Eine Benachteiligung wegen des Alters kann bei Bewerber*innen im Rentenalter zulässig sein
Eine Benachteiligung aufgrund des Alters eines*r Bewerber*in im Rentenalter, der*die sich erneut nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses wegen einer tariflichen Altersgrenze bewirbt, kann zulässig sein. Insoweit kann das Ziel der ausgewogenen Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen eine Bevorzugung eines jüngeren, qualifizierten Bewerbers rechtfertigen.
Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 25.04.2024 – 8 AZR 140/23
Verortung des Urteils
Zu dem Thema „Benachteiligung wegen des Alters im Arbeitsrecht“ gibt es mehrere allgemeine Grundsätze, die sich aus der Rechtsprechung, dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und dem Verfassungsrecht ergeben. Im Überblick (nicht abschließend) gilt Folgendes:
- Erlaubte unterschiedliche Behandlung wegen Alters (§ 10 AGG)
10 AGG sieht jedoch vor, dass eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters zulässig ist, wenn sie objektiv und angemessen sowie durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Dabei müssen die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sein. Dies eröffnet die Möglichkeit, bestimmte altersbezogene Differenzierungen vorzunehmen, sofern sie einem berechtigten Zweck dienen, etwa der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit jüngerer Arbeitnehmer*innen oder der Sicherstellung einer ausgewogenen Altersstruktur im Unternehmen. - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
Ein zentrales Prinzip ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das bedeutet, dass jede Benachteiligung oder Ungleichbehandlung wegen des Alters gerechtfertigt sein muss, wenn sie erforderlich ist, um ein legitimes Ziel zu erreichen, und dass keine milderen Mittel zur Verfügung stehen. Die Maßnahme muss also geeignet, erforderlich und angemessen sein.
- Prinzip der Generationengerechtigkeit
Ein weiterer wichtiger Grundsatz, der in der Rechtsprechung zunehmend an Bedeutung gewinnt, ist das Prinzip der Generationengerechtigkeit. Dieses Prinzip betont die Notwendigkeit, eine ausgewogene Beschäftigungsverteilung zwischen jüngeren und älteren Arbeitnehmer*innen sicherzustellen. Es kann als legitimes Ziel anerkannt werden, das eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, wie es das BAG in seiner Entscheidung vom 25. April 2024 tat.
- Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG
Im öffentlichen Dienst gilt das Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG). Dieses Prinzip verlangt, dass Stellen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung besetzt werden. Jedoch muss dieses Prinzip in einem Spannungsverhältnis zur Organisationsfreiheit des Arbeitgebers gesehen werden, der auch tarifliche Regelungen und strukturelle Ziele wie die Generationengerechtigkeit berücksichtigen muss.
- Tarifliche und vertragliche Altersgrenzen
Viele Tarifverträge und Arbeitsverträge enthalten Regelungen, die das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der gesetzlichen Altersgrenze automatisch beenden. Solche Regelungen sind grundsätzlich zulässig, sofern sie im Einklang mit den Grundsätzen des AGG und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehen. Die automatische Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Altersgrenze dient oft dem Ziel, eine ausgewogene Altersstruktur im Unternehmen zu erhalten.
- Weiterbeschäftigung nach Renteneintritt
Die Weiterbeschäftigung nach Erreichen der Regelaltersgrenze ist möglich, aber sie muss häufig besonders gerechtfertigt werden. In Fällen, in denen es jüngere, qualifizierte Bewerber*innen gibt, kann die Bevorzugung dieser Bewerber*innen gegenüber älteren Arbeitnehmer*innen gerechtfertigt sein, um die berufliche Entwicklung und Chancen für die jüngere Generation zu fördern.
- Europäische Dimension
Auf europäischer Ebene ist das Verbot der Altersdiskriminierung in der Richtlinie 2000/78/EG verankert, die ein allgemeines Rahmenwerk für die Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf schafft. Diese Richtlinie beeinflusst maßgeblich die Auslegung des AGG und setzt auch Maßstäbe für die Rechtfertigung unterschiedlicher Behandlungen aufgrund des Alters. Diese Grundsätze bilden zusammen einen rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen Altersdiskriminierungen bewertet und gegebenenfalls gerechtfertigt werden kö Die Anwendung dieser Grundsätze erfordert jedoch stets eine sorgfältige Abwägung im Einzelfall.
Der Sachverhalt
Ein 1952 geborener Arbeitnehmer, der aufgrund einer tariflichen Altersgrenze aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden und anschließend bereits wiederholt für die Arbeitgeberin im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses als Lehrer tätig war, begehrt eine Entschädigung wegen einer angeblichen Diskriminierung aufgrund seines Alters.
Der Arbeitnehmer, der über eine Lehramtsbefähigung verfügt, ist der Auffassung, dass er lediglich aufgrund seines Alters nicht eingestellt worden sei und im Übrigen die Ablehnung seiner Bewerbung gegen das grundgesetzlich verankerte Prinzip der Bestenauslese verstoße. An seiner Stelle wurde ein jüngerer, ebenfalls qualifizierter Bewerber eingestellt.
Auf das Arbeitsverhältnis ist ein Tarifvertrag anwendbar, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der gesetzlichen Regelaltersgrenze vorsieht. Die betreffende Schulleitung, die an sich den Bewerber im Rentenalter bevorzugt hätte, hielt sich insoweit an einen Hinweis der Arbeitgeberin, wonach bei Bewerbern im Rentenalter eine Darlegung und Begründung erforderlich sei, dass andere Mitbewerber trotz Lehramtsbefähigung weniger bzw. nicht ausreichend qualifiziert seien. Im Ergebnis wurde der jüngere, qualifizierte Bewerber eingestellt.
Die Entscheidung
Das BAG entschied, dass der Arbeitnehmer im Rentenalter nicht i.S.v. § 7 Abs. 1 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) i.V.m. § 1 AGG aufgrund seines Alters diskriminiert worden ist.
Insbesondere kann das legitime Ziel einer ausgewogenen Beschäftigungsstruktur zwischen den Generationen eine Benachteiligung wegen des Alters rechtfertigen. Dieses Ziel ist auch in der tariflichen Regelung zur Altersgrenze, die eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Eintritt des gesetzlichen Rentenalters vorsieht, verankert.
Zudem sieht die entsprechende tarifliche Regelung nur eine vorübergehende Weiterbeschäftigung von Rentnern vor, insbesondere dann, wenn keine jüngeren, qualifizierten Mitbewerber*innen vorhanden sind. Das legitime Ziel der Generationengerechtigkeit rechtfertigt nicht nur eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Alters, sondern auch die Ablehnung eines*einer Bewerber*in im Rentenalter, der*die die Regelaltersgrenze überschritten hat. Im Übrigen ist die Ablehnung der Wiedereinstellung auch mit Blick auf das legitime Ziel der Generationengerechtigkeit angemessen und erforderlich. Andernfalls würde dem jüngeren, qualifizierten Mitbewerber die Erhaltung der beruflichen Entwicklungsmöglichkeit genommen.
Das BAG hat zudem entschieden, dass aufgrund der abgelehnten Bewerbung die Arbeitgeberin nicht gegen das Prinzip der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz verstoßen hat. Denn von diesem Prinzip ist die Organisationsfreiheit des öffentlichen Arbeitgebers abzugrenzen und dieser ist bei der vorliegenden Organisationsentscheidung an die tariflichen Regelungen gebunden. Die Arbeitgeberin hat sich insoweit an dem der tariflichen Altersgrenzenregelung immanenten Ziel der ausgewogenen Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen bei Ablehnung des Bewerbers im Rentenalter gehalten.
#KurzErklärt
- Der Eintritt ins Regelrentenalter führt nicht automatisch zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es ist insoweit eine gesonderte tarifliche bzw. vertragliche Altersgrenzenregelung erforderlich. Unternehmen sind gut beraten, den Standardarbeitsvertrag daraufhin zu überprüfen.
- Mit Blick auf das gesamtgesellschaftliche Ziel der Generationengerechtigkeit, das auch jüngeren, qualifizierten Bewerbern die Möglichkeit geben soll, ihren Entwicklungsmöglichkeiten nachzugehen, ihre Fähigkeiten aufzubauen und (vergütungstechnisch) aufzusteigen, kann eine Benachteiligung aufgrund des Alters gerechtfertigt sein. Arbeitgeber haben daher nicht stets mit der Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs zu rechnen, wenn sie die (Wieder)Einstellung eines*r Bewerber*in aufgrund des Alters ablehnen. Dennoch ist mit Blick auf die steigenden AGG-Verfahren bei einer entsprechenden Absage mit Bedacht vorzugehen.