Kurswende oder Neuausrichtung : Alles eine Frage der Führung?
Was ist von der harten Kurswende in der Krise wirklich zu halten? Unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit und Anteilnahme beordert ein Teil der – auch sehr großen – Unternehmen seit Ende 2024 seine Beschäftigten in die Präsenzpflicht zurück.
Ist es wirklich erforderlich, so radikal, groß angelegt und letztlich hart durchzugreifen? Kehren wir damit zu veralteten Management-Methoden zurück, die bereits zuvor genauso wenig funktioniert haben? Können wir es uns leisten, die bestehenden Vorteile einfach über Bord zu werfen? Sollte man oder muss man nicht sogar ganz dringend „oben“ statt „unten“ ansetzen? Ist es nicht vielmehr vor allem eins: eine Frage der Führung – aus der Ferne?
„Führen ist nichts für Feiglinge“, damit lockt Dr. med. Timm Steuber Führungskräfte wohlbegründet regelmäßig aus der Reserve. Und tatsächlich wollen nicht wenige Unternehmen gezielt nachbessern: Sie etablieren gerade neue Arbeitsmodelle, um dem aktuellen Personalbedarf noch gezielter gerecht zu werden. Dabei sehen sie sich konfrontiert mit dem Meistern von ganz eigenen Herausforderungen und dem Finden angemessener Herangehensweisen für eine gelingende gesunde Führung auf Distanz.
Führungskräfte brauchen mehr als ein paar tolle Tools und oder einfach die „Heraufbeschwörung“ des erforderlichen Mindsets, um erfolgreich aus der Ferne führen und dabei dem einzelnen Mitarbeiter gerecht zu werden. Sie müssen nicht nur wissen, wie man sich im virtuellen Raum verhält, sondern vor allem in der Lage sein, Belastungsschwankungen und -spitzen auszubalancieren sowie kleine und große Krisen zu bewältigen.
Es geht dabei auch um deutlich mehr, als nur den „Gap der Entfernung“ auszugleichen, es geht um Verantwortung, Vertrauen, Bindung – und um echte Zusammenarbeit, wie und wo auch immer. Eine gute, geeignete (und geschulte) Führungskraft geht mit allen Mitarbeitenden genauso und gleich gut voran und führt sie persönlich, das Team im Ganzen und letztlich das Unternehmen zum Erfolg. Wo sich dabei (trotzdem) Problemlagen auftun können, wie man diesen speziellen Anforderungen begegnet und was es dabei zu beachten und möglicherweise zu verbessern gibt, das beantwortet Gudrun Höhne, Trainerin und Führungskräftecoach für Remote Leadership beim Thema „Sieben essenzielle Empfehlungen bei hybrider oder remoter Führung“.
Bindung „auf Befehl“?
Die emotionale Bindung ans Unternehmen nimmt ab. Laut Gallup hat inzwischen fast jeder Fünfte innerlich gekündigt – denn ganze 19 Prozent der Arbeitnehmenden sind emotional nicht mehr an ihren Arbeitgeber gebunden. Manche glauben, eine Hauptursache im Remote Work zu sehen. Könnte die vermehrte HomeofficeRegelungen hier wirklich (auch) eine Rolle spielen? Oder trägt der derzeitige Krisenmodus vieler Unternehmen zu überstürzten arbeitstechnischen „Übersprungshandlungen“ bei, die vielleicht sogar das Gegenteil bewirken werden, wenn man Mitarbeitende zu sehr in die Präsenz zwingt?
Zu weit weg?
Führen an sich ist ja bereits ein herausforderndes Thema, insbesondere da Mitarbeiter hierzulande überdurchschnittlich oft aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen zur Führungskraft gemacht werden. Hinzu kommen die zusätzlichen Anforderungen durch „remote, hybrid und Homeoffice“. Wie begegnet man so einer doppelt schweren Herausforderung am besten? Wie und wo sollte man sich da als Führungskraft – und besser früher als „zu spät“ – Unterstützung holen?
Ausgebrannt oder richtig ausgeschlafen?
Es wäre Augenwischerei, wenn man sich vormacht, dass trotz aller Führungsbemühungen qualitäten Mitarbeiter sich nicht auch mal „fortschleichen“, um zu verbergen, dass sie während ihrer Abwesenheit im Grunde untätig sind. Das kann jedoch wesentlich schwerwiegendere Gründe haben als Faulheit oder gezielte Betrugsabsichten. Was tun, wenn man vermutet, dass überlastete und ausgebrannte Mitarbeitende „Arbeitsflucht begehen“? Andersherum gibt es ja auch gesundheitlich positive Aspekte der Ortsabwesenheit, indem die Mittagspause für ein Nickerchen zu Hause genutzt werden kann. Eine Online-Befragung der Krankenkasse Pronova BKK hat ergeben, dass 17 Prozent der von ihr befragten Berufstätigen 2024 gelegentlich ein 10- bis 20-minütiges Nickerchen im Homeoffice machen würden, 9 Prozent häufig und immerhin 13 Prozent selten – vertrauensvoll vorausgesetzt, es wird wirklich die Pause dafür genutzt. Wie können Unternehmen ihre Ängste ablegen, dass sich mehr ausgeruht als gearbeitet wird. Wie gewinnen sie das Vertrauen in die gesundheitlichen Vorteile (zurück)?
Tolles Team?
Zur Zusammenarbeit kann man stetig ermuntern, aber wirklich dazu zwingen kann man niemanden. Eine gute und gesunde Teamkultur muss man nachhaltig fördern und pflegen – auch für die und mit denen, die (temporär) nicht vor Ort sind. Wie unterstützt man „Collaboration“ und fördert vielleicht sogar den „Spaß aus der Ferne“ daran und miteinander, wo es guttut und wo es nötig ist? Wie verhindert man, dass häufiger Abwesende diffamiert und bewusst ausgegrenzt werden? Wo haben hier sowohl Kontrolle als auch Vertrauen berechtigt ihre Grenzen, während Verantwortung und Fürsorgepflicht ungemindert bestehen bleiben? Wie gelingt es, dass es heißt „gemeinsam statt einsam“, und wie vermitteln wir psychologische Sicherheit – auch aus der Ferne?
Entlegene Emotionen?
Jede Form der „beruflichen Fernbeziehung“ sollte auf ihre eigene und besondere Weise gepflegt werden. Wenn man sich kaum direkt und persönlich sieht, lassen sich aber auch Emotionen leichter (während der kurzen und von Distanz geprägten Begegnungsspannen) vortäuschen, ausblenden oder überspielen. Trägt die Online-Netiquette dazu bei, dass berechtigte Kritik und aufgekommener Unmut „zu kurz kommen“? Kann es dadurch passieren, dass sich diese gar ungerecht verteilen, weil bei der Arbeit physisch Anwesende einfachere „Blitzableiter“ darstellen? Führt ein Mix von verschiedenen Arbeitsmodellen möglichweise zu (unbewusstem) „Unfrieden“ im Team? Und wie könnte man so etwas verhindern bzw. „gerecht organisieren“ und ausführen? Wie gestalten sich die (Gesamt-)Feedbackkultur, aber auch mal eine Zurechtweisung oder Sanktion am besten für alle?
Von starken Vorbildern und Vorteilen (aus) der Ferne?
Die vorangegangenen Fragen und die Ausführungen dazu machen auf sehr anschauliche Weise deutlich, welche besonderen Aspekte beim „Führen aus der Ferne“ unbedingt bedacht werden sollten, um nicht nur zu einer positiven Gestaltung und zum (glücklichen) Gelingen beizutragen, sondern wesentlich problembewusster, optimistischer, gezielter und vor allem mutiger an die Sache heranzugehen. Da bietet es sich zum Schluss noch an, zu fragen: Wie erfüllen Führungskräfte ihre Vorbildrolle in diesen Konstellationen darüber hinaus selbst am besten? Und wie wollen und können diese abschließend unter Benennung der in der Vergangenheit bereits belegten und unschlagbaren Vorteilen noch mal ganz ausdrücklich alle dazu ermutigen, sich dem Thema erst recht (wieder) zu stellen?
Dr. Silvija Franjic, Jobcoach und Redakteurin