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Unfall beim Rückwärtsfahren mit dem Firmenfahrzeug: Anwendung der Grundsätze über die beschränkte Arbeitnehmerhaftung

Fährt ein Arbeitnehmer beim Rückwärtsfahren in das Auto des Geschäftsführers, haftet er. Die Quotelung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs hilft ihm insoweit nur zum Teil. Ein wichtiges Thema, das auch in anderen Bereichen Relevanz haben kann und lohnt, in diesem Zusammenhang nochmal in Erinnerung gerufen zu werden.

Lesezeit 6 Min.
Ein Auffahrunfall zwischen zwei Autos auf einer Straße, bei dem ein silbernes Fahrzeug auf das Heck eines schwarzen Fahrzeugs aufgefahren ist.
Foto: stock.adobe.com/Kadmy

Landesarbeitsgericht (LAG) Niedersachsen, Urteil vom 10.4.2024 – 2 Sa 642/23

Fährt ein Arbeitnehmer beim Rückwärtsfahren in das Auto des Geschäftsführers haftet er. Die Quotelung nach den Grundsätzen des innerbetrieblichen Schadensausgleichs hilft ihm insoweit nur zum Teil. Ein wichtiges Thema, dass auch in anderen Bereichen Relevanz haben kann und sich lohnt, in diesem Zusammenhang nochmal in Erinnerung zu rufen..

Verortung des Urteils

Nicht selten kommt es in der betrieblichen Praxis zu Beschädigungen von Firmeneigentum durch Mitarbeitende. Tritt der Schaden während einer betrieblich veranlassten Tätigkeit ein, greifen die Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleich.

Kurz zur Erinnerung: Grundsätzlich gilt, dass Arbeitnehmer für Schäden, die sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit verursachen, nur eingeschränkt haften. Dies liegt daran, dass das Arbeitsverhältnis durch ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis geprägt ist und Arbeitnehmer oft unter Zeitdruck oder in stressigen Situationen arbeiten. Daher wird im deutschen Arbeitsrecht eine differenzierte Haftungsregelung angewendet, die zwischen leichter, mittlerer und grober Fahrlässigkeit unterscheidet:

  1. Leichte Fahrlässigkeit: Bei leichter Fahrlässigkeit haftet der Arbeitnehmer in der Regel nicht für den entstandenen Schaden. Dies ist der Fall, wenn der Schaden durch ein geringfügiges Versehen oder eine kleine Unachtsamkeit verursacht wurde.
  2. Mittlere Fahrlässigkeit: Bei mittlerer Fahrlässigkeit wird der Schaden zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer aufgeteilt. Die genaue Verteilung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab, wie zum Beispiel der Schwere des Verschuldens und der finanziellen Situation des Arbeitnehmers.
  3. Grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz: Bei grober Fahrlässigkeit oder vorsätzlichem Handeln haftet der Arbeitnehmer in vollem Umfang für den entstandenen Schaden. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Arbeitnehmer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Der innerbetriebliche Schadensausgleich dient dazu, eine gerechte Verteilung der finanziellen Lasten zu gewährleisten und gleichzeitig die Interessen beider Parteien zu schützen. Arbeitgeber sind angehalten, ihre Mitarbeiter regelmäßig zu schulen und klare Anweisungen zu geben, um das Risiko von Schäden zu minimieren. Arbeitnehmer sollten sich ihrer Verantwortung bewusst sein und stets sorgfältig arbeiten, um Schäden zu vermeiden.

Die oben genannten Maßstäbe stellen allerdings nur eine grobe Orientierung dar. Wie so oft sind auch die Umstände des Einzelfalls sowie Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte zu berücksichtigen. Maßgebliche Faktoren können unter anderem sein, wie gefahrgeneigt eine Tätigkeit ist, die konkrete Schadenshöhe, die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers oder die Angemessenheit mit Blick auf die monatliche Vergütung des Arbeitnehmers. Im Einzelfall kann daher von den Voraussetzungen und Grenzen der Haftungsmilderung abgewichen werden.

 

Der Sachverhalt

Die Parteien streiten über Zahlungsansprüche i.V.m. einem beendeten Arbeitsverhältnis. Der Kläger verdiente während des Vertragsverhältnisses monatlich 2.700,00 Eruo brutto. Dem Kläger wurde im Laufe des Arbeitsverhältnisses über einen Leasingvertrag ein Firmenfahrzeug überlassen. Für das Fahrzeug war eine Vollkaskoversicherung abgeschlossen.

Im Juli 2022 kam es zu einem Unfall: der Kläger fuhr auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers beim Zurücksetzen mit dem ihm überlassenen Firmenfahrzeug auf den im Eigentum des Geschäftsführers des Arbeitgebers stehenden BMW auf. Der BMW des Geschäftsführers war zum Unfallzeitpunkt abgemeldet.

Der Kläger verlangte von seinem früheren Arbeitgeber die Zahlung der Bruttovergütung für den Monat Januar 2023 sowie gesamtschuldnerisch von den dem früheren Arbeitgeber und dem Geschäftsführer die Zahlung eines Schmerzengeldes.

Der Arbeitgeber erklärte gegenüber dem dem Kläger zustehenden Lohnanspruch i.H.v. 2.700,00 Euro brutto die Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen betreffend die Schäden an den beiden PKWs erklärt. Außerdem wurde Widerklage bzgl. der geltend gemachten Schadensersatzansprüche erhoben.

Das erstinstanzlich zuständige Arbeitsgericht gab der Klage hinsichtlich des Vergütungsanspruchs für den Monat Januar 2023 statt und wies die Widerklage ab.

 

Die Entscheidung

Das LAG Niedersachsen hat als zuständiges Berufungsgericht das erstinstanzliche Urteil abgeändert und der erhobenen Widerklage teilweise stattgegeben.

Der Arbeitgeber habe gegenüber dem Kläger wegen des von ihm verursachten Schadens an dem BMW des Geschäftsführers einen Anspruch auf Zahlung von 1.543,37 Euro gem. §§ 823 Abs. 1, 398 BGB.

Der Geschäftsführer wiederum habe durch schriftlichen Forderungsabtretungsvertrag seinen Anspruch an den Arbeitgeber wirksam nach § 398 BGB abgetreten. Dem Geschäftsführer seien durch den von dem Kläger verursachten Unfall kausal Schäden i.H.v. 2.315,06 Euro entstanden.

Nach Überzeugung des LAG Niedersachsen haftet der Kläger für den von ihm verursachten Schaden allerdings nur anteilig i.H.v. 1.543,37 Euro. Die Haftungsbeschränkung des Klägers ergebe sich aus den vom BAG aufgestellten Grundsätzen der privilegierten Arbeitnehmerhaftung. Das LAG führt dazu zunächst aus, dass die Anwendung dieser Grundsätze ein betrieblich veranlasstes Handeln des Arbeitnehmers erfordere. Sofern die Grundsätze zur privilegierten Arbeitnehmerhaftung zur Anwendung gelangen, so habe ein Arbeitnehmer vorsätzlich verursachte Schäden in vollem Umfang zu tragen, bei leichtester Fahrlässigkeit hafte er dagegen nicht. Bei normaler Fahrlässigkeit sei der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu teilen. Bei Vorliegen einer groben Fahrlässigkeit habe der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen. Der Umfang der Beteiligung des Arbeitnehmers an den Schadensfolgen sei durch eine Abwägung der Gesamtumstände zu bestimmen, wobei insbesondere Schadensanlass, Schadensfolgen, Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkte eine Rolle spielen würden.

Die Beweislast für die Pflicht- bzw. Rechtsgutverletzung, die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität sowie den Schaden habe der Arbeitgeber zu tragen.

Bei der gebotenen Anwendung dieser Grundsätze ist das LAG zu dem Ergebnis gelangt, dass den Kläger bei der Verursachung des Unfalles zwischen den beiden Fahrzeugen mittlere Fahrlässigkeit im oberen Bereich vorzuhalten sei. Rückwärtsfahren sei auf Grund der eingeschränkten Sichtverhältnisse stets mit besonderen Gefahren verbunden. Es sei deshalb zwingend erforderlich, sich vor der Fahrt zu vergewissern, dass der rückwärtige Fahrweg frei von Hindernissen ist. Während des Rückwärtsfahrens sei es erforderlich, sich permanent durch die Benutzung des Innen- und der Außenspiegel sowie durch einen Schulterblick sich zu vergewissern, dass die avisierte Fahrstrecke frei von etwaigen Hindernissen ist. Gegebenenfalls müsse sich der Fahrer durch einen Beifahrer oder eine dritte Person einweisen lassen.

 

#KurzErklärt

  • Das LAG stellt die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung ausführlich und zutreffend dar. Arbeitnehmern sollte dabei bewusst sein, dass diese Grundsätze bei einer Gesamtabwägung aller Einzelfallumstände durchaus häufiger als gedacht eine volle oder jedenfalls anteilige Haftung zur Folge haben können.
  • Bevor die gebotene Abwägung der Gesamtumstände vorzunehmen ist, muss jedoch stets geprüft werden, ob ein „betrieblich veranlasstes Handeln” des Arbeitnehmers gegeben ist. Tätigkeiten, die dem allgemeinen Lebensrisiko des Arbeitnehmers zugeordnet werden können, sind von der Haftungsbeschränkung nicht betroffen. Bereits bei dieser Rechtsfrage können erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten auftreten, die je nach Ergebnis darüber entscheiden, in welcher Höhe ein Arbeitnehmer an einem entstandenen Schaden zu beteiligen ist.
Praxistipp

Praxistipp

Das Thema Grundsätze des innerbetrieblichen Schadensausgleichs können auch bei Mobilarbeit aus dem Ausland relevant werden, und zwar jedes Mal dann, wenn im Zusammenhang mit einer betrieblichen Tätigkeit ein Schaden eintritt. Natürlich kommt es aber auch dann extrem auf die genauen Umstände des Einzelfalls an.

von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte