VOR DEM KONGRESS IST NACH DEM KONGRESS : Wie die Gewerkschaft ver.di sich zur bAV positioniert : ver.di-Bundeskongress
Vom 22.09 bis 28.09.2019 tagte der 5. ver.di-Bundeskongress, um die Weichen der Arbeit für die kommenden Jahre zu stellen. Was das für die betriebliche Altersvorsorge der nächsten Jahre bedeutet, zeigt folgender Beitrag auf.
Geschichte
ver.di wurde 2001 als Zusammenschluss aus HBV, DAG, IG Medien und ÖTV gegründet. Sie vertritt rund 2 Millionen Mitglieder in 13 Fachbereichen und nennt sich selbst die Gewerkschaft der tausend Berufe. Als zweitgrößte Gewerkschaft Deutschlands wird ver.di insbesondere bei Tarifauseinandersetzungen in der Öffentlichkeit sichtbar.
Herausforderungen
In der Bevölkerung schwindet das Bewusstsein, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Heute leben wir in einer Zeit der Entsolidarisierung und der egozentrischen Selbstvertretung.
Um hier entgegenzuwirken versuchen alle Gewerkschaften in Tarifverhandlungen auf Leistungen nur für Mitglieder zu setzen (was inzwischen juristisch möglich ist) und gestaltend auf Arbeitsbedingungen einzuwirken.
Hierzu gehört auch das große Thema „Sozialpartnermodell“.
Dies ist eine betriebliche Rente als sogenannter 6. Durchführungsweg, der gänzlich von den Tarifparteien als reine Beitragszusage („Tarifrente“ ohne Garantien für den Arbeitnehmer mit sogenannter „Wunschoder Zielrente“) ausgestaltet wird und als Referenz bzw. durch Allgemeinverbindlichkeit für eine Vielzahl vor allem Klein- und mittelständischer Unternehmen (zwangsweise) gelten wird. Außerdem darf ein Opting-out-Verfahren vereinbart werden. Sofern der Arbeitgeber Sozialbeiträge spart, muss er 15 Prozent des Umwandlungsbetrages (als Pauschale oder den individuell errechneten Sparbetrag) an den Arbeitnehmer bzw. die Versorgungseinrichtung weiterreichen. Zusätzlich darf ein Sicherungsbeitrag zwecks Haftungsfreistellung erhoben werden.
Übersetzt heißt das:
- Wer künftig keine (rechtskonforme) betriebliche Altersversorgung im Betrieb hat, kann als Arbeitgeber ggf. durch eine Allgemeinverbindlichkeitserklärung in einem Branchentarifvertrag in ein Versorgungswerk („gemeinsame Einrichtung“) gezwungen werden.
- Diese Einrichtung organisieren die Tarifvertragsparteien.
- Nachteil: Der Arbeitgeber kann sich keinen optimalen Anbieter/Durchführungsweg mehr aussuchen, dafür erspart er sich teilweise Haftungsprobleme.
- Das heißt auch ein Prüfstand für bestehende Verträge und Regelungen!
Beschlüsse
Im Antrag B04 hat ver.di auf seinem Bundeskongress folgende Positionierung beschlossen : „Für ver.di stellen Betriebsrenten ergänzend zur gesetzlichen Rente einen wichtigen Baustein für die Altersversorgung dar. ver.di steht zu einem Zwei-Säulen-System der Alterssicherung und setzt sich für die Stärkung der paritätisch finanzierten gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) in einem umlagefinanzierten, mit solidarischen Umverteilungselementen ausgestatteten System ein, das — ergänzt um eine betriebliche Altersversorgung (bAV) — eine lebensstandardsichernde Alterssicherung gewährleistet.
Doch gerade Beschäftigte im Niedriglohnsektor und in kleinen Unternehmen profitieren bisher deutlich seltener von einer Betriebsrente.

Das betrifft überwiegend Frauen. Insbesondere im Niedriglohnbereich sollte der Zugang zu Betriebsrenten durch eine stärkere finanzielle Beteiligung der Arbeitgeber erleichtert werden. ver.di setzt sich dafür ein, dass mehr Menschen, insbesondere Geringverdienende und Frauen, später eine Betriebsrente erhalten.
Für die Ablösung bestehender Tarifverträge und Betriebs- und Dienstvereinbarungen zur bAV durch Vereinbarungen, die für Beschäftigte zu Verschlechterungen führen, steht ver.di nicht zur Verfügung. Hier gilt es das Vertrauen der Beschäftigten auf ihre spätere Betriebsrente zu schützen
Das zum 01.01.2018 in Kraft getretene Betriebsrentenstärkungsgesetz (BRSG) hat die Absicht, die bAV insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen und im Niedriglohnbereich zu stärken. Unter der Prämisse, dass dadurch keine bereits bestehenden günstigeren Regeln für Beschäftigte verdrängt werden und dass der Aufbau der bAV dabei nicht zu Lasten der GRV erfolgt, wird dieses Ziel von ver.di unterstützt.
ver.di steht dazu, dass die reine Beitragszusage nur im Wege eines Tarifvertrages exklusiv zwischen den Sozialpartnern vereinbart werden kann (sog. Sozialpartnermodell). Eine Verbetrieblichung des Sozialpartnermodells lehnt ver.di ab.
Ausblick
Deshalb gilt die Branche des Einzelhandels als ein idealer Pilot für das neue Sozialpartnermodell — als Bündelung von Arbeitgeberfinanzierung, Entgeltumwandlung, Riester-Förderung und auch Geringverdiener-Zuschuss. Zudem besteht bereits ein Tarifvertrag zur Altersvorsorge aus 2001, der aufgrund z. B. eines expliziten Antragserfordernisses kaum genutzt wird und nunmehr als Basis für das neue Sozialpartnermodell genutzt werden soll. Außerdem — und das wird ein Novum — hat das Bundeswirtschaftsministerium bereits Allgemeinverbindlichkeit für den gesamten Einzelhandel und damit auch für die nichttarifgebundenen Unternehmen angekündigt. Das ist erst der Anfang und ein Signal für weitere Branchen!
Das Jahr 2019 und auch 2020 bringt viel Bewegung in Sachen betrieblicher Altersversorgung. Ob Grundrente oder Rentenkommission oder eben Lösungen auf tariflicher Ebene für die Betriebsrente. Die erste Branche verhandelt bereits intensiv. Das Pilotprojekt ist aber zum Erfolg verdammt! Zahlreiche Anbieter bringen sich hier in Stellung, vier Konsortien und zahlreiche Einzelversicherer möchten vom neuen Kuchen der „Tarifpartner-/Branchenmodelle unter BRSG“ ab 2020 partizipieren. Nicht jeder bringt neben dem Appetit auch die richtigen Zutaten und das Know-how mit!
Für ver.di und für alle Akteure der betrieblichen Altersversorgung heißt es daher: Augen auf und angefasst, denn vor dem Kongress ist nach dem Kongress.
