Im Blick: Arbeitsrecht
ChatGPT: Keine Mitbestimmung beim Einsatz von ChatGPT über Privataccounts
Arbeitsgericht (ArbG) Hamburg, Beschluss vom 16.01.2024 – 24 BVGa 1/24
Künstliche Intelligenz (KI) kann das Arbeitsleben erleichtern. Daher ist es nicht überraschend, dass Unternehmen diese technischen Möglichkeiten von KI nutzen möchten, insbesondere durch den Einsatz von ChatGPT. Die Nutzung von KI geht mit einer Vielzahl bislang ungelöster Rechtsfragen einher. Hierzu zählen beispielsweise auch die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bei der Einführung von ChatGPT. Das Arbeitsgericht Hamburg hatte hierzu über einen Fall zu entscheiden und urteilte, dass der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1, 6 und 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bei der Nutzung von ChatGPT und vergleichbaren generativen KI-Systeme der künstlichen Intelligenz hat.
Verortung des Urteils
Bei der Einführung von Software steht dem Betriebsrat in vielen Fällen ein Mitbestimmungsrecht zu. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) reicht schon die Erfassung von Logdaten, um ein IT-Tool als Überwachungseinrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zu klassifizieren und entsprechend die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats auszulösen. In der Praxis führt dies oftmals dazu, dass die Verhandlungen mit dem Betriebsrat ausufern. Statt über den Schutz von Persönlichkeitsrechten zu sprechen, stagnieren die Verhandlungen in Diskussionen zu Detailfragen des Datenschutzes. Mit Blick auf die immer stärker werdende Einbindung von KI ist daher die Frage der Mitbestimmung für Arbeitgeber essentiell.
Der Sachverhalt
Der Arbeitgeber, ein weltweit handelnder Hersteller im Bereich der Medizintechnik, wollte seinen Mitarbeitern die Nutzung generativer KI als neues Werkzeug zur Unterstützung ihrer Arbeit erlauben. Freiwillig und auf eigene Kosten. Er veröffentlichte hierzu Richtlinien und ein Handbuch im Intranet für die Erlaubnis zur Nutzung von IT-Tools mit künstlicher Intelligenz. Hierin fanden sich auch Vorgaben zu der Nutzung. Die Software sollte dabei nicht auf den Computersystemen des Arbeitgebers installiert werden, sondern über einen Webbrowser genutzt werden.
Der Gesamtbetriebsrat sah in der Genehmigung zur Nutzung von ChatGPT in Verbindung mit der Veröffentlichung der Richtlinien eine grobe Verletzung seiner Mitbestimmungs- und Beteiligungsrechte. Unter anderem forderte er den Arbeitgeber auf, ChatGPT zu blockieren und dessen Nutzung zu verbieten. Nachdem der Arbeitgeber dies ablehnte, beantragte der Gesamtbetriebsrat eine einstweilige Verfügung gegen den Arbeitgeber. Er berief sich auf sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 (Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb), Nr. 6 (Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen) und Nr. 7 (Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie über den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften oder der Unfallverhütungsvorschriften) BetrVG.
Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht folgte diesem Argument nicht und lehnte die beantragte einstweilige Verfügung ab. Die Anträge auf einstweilige Verfügung waren unbegründet, urteilte das Gericht, da die Mitbestimmungsrechte des Gesamtbetriebsrats nicht verletzt worden waren.
Das Gericht kam zu folgenden Feststellungen:
- Es lag keine Verletzung von § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG vor. Die Richtlinie zur Nutzung von ChatGPT fällt in den Bereich des Arbeitsverhaltens, das nicht der Mitbestimmung unterliegt. Sie regelt lediglich die Art und Weise, wie die Arbeit ausgeführt wird. Die Bereitstellung neuer Arbeitsmittel ist kein Teil des Arbeitsverhaltens.
- Das Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG wurde ebenfalls nicht verletzt. Der Betriebsrat hatte argumentiert, dass die Nutzung von ChatGPT personenbezogene Daten der Arbeitnehmer verarbeite und speichere. Das Gericht folgte dieser Argumentation allerdings nicht, da die Nutzung von ChatGPT keine technischen Einrichtungen zur Erhebung und Speicherung von personenbezogenen Daten darstelle. Ausschlaggebend war hierfür, dass die Arbeitnehmer in dem entschiedenen Fall einen selbst angelegten Account nutzen, auf den der Arbeitgeber keinen Zugriff hat. Daher wisse der Arbeitgeber nicht, wann welcher Arbeitnehmer wie lange und mit welchen Anliegen ChatGPT genutzt habe.
- Es bestünde auch kein Mitbestimmungsrecht gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG. Der Betriebsrat hatte argumentiert, dass die Nutzung der KI zu psychischen Belastungen der Arbeitnehmer führen könne. Das Gericht stellte jedoch fest, dass zu einer konkreten Gefährdung der psychischen Gesundheit nichts vorgetragen worden sei und diese auch nicht erkennbar sei.
Das Arbeitsgericht wies darauf hin, dass die Informations- und Konsultationsrechte gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG, in denen ausdrücklich künstliche Intelligenz erwähnt wird, gewahrt werden müssen. Allerdings gewährt § 90 BetrVG nur Informations- und Konsultationsrechte und keine Mitbestimmungsrechte. Eine mögliche Verletzung begründet daher keinen Anspruch auf Beseitigung oder Unterlassung.

Kurz erklärt
Arbeitgeber können rechtssichere Regelungen für die Nutzung von ChatGPT und Co. schaffen, wenn Mitarbeiter hierfür eigene Accounts verwenden. Anders ist die Rechtslage vermutlich zu beurteilen, wenn Mitarbeiter beispielsweise über Unternehmensaccounts Zugriff auf ChatGPT haben und das Tool hierüber nutzen.
Praxistipp
Arbeitgeber sollten die technischen Möglichkeiten nutzen und klare „Spielregeln“ für die Nutzung von ChatGPT und Co. etablieren. Hierdurch können Mitarbeiter schnell und zeitgemäß unterstützt werden. Hierbei sollten die Informations- und Konsultationsrechte gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BetrVG beachtet werden. Es bleibt abzuwarten, ob andere deutsche Gerichte der Meinung des Arbeitsgerichts Hamburg zustimmen werden. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts hat jedoch die Grundlage für weitere Diskussionen gelegt.
Datenschutz: Auflösung Betriebsrat wegen Datenschutzverletzungen
ArbG Elmshorn, Beschluss vom 23.08.2023 – 3 BV 31 e/23
Datenschutz wird auch für die Betriebsratsarbeit immer wichtiger. Das Arbeitsgericht Elmshorn löste einen Betriebsrat wegen eines datenschutzrechtlichen Verstoßes auf – dies, obwohl die Hürden für die Auflösung eines Betriebsrats hoch sind. Der Grund für die Auflösung ergab sich aus der Zusammenschau einer Vielzahl von Pflichtverletzungen. Der Betriebsrat verstieß gegen datenschutzrechtliche Vorgaben, indem er Mitarbeiterakten anlegte und darin dauerhaft Informationen zu Krankheit und Urlaub speicherte. Eine Erlaubnisnorm aus der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO), dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) bzw. dem BetrVG für diese Datenverarbeitung lag nicht vor.
Verortung des Urteils
Datenschutz ist im Zusammenhang mit der Betriebsratsarbeit ein hochaktuelles Thema, das sowohl das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) als auch das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) betrifft. Diese beiden Gesetze regeln die Verarbeitung personenbezogener Daten von Arbeitnehmern und legen fest, wie Betriebsräte in diesem Kontext agieren müssen.
Besondere Relevanz hat in diesem Zusammenhang § 79a BetrVG, der durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz eingeführt wurde. Hierbei handelt es sich um eine spezifische Regelung, die den Umgang mit personenbezogenen Daten durch Betriebsräte im Rahmen ihrer Tätigkeit adressiert. Diese Norm ergänzt die Datenschutzvorschriften für Betriebsräte und konkretisiert ihre Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Verarbeitung personenbezogener Daten.
§ 79a BetrVG regelt, dass der Betriebsrat bei der Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten die Vorschriften der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) und des BDSG beachten muss. Die Regelung zielt darauf ab, einen angemessenen Datenschutzstandard bei der Betriebsratsarbeit zu gewährleisten und die Rechte der Beschäftigten in Bezug auf ihre personenbezogenen Daten zu schützen.
Wesentliche Aspekte des § 79a BetrVG sind:
- Anwendungsbereich: § 79a BetrVG gilt für alle Betriebsräte in Deutschland und betrifft die Verarbeitung personenbezogener Daten der Beschäftigten durch den Betriebsrat im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgaben.
- Datenschutzprinzipien: Der Betriebsrat muss sicherstellen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten im Einklang mit den Grundsätzen der DS-GVO erfolgt. Dazu gehören die Prinzipien der Rechtmäßigkeit, der Transparenz, der Zweckbindung, der Datenminimierung, der Richtigkeit, der Speicherbegrenzung, der Integrität und der Vertraulichkeit.
- Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung: Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch den Betriebsrat muss auf einer legitimen Rechtsgrundlage basieren. Dies kann die Notwendigkeit zur Erfüllung der Betriebsratsaufgaben nach dem BetrVG sein, die Einwilligung des betroffenen Beschäftigten oder andere im BDSG und in der DS-GVO vorgesehene Rechtsgrundlagen.
- Informationspflichten und Betroffenenrechte: Der Betriebsrat muss die Beschäftigten über die Verarbeitung ihrer Daten informieren und deren Rechte gemäß DS-GVO (z. B. Auskunftsrecht, Recht auf Berichtigung, Löschung und Widerspruch) gewährleisten.
- Datensicherheit: Es müssen angemessene technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, um ein hohes Schutzniveau der verarbeiteten personenbezogenen Daten zu gewährleisten und die Risiken für die Rechte und Freiheiten der Beschäftigten zu minimieren.
Der Sachverhalt
Die Beteiligten stritten über die Auflösung des Betriebsrats bzw. hilfsweise über die Amtsenthebung der Betriebsratsmitglieder. Antragsteller waren die Arbeitgeberin und die Mitarbeiter des Betriebs. Es handelte sich um ein regionales Busunternehmen, bei dem ein Betriebsrat aus sieben Mitgliedern bestand.
Anlass war vor allem die Genehmigung der monatlichen Dienstpläne. Eine Betriebsvereinbarung hierzu existierte nicht. Es kam zu deutlich überhöhten Betriebsratsfreistellungszeiten, da der Betriebsrat u. a. Dienstpläne und Urlaubsanträge systematisch für jeden einzelnen Mitarbeiter kontrollierte und in einem DIN-A4-Ordner abheftete. Der Betriebsrat prüfte auch E-Mails hinsichtlich getauschter Dienste. Sämtliche Einsatzzeiten, Arbeitszeiten, krankheitsbedingten Abwesenheiten, Ruhepausen usw. rekonstruierte der Betriebsrat für jeden Mitarbeiter und meldete vermeintliche Verstöße an das Amt für Arbeitsschutz.
Vor dem Hintergrund des Auflösungsverfahrens teilte der Betriebsrat dem Arbeitgeber mit, dass er keine Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Einführung eines neuen Dienstplanprogramms führen werde und keine Zeit für Verhandlungen habe. Das Verhältnis war durch weitere Handlungen des Betriebsrats, u. a. kurzfristige Absagen von Verhandlungsrunden, Provokationen sowie durch eine vom stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden abgegebene falsche Versicherung an Eides Statt sehr belastet.
Den Auflösungsantrag des Betriebsrats stellte zum einen der Arbeitgeber und zum anderen ein Mitarbeiterquorum. Das Arbeitsgericht verband die Verfahren miteinander.

Die Entscheidung
Das Arbeitsgericht Elmshorn löste den Betriebsrat auf und stützte diese Entscheidung u. a. auf massive Datenschutzverstöße. Das Arbeitsgericht begründet die Auflösung mit der Zusammenschau diverser Pflichtverletzungen:
- So hat der Betriebsratsvorsitzende durch die Mitteilung von Mitarbeiter-Gesundheitsdaten in Betriebsversammlungen und die massenhafte Speicherung von Mitarbeiterdaten massiv gegen Geheimhaltungspflichten, datenschutzrechtliche Vorgaben sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter verstoßen. Die Verletzung von Datenschutzverpflichtungen stelle eine Pflichtverletzung gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG dar. Insbesondere stehe es einem Betriebsratsvorsitzenden nicht zu, sich im Rahmen von Betriebsversammlungen über den Gesundheitszustand einzelner Arbeitnehmer zu äußern.
- Der Betriebsrat nehme für seine Betriebsratsarbeit bezahlte Freistellung im Gesamtumfang von mehr als drei Vollzeitstellen in Anspruch, was nach der Gesetzessystematik erst für eine Betriebsgröße von 901 bis 1.500 Mitarbeitern vorgesehen ist und nicht wie hier bei knapp 170 Mitarbeitern.
- Durch die Ablage von allen Dienstplänen, Krankheitsmitteilungen und Urlaubsanträgen der Arbeitnehmer in einzelnen Aktenordnern führte der Betriebsrat eine doppelte Personalakte. Ein Speicherzweck für diese Unterlagen besteht nicht, insbesondere sei diese Datenverarbeitung nicht erforderlich, um der Überwachungspflicht der Lenk- und Ruhezeiten i. S. v. § 80 Abs. 1 BetrVG nachzukommen.
- Ein permanenter Lesezugriff auf Personalakten zu Kontrollzwecken greife unverhältnismäßig in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer ein. Der Betriebsrat sei zur Datenminimierung verpflichtet und verstoße gegen diesen Grundsatz, indem er für jeden Mitarbeiter einen Aktenordner führe, aus dem sich die Arbeits- und Abwesenheitszeiten inklusive Urlaub (und Begründung wie Pflege von Angehörigen) sowie die krankheitsbedingten Abwesenheiten ergaben.
Das Arbeitsgericht stellte zusammenfassend fest, dass der Betriebsrat seine gesetzlichen Pflichten grob verletzte.
Kurz erklärt
- Die Hürden für eine Auflösung sind sehr hoch. Voraussetzung dafür ist ein grober Verstoß gegen gesetzliche Pflichten gemäß § 23 Abs. 1 BetrVG. Maßstab hierfür ist, dass die Amtsausübung untragbar erscheint.
- Das Arbeitsgericht bestätigte dennoch, dass Datenschutzverletzungen als grobe Verstöße gegen gesetzliche Pflichten zu qualifizieren sind.
Praxistipp
Die Möglichkeiten des Arbeitgebers zur Überwachung des Betriebsrats sind beschränkt. Dennoch ist der Betriebsratsraum kein rechtsfreier Raum. Das ist die Aufgabe des Datenschutzbeauftragen. Dieser überwacht spätestens seit der Einführung von § 79a BetrVG auch die Datenverarbeitung des Betriebsrats. Ihm ist Zutritt zum Betriebsratsbüro zu gewähren und ihm ist Auskunft zu erteilen. Der Datenschutzbeauftragte ist gegenüber dem Arbeitgeber zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit Informationen betroffen sind, die Rückschlüsse auf den Meinungsbildungsprozess des Betriebsrats zulassen (§ 79 S. 4 BetrVG). Der Datenschutzbeauftragte muss den Arbeitgeber über Datenschutzverstöße unterrichten und ihn damit in die Lage versetzen, solche Verstöße abzustellen.
Um die Gefahr von Datenschutzverstößen und damit einhergehenden Ordnungswidrigkeiten zu minimieren, sollten Betriebsräte eindringlich auf ihre betriebsverfassungsrechtlichen Datenschutzpflichten hingewiesen werden. In der Praxis fehlt oft die notwendige Sensibilität im Umgang mit personenbezogenen Daten. Arbeitgeber sollten die Datenverarbeitung durch die Betriebsräte auf den Prüfstand stellen und die Vorlage eines Datenschutzkonzepts anfordern. Besteht unternehmensweit ein Löschkonzept, hat der Betriebsrat kein Mitbestimmungsrecht (weil Arbeitsverhalten) und muss dieses umzusetzen.
Mitbestimmung: Betriebsrat entscheidet selbst über Sitzungsformat
Landesarbeitsgericht (LAG) München, Beschluss vom 07.12.2023 – 2 TaBV 31/33
Die Digitalisierung greift um sich. Auch Betriebsräte können ihre Sitzungen digital abhalten. Für die Umsetzung kann der Betriebsrat vom Arbeitgeber die Überlassung von je einem Notebook pro Betriebsratsmitglied verlangen, so jedenfalls das LAG München in dem entschiedenen Fall. Hierfür ist es ausreichend, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine digitale Betriebsratssitzung erfüllt sind.
Verortung des Urteils
§ 30 Abs. 2 BetrVG ist eine wichtige Vorschrift, die es Betriebsräten ermöglicht, Sitzungen unter bestimmten Umständen auch digital durchzuführen. Diese Möglichkeit ist besonders in Anbetracht der modernen Arbeitswelt und der verstärkten Nutzung digitaler Kommunikationsmittel von Bedeutung. Während § 30 Abs. 1 BetrVG die Regelmäßigkeit der Sitzungen behandelt, wurde Absatz 2 im Zuge der COVID-19-Pandemie und der daraus resultierenden Notwendigkeit, digitale Formate für Versammlungen zu nutzen, besonders relevant. Vor der gesetzlichen Änderung, die digitale Sitzungen explizit erlaubt, befand sich der Betriebsrat in einer rechtlichen Grauzone, wenn er Sitzungen online abhalten wollte. Traditionell werden Betriebsratssitzungen persönlich abgehalten, um die vertrauliche Behandlung von Betriebsangelegenheiten und den Schutz der Mitbestimmungsrechte zu gewährleisten. Mit der Einführung bzw. Klarstellung durch § 30 Abs. 2 BetrVG wurde jedoch ein moderner Rahmen geschaffen, der es Betriebsräten erlaubt, Sitzungen unter Nutzung von Video- und Telefonkonferenzen durchzuführen. Diese Anpassung trägt der Tatsache Rechnung, dass nicht immer alle Betriebsratsmitglieder physisch am gleichen Ort versammelt sein können, sei es aufgrund von Geschäftsreisen, Homeoffice-Regelungen oder gesundheitlichen Empfehlungen.

Für die Durchführung digitaler Betriebsratssitzungen sind jedoch bestimmte Voraussetzungen zu erfüllen, um die Rechte der Betriebsratsmitglieder und der Arbeitnehmer zu wahren. Dazu gehört beispielsweise die Sicherstellung der Vertraulichkeit der Sitzung. Es muss gewährleistet sein, dass Unbefugte keinen Zugang zu den Inhalten der Sitzung erhalten. Ferner muss sichergestellt sein, dass alle Teilnehmer die Möglichkeit zur aktiven Teilnahme haben, was bedeutet, dass sie sich äußern und an Abstimmungen teilnehmen können.
Die gesetzliche Erlaubnis für digitale Betriebsratssitzungen wurde allgemein als positiver Schritt zur Modernisierung der Betriebsratsarbeit und zur Flexibilisierung der Mitbestimmungspraxis aufgefasst. Es erlaubt Betriebsräten, effizienter zu arbeiten und auch in Krisenzeiten handlungsfähig zu bleiben.
Der Sachverhalt
2022 beschloss der Betriebsrat eines bundesweit tätigen Textilunternehmens im Rahmen seiner Geschäftsordnung die Möglichkeit der virtuellen Betriebsratssitzung, sofern die Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BetrVG gegeben sind.
Das Betriebsratsbüro, welches sich im selben Gebäude, aber nicht in derselben Filiale befindet, ist mit einem stationären Personal-Computer ohne Kamera und Lautsprecher-/Mikrofonfunktion sowie mit Internetanschluss und Microsoft-Lizenz, einem Drucker und einem Telefon (vgl. Bl. 195 d. A.) ausgestattet. Die ordentlichen Sitzungen des Betriebsrats finden jede Woche dienstags und mittwochs jeweils ab 8 Uhr statt. An diesen Tagen werden die Betriebsratsmitglieder im Dienstplan üblicherweise gleichzeitig eingeplant.
Im Zuge dessen forderte der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf, den ordentlichen Betriebsratsmitgliedern mobile technische Ausstattung zur Verfügung zu stellen, damit die Mitglieder, falls erforderlich, an virtuellen Betriebsratssitzungen teilnehmen können. Die Arbeitgeberin verweigerte das Zurverfügungstellen entsprechender Sachmittel. Sie verwies den Betriebsrat auf die Möglichkeit eines Telefonkonferenzsystems, das aber nicht zur Durchführung von Videokonferenzen geeignet war. Für Videokonferenzen sollten die Betriebsratsmitglieder ihre privaten Endgeräte nutzen.
Die Entscheidung
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Betriebsrat für die Durchführung von Videokonferenzen unentgeltlich funktionsfähige, technische Geräte mit Internetzugang sowie Kamera- und Lautsprecher- bzw. Mikrofonfunktion zur Verfügung zu stellen.
§ 30 Abs. 2 BetrVG macht die Möglichkeit einer Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- und Telefonkonferenz lediglich von den dort genannten weiteren Voraussetzungen abhängig und gerade nicht davon, ob eine entsprechende technische Ausstattung bereits vorhanden ist. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Betriebsratsmitgliedern die technische Ausstattung für die Durchführung jener Video- oder Telefonkonferenzen zur Verfügung zu stellen. Hierbei muss sich der Betriebsrat nicht auf Telefonkonferenzen verweisen lassen, da § 30 Abs. 2 BetrVG Videokonferenzen gerade ausdrücklich zulässt. Es hält sich im Rahmen des dem Betriebsrat zustehenden Beurteilungsspielraums, wann er aufgrund der bei Videokonferenzen gegebenen Visualisierung gegenüber den rein akustischen Telefonkonferenzen Erstere bevorzugt.
Betriebsratsmitglieder müssen sich zur Ausübung ihrer Betriebsratstätigkeit nicht darauf verweisen lassen, ihr eigenes Smartphone zu benutzen.
Der Arbeitgeber konnte sich gegenüber dem LAG München nicht mit Erfolg auf den Rechtsgedanken des BAG berufen, wonach Betriebsratsmitglieder während ihrer arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats anwesend sein müssen. Nach dem LAG München ist dieser Grundsatz im Fall von Video- oder Telefonkonferenzen nach § 30 Abs. 2 BetrVG einzuschränken.
Kurz Erklärt
- Da § 30 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG regelt, dass die Voraussetzungen der Teilnahme an einer Betriebsratssitzung mittels Video- oder Telefonkonferenz in der Geschäftsordnung festgehalten werden müssen, war die Geschäftsordnung des Betriebsrats unter anderem Dreh- und Angelpunkt der vorliegenden Entscheidung. Hier schaute das Gericht ganz genau hin. Es wurde unter anderem geprüft, ob die Geschäftsordnung ordnungsgemäß beschlossen wurde und ob die gesetzlichen Voraussetzungen nach § 30 Abs. 2 BetrVG erfüllt sind. Außerdem müssen die Regelungen hinreichend bestimmt sein, sodass die Ausgestaltung nicht im alleinigen Ermessen des Betriebsratsvorsitzenden liegt.
- Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin war es hierbei ausreichend, dass der Betriebsrat der Präsenzsitzung „grundsätzlichen“ Vorrang gewährte, da hierdurch das Regel-Ausnahme-Verhältnis verdeutlicht wurde.
Praxistipp
Da die Entscheidung zur Art und Weise der Durchführung der Betriebsratssitzung nun – abgesehen von den gesetzlichen Vorgaben – allein von den Vorlieben des Betriebsrats abzuhängen scheint, bleibt dem Arbeitgeber an dieser Stelle nur das Zurverfügungstellen weiterer Sachmittel. Das Kriterium der Erforderlichkeit nach § 40 BetrVG wurde durch das LAG München ebenso zur Disposition des Betriebsrats gestellt wie die präferierte Durchführungsmethode.
Unter Berücksichtigung dessen, dass das LAG München mit seiner Entscheidung ausdrücklich von dem Grundsatz des BAG abweicht, dass die Betriebsratsmitglieder während ihrer arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats anwesend sein müssen, bleibt abzuwarten, wie zukunftstauglich diese Entscheidung ist.
Mit Blick darauf, dass viele Unternehmen ihre Beschäftigten bereits während der Pandemie mit technischen Endgeräten mit Videofunktionen ausgestattet haben, ist hoffen, dass diese Entscheidung nicht zu einer Forderungswelle der Betriebsräte führt und dass die Arbeitsgerichte die Wünsche der Betriebsräte kritischer beleuchten.
Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte