Führungskräfte-Matrix: BAG präzisiert Wahlberechtigung bei Betriebsratswahlen : BAG, Beschluss vom 22.05.2025 – 7 ABR 28/24
Wer in einer Matrix-Organisation führt, kann künftig mehr als einen Betriebsrat wählen – zumindest wenn er organisatorisch in mehrere Betriebe eingegliedert ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die bislang uneinheitliche Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte korrigiert und der wachsenden Praxis von Matrix-Strukturen Rechnung getragen. Für Wahlvorstände und HR bedeutet das: Die Planung der Betriebsratswahlen 2026 wird komplizierter – und teurer.
Verortung des Urteils
§7 BetrVG knüpft das Wahlrecht an die „Betriebszugehörigkeit“. Klassisch gehört jeder Arbeitnehmer genau einem Betrieb an. Moderne Matrix-Organisationen sprengen dieses Schema: Fachliche Weisungen werden oft von Vorgesetzten erteilt, die räumlich und disziplinarisch einem anderen Betrieb zugeordnet sind. Die Instanzgerichte beurteilten bislang unterschiedlich, ob solche Matrix-Führungskräfte in mehreren Betrieben wahlberechtigt sind. Mit dem jetzigen Beschluss stellt das BAG klar: Entscheidend ist die Eingliederung in die Betriebsorganisation – und die kann mehrfach vorliegen.
Der Sachverhalt
Ein internationaler Technologiekonzern (ca. 15 000 Beschäftigte) hatte seine Organisation auf ein Matrix-Modell umgestellt. 128 Matrix-Team- und Abteilungsleiter führten fachlich Beschäftigte im „Betrieb Süd“, gehörten disziplinarisch jedoch einem anderen „Stammbetrieb“ an.
Der Wahlvorstand des Betriebs Süd nahm diese Führungskräfte auf die Wählerliste; die Arbeitgeberin fechtete die Wahl an. Das LAG Baden-Württemberg gab ihr Recht – mit der Begründung, das bloße fachliche Weisungsrecht begründe keine zusätzliche Betriebszugehörigkeit. Dagegen legte der Betriebsrat Rechtsbeschwerde zum BAG ein.
Die Entscheidung
Das BAG hat den angegriffenen Beschluss des LAG Baden-Württemberg aufgehoben und die Sache zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen. In seiner Entscheidung betont das Gericht zunächst, dass für die Wahlberechtigung maßgeblich auf die Eingliederung in die Betriebsorganisation abzustellen ist. Arbeitnehmer sind dann wahlberechtigt, wenn sie dauerhaft in die Arbeitsabläufe und Strukturen eines Betriebs eingebunden sind und den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs verfolgen. Entscheidend ist dabei nicht allein die disziplinarische Zuordnung oder ein organisatorischer „Stammbetrieb“, sondern die tatsächliche Tätigkeit und Einbindung vor Ort. Fachliche Weisungsbefugnisse gegenüber Beschäftigten eines Betriebs können eine solche Eingliederung begründen – selbst wenn der betreffende Arbeitnehmer disziplinarisch einem anderen Betrieb zugeordnet ist.
Damit erkennt das BAG ausdrücklich die Möglichkeit einer mehrfachen Betriebszugehörigkeit an. Matrix-Führungskräfte, die in verschiedenen Betrieben Führungsverantwortung wahrnehmen, können demnach in mehreren Betrieben wahlberechtigt sein – und dort jeweils auf die Zusammensetzung der Betriebsräte Einfluss nehmen.
Gleichzeitig macht das Gericht deutlich, dass die Eingliederung nicht pauschal unterstellt werden kann. Das LAG müsse im konkreten Fall genau prüfen, ob eine tatsächliche und dauerhafte organisatorische Anbindung an den jeweiligen Betrieb besteht. Allein die Funktionsbezeichnung als „Teamleiter“ reiche hierfür nicht aus. Es sei insbesondere zu klären, ob die betreffenden Führungskräfte regelmäßig vor Ort präsent sind, an betrieblichen Planungs- oder Entscheidungsprozessen teilnehmen oder andere betriebliche Ressourcen nutzen. Erst auf dieser Grundlage könne verbindlich entschieden werden, ob eine Wahlberechtigung in dem jeweiligen Betrieb tatsächlich besteht.
#KurzErklärt
- Mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist nun klargestellt: Fachliche Führungsverantwortung kann zur Eingliederung in mehrere Betriebe führen – und damit zu einer mehrfachen Wahlberechtigung nach § 7 BetrVG. Wer in mehreren Betriebseinheiten dauerhaft fachliche Weisungen gegenüber dort tätigen Beschäftigten erteilt, ist in diesen auch wahlberechtigt. Das bedeutet konkret: Eine Matrix-Führungskraft kann etwa in der Region Süd wahlberechtigt sein, obwohl sie organisatorisch einem anderen Standort zugeordnet ist – sofern sie dort im operativen Tagesgeschäft in die betriebliche Struktur eingebunden ist (Matrix kann Mehrfachwahlrecht bedeuten!).
- Abkehr von der „Stammbetrieb-Theorie“: Mit dieser Entscheidung weicht das BAG von der „Stammbetriebs“-Theorie des LAG Baden-Württemberg ab, das die Wahlberechtigung auf den Betrieb beschränken wollte, dem ein Arbeitnehmer formell-organisatorisch zugeordnet ist. Künftig ist allein entscheidend, ob eine tatsächliche Eingliederung in einen Betrieb vorliegt. Damit folgt das BAG der Linie des LAG Hessen und des LAG München, die bereits anerkannt hatten, dass Matrix-Führungskräfte zusätzlich dort wahlberechtigt sein können, wo sie den arbeitstechnischen Zweck eines Betriebs mitverwirklichen. Die Entscheidung sorgt insofern für rechtliche Klarheit, wirft aber zugleich neue Praxisprobleme auf.
- Kostenfaktor – größerer Betriebsrat, mehr Freistellungen, mehr Schulungen – Eine zusätzliche Brisanz ergibt sich für Arbeitgeber durch den Kostenfaktor: Erhöht sich die Zahl der Wahlberechtigten durch das neu geschaffene Mehrfachwahlrecht, kann dies dazu führen, dass Schwellenwerte für die Größe des Betriebsrats überschritten werden. Die Folge: mehr Betriebsratsmitglieder, mehr gesetzlich garantierte Freistellungen nach § 38 BetrVG und ein erhöhter Schulungsbedarf nach § 37 Abs. 6 BetrVG – alles zulasten des Arbeitgebers. Gerade in wirtschaftlich angespannten Zeiten kann dies erhebliche Auswirkungen auf die Kostenstruktur haben, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass Matrix-Führungskräfte selbst kandidieren und sogar mehreren Betriebsräten gleichzeitig angehören könnten.
Praxistipps |
---|
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat unmittelbare praktische Konsequenzen für Unternehmen, Personalabteilungen und Wahlvorstände. Insbesondere mit Blick auf die Betriebsratswahlen 2026 ist eine vorausschauende Planung unerlässlich. Matrix-Führungskräfte sollten frühzeitig identifiziert und ihre Eingliederung in die Betriebsorganisation dokumentiert werden. Dazu gehört nicht nur die Feststellung des formalen Arbeitsorts, sondern auch eine genaue Analyse der fachlichen Weisungsbeziehungen, Projektverantwortlichkeiten und Reporting-Linien. Nur so lässt sich rechtssicher beurteilen, in welchen Betrieben eine Wahlberechtigung besteht. Wahlvorstände sind gut beraten, die Wählerlisten betriebsübergreifend zu prüfen und Matrix-Strukturen systematisch zu erfassen. Andernfalls drohen Wahlanfechtungen, die den gesamten Ablauf verzögern oder gar zu Neuwahlen führen können. Darüber hinaus sollten Arbeitgeber prüfen, ob bestehende Betriebsvereinbarungen auf die neue Mehrfachzugehörigkeit angepasst werden müssen. Insbesondere bei personellen Einzelmaßnahmen – etwa bei Abmahnungen, Versetzungen oder Kündigungen – ist zu klären, welcher Betriebsrat zuständig ist. Dies ist nicht nur eine Frage der ordnungsgemäßen Beteiligung, sondern auch eine zur Vermeidung von Verfahrensfehlern mit potenziell kostenintensiven Folgen. Nicht zuletzt sind auch die Budgetauswirkungen zu berücksichtigen: Steigt durch die erweiterte Wahlberechtigung die Zahl der Mandatsträger, erhöht sich damit automatisch der Schulungsbedarf und die Anzahl der freizustellenden Betriebsratsmitglieder. Unternehmen sollten diese Effekte frühzeitig in ihre Personal- und Finanzplanung einpreisen. Da die vollständigen Entscheidungsgründe des BAG noch ausstehen, ist zudem ein kontinuierliches Monitoring erforderlich. Wahlvorstände sollten die Rechtsentwicklung aufmerksam beobachten, ihre Zeitpläne regelmäßig evaluieren und bei Bedarf flexibel anpassen, um auf neue Rechtsprechung oder Konkretisierungen reagieren zu können. |