Zeichen der Zeit : Wie Ausschreibungen den Markt der betrieblichen Altersversorgung verändern
Viele Unternehmen behandeln ihre betriebliche Altersversorgung (bAV) sehr stiefmütterlich. Alte Gruppen- oder Rahmenverträge dümpeln seit Jahren vor sich hin, das Interesse der Mitarbeiter an Vorsorge ist – oft mangels Aufklärung und Beratung – gering und die Personalabteilung ist froh, an anderen Fronten tätig sein zu können.
Inzwischen macht sich sogar der Gesetzgeber Gedanken über eine Zwangs-bAV (aufgrund des mangelnden Sozialpartermodells), um die Deckungsquoten zu erhöhen. Dieser Beitrag zeigt auf, wer eine (Neu-) Ausschreibung der bAV angehen sollte und wie man im Kampf um Köpfe und Verträge hier die Nase vorn hat.
Haftung kann für Sie teuer werden …
Eine betriebliche Altersversorgung ist richtig und notwendig, in Form der Entgeltumwandlung sogar gesetzlich als Rechtsanspruch des Arbeitnehmers vorgeschrieben.
In Deutschland haben etwa 20 Millionen Arbeitnehmer entsprechende Abschlussmöglichkeiten im Rahmen des Betriebsrentengesetzes. Aber wussten Sie, dass Sie als Arbeitgeber bzw. Personalverantwortlicher die volle Verantwortung für den umgewandelten Betrag und dessen Schicksal im Rahmen des Durchführungsweges haben? Die Leitsätze des Bundesarbeitsgerichts in verschiedenen Urteilen betrachten den umgewandelten Betrag – auch den aus der Gehaltsumwandlung – weiterhin als (vorenthaltenen) Arbeitslohn, für den Sie als Arbeitgeber (Schuldner des Arbeitsentgelts) haften müssen, insbesondere dafür, dass der Betrag richtig, rechtssicher und wenigstens Wert erhaltend angelegt wird. Beispielsweise ist es in den Durchführungswegen Unterstützungskasse und Pensionsfonds für Arbeitgeber zu erheblichen Nachschussverpflichtungen gekommen, um Wertverluste (z. B. durch Finanzkrise und fehlerhafte Geldanlage der Anbieter) aufzufangen.
Das Schicksal öffentlicher Unternehmen
In öffentlichen Unternehmen regelten bisher Tarifverträge, wie der Rechtsanspruch der Beschäftigten auf eine betriebliche Altersversorgung über Entgeltumwandlung – neben den anderen Versorgungssystemen (z. B. Versorgungsanstalt des Bundes und der Ländern – VBL) – verwirklicht werden kann. Meist waren hier bestimmte Anbieter, die selbst öffentlich-rechtlichen Charakter hatten, festgeschrieben. Bereits am 15.07.2010 entschied der Europäische Gerichtshof unter dem Aktenzeichen C-271/08, dass diese Praxis unzulässig ist und gegen das europäische Wettbewerbsrecht, das freien Zugang für alle Anbieter betrieblicher Altersversorgung gewährleisten soll, verstößt.
Der Prüfungsgegenstand war exemplarisch der 2003 zwischen der Gewerkschaft Ver.di und dem Verband der kommunalen Arbeitgeber (VKA) abgeschlossene Tarifvertrag mit Entgeltumwandlungsvereinbarung ausschließlich über den Anbieter der Sparkassen-Gruppe.
Daraus folgt, dass
- sämtliche Unternehmen verpflichtet sind, ihre betriebliche Altersversorgung öffentlich neu auszuschreiben.
- Ab einem Schwellenwert von ca. 1.700 bis 2.000 Mitarbeitern und einem Auftragsvolumen von 193.000 Euro muss sogar eine europaweite Ausschreibung erfolgen.
Deutschland wurde aufgefordert, dieses Urteil rasch in nationales Recht umzusetzen.
Private Unternehmen
Viele private Unternehmen sollten ihre dahindümpelnden Verträge der betrieblichen Altersversorgung u. a. unter den folgenden Gesichtspunkten prüfen:
- Welchen Anreiz bieten diese Verträge für meine Arbeitnehmer und zukünftig zu umwerbende Fachkräfte und welche Bindungs- und Ersparnispotenzialen beinhalten sie für den Arbeitgeber? • Habe ich bessere Verträge ausgehandelt, als es am Markt gibt, da ja sonst jeder zum Versicherungsvertreter seines Vertrauens gehen könnte und die Abschlussbereitschaft über die Firma gering ist?
- Welche Haftungstatbestände (zum Beispiel Auffüllrisiken, Übernahme fremder Verträge, Fluktuation) habe ich im Bestand?
Sie sollten in der Regel eine Neuausschreibung/Neuvergabe ins Auge fassen, um
- den heute besten Anbieter der gewählten Durchführungswege ins Unternehmen zu lassen,
- Marktrisiken wie sinkende Garantiezinsen (unter Inflationsniveau, ab 2021 0,5 Prozent Rechnungszins) und fehlende Beitragsgarantie (die Allianz bietet seit Herbst 2020 Verträge mit 60 bis 90 Prozent Beitragsgarantien an) abzumildern,
- biometrische Risiken besser abzusichern und
- einen versierten und haftungsfreien Vertrieb mit gutem Betreuungskonzept auszuwählen.
Was kann man erreichen?
Beispiel 1 –Garantiezins
Im Lebensversicherungsgeschäft, das gerade oft aus steuerlichen Aspekten interessant ist, sinkt die Nachfrage nach klassischen Produkten deutlich, da die Garantiezinsen durch mangelnde Ertragschancen drastisch gesunken sind. Der Garantiezins (richtiger: gesetzlicher Höchstrechnungszins) in Deutschland auf den Sparanteil einer Lebensversicherung (Beitrag nach Abzug von Risiko- und Kostenanteil) beträgt inzwischen sage und schreibe 0,9 Prozent pro Jahr. Ab 2021 wird er auf 0,5 Prozent abgesenkt! In den Jahren 1995 bis 2000 betrug dieser Zinssatz immerhin 4 Prozent per annum.
Damit wird eine Alters- und Hinterbliebenenvorsorge zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards spürbar teurer. Die Versicherungswirtschaft sucht Lösungen, die den Kunden mit mehr Rendite ködern, aber auch einiges an Sicherheit versprechen. Moderne Lebensversicherungsprodukte sind hier unter anderem die „Variable Annuities“ und „Fondsprodukte mit Garantie“. Am Markt sind auch verschiedene Fondsprodukte mit Garantien (z. B. Höchststand, Ablaufsumme, Beitragserhalt) mit unterschiedlich starrer oder flexibler Fondsauswahl erhältlich.
Hinweis:
Gerade bei der betrieblichen Altersversorgung, die ja letztendlich eine klassische Lebens- oder Rentenpolice ist, für die allerdings der Arbeitgeber weitestgehend und bis hin zum Werterhalt/ Inflationsausgleich haftet, muss der Personalverantwortliche genau das Kleingedruckte des Produkts prüfen und einerseits einen finanzstarken Anbieter auswählen – der auch Verluste bei Börsencrashs zugunsten der Garantien ausgleichen kann – sowie andererseits die Sinnhaftigkeit eines börsenorientierten Produkts zur Deckung von Versorgungslücken prüfen, da der alte Grundsatz „Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach“ auch hier Geltung entfaltet.
Beobachtet werden sollte auch der Trend zur Aufkündigung alter Produkte mit hohen Garantiezinsen aus der Vergangenheit, die ja über die gesamte Laufzeit eingehalten werden müssen, durch die Anbieter. Bausparkassen haben dies vor einiger Zeit schon erfolgreich praktiziert. Bei der betrieblichen Altersversorgung ist, auch wenn dies nur für öffentliche Unternehmen Pflicht ist, eine Ausschreibung angeraten, um mehr Einfluss auf das Produkt und die Anbieterauswahl zu erhalten.
Anbieter sind in der Lage – auch wenn sie immer das Gegenteil behaupten – deutlich höhere Garantiezinsen – über Produkt-, Tarif-, Kosten oder Eigenkapitalmodifikationen, z. B. als vorweggenommene Überschüsse oder Jahresdeklarationen – in einer Ausschreibung abzubilden und damit höhere garantierte Renten für die Arbeitnehmer auszuweisen!
Was kann man erreichen?
Beispiel 2: Berufsunfähigkeit
Sie als Personaler überlegen sich, für
- welche Berufsgruppen und
- in welcher Höhe und
- zu welchen Konditionen die Mitarbeiter eine private (oder betriebliche bzw. bezuschusste) Berufsunfähigkeit abschließen sollten. Als guter Arbeitgeber handeln Sie dazu mit einem ausgewählten Anbieter (durch Ausschreibung neutral ermittelt) den Rahmenvertrag aus, der u. a.
- verbesserte Gesundheitsfragen (z. B. keine Fragen oder sogenannte Dienstobliegenheitserklärungen),
- besondere Leistungsparameter (z. B. Erkrankungen durch Corona oder virale Erkrankungen),
- Regelungen zum Ausscheiden (Arbeitgeberwechsel),
- Anforderungen an den Anbieter (z. B. geringe Streitfall-Quote bei Berufsunfähigkeit) und
- Leistungen der Berufsunfähigkeit und deren Feststellung (z. B. Schlichtungsgutachter) enthalten sollte.
Die ersten Erfolge zeigen sich deutlich
Die ersten großen Unternehmen (über 10.000 Beschäftigte) haben erfolgreich ihre Ausschreibungen beendet und betriebliche Altersvorsorgelösungen nach Maß und mit voller Zukunftsfestigkeit erhalten, auch wenn es um die Absicherung biometrischer Risiken geht. Es zeigte sich dabei, dass die bisherigen Anbieter der tarif- oder gruppenvertraglichen Lösungen nicht das beste Angebot im direkten Vergleich offerieren konnten. Beispielsweise ist es auch gelungen, bei einem Unternehmen aus dem Sozialbereich (fast 13.000 Beschäftigte) alle Mitarbeiter ohne Ansehen von Alter, Beruf oder Vorerkrankungen ohne Gesundheitsprüfung mit einem brancheneinmaligen Berufsunfähigkeitsschutz zu versorgen, der gesetzliche Lücken zu einem bezahlbaren Preis schließt. So gewinnt man den Kampf um die Köpfe von morgen und schlägt mit dem künftigen Fachkräftemangel und der Ausschreibungspflicht gleichzeitig zwei Fliegen mit einer Klappe!
Handlungsnotwendigkeiten
Es ist für Personalverantwortliche dringender Handlungsbedarf, da Schadenersatzforderungen und Haftungsprobleme sowie Geldbußen (zumindest im öffentlichen Dienst) und – neu – eine „Zwangs-bAV“ (Nahles-Rente/ Sozialpartnerlösung) mindestens für kleine und mittlere Unternehmen drohen. Unwissenheit schützt bekanntlich vor Strafe nicht!
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht hat ebenfalls verlautbart, dass viele Versicherer aufgrund zusätzlicher Eigenkapitalvorschriften (Solvency) in Schieflage geraten sind. Machen Sie sich deshalb zunächst fit in den Details der komplexen Aufgabe, die auf Sie zukommt.
Wenden Sie sich auf jeden Fall an einen unabhängigen externen und in diesen Belangen erfahrenen Berater, der kein Vermittler, Makler oder Anbieter der betrieblichen Altersversorgung ist, um Interessenkonflikte und ein angreifbares Auswahlverfahren zu vermeiden. Dieser muss für Sie individuell einen Fahrplan erstellen und Ihre notwendigen Leistungsbedarfe analysieren sowie ggf. ein Team aus externen und internen Verantwortlichen gruppieren, um alles korrekt und juristisch eindeutig und selbstverständlich mit moderner Digitalstrecke (Abschluss und Verwaltung) abwickeln zu können.
Andreas Nareuisch, Betriebs- und Finanzfachwirt und Bundessachverständiger