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Abrechnungspraxis /// Leitung Entgeltabrechnung : „Wir sind von einer automatisierten Payroll Lichtjahre entfernt! “

Torsten Reinker, Leiter der Entgeltabrechnung der Münchner Flughafen GmbH, teilt die Visionen einer durch Algorithmen gelenkten Entgeltabrechnung nicht. Außerdem haben wir uns mit ihm über die zahlreichen Aufgaben eines Leiters Entgeltabrechnung in Deutschland unterhalten – und über seinen Traum von Frankreich.

Lesezeit 6 Min.

Herr Reinker, Sie sind seit einigen Jahren Leiter der Entgeltabrechnung bei der Münchner Flughafen GmbH. War das Ihr Traumberuf?

Es wäre vermessen, von meinem Traumberuf zu reden. Zumindest kann ich mich nicht erinnern, in meiner Kindheit gesagt zu haben, dass ich einmal Leiter der Entgeltabrechnung sein will. Damals träumte ich eher von Berufen wie Polizist, Astronaut oder Pilot. Ich kann aber sagen, dass es ein Beruf ist, der mir Spaß macht und mich sowohl fachlich fordert als auch meine Fähigkeiten als Führungskraft beansprucht.

Wie sind Sie in den Bereich der Entgeltabrechnung geraten? Es gibt ja das Berufsbild überhaupt nicht in Deutschland.

Nach der Lehre als Industriekaufmann bei den Wacker Werken GmbH & Co KG im Baumaschinensektor hatte ich mich damals bei der Bayerischen Versicherungskammer für den Bereich der Krankenversicherung beworben, da mir der Ausbildungsbetrieb nur eine Stelle in der Buchhaltung angeboten hatte. Anscheinend hatte die Versicherungskammer jedoch keinen Personalbedarf mehr in der Krankenversicherung und hatte meine Bewerbung intern an andere Fachabteilungen weitergegeben, so dass ich dort letztendlich bei der Zusatzversorgungskasse der bayerischen Gemeinden als Sachbearbeiter für die Zusatzrenten der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes angestellt wurde. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war damals für mich als junger Mensch hier nicht die fachliche Aufgabe, sondern die Tatsache, dass ich mehr verdienen konnte als in der Buchhaltung meines Ausbildungsbetriebes.

Ich beschäftigte mich also nun mit dem Thema Rente sowie der betrieblichen Altersversorgung – und begann, Gefallen daran zu finden. Über verschiedene Abteilungen der Zusatzversorgungskasse konnte ich mein Fachwissen erweitern und machte dann zusätzlich noch die Prüfung als gerichtlich zugelassener Rentenberater. Als Sachgebietsleiter Öffentlichkeitsarbeit bei der Zusatzversorgungskasse bekam ich dann vermehrt Einblick in die Entgeltabrechnung der Arbeitgeber, da ich in Seminaren unter anderem auch Mitarbeitern/ Mitarbeiterinnen der Entgeltabrechnung die Versteuerung und Verbeitragung der Beiträge und Umlagen näherbringen sollte.

Meine Dozententätigkeit im Auftrag der Zusatzversorgungskasse bei der Bayerischen Verwaltungsschule und bei etwaigen Softwareanbietern öffnete mir dann auch die Tür zu meiner jetzigen Tätigkeit. Ich bekam schließlich das Angebot des Flughafens München, dort das Management für betriebliche Altersversorgung aufzubauen. Nach einer Umstrukturierung wurde mir die Leitung der Entgeltabrechnung angeboten. Diese Chance habe ich gerne ergriffen.

Ich bin also ein klassischer Quereinsteiger in die Entgeltabrechnung, der nur ein Teil des Abrechnungswissens mitbrachte und sich das restliche Wissen durch persönliches Engagement angeeignet hat. Leider gibt es in Deutschland das Berufsbild des Entgeltabrechners nicht. Aus meiner Sicht ist diese Tatsache absolut unverständlich, da das Wissensportfolio in dieser Tätigkeit im Vergleich zu anderen Ausbildungsberufen sehr umfangreich sein muss. Neben den lohnsteuerrechtlichen und sozialversicherungsrechtlichen Regelungen muss ein Entgeltabrechner ebenso fundierte Kenntnisse im Tarifrecht, Arbeitsrecht, Betriebsrentenrecht und etlichen anderen gesetzlichen Regelungen haben, beispielsweise im Teilzeit- und Befristungsgesetz oder im Bundeselterngeldgesetz. Für mich wäre es sehr wünschenswert, wenn es zukünftig ein entsprechendes Berufsbild geben würde.

Welches sind Ihre wichtigsten Aufgaben als Leiter der Entgeltabrechnung?

Eine Selbstverständlichkeit ist natürlich, dass alle Mitarbeiter ihr Gehalt und die dazugehörige Gehaltsabrechnung pünktlich und rechtlich korrekt erhalten. Neben dem alltäglichen Geschäft wird es aufgrund der rechtlichen Änderungen eine immer größere Herausforderung, diese Änderungen des Gesetzgebers in das Abrechnungssystem zu implementieren. Als Leiter der Entgeltabrechnung habe ich hier zusammen mit dem Softwareanbieter für eine zeitgerechte Umsetzung der gesetzlichen Neuerungen zu sorgen.

Ebenso ist es meine Aufgabe, meine Mitarbeiter auf einem aktuellen Wissensstand zu halten.

Nicht zu vernachlässigen ist auch die Führungsaufgabe eines Teams von 25 Mitarbeitern, die einen nicht unerheblichen Teil meiner Arbeitszeit in Anspruch nimmt. Dabei arbeiten diese 25 Mitarbeiter nicht alle in der Entgeltabrechnung, da ich zusätzlich noch die Themenbereiche Reisekostenabrechnung, Beihilfe, Zeitwertkonten und das betriebliche Altersvorsorgemanagement betreue. Dementsprechend breit gefächert sind die Fragen, Sorgen und Nöte meiner Mitarbeiter.

Fachbereichsübergreifend ist es auch meine Aufgabe, mein Wissen in den oben genannten Themenbereichen in etwaige Tarifverhandlungen und Betriebsvereinbarungen einfließen zu lassen.

Es gibt in Deutschland vermutlich keinen einzigen arbeitslosen Entgeltabrechner. Spüren Sie das bei der Nachwuchssuche?

Leider ja. Es mangelt zwar nicht an Bewerbungen, jedoch bewerben sich selten bereits ausgebildete Entgeltabrechner und die Qualifikationen etwaiger Quereinsteiger sind häufig mehr als dürftig.

Wir haben deshalb in der Vergangenheit oftmals lieber auf das Einlernen eines ausgelernten Auszubildenden gesetzt. Bis ein Neueinsteiger in der Entgeltabrechnung voll einsatzfähig ist, dauert es ca. zwei Jahre und bindet in dieser Zeit natürlich auch die Kapazitäten eines erfahrenen Mitarbeiters.

Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Entgeltabrechnung in den kommenden Jahren, auch mit Blick auf die Entwicklung der künstlichen Intelligenz?

Ich lese mit großer Verwunderung in den letzten Jahren Berichte über Aussagen einiger CEOs großer Unternehmen, dass die Entgeltabrechnung in nicht allzu ferner Zukunft komplett automatisch durch Algorithmen erfolgen soll. Entweder haben diese Personen nie selber in einer Entgeltabrechnung gearbeitet oder sie haben sich durch visionäre Bilder einiger Softwareentwickler blenden lassen. Lediglich in einer Aussage stimme ich mit den CEOs überein: Die einfache Datenerfassung wird sich in den nächsten Jahren sicherlich grundlegend ändern, da hier neue Scantechniken oder Fotobearbeitungen das Berufsbild des einfachen Datentypisten komplett ersetzen werden.

Meine praktische Erfahrung der letzten Jahre zeichnet hingegen ein genau entgegengesetztes Bild: Man findet kaum ein Abrechnungsprogramm, das alle derzeit bestehenden rechtlichen Vorgaben vollständig und automatisch – also ohne ein menschliches Eingreifen – zeitnah umsetzt. Wie soll dann ein vollständig automatisiertes Verfahren, das wesentlich höhere Anforderungen an ein Programm stellt, jeweils zeitnah bei den häufigen rechtlichen Änderungen umgesetzt werden? Ein Grund hierfür mag sein, dass auch die Softwarehersteller unter Fachkräftemangel leiden.

Von einer komplett automatisierten Entgeltabrechnung sind wir meines Erachtens Lichtjahre entfernt, da hier auch der Gesetzgeber Regelungen treffen müsste, die sich softwaretechnisch einfach umsetzen lassen. Optimierungspotenzial gibt es meines Erachtens jedoch durch das Wegfallen der reinen Dateneingabe in der Digitalisierung der HR-Prozesse. Beispiele sind die digitale Verarbeitung von eingescannten oder fotografierten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die Optimierung der digitalen Personalakte durch entsprechende barcodegesteuerte Workflows, die Einführung eines Zeugnisgenerators oder die Entwicklung eines im Abrechnungssystem implementierten internen Kontrollsystems.

Die größte aller Herausforderungen für die Entgeltabrechnung wird es meines Erachtens jedoch sein, die Mitarbeiter qualitativ zu spezialisieren, um EDV-Systeme und Schnittstellen zwischen mehreren unterschiedlichen EDV-Systemen (zum Beispiel zwischen Abrechnungssystem, Personalbewirtschaftungssystem und Zeitwirtschaftssystem) zu betreuen und die gelieferten Daten und Ergebnisse verifizieren zu können.

Genauso groß wird aber auch die Herausforderung von Anbietern von Abrechnungssystemen sein, qualitativ gut ausgebildetes Personal mit Kenntnissen in der Entgeltabrechnung zu rekrutieren, um die vom Gesetzgeber gestellten Aufgaben in einer annehmbaren Zeit zu lösen.

Werfen wir einmal einen Blick in die Zukunft: Wie sieht die Entgeltabrechnung im Jahr 2030 in Deutschland aus – und was macht Torsten Reinker 2030?

Wie vorhin bereits beschrieben, wird meines Erachtens lediglich die einfache Datenerfassung entfallen. Ansonsten wird die Entgeltabrechnung ähnlich aussehen wie heute auch.

Einen großen Unterschied wird es dann jedoch geben: Ein Torsten Reinker wird sich dann hoffentlich bei bester Gesundheit auf seinen Ruhestand vorbereiten und allen Visionären freundlich ins Gesicht lächeln. Ein langer und aktiver Lebensabend auf einem Weingut in Südfrankreich wird die Dinge der Entgeltabrechnung Stück um Stück in den Hintergrund rücken lassen (lacht).

Herr Reinker, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Frankreich rückt jeden Tag näher.

Markus Matt
Chefredakteur
LOHN+GEHALT

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