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Führung : „Ethisch führen – out oder total angesagt?“

Mitarbeiter verlassen keine Jobs, sie verlassen Führungskräfte, so heißt es wohl nicht umsonst. Die Kraft der faktischen Kündigung wird weiterhin viel zu sehr unterschätzt, wenn man Kosten und Aufwand für eine adäquate Neubesetzung betrachtet. Die stille „innere Kündigung“ als Ergebnis enttäuschender Arbeitsverhältnisse führt dazu, dass unglückliche und unproduktive Mitarbeiter weiter passiv ausharren. Kann sich die Arbeitswelt eine verfehlte Führung überhaupt noch leisten? Und wieso fehlt es in diesem Zusammenhang in der Führung unbedingt an Aspekten der Ethik und Moral?

Lesezeit 11 Min.

Das Bedürfnis von Arbeitnehmern in Bezug auf Nachhaltigkeit und Werte hat sich stark verändert, wodurch sich die dringende Frage stellt, was unbedingt bewahrt und was dringend geändert bzw. ganz neu angegangen werden muss. Unter welchen starken Einbußen leiden Wirtschaft und Arbeitswelt auch insgeheim dadurch? Woran es in unserer Zeit inzwischen in erhöhtem Maße in der Führung fehlt, wo sich die Gesellschaft und Arbeitswelt vermeintlich angeblich doch immer nach vorn und zum Besseren bewegt, das zeigt Unternehmer- und Führungskräftecoach Thomas Kiefer im Gespräch auf.

Ethisch führen
Ethisch führen
Thomas Kiefer
Thomas Kiefer

Die Auslebung von Ego- und Machtgehabe in Führungspositionen sollte (eigentlich) endlich unbedingt ausgedient haben, wird aber immer noch zu oft praktiziert und ausgelebt – quasi als Sinnbild von „Führungsqualität“ als vermeintlicher Stärke. Auch finden sich bis in große Konzerne hinein weiterhin die Führungsstile mit kompetitiven oder sich selbst regulierenden Teams, was ja letztlich ein führungsloses gewolltes Gegeneinander bedeutet. Moralisches Bewusstsein scheint hier völlig abwesend zu sein. Was braucht es, diese veralteten (und mitarbeiterverachtenden) Mindsets grundlegend zu überwinden und dabei gleichzeitig „gesundes Führen“ wirkungsvoll in sämtlichen hierarchischen Stufen zu implementieren?

Wettbewerb und Selbstregulation sind nicht per se nachteilig zu bewerten. Ich sehe darin durchaus sinnvolle Mittel, je nach ethischem Zweck, den man damit verfolgt. Oder?

Sie sprechen von gesundem Führen. Und Gesundheit ist ein ziemlich guter Begriff dafür. Wie gesund sind unsere Organisationen? Machen diese die in ihr arbeitenden Menschen eher gesund, wirken diese heilsam, oder machen diese, pathologischen Mustern folgend, gar krank?

Wenn wir dieser Frage weiter nachgehen, wird schnell klar, worum es geht. Ein einfaches Beispiel: Wird, wenn der Chef das Sitzungszimmer betritt, sich fröhlich weiter unterhalten, oder wird die versammelte Gruppe von einem auf den anderen Moment ernst und verlegen, ist eine negative Spannung förmlich am eigenen Leib zu spüren?

Zuallererst braucht es keine Konzepte, keine Projekte zur Entwicklung gesunder Führung, es braucht die Haltung, das Menschenbild, im Menschen auch den selbigen zu sehen, mit seinen Sorgen und Nöten, seinen Werten und Bedürfnissen, das, was ihn eben umtreibt. Die Ressource Mensch nicht reduziert auf einen Produktionsfaktor, sondert wertgeschätzt, zuallererst als Mensch, auf Augenhöhe. Bilder führen da weiter. Ist eine typische Führungskraft im betrachteten Unternehmen eher ein misstrauischer Machtmensch, der Sprosse um Sprosse auf der sogenannten Karriereleiter erklimmt, sich in alle Richtungen absichert, nur um über noch mehr Köpfe als vorher zu führen und zu herrschen?

Oder sehe ich auf meinem Bild eine Führungskraft, die ihre Führungsfunktion verantwortlich und umsichtig ausübt, alle verfügbaren Instrumente als wirksame Stellhebel in einer kooperativen, freundlichen und fruchtbaren Umgebung der Zusammenarbeit zu nutzen versteht? Ergo: Es braucht den unbedingten Willen der zentralen handelnden Personen, gesund führen zu wollen. Und, falls dem gegenwärtig nicht immer so sein sollte, den bestimmten Wunsch, sich nicht mehr zufriedengeben zu wollen, mit scheinheiligem Gequatsche von Vertrauen, wir haben uns alle lieb, unaufrichtigem Verhalten, schwelenden und oft bewusst geschürten Konflikten, fehlender Klarheit in Bezug auf einmal getroffene Vereinbarungen, bewusstem Aussitzen und Aufschieben von Entscheidungen usw. Es braucht Mut und Idealismus, um voranzugehen in der Überzeugung, das können wir eigentlich besser, viel besser, menschlicher.

Ethisch führen 2
Ethisch führen 2

Besonders in der Führung stoßen wir schnell auf die grundlegenden Fragen der Ethik. Was soll ich tun? Wie verhalte ich mich richtig? Ein erster, wegweisender Schritt könnte sein, über Fragen wie diese in den Austausch zu gehen. Moralische Wertvorstellungen im Unternehmen in den Blick zu nehmen, diese kritisch zu hinterfragen. Haben wir einen Code of Conduct? Falls ja, ist dieser nur dem Compliance- Beauftragten bekannt oder ein Thema für die gesamte Führungsmannschaft? Und zu fragen: Wie führen wir uns und andere aktuell? Wie wollen wir eigentlich führen? Was ist für uns gesunde Führung? Wie kann werteorientierte Führung für uns aussehen? Um gesunde Führung nachhaltig zu implementieren, könnten die Führungskräfte gemeinsam tragfähige, ethische Führungsprinzipien für sich erarbeiten und diese in einem Führungskodex verankern. Den sie dann selbstverständlich nicht in Schubladen legen und vergessen. Sondern den sie zur Chefsache machen und in offenen Runden regelmäßig reflektieren, ergänzen, neu justieren und immer wieder neu überlegen: Was heißt es konkret, unseren Führungskodex täglich zu leben. Wo klappt das ganz gut? Wo funktioniert das noch nicht, und was ist zu tun?

Führungskraft sollte sogar ein (ganz) eigener Job sein, das fordern bereits viele. Die (jüngere) Vergangenheit hat gezeigt, dass in einer immer komplexer werdenden Arbeitswelt die Personalunion von Führung und hoher Fachexpertise oft längst nicht mehr reicht, um den Anforderungen unserer heutigen Zeit gerecht zu werden. Was ist den Führungskräften von heute entscheidend verloren gegangen und was darf im Stellenprofil der Führungspersönlichkeit von morgen keinesfalls fehlen, auch um ethisches Handeln im Fokus zu haben?

Was sicherlich ein Stück weit verloren gegangen ist, ist die Zeit. Zumindest gefühlt im Sinne von stets zu wenig Zeit zu haben für Führungs- und Mitarbeitergespräche.

Ethisch führen 3
Ethisch führen 3

Hier braucht es zuallererst Mut, sich diese Zeit trotzdem immer wieder zu nehmen. Dann, erkennen zu dürfen, wie wertvoll investiert diese Zeit ist und dass diese an anderer Stelle oft mehrfach wieder eingespart werden kann.

Eine Führungskraft, die gut und gesund führen will, muss selbst gesund und menschlich reif sein. Damit meine ich, mit sich selbst im Reinen. Klarheit zu haben über die eigenen Rollen, Werte, Ziele, Aufgaben usw. Es braucht stabile Persönlichkeiten. Und deshalb zuallererst die Investition in Selbstund Persönlichkeitsentwicklung. Als Führungskraft muss ich mir – und zwar zu jeder Zeit – meiner Verantwortung voll bewusst sein, dass ich über Wohl und Wehe von Menschen entscheide. Der Heilige Benedikt hat das in seiner berühmten Regel im sechsten Jahrhundert in RB 2 – „Wie der Abt sein soll“ – so formuliert: „Er darf auch nie vergessen, dass, wer die Leitung von Seelen übernimmt, sich zur Rechenschaft bereithalten muss …“

Auch wenn der Tugendbegriff heute alles andere als modern ist, lassen sich daraus grundlegende Führungstugenden ableiten. Die Klugheit – heute würde man sagen Kompetenz – im analytischen und strategischen Denken, im Treffen guter Entscheidungen. Die Gerechtigkeit, vor allem bei der Behandlung der Mitarbeitenden, der verständigen genauso wie der weniger verständigen. Die Tapferkeit, heute vielleicht der Mut, alte Zöpfe abzuschneiden, ungute Entwicklungen ehrlich zu benennen und abzustellen, Neues zu versuchen, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Und schließlich Maß halten, vielleicht im Führen meiner Mitarbeitenden – je nach Situation und Umstand, mit der Strenge eines Trainers oder der Geduld eines Vaters zu agieren.

Die Kommunikationsfähigkeit steht oft ziemlich weit vorn auf den Listen der wichtigsten Eigenschaften einer guten Führungskraft. Ich gehe noch einen Schritt weiter. Eine Führungskraft muss zuallererst einmal beziehungsfähig sein, Empathievermögen haben, soziale Verantwortung tragen wollen, soziale Kompetenzen haben und emotional intelligent sein.

Thomas von Aquin hat einmal gesagt, das Tun folgt dem Sein. Das heißt, es geht um Haltung. An erster Stelle steht meine Mannschaft, der ich als Vorbild vorangehe, die ich zu begeistern weiß, mit der ich gemeinsam Visionen pflege und Ziele setze. Sehr eindringlich veranschaulicht das Bild des Gärtners, um was es bei gesunder Führung geht. Ich muss ein Gespür dafür entwickeln, welche Dosis welcher Mineralstoffe meine Mitarbeitenden gerade für ihre gesunde Entwicklung brauchen, für diese Lern- und Entwicklungsräume schaffen. Und ich muss nichts sehnlicher wollen, als meine Mitarbeitenden zum Blühen zu bringen. Dafür braucht es Achtsamkeit und Präsenz. Eine gute Führungskraft weiß immer, wie die Stimmung ist und wie es ihren Mitarbeitenden gerade geht.

Ethisch führen 4
Ethisch führen 4

Das Ergebnis von Führung sollten auch Sicherheit, Perspektive und Nachhaltigkeit sein. Das bezieht sich nun vermehrt nicht mehr ausschließlich auf die „Kernfrage der Arbeitsplatzsituation“. Chefs werden immer mehr darin gefordert sein, (weitere) Sorgen abzunehmen und dabei unter ethischen und moralischen Kriterien zu handeln – auch im Hinblick auf die Bestandssicherung und den Gesundheitszustand des Personals im Unternehmensinteresse. Bedeutet das nun eine notwendige Rückkehr zum einstigen Bild des „Patriarchats“ im Sinne einer umfassenden und fürsorglichen Führungsgestaltung?

Die Rolle des Patriarchen, weise ausgefüllt, hat sehr wohl Charme. Was können wir uns hier abschauen, das auch in die heutige Zeit passt und, vor allem, nottut? Lassen Sie mich Ihr Bild ein wenig abwandeln und vom Patriarchen zum guten Hirten aus der Bibel kommen. Der gute Hirte, der nicht wegläuft, wenn es brenzlig wird, sondern der sein Leben geben würde, um seine Schutzbefohlenen vor dem Wolf zu schützen. Die Schafe, die ihrem Hirten nicht blind, aber vollständig Vertrauen und in Selbstverantwortung folgen.

Stellen Sie sich die Frage, wer der beste Chef war, den Sie je hatten? Und warum? Wahrscheinlich, weil sie zu ihm kommen konnten mit ihren Sorgen und Nöten, er ihnen zugehört hat, er sie gefördert hat nach ihren Talenten, er vielleicht streng, dafür stets transparent und klar in seinen Entscheidungen war.

Wem das Bild des guten Hirten zu antiquiert ist, möge dieses gern durch den Spielertrainer ersetzen, der vorausläuft, sich einsetzt, aktiv mitspielt, wenn er gebraucht wird.

Und der weiß, wann es seine Mannschaft auch ohne ihn schaffen wird, wann er sich zurücknimmt. Der für Struktur und Ordnung sorgt, der ermöglicht, ein echter Teamentwickler ist. Und ein Netzwerker, der cross-funktional neue Fäden spinnt, zusammenbringt, vermittelt, Brücken baut und Wert schafft.

Gerade die jüngeren Generationen wünschen sich ganz besonders einen Führungsstil auf Augenhöhe mit einer motivierenden Portion Vertrauensvorschuss. Moderne Führung braucht also ebenso Aspekte der Freiheit wie auch der Bindung. Generell ist auch Gerechtigkeit ein (moralischer) Aspekt, der einen wachsenden Einfluss bei der Mitarbeiterzufriedenheit gewinnt – länger und ältere Beschäftigte beklagen, dass der Fachkräftemangel durch andere Recruiting- Ansätze wesentlich bessere Konditionen für Neuzugänge schafft und damit Ungleichgewichte bei der Behandlung der Belegschaft. Wie schafft man es, eine gute und gerechte Behandlung zu etablieren, und dies auch gut zu vermitteln?

Der Markt regelt Angebot und Nachfrage. Wenn ich Skills haben möchte, die aktuell schwer zu bekommen sind, dann muss ich investieren. Jüngere sind oft mobiler und flexibler. Dafür könnten Ältere neu in Weiterentwicklung investieren. Wer einen wertschöpfenden Beitrag leistet, wird dies honoriert bekommen.

Die Führungskraft muss die Kunst beherrschen, jeden Spieler ihrer Mannschaft für das gemeinsame Ziel zu begeistern. Es müssen nicht alle gleich behandelt werden, aber es muss klare und transparente Spielregeln geben, die zwingend für alle gelten. Deshalb ist es zum Beispiel nicht hinzunehmen, wenn der Starspieler regelmäßig eine Stunde später als alle anderen zum Training kommt. Jeder ist nach seinen Talenten zu fördern.

Die Mannschaft wird umso erfolgreicher sein, je besser individuelle Stärken in heterogenen, verteilten und diversen Teams zum Wohle aller in Wirkung kommen. Unterschiede sind gewollt und akzeptiert in einem Team, das sich vertraut, das mutig Konflikte klärt, klare Vereinbarungen miteinander trifft und sich gegenseitig zur Rechenschaft zieht, wenn diese nicht eingehalten werden. Ergänzend zum gemeinsamen Fokus auf Ergebnisse braucht es fundamental den Fokus auf die gemeinsamen Werte. Ein praktisches Beispiel: Eine von mir begleitete Gruppe von Führungskräften hatte einen Wertebaum für sich entwickelt. Quasi als dynamischen Orientierungsbaum. Dieser Wertebaum wird seither immer wieder reflektiert. Es wird bewertet, wo und wann Haltung und Handeln im Einklang mit diesem Wertebaum standen und stehen. Sobald die Gruppe erkennt, dass sie von ihrem Wertebaum abweicht, wird das analysiert und neu justiert.

Ethisch führen 5
Ethisch führen 5

Durch künstliche Intelligenz (KI) wird in der Arbeitswelt so einiges auf den Kopf gestellt. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales sieht dafür langfristig eine garantiert humanere Arbeitswelt durch deren Einsatz – das klingt nach sehr hohen Zielen für die Zukunft. Gleichzeitig plagen faktisch aber schon viele Arbeitnehmer tiefgreifende Sorgen vor Veränderungen und Arbeitsplatzverlusten. Außerdem ist die Nutzung von KI nicht selten eine Gratwanderung, wenn es um urheberrechtliche Belange geht. Welchen Hauptherausforderungen müssen sich ethisch und moralisch agierende Führungskräfte beim künftigen Einsatz von KI stellen?

Auf absehbare Zeit wird KI-Führung nicht ersetzen. Denn gerade in der Aufgabe und Rolle der Führung wird deutlich, was Menschsein ausmacht. Den Menschen, der Verantwortung übernimmt, Gefühle wahrnimmt und zeigt, Beziehung gestaltet, Menschen begeistert, empathisch zuhört und vieles mehr.

KI ist mit Neugier zu beobachten und einzuordnen. Wie können wir die neuen, revolutionären Werkzeuge so nutzen, dass sie uns als Unternehmen genauso wie uns als Menschen dienen? Denken wir an die Nutzung von KI bei der Früherkennung von Krankheiten.

KI ist von Führungskräften zu bewerten: Was davon ist gut, bringt uns weiter? Was sind Fakten? Was ist Fake? Was ist, z. B. nach unserem definierten Code of Conduct, vertretbar und was nicht. Dafür braucht es einen Diskurs im Unternehmen im Sinne von: „Welches Ziel will ich erreichen und welche Mittel setze ich ein?“

KI wird viele heutigen Jobs obsolet machen. Das ist unbestritten. Deshalb ist KI im Unternehmen sozialverträglich einzubinden. Und doch wird es ohne Sozialpläne oft nicht gehen. Mit Betroffenen sollte ehrlich und frühzeitig gesprochen und es sollten Entwicklungsperspektiven aufgezeigt werden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Dr. Silvija Franjic, Redakteurin + Jobcoach

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