Sieben essenzielle Empfehlungen bei hybrider oder remoter Führung
Hybride und Remote-Teams erfolgreich führen – mit Vertrauen, klarer Kommunikation und emotionaler Intelligenz. Sieben praxisnahe Empfehlungen zeigen, wie moderne Führung auf Distanz gelingt.
Bei dauerhafter hybrider oder remoter Führung gibt es einiges zu beachten: Was während Corona ad hoc irgendwie und überraschend gut funktioniert hat, gilt es jetzt nicht nur zu professionalisieren, sondern gekonnt zu „perfektionieren“, wo eben (berechtigte) Kritik besteht. Denn es macht einen „außerordentlichen“ Unterschied, ob ich während einer Pandemie, also in einer schon extrem ungewöhnlichen Notsituation, remote führe oder auf Dauer. Der Weg zurück, zu starker Präsenzpflicht und alter Führung, funktioniert für die meisten Unternehmen nicht ohne große Verluste. Zielführender ist es, sich die Remote-Führung genauer anzusehen und sie auf das nächste Level zu heben. Das bedeutet konkret: nichts unbesehen „über Bord zu werfen“, sondern gezielt und differenziert zu unterscheiden und auch abzuwägen. Denn die (vielen) positive Effekte der Mobilarbeit gab und gibt es ja – nachweislich. Sie einfach allzu pauschal zurückzunehmen, gleicht einer „Kollektivstrafe für die Guten“. Sollten Entscheider zu solchen Mitteln greifen müssen, so könnten sie sich vorher vielleicht erst noch gezielt (selbst-) kritisch hinterfragen.
Wenn Führungskräfte diese sieben Empfehlungen nicht nur beachten, sondern auch mehr „beherzigen“, dann sind sie auf einem sehr guten und durchaus zukunftsträchtigen Weg:
1. Teammitglieder motivieren und Verantwortung abgeben
Durch ihr motivierendes und wohlwollendes Führungsverhalten ermutigt die Führungskraft die Teammitglieder und stellt damit sicher, dass die Potenziale im Team auch wirklich genutzt werden. Hierbei ist es sehr wichtig, dass die Führungskraft in Erfahrung bringt, welche Aufgaben den Mitarbeitenden besonders viel Freude bereiten und welche Flexibilität sie benötigen, um eben auch die besonderen Mehrwerte und Win-win-Faktoren ins Bewusstsein zu bringen und zum Wohl aller abzurufen. Hier können die individuellen Arbeitsumstände noch in besonderem Maße zum außergewöhnlichen Ergebnis beitragen, z. B. durch mehr Ruhe, Flexibilität oder andere individuell angepasste Ausgleichsmöglichkeiten der Arbeitsorganisation etc..
Je mehr die Führungskraft ihren Teammitgliedern vertraut – im Handeln und in der alltäglichen Gestaltung – und ihnen auch herausfordernde Aufgaben und Verantwortung überträgt, desto produktiver und erfolgreicher werden die (wirklich) engagierten Mitarbeitenden sein. Auch oder sogar gerade im Homeoffice. Ein positiver Sogeffekt für zunächst weniger Leistungsbereite kann durch solche Vorbilder durchaus zusätzlich zum Tragen kommen. Kontrolliert werden dann nur noch die Ergebnisse und wichtige Meilensteine. Oder es wird bei extremem Bedarf ein sensibilisierter Kontakt hergestellt und gehalten zu Low-Performern, um die Ursachen zu ermitteln und auch dort angemessene Schritte einzuleiten.
Hierbei ist insgesamt immer ein regelmäßiges Feedback wichtig. Und bitte auch unbedingt an das positive Feedback denken. Was macht das Teammitglied bereits gut? Was schätzt man an ihm? Was kann es noch verbessern? Wie kann es sich noch weiterentwickeln? Den Mitarbeitenden auch auf die Ferne genügend Wertschätzung geben, damit diese sich trotz Distanz gesehen und gehört fühlen, ist ein wichtiger Schlüssel zu erfolgreichem Remote Leadership. Dazu gehört es natürlich ebenso, seine Fühler und Antennen kanalgerecht zu justieren und auch zwischenmenschlich auf angemessener Ebene zu handeln, mit entsprechenden weitrechenden Lösungsvorschlägen und den richtigen Konsequenzen.
2. Teammitglieder coachen und weiterentwickeln
Die technischen und räumlichen Voraussetzungen für das Homeoffice zu schaffen, ist eine Sache. Schnell eigene Entscheidungen treffen, sich im Homeoffice gut organisieren, die Zeit einteilen, die Work-Life-Balance halten, digital gut kommunizieren und Online-Meetings mitgestalten und leiten, all das sind Fähigkeiten, die auf einmal wichtig sind.
Die Führungskraft sollte sich hier unbedingt echte Coaching-Skills aneignen und ihre Teammitglieder coachen bzw. Trainings anbieten, wo diese noch Unterstützung benötigen. Hierfür sollten sich alle Mitarbeitenden gezielt Zeit einplanen können und dürfen, damit sie sich diese nicht im Alltagsgeschäft „aus den Rippen“ schneiden müssen.
3. Teamspirit entwickeln und befeuern
Es geht im Grunde vor allem um den (gemeinsamen) Herzschlag des Teams – genauso und stets miteinander aus der Ferne! Gemeinsam sollen Anliegen echt und auf Augenhöhe besprochen und entwickelt werden. Im Online-Meeting kann man dafür vor Entscheidungen oder Diskussionen kurze Breakout-Sessions anbieten, wo sich zufällig zusammengewürfelte Unterteams schon mal untereinander austauschen können, bevor die Diskussion im gesamten Team fortgeführt wird. So wird niemand „links liegen gelassen“ und alle werden konsensfähig abgeholt.
Neben interaktiven energiegeladenen Online-Teammeetings sorgen auch spezielle Teamevents dafür, den Teampuls hochzuhalten und das Gemeinschaftsgefühl zu fördern, zu festigen und auf das nächste Level zu bringen: mit dem perfekten Mix aus dem tatsächlichen Einsatz und einem konkreten Einfluss auf die Planung und Gestaltung, ob von nah oder fern. Dazu entscheidend beitragen können Teamworkshops, bei denen die Zusammenarbeit auf einer Metaebene besprochen wird, oder auch SpaßEvents wie digitale Escape-Räume, ein gemeinsames Mittagessen oder ein gemeinsames Teamkochen. Wichtig ist, dass die Bedürfnisse der nicht im Büro Arbeitenden bereits bei der Planung berücksichtigt werden, damit alle mitmachen können und niemand als „spaßbremsend“ oder „ungesellig“ abgewertet wird. Alle müssen eine echte Chance erhalten, Teil der Gemeinschaft zu sein im Rahmen ihres Lebensarbeitsalltags.
Eine weitere Möglichkeit, die Zusammenarbeit und den Teamspirit zu befeuern, ist, die Teammeetings rotierend von den Teammitgliedern moderieren zu lassen und Spezialaufgaben möglichst an zwei bis drei Personen im Team zu geben, die dann zusammenarbeiten müssen.
4. Emotionen einfangen
In Online-Meetings und hybriden Meetings können sich Teammitglieder leichter zurückziehen und Emotionen sind weniger schnell greifbar. Hier ist es wichtig, bei jedem Meeting zu Beginn auch ganz gezielt Emotionen abzufragen und auf Anzeichen zu achten, wenn sich jemand von vornherein ausklingt durch einen vielleicht „vorgeschobenen Grund“ oder eine ausgeschaltete Kamera. Um die erreichbaren Anwesenden konkret zusätzlich abzuholen, könnte man bei Bedarf beispielsweise Bilder vorgeben und die Teammitglieder bitten, sich eines davon auszusuchen, das am ehesten ihrer Stimmung entspricht. Oder man kann den momentanen Stresslevel mit einer Skala von 1 bis 10 abfragen.
In den möglichst regelmäßigen Einzelgesprächen, den weitläufig inzwischen gängigen Jours Fixes, sollte die Führungskraft natürlich interessiert, aber ebenso empathisch nach dem derzeitigen speziellen und allgemeinen Befinden fragen und viele offene Fragen stellen: in Bezug auf die Arbeit und darüber hinaus bei entsprechenden Anzeichen nach weiteren persönlichen oder auch exogenen Faktoren. So bekommt sie am weitreichendsten das entscheidende Gefühl für die echte Stimmung, die Motivation und die Arbeitslast des einzelnen Teammitglieds wie auch für seine individuellen Bedürfnisse und kann besser direkt oder indirekt darauf Einfluss nehmen. Hier können zusätzlich erhobene HR-(technische) Kennziffern herangezogen werden, wie die Anzahl der Krankheitstage, andere Auffälligkeiten bei Abwesenheiten oder direkte Kommunikationsausfälle oder gar (im schlimmsten Fall) verbale Angriffe.
Insgesamt dienen diese wichtigen direkten Gespräche nicht nur dazu, die Leistungsfähigkeit und Ergebnisse abzufragen und zu besprechen, sie drücken im besten Fall auch die konkrete und gezielt benannte Wertschätzung dem jeweiligen Mitarbeitenden gegenüber aus. Hierbei ist es nicht nur besonders wichtig, sich in jedem Fall verbindlich Zeit zu nehmen, sich ganz auf das Gespräch zu konzentrieren, gut vorbereitet zu sein und genau zuzuhören. Ein Ansatz könnte auch sei, konkrete Abfragen zu machen, wie man außerordentlich gute Leistung mit noch gezielterer Unterstützung belohnen kann, sei es durch einen extra Bildschirm oder eine andere Form der arbeitstechnischen Verbesserung.
5. Fair sein
In hybriden Meetings ist es extrem wichtig, dass die Führungskräfte die Teilnehmenden vor Ort nicht bevorzugt. Darum sollten die online zugeschalteten Teammitglieder immer zuerst nach ihrer Meinung befragt werden, bevor eine Frage in den Raum gegeben wird. Damit soll keine „Außenseiterrolle“ in den Vordergrund gestellt werden, sondern dem Rechnung getragen werden, dass sich bei Abwesenden mehr angestaut haben könnte, da Vor-Ort-Gespräche, der Kaffeepausenplausch und der weiterhin bedeutsame „Flurfunk“ fehlen. Auf der anderen Seite organisieren sich An- und Abwesende mit gleichen oder ähnlichen Interessen in Chatgruppen in- und externer Kanäle. Daher ist es wichtig, dass am „Ende“ in einer offenen Runde möglichst alles zur Sprache kommt und nichts in anderen Kanälen „versickert“ oder auf unschöne Weise weitergetragen und „böse gestreut“ wird. Wichtig ist, dass Besprechungen auch die Chance zu echten „Bereinigungen“ bieten. Das kann durchaus bedeuten, dass einzelne Themen wieder in kleinere Gruppen oder Konstellationen zur besseren Auf- und Gesamtlösung überführt werden.
Gleichzeitig sollte man bei hybrider Führung möglichst jeden Abend reflektieren und sich Notizen machen, wie man welche Teammitglieder wahrgenommen hat, wem man welche Anerkennung gegeben hat, wer welche Informationen bevorzugt bekommen hat und wer welche Zusatzaufgaben (auch freiwillig) übernommen hat. So behält man einen gleichzeitig gezielten und vorausschauenden Überblick und erkennt entstandene oder sich anbahnende Ungerechtigkeiten oder andere ungünstige Entwicklungen schnell selbst.
6. Her mit Kritik und Konflikten
Um verdeckte Konflikte zu vermeiden und die dafür notwendige psychologische Sicherheit herzustellen, sollte die Führungskraft authentisch sein und sich auch (auf angemessene Weise) verletzlich zeigen. Eigene im Kontext entstehende Emotionen mitzuteilen, schafft ein Gefühl von Vertrauen gegenüber der Führungskraft, die zeigt, dass sie die Dinge ernst nimmt und sie (mit-)fühlt. Auch ist es wichtig, dass sie die Teammitglieder immer wieder konkret fragt: „Was übersehe ich?“, „Wo fehlt weiterhin etwas?“ oder „Was kann ich noch besser machen?“, wenn weder konstruktives Feedback noch verwertbare Rückmeldungen folgen. Es muss dabei aber unbedingt klar sein, dass sie ehrliche Antworten hören möchte und vor deren möglicherweise abzuleitenden Konsequenzen nicht zurückscheut, um ihrer Rolle mit bestem Wissen und Gewissen und höchstem Einsatz nach Kenntnis dieser Faktenlage gerecht zu werden.
Gleichzeitig sollte eine Führungskraft regelmäßig alle Teammitglieder immer wieder auffordern, ihren Standpunkt vorzubringen: „Das ist eine Meinung. Wie könnte man das noch anders sehen?“ Es sollte etablierte Normalität sein, dass sich auch die nicht so dominanten und mutigen Teammitglieder – vertrauensvoll und allgemein akzeptiert – zu Wort melden und ihre Meinung vertreten. Offene Meinungsverschiedenheiten und konstruktive Kritik sollten wirklich als Chance willkommen geheißen werden, um langfristig zu besseren Ergebnissen im Team zu gelangen. Hier ist es wichtig, dass die Führungskraft sowohl ihre eigene Konfliktlösungskompetenz ausbaut als auch den professionellen Umgang mit Konflikten bei den Mitarbeitenden fördert. Genauso darf sich die Führungskraft auch immer wieder am Ende solcher Entscheidungsschleifen (angemessen selbstkritisch) überprüfen, ob sie hier nicht ab und an einen „faulen Kompromiss“ eingegangen ist: sei es, dass sie sich zu sehr hat beeinflussen lassen durch persönliche Sympathien, sei es, dass sie (falschem) Druck von oben nachgegeben hat oder dass sie sich ihres eigenen Unvermögens aufgrund fehlender Fähigkeiten nicht bewusst war.
7. Vorbildrolle auch online leben
Wenn die Führungskraft zusätzlich zu ihrer professionellen Rolle ebenso online menschlich auftritt und nachvollziehbar und fühlbar bleibt, dadurch über die Distanz nah an ihren Mitarbeitenden ist, gut delegiert und Emotionen zeigt, dann spielt nicht nur die Online-Distanz keine Rolle mehr. Wenn sie darüber hinaus in der Lage ist, mit dem gebotenen Mut und gesundem Selbstvertrauen eigene Fehler und Unwissenheit eingestehen zu können, dann ist sie auch online ein wirkliches Vorbild, weil sie einen echten Austausch und ein zielführendes Miteinander fördert und Vertrauen und Augenhöhe vorlebt. Wichtig bleibt, dass sie die Person ist, die aus allen Ergebnissen die richtige Entscheidung zum Wohle aller ableiten und umsetzen kann für ein gutes und erfolgreiches gemeinsames Miteinander.
Sobald Fehler der Mitarbeitenden zur Sprache kommen, sollte die Führungskraft nicht in die Beschuldigungsfalle tappen und jemanden bloßstellen, sondern fragen, was alle im Team aus diesem Fehler lernen können und wie jeder in seiner Rolle dazu beitragen kann, zum besten Ergebnis zu kommen. Vorschläge können die Teammitglieder genauso machen wie die Führungskraft. Entscheidend ist der echte Konsens am Ende und eine Nachbesprechung zur Ermittlung eventueller Schieflagen und bereits zu verzeichnender Erfolge – inklusive einer vielleicht benötigten Nachjustierung bis hin zu einem Kurswechsel.
Ein möglicher „Kuschel-Konsens“ zugunsten des Teamfriedens sollte niemals im Kontrast zu bestehenden Unternehmensinteressen stehen. Jede kleine und große Entscheidung trägt letztlich zum Unternehmenserfolg und zur Arbeitsplatzsicherung bei – das große Ganze muss immer das Ziel bleiben, und hier sind alle Teammitglieder zusammen mit der Führungskraft gefragt, die sich kümmert und ihnen sonst „den Rücken freihält“, wie es auch ihrer Rolle entspricht.
Für die Zukunft ist es im Grunde unerlässlich, dass eine Führungskraft ihre Online-Kommunikationskompetenzen professionalisiert und stets up to date hält: Denn von ihr schauen sich die Teammitglieder die Verhaltensmuster ab. Es rücken auch immer mehr Digital Natives nach, die vielleicht dann andere spezielle Bedürfnisse durch ihre größere Online-Prägung haben. Auch hier darf fortlaufend und gezielt nachgeschult werden.
Zum Schluss bleibt ganz einfach zu sagen: Wenn eine Führungskraft die Bedürfnisse ihrer Teammitglieder richtig und nachhaltig ernst nimmt – egal wie und wo diese im Einsatz sind –, ihnen Vertrauen schenkt und transparent kommuniziert, dann kann dieses Vertrauen Berge versetzen. Und sie kann die Zusammenarbeit im hybriden oder dem Remote-Team auf eine Art und Weise beflügeln, wie es manche – und leider wieder mehr – nicht (zu hoffen) wagen. Unternehmen dürfen für eine Online-Zukunft, die über kurz oder lang kommen wird, nicht nur mehr Vertrauen oder Mut zeigen, sondern sollten gezielt (noch) mehr lernen und clever(er) investieren.
Gudrun Höhne, Trainerin und Führungskräftecoach für
Remote Leadership thehumanfactor.de