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BGM : Nudging – was ist denn das nun schon wieder? : Wie mit neuen Ideen die Gesundheit der Mitarbeiter gefördert werden kann.

Lesezeit 4 Min.
Abstrakte amöbenartige Muster mit komplizierten Designs auf dunklem Hintergrund.

Wie kann man Menschen zu ihrem Glück zwingen? Mit Gewalt? Mit Strafen? Mit Belohnung? Eine Frage, die sich schon viele Akteure im Gesundheitswesen gestellt haben. „Sie müssen sich mehr bewegen!“ – eine Aufforderung, die viele Ärzte ihren Patienten mit auf den Weg geben. Meistens mehr oder weniger erfolglos. Aber erinnern Sie sich an den Sommer 2016, als plötzlich viele Menschen in den Innenstädten und anderswo unterwegs waren – auf der Suche nach kleinen Monstern? Das Ereignis nannte sich Pokémon Go. Mit Blick auf ihr Smartphone versuchten viele Menschen, so viele Monster wie möglich zu finden und einzufangen. Dabei legten sie viele Schritte zurück – Bewegung, die ohne das Spiel in den meisten Fällen unterblieben wäre.

Das war eine Form von „Nudging“. Das Wort bedeutet so viel wie „anstupsen“, aber auch anregen oder lenken. Wikipedia erklärt Nudging als eine verhaltensökonomische Methode, bei der versucht wird, das Verhalten von Menschen auf vorhersagbare Weise zu beeinflussen, ohne dabei jedoch auf Verbote, Gebote oder ökonomische Anreize zurückzugreifen.

Nudging in der Gesundheitsförderung

Und das ist der Punkt: jemanden – in positivem Sinne und zu seinem Vorteil – zu beeinflussen, ohne dass ihm dies bewusst wird. Inzwischen hat auch das betriebliche Gesundheitsmanagement das Thema entdeckt – noch eher vereinzelt, aber die erzielten Erfolge sprechen für sich.

Viele Unternehmen haben das Thema Gesundheitsförderung inzwischen auf der Tagesordnung und bieten ihren Mitarbeitern eine ganze Reihe von Möglichkeiten an. Das Problem: Menschen sind von Natur aus eher träge. Bei den klassischen Maßnahmen müssen sie selbst aktiv werden, sich etwa zu einem Gesundheitskurs anmelden. Beim Nudging wird dieser Prozess umgekehrt. Das Unternehmen setzt – beispielsweise für eine Abteilung – die Teilnahme an einer Maßnahme als gegeben voraus. Wer nicht teilnehmen möchte, muss das ausdrücklich erklären. Hier wirkt das „Trägheitselement“ also im positiven Sinne. Ein gewisser Gruppenzwang kommt natürlich auch dazu – wenn alle anderen mitmachen, muss man eben erklären, warum man selbst nicht dabei sein möchte. Eine solche Begründung muss zwar nicht gegeben werden, aber man fühlt sich in der Regel selbst verpflichtet, sein abweichendes Verhalten zu erklären. Die Entscheidung über Teilnahme oder Nichtteilnahme bleibt trotzdem unverändert dem Einzelnen überlassen.

Sicher ist zunächst jeder selbst für seine Gesundheit verantwortlich. Andererseits führt ein ungesundes Verhalten zu Nachteilen für das Unternehmen (durch Arbeitsunfähigkeiten und verminderte Leistungsfähigkeit) und für die Gesellschaft insgesamt (durch Steuer- und Beitragsausfälle, Sozialleistungen usw.).

Warum es so schwer ist …

Untersuchungen zeigen, dass die Menschen ganz überwiegend kein Erkenntnis-, sondern ein Umsetzungsproblem haben. Jeder weiß inzwischen, dass Rauchen, Alkohol und Bewegungsmangel gesundheitsschädlich sind. Leider ist aber der „innere Schweinehund“ oftmals stärker als die Einsicht. Hier kann Nudging den entscheidenden kleinen Schubs in die richtige Richtung geben. Und das, ohne mit dem erhobenen Zeigefinger zu winken oder besonderen Druck auszuüben.

Beim Nudging geht es darum, menschliches Verhalten zu verändern. Dazu müssen Gewohnheiten verändert, also positiv beeinflusst werden. Dem stehen das Beharrungsvermögen und die Bequemlichkeit des Einzelnen entgegen. Um Verhalten nachhaltig zu verändern, bedarf es einiger Zeit, in der das neue, gewünschte Verhalten immer wiederholt wird, bis es die vorherige – negative – Gewohnheit ersetzt.

Eine konzeptionelle Grafik rund um das Thema „Nudging“ mit zugehörigen Begriffen wie „Entscheidungen gestalten“, „ermutigen“, „Verhaltenswissenschaft“, „Verbraucher bei Entscheidungen leiten“ und anderen verwandten Ausdrücken, die den Einfluss auf Auswahl und Entscheidungsfindung andeuten.

Warum ist das so schwierig? Menschen mögen keine Veränderungen. Sie halten deshalb am Althergebrachten fest. Entscheidungen über Veränderungen werden nur getroffen, wenn es nicht mehr anders geht und der (Leidens-)Druck groß genug geworden ist. Diese Verhaltensweise wird beispielsweise bei Verträgen genutzt (Handyvertrag, Fitnessstudio), die sich automatisch verlängern, wenn sie nicht gekündigt werden.

Eigentlich klare Folgen werden von den Menschen ausgeblendet. Jeder Raucher weiß, dass Rauchen gesundheitsschädlich ist. Er geht aber davon aus, dass die Folgen ihn nicht treffen werden (alle anderen vielleicht, aber mich nicht!). Das Risiko wird verdrängt oder ignoriert.

Wenn meine Freunde und Kollegen mitmachen …

Menschen richten sich in ihrem Verhalten an ihrem Umfeld, also an ihrer sozialen Gruppe aus. Freunde und Kollegen haben durch das von ihnen gezeigte Verhalten einen großen Einfluss auf den einzelnen Menschen. Diese Tatsache nutzt man auch beim Nudging. Nehmen alle Kollegen an einer Maßnahme teil, fällt es dem Einzelnen schwer, sich „auszuklinken“ und nicht ebenfalls mitzumachen. Dafür bräuchte es gute Argumente, die bei Gesundheitsmaßnahmen nur selten vorhanden sind (es sei denn, dass etwa durch körperliche Einschränkungen eine Teilnahme nicht möglich ist).

Der Spaß und die Einsicht kommen dann im Laufe der Zeit und das ungewünschte Verhalten wird durch ein neues, positiveres Verhalten ersetzt – dann durchaus dauerhaft.

Schnell geht es nicht!

Aber: Gut Ding will Weile haben! Deshalb muss sich ein Unternehmen, das Nudging in der betrieblichen Gesundheitsförderung einsetzen will, darüber im Klaren sein, dass es sich nicht um eine Einmalaktion, sondern um einen langfristigen Prozess handelt. Der Einsatz lohnt jedoch, weil hier wirklich ohne schädlichen Druck langfristig eine dauerhafte Verhaltensänderung möglich ist.

iga-Report

Die Initiative Gesundheit und Arbeit (iga), eine Kooperation vom BKK Dachverband, der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), dem AOK-Bundesverband und dem Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek), hat eine Untersuchung zum Thema Nudging herausgegeben. Der iga-Report Nummer 38 steht im Internet als kostenfreier Download zur Verfügung (www.iga-info.de/veroeffentlichungen/igareporte/igareport-38)

Jürgen Heidenreich

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