll bereits derjenige belangt werden können, der als Arbeitgeber eine in § 266a Abs. 2 Nr. 1 oder 2 des Strafgesetzbuches bezeichnete Handlung leichtfertig begeht und dadurch der Einzugsstelle Sozialversicherungsbeiträge leichtfertig vorenthält. Diese Änderung des Gesetzes folgt zeitlich auf eine sich abzeichnende Anpassung der Rechtsprechung des BGH. Wird dem Arbeitgeber aufgrund eines Tatbestandsirrtums kein Vorsatz für eine Strafbarkeit nach § 266a StGB nachgewiesen, soll er wegen einer leichter nachzuweisenden (groben) Fahrlässigkeit ein Bußgeld erhalten können. Dies platziert der Gesetzgeber im wie beschrieben komplexen Anwendungsbereich des Fremdpersonaleinsatzes und der dortigen Abgrenzungsschwierigkeiten. Der Arbeitgeber kann sich lediglich exkulpieren, indem er spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach gegenüber der Einzugsstelle schriftlich die Höhe der vorenthaltenen Beiträge mitteilt. Zusätzlich muss er darlegen, warum die fristgemäße Zahlung trotz seiner Bemühungen nicht möglich ist, und die vorenthaltenen Beiträge innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet. Diese Regelung ist aber derart eng gefasst, dass sie für die Fallgestaltungen der Scheinselbständigkeit bzw. der verdeckten oder gar illegalen Arbeitnehmerüberlassung in der Praxis keine Rolle spielt.
Risiko: Schwarzlohnzahlungen bei Minijob
Der Arbeitgeber führt den Beschäftigten in der Lohnbuchhaltung als „geringfügig entlohnt“ (450 Euro) und zahlt weitere 200 Euro „schwarz“aus. Das bedeutet, dass der Gesamtbetrag in Höhe von 650 Euro beitragspflichtig ist. Die Bemessungsgrundlage beträgt dann rund 1.000 Euro (= Übergangsbereich), und es entstehen Beitragsforderungen in Höhe von etwa 400 Euro (ohne Lohnsteuer), denn es werden 650 Euro ausgezahlt, und die Bemessungsgrundlage entsteht durch eine Netto-, Bruttorückrechnung. Die Lohnsteuerforderung wird regelmäßig nach Lohnsteuerklasse 6 erfolgen.
Risiko: Illegale Beschäftigung von Ausländern
Die §§ 10 bis 11 SchwarzArbG stellen einige besonders missbräuchliche Formen der unrechtmäßigen Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte unter Strafe. So wird der Einsatz von Arbeitskräften ohne Aufenthaltstitel oder EU-Arbeitsgenehmigung von der Ordnungswidrigkeit zur Straftat, wenn die Arbeitsbedingungen in auffälligem Missverhältnis zur Situation vergleichbarer deutscher Arbeitnehmer stehen, die Beschäftigen Opfer von Menschenhandel sind, es um mehr als fünf Ausländer geht oder ein minderjähriger Ausländer beschäftigt wird.
Risiko: Steuerberater haften wie Arbeitgeber
Arbeitgeber im Sinne des Strafrechts können nicht nur Einzelunternehmer, GbR- und GmbH-Geschäftsführer oder AG-Vorstände sein. Gleiches gilt gem. § 14 Abs. 1 StGB für mit der Lohnabrechnung beauftragte Steuerberater und leitende Angestellte mit Personalverantwortung. Deren Verantwortlichkeit hängt allerdings sehr vom Einzelfall ab. Menschen, die mit der (teilweisen) Betriebsleitung oder der eigenverantwortlichen Wahrnehmung von Geschäftsführungsaufgaben betraut sind, können die strafrechtliche Arbeitgebereigenschaft gewissermaßen erben (§ 14 Abs. 2 StGB) und damit wegen Arbeitgeberstraftaten angeklagt werden.
Ausschluss von öffentlichen Aufträgen
Bewerber um einen öffentlichen Bau-, Liefer- oder Dienstleistungsauftrag „sollen“ nach dem Mindestlohngesetz (MiLoG) für eine „angemessene Zeit“ von der Teilnahme an Vergabewettbewerben ausgeschlossen werden, wenn sie wegen eines MiLoG-Verstoßes (zum Beispiel Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns) mit einer Geldbuße von mindestens 2.500 Euro belegt wurden. Vor der Entscheidung über einen Ausschluss ist der Bewerber anzuhören (§ 19 Absatz 1 und 5 MiLoG).
Arbeitgeberpflichten und Maßnahmen
Der Arbeitgeber sollte seine Pflichten jeweils genau kennen und Maßnahmen steuern, um die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu sichern. Das optionale Statusverfahren gem. § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) schafft Rechtssicherheit im Hinblick auf den Status (Selbständigkeit oder Beschäftigung).

Die Beitragspflicht entsteht erst mit Rechtskraft des Bescheids mit den dort getroffenen Feststellungen. Für beitragsrechtliche Fragen (Beitragspflicht und Beitragshöhe) kann ebenso eine rechtsverbindliche Auskunft bei der zuständigen Einzugsstelle gem. § 28 h Abs. 2 SGB IV eingeholt werden. Die ist insbesondere bei gemischten Tätigkeiten unumgänglich. Denn für den Arbeitgeber ist die Beitragspflicht nicht einfach zu beurteilen, wenn ein Auftragnehmer gleichzeitig als Arbeitnehmer und als Selbständiger am Markt tätig ist. Schließlich besteht bei steuerlichen Zweifelsfragen (Steuerpflicht oder Steuerfreiheit von Arbeitgeberleistungen) die Möglichkeit des Einholens einer Anrufungsauskunft beim Betriebsstättenfinanzamt.
Professionelle Kommunikation
Neben der Kenntnis der gesetzlichen Bestimmungen gewinnt zunehmend die Kommunikation der notwendigen Maßnahmen zur Einhaltung der Regeln (Compliance) an Bedeutung. In allen Phasen ist eine professionelle Kommunikation sowohl mit Beratern und erfahrenen Fachleuten als auch mit Behörden von großem Nutzen. Diese Kommunikation erstreckt sich im Fall von Ermittlungen auch auf die zuständige Staatsanwaltschaft. Diese nach außen gerichtete Kommunikation muss vervollständigt werden durch eine nach innen gerichtete mit den internen Compliance-, Grundsatz- und Rechtsabteilungen (Compliance, Legal etc.) sowie dem Personalmanagement. Dies erfordert, Führungskräfte genauso zu sensibilisieren wie Mitarbeiter.
Innovation fördern
Häufig betreten Unternehmen Neuland, müssen dies tun, um wettbewerbsfähig zu sein. Das bedeutet dann, Fehler zuzulassen für notwendige Innovationen. Selbstverständlich passiert das auch immer wieder in der Lohnabrechnung (Payroll), denn der Irrtum ist nie vollständig auszuschließen.
Datenschutzkonformer Personaleinsatz

Bislang ist in den meisten Unternehmen die Fremdvergabe von Aufträgen strikt getrennt von der Beschäftigung von Arbeitnehmern. Im Übrigen berührt die Fremdvergabe von Aufträgen den Datenschutz sowie die kundenschutzbezogenen Regelungen. Die Fremdvergabe wird vom Einkauf abgewickelt und im Rechnungswesen von der Kreditorenbuchhaltung verarbeitet. Die Aufgaben im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Arbeitnehmern werden vom Personalmanagement erledigt.
Hieraus erwachsen Schnittstellenprobleme und diese Trennung ist aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß. Wenn sich diese Erkenntnis erst langsam in den Konzernen durchsetzt, so werden bereits von strategisch agierenden Personalvorständen genau solche Forderungen beschrieben. Damit sind die Grundsatzabteilungen (Policy) und die mit der Mitbestimmung (Industrial Relations) befassten Manager und Mitarbeiter im Personalmanagement gleichermaßen einzubinden.
Fachübergreifende Schulungen
Schulungen sollten abteilungs- und bereichsübergreifend durchgeführt werden. Wenn agile Unternehmen ihre organisatorischen Strukturen auflösen und sich immer mehr nach Kunden und Aufgaben ausrichten, muss das auch für Schulungen gelten. Dies fördert den internen Erfahrungsaustausch, stärkt die Netzwerkbildung nach innen und außen und erhöht insbesondere die Reaktionsgeschwindigkeit. So bestehen fachliche Schnittstellen zwischen dem Personalmanagement (Fokus: Arbeitnehmer, Beschäftigte etc.), der Grundsatzabteilung (Fokus: Transformation der gesetzlichen Bestimmungen in den Betrieb) und dem Einkauf (Fokus: Berater, Dienstleister, Fremdpersonal, Honorarkräfte). Doch leider gibt es viel zu wenig Austausch über die hier angesprochenen Risiken für Unternehmen. Wenn allerdings ausgewählte Vertreter aus den vorgenannten Bereichen zusammen an einem Thema arbeiten, können Risiken schneller identifiziert und deren Folgen gezielt vermieden werden.
Netzwerk mit allen Beteiligten aufbauen
Die schier unübersichtliche Regelungsdichte führt unweigerlich zu einer hohen fachlichen Spezialisierung. Wenn nun mehrere Rechtsbereiche (Arbeits-, Sozialversicherungs- und Lohnsteuerrecht, Grundsatz, Compliance etc.) zusammenspielen, werden im Vorfeld Partner benötigt, die mit Erfahrung und Augenmaß den fachlichen Überblick in ihrem Bereich behalten. Daneben werden zunehmend Moderatoren benötigt, welche in der Lage sind, die Vielfalt der Regelungen auf einfache und verständliche Weise zu kommunizieren. Dies trägt zu einem gemeinsamen Verständnis für die Risiken bei und fördert die Akzeptanz für die notwendigen Maßnahmen und deren Kommunikation.
