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Rechtssprechung für sie aufbereitet : Rechtssprechung für sie aufbereitet

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Beschäftigungspflicht und Weisungsrecht

Nach § 106 Satz 1 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch Arbeitsvertrag, Tarifvertrag, Betriebs- bzw. Dienstvereinbarung oder Gesetz festgelegt sind. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers dient nur der Konkretisierung des vertraglich vereinbarten Tätigkeitsinhalts, beinhaltet aber nicht das Recht zu einer Änderung des Vertragsinhalts. Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung; eine Zuweisung von geringerwertigen Tätigkeiten ist auch dann unzulässig, wenn die bisherige Vergütung fortgezahlt wird.

Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb dieses Spielraums können dem Bestimmungsberechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat. Bei dieser Prüfung kommt es nicht auf die vom Bestimmungsberechtigten angestellten Erwägungen an, sondern darauf, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen hat der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist derjenige, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte.

Der Begriff des billigen Ermessens bei der Ausübung des Weisungsrechts im Sinne von § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Bei dessen Anwendung steht dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu. Das gilt auch im Fall der Kontrolle der Ausübung des Weisungsrechts nach den zuvor genannten Vorschriften. Dieser Beurteilungsspielraum des Tatsachengerichts kann vom Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist. (BAG, Urteil vom 24.10.2018 – 10 AZR 19/18)

Betriebsratstätigkeit – Rechtsanwaltskosten

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Beteiligter eines arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens die Erstattung seiner Rechtsdurchsetzungskosten vom Arbeitgeber grundsätzlich nur verlangen, wenn dies in den einschlägigen betriebsverfassungsrechtlichen oder personalvertretungsrechtlichen Bestimmungen vorgesehen ist. Davon nicht erfasste Kosten sind regelmäßig kein nach § 280 Abs. 1 BGB erstattungsfähiger Schaden. Das folgt aus dem gesetzlichen Gesamtzusammenhang und dem Fehlen prozessualer Vorschriften über die Kostentragung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren.

§ 2 Abs. 2 GKG bestimmt ausdrücklich, dass Beschlussverfahren gerichtskostenfrei sind. Von einer Regelung über die Tragung der außergerichtlichen Kosten hat der Gesetzgeber abgesehen. Dies beruht erkennbar nicht auf einem Versehen. Vielmehr liegt dem die gesetzgeberische Entscheidung zugrunde, dass jeder Beteiligte eines Beschlussverfahrens seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat. Das Fehlen prozessualer Regelungen über eine Kostenerstattung ist Folge der Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahrens, das abweichend vom Urteilsverfahren nicht kontradiktorisch ausgestattet ist. Anders als bei den zwischen Parteien ergehenden Urteilen in vermögensrechtlichen Streitigkeiten geht es im Beschlussverfahren typischerweise nicht um eine Entscheidung für oder gegen eine von zwei sich wechselseitig ausschließenden Vermögenspositionen, sondern um die gegebenenfalls im gemeinsamen Interesse liegende Erklärung betriebsverfassungsrechtlicher Rechte und Pflichten, die häufig nicht nur die unmittelbar am Verfahren Beteiligten, sondern auch Dritte, insbesondere die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer, betrifft.

Eine § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entsprechende Vorschrift, nach der die obsiegende Partei im Urteilsverfahren des ersten Rechtszugs keinen Anspruch auf Entschädigung wegen eines Zeitversäumnisses und Erstattung der Kosten für die Zuziehung eines Prozessbevollmächtigten oder Beistands hat, ist zwar für das Beschlussverfahren nicht vorgesehen. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, der Gesetzgeber gehe im Beschlussverfahren von einer entsprechenden Kostenerstattungspflicht aus. Vielmehr ist das Fehlen einer § 12a Abs. 1 Satz 1 ArbGG entsprechenden Vorschrift Ausdruck des Umstands, dass in dieser Verfahrensart eine Kostenerstattung grundsätzlich überhaupt nicht vorgesehen ist.

Der Grundentscheidung des Gesetzgebers, wonach in einem Beschlussverfahren grundsätzlich jeder Verfahrensbeteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat, steht nicht

entgegen, dass das Betriebsverfassungsgesetz unter bestimmten Voraussetzungen einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Erstattung von Rechtsdurchsetzungskosten vorsieht. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG können zu den vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten der Betriebsratstätigkeit auch Rechtsanwaltskosten gehören, die durch die gerichtliche Verfolgung oder Verteidigung von Rechten des Betriebsrats entstehen. § 40 Abs. 1 BetrVG knüpft jedoch – anders als §§ 91 ff. ZPO – nicht an ein Obsiegen oder Unterliegen an und – anders als § 280 BGB – nicht an ein Verschulden, sondern an die Erforderlichkeit der Kosten. Aus der in § 40 Abs. 1 BetrVG normierten materiell-rechtlichen Kostentragungspflicht kann daher nicht der Schluss gezogen werden, die für das Beschlussverfahren grundsätzlich nicht vorgesehene prozessuale Kostenerstattung könne als Schadensersatz über § 280 ZPO stattfinden. Dadurch würde die gesetzliche Konzeption, wonach in einem Beschlussverfahren grundsätzlich jeder Verfahrensbeteiligte seine außergerichtlichen Kosten selbst zu tragen hat, unterlaufen. (BAG, Beschluss vom 01.08.2018 – 7 ABR 41/17)

Gesamtbetriebsrat – Freistellung, Auswahlentscheidung

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG sind die Mitglieder des Betriebsrats ohne Minderung des Arbeitsentgelts von ihrer Arbeitspflicht zu befreien, wenn und soweit dies zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Diese Vorschrift gewährt einen Anspruch auf Arbeitsbefreiung in erster Linie für die Wahrnehmung von betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben im Einzelfall. Allerdings kann der Betriebsrat von dem Arbeitgeber auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 BetrVG auf der Grundlage von § 37 Abs. 2 BetrVG verlangen, eines oder mehrere Mitglieder dauerhaft von der Arbeitspflicht zu befreien, sofern nach Art und Umfang des Betriebs die (zusätzliche) Freistellung zur ordnungsgemäßen Durchführung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben erforderlich ist. Dieser auf § 37 Abs. 2 BetrVG gestützte Freistellungsanspruch kann sowohl über die Mindeststaffel des § 38 Abs. 1 BetrVG hinausgehende Freistellungen als auch Freistellungen in Betrieben mit regelmäßig weniger als 200 Arbeitnehmern, für die § 38 Abs. 1 BetrVG keine generellen Freistellungen vorsieht, rechtfertigen.

Eine pauschale Freistellung nach § 37 Abs. 2 BetrVG kann gemäß § 51 Abs. 1 BetrVG auch der Gesamtbetriebsrat für seine Mitglieder geltend machen. Nach dieser Vorschrift gilt § 37 Abs. 2 BetrVG für den Gesamtbetriebsrat entsprechend. Daher können – neben anlassbezogenen Arbeitsbefreiungen – vom Gesamtbetriebsrat auch generelle (Teil-)Freistellungen von Gesamtbetriebsratsmitgliedern beansprucht werden, sofern dies zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist.

Der Gesamtbetriebsrat entscheidet über die gegebenenfalls ständig freizustellenden Mitglieder nach § 51 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 BetrVG durch Mehrheitsbeschluss. § 38 Abs. 2 BetrVG findet auf die Bestimmung der freizustellenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats keine Anwendung. Nach § 38 Abs. 2 Satz 1 BetrVG werden die freizustellenden Mitglieder des Betriebsrats nach Beratung mit dem Arbeitgeber vom Betriebsrat aus seiner Mitte in geheimer Wahl und nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt. Wird nur ein Wahlvorschlag gemacht, erfolgt die Wahl nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl. Dieses in § 38 Abs. 2 BetrVG geregelte Wahlverfahren findet aber wegen der fehlenden Verweisung in § 51 Abs. 1 BetrVG auf § 38 BetrVG auf die Freistellung von Gesamtbetriebsratsmitgliedern keine unmittelbare Anwendung.

§ 38 Abs. 2 BetrVG ist auf die Freistellung von Mitgliedern des Gesamtbetriebsrats auch nicht entsprechend anwendbar, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen. Eine analoge Gesetzesanwendung setzt das Bestehen einer unbewussten Regelungslücke voraus. Hat sich der Gesetzgeber bewusst für die Regelung oder Nichtregelung eines bestimmten Sachverhalts entschieden, sind die Gerichte nicht befugt, sich über die gesetzgeberische Entscheidung durch eine Auslegung der Vorschrift hinwegzusetzen. Bei der Bildung und personellen Zusammensetzung des Gesamtbetriebsrats ist – anders als bei der Wahl des Betriebsrats – ein Minderheitenschutz nicht vorgesehen. Die Mitglieder des Gesamtbetriebsrats werden von den im Unternehmen bestehenden Betriebsräten nach § 47 Abs. 2 BetrVG durch Geschäftsführerbeschluss mit einfacher Stimmenmehrheit nach § 33 Abs. 1 BetrVG in den Gesamtbetriebsrat entsandt. Dabei findet keine Verhältniswahl statt. Es ist dann folgerichtig, auch die Bestimmung der freizustellenden Gesamtbetriebsratsmitglieder nicht nach den Grundsätzen der Verhältniswahl vorzunehmen.

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bei der Entscheidung über pauschale Freistellungen von Gesamtbetriebsratsmitgliedern nach § 37 Abs. 2 BetrVG – anders als bei der Verteilung der Freistellungen auf die Betriebsratsmitglieder – durch das Gremium eine Erforderlichkeitsbeurteilung zu erfolgen hat, bei der regelmäßig sowohl Umstände der Aufgabenverteilung als auch Erwägungen zur personellen Verteilung der Freistellungen ineinandergreifen. Dieser Besonderheit bei der Bestimmung der freizustellenden Mitglieder des Gesamtbetriebsrats würde ein Wahlverfahren nicht gerecht. (BAG, Beschluss vom 26.09.2018 – 7 ABR 77/16)

Entgelterhöhung – betriebliche Übung

Unter einer betrieblichen Übung ist die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers zu verstehen, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer eingeräumt werden.  Aus einem als Vertragsangebot zu wertenden Verhal

ten des Arbeitgebers, das von den Arbeitnehmern in der Regel stillschweigend angenommen wird, erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen. Entscheidend für das Entstehen eines Anspruchs ist, wie die Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen mussten und ob sie auf einen Bindungswillen des Arbeitgebers schließen durften. Ob dieser tatsächlich mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen gehandelt hat, ist unerheblich. Eine betriebliche Übung kann auch bezüglich übertariflicher Leistungen und übertariflicher Anteile entstehen. Für den Anspruch aus betrieblicher Übung ist unerheblich, ob der betreffende Arbeitnehmer selbst bisher schon in die Übung einbezogen worden ist. Sie richtet sich an alle Beschäftigten eines Betriebs oder zumindest an kollektiv abgrenzbare Gruppen. Das Vertragsangebot des Arbeitgebers ist regelmäßig so zu verstehen, dass er – vorbehaltlich besonderer Abreden – alle Arbeitnehmer zu den im Betrieb üblichen Bedingungen beschäftigen will. Will der Arbeitgeber das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern, muss er bei oder im Zusammenhang mit der Gewährung einer Leistung den Beschäftigten klar und verständlich deutlich machen, dass er sich für die Zukunft nicht binden will.

Von diesen Grundsätzen hat das Bundesarbeitsgericht eine Ausnahme gemacht, wenn der Arbeitgeber freiwillig – also ohne rechtliche Verpflichtung aufgrund von Tarifgebundenheit – die Entgelte der Beschäftigten entsprechend der Tarifentwicklung in einem bestimmten Tarifgebiet anhebt. In diesem Fall müssen für das Entstehen einer betrieblichen Übung auf weitere entsprechende Gehaltserhöhungen in der Folgezeit deutliche Anhaltspunkte in dem Verhalten des Arbeitgebers dafür sprechen, dass dieser die Erhöhungen – auch ohne das Bestehen einer tarifvertraglichen Verpflichtung – künftig, das heißt auf Dauer, übernehmen will. Die fehlende Tarifgebundenheit des Arbeitgebers verdeutlicht nämlich – für den Arbeitnehmer erkennbar – den Willen des Arbeitgebers, die Erhöhung der Löhne und Gehälter zukünftig nicht ohne Beitrittsprüfung entsprechend der Tarifentwicklung vorzunehmen. Dadurch soll der nicht tarifgebundene Arbeitgeber, der freiwillig die Entgelte entsprechend den Tariferhöhungen seiner Branche steigert, nicht schlechtergestellt werden als der tarifgebundene Arbeitgeber, der die Möglichkeit hat, durch Verbandsaustritt eine dauerhafte Bindung zu vermeiden.

Weil es für das Entstehen einer betrieblichen Übung grundsätzlich unerheblich ist, ob der Arbeitgeber bei seinem als Vertragsangebot zu wertenden Verhalten mit einem entsprechenden Verpflichtungswillen handelt, kommt diese Rechtsprechung nur zur Anwendung, wenn der Wille des Arbeitgebers, sich für die Zukunft nicht binden zu wollen, für die Arbeitnehmer erkennbar ist. Beschränkt der Arbeitgeber Entgelterhöhungen nicht auf den Arbeitsverdienst, den er durch die arbeitsvertragliche Inbezugnahme eines Tarifvertrags zu zahlen verpflichtet ist, sondern erhöht er zugleich den zusätzlich gewährten übertariflichen Entgeltbestandteil in gleicher Weise wie den tariflichen, kommt es für das Entstehen einer betrieblichen Übung in Bezug auf den übertariflichen Entgeltbestandteil allein darauf an, wie die Arbeitnehmer das Verhalten des Arbeitgebers nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände verstehen mussten und durften. Der Arbeitgeber definiert diesen Vergütungsbestandteil autonom, ordnet ihm bestimmte Geldbeträge zu und entscheidet, welche Arbeitnehmer in den Genuss einer „Höherstufung“ kommen. Die Gehaltsentwicklung ist in diesem Fall nicht „unüberschaubar“ im Sinne der Rechtsprechung zur freiwilligen Tariferhöhung nicht tarifgebundener Arbeitgeber (s. etwa BAG vom 19. Oktober 2011 5 AZR 359/10 – RN 15),

vielmehr sind lediglich die vom Arbeitgeber selbst geschaffenen „übertariflichen Stufen“ bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen einer betrieblichen Übung der dynamischen Ausgestaltung unterworfen. Die übertariflichen Entgeltbestandteile sind in Bezug auf das Entstehen einer betrieblichen Übung nicht anders zu behandeln als sonstige übertarifliche Leistungen, wie etwa Sonderzahlungen, die zusätzlich zu tarifvertraglich geschuldeten Zahlungen vom Arbeitgeber geleistet werden. Den Eintritt dieser Rechtsfolgen kann der Arbeitgeber durch entsprechende Vorbehalte verhindern. (BAG, Urteil vom 19.09.2018 – 5 AZR 439/17)

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – gesetzlicher Mindestlohn

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 4 Abs. 1 EFZG hat der Arbeitgeber für die Zeit, die infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ausfällt, das Entgelt zu zahlen, das er ohne den Arbeitsausfall bei Erbringung der Arbeitsleistung gezahlt hätte. Eine abweichende Bemessungsgrundlage des fortzuzahlenden Arbeitsentgelts ist nur durch Tarifvertrag nach Maßgabe von § 4 Abs. 4, § 12 EFZG zulässig. Das hiernach maßgebliche Entgeltausfallprinzip verlangt, den Mindestlohn nach § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG als Geldfaktor in die Berechnung des Entgeltfortzahlungsanspruchs einzustellen, soweit nicht aus anderen Rechtsgründen ein höherer Vergütungsanspruch besteht. Eine von § 4 Abs. 1 EFZG abweichende Regelung trifft das Mindestlohngesetz nicht. Der gesetzliche Mindestlohn prägt damit mittelbar den Entgeltfortzahlungsanspruch. Weil der Arbeitnehmer so zu stellen ist, als hätte er gearbeitet, muss er auch unter den in § 3 Abs. 1 EFZG genannten Voraussetzungen und dem dort bezeichneten Zeitraum den Mindestlohn als untere Grenze des fortzuzahlenden Entgelts erhalten. Zu den Vereinbarungen, welche die Geltendmachung des Mindestlohnanspruchs im Sinne des § 3 Satz 1 MiLoG beschränken, gehören nicht nur arbeitsvertragliche, sondern auch tarifliche Ausschlussfristen. Denn ein Tarifvertrag ist – auch wenn er Rechtsnormen schaffen kann – ein formbedürftiger privatrechtlicher Vertrag zwischen den in § 2 TVG genannten Tarifvertragsparteien und damit eine „Vereinbarung“ im Sinne des § 3 Satz 1 MiLoG. Deshalb ist es unerheblich, auf welcher Rechtsgrundlage – beiderseitige Tarifgebundenheit, Allgemeinverbindlichkeitserklärung oder arbeitsvertragliche Bezugnahme – ein Tarifvertrag, der eine den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnehmende Verfallklausel enthält, auf das Arbeitsverhältnis einwirkt. Dass Tarifverträge den Beschränkungen des § 3 Satz 1 MiLoG unterworfen sind, ist im Hinblick auf die Tarifautonomie unbedenklich. Art. 9 Abs. 3 GG verleiht den Tarifvertragsparteien zwar ein Normsetzungsrecht, aber kein Normsetzungsmonopol. Der Gesetzgeber bleibt befugt, das Arbeitsrecht zu regeln. Damit verbundene Beeinträchtigungen der Tarifautonomie sind verfassungsgemäß, wenn der Gesetzgeber mit ihnen den Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Belange bezweckt und wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn tritt eigenständig neben den tarifvertraglichen Entgeltanspruch. Wird der gesetzliche Mindestlohn unterschritten, führt § 3 MiLoG zu einem Differenzanspruch, der nur dem gesetzlichen Verjährungsrecht unterliegt. Mit dem Mindestlohngesetz soll den in Vollzeit tätigen Arbeitnehmern ein Monatseinkommen „oberhalb der Pfändungsgrenze“ gesichert werden. Es bezweckt die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde und dient der Verbesserung der Stellung aller Arbeitnehmer und damit ihrer Berufsfreiheit, indem es sie vor den Folgen einer unangemessen niedrigen Vergütung – auch im Hinblick auf ihre Alterssicherung – schützt. § 3 MiLoG dient als Absicherung des Mindestlohns zugleich einem verfassungsrechtlich legitimierten Gemeinwohlbelang; denn der Mindestlohn soll auch die sozialen Sicherungssysteme entlasten, weil nicht existenzsichernde Arbeitsentgelte durch Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende „aufgestockt“ werden können und negative Auswirkungen auf die Einnahmen der Sozialversicherung haben. Die Vorschrift und die von ihr bewirkte Teilunwirksamkeit tariflicher Verfallfristen sind geeignet und erforderlich, diese Ziele zu verwirklichen, und auch verhältnismäßig im engeren Sinne. § 3 Satz 1 MiLoG erfasst unmittelbar nur den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn für geleistete Arbeit. Verp ichtet aber ein Entgeltfortzahlungstatbestand den Arbeitgeber, den Arbeitnehmer so zu stellen, als hätte er gearbeitet, und gestaltet der Mindestlohn den Entgeltfortzahlungsanspruch mit, gebietet es der Schutzzweck des § 3 Satz 1 MiLoG, nach Maßgabe dieser Norm den Entgeltfortzahlungsanspruch in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns entsprechend zu sichern. Anderenfalls stünde der Arbeitnehmer nämlich entgegen dem Gesetzesbefehl schlechter, als er bei tatsächlicher Arbeit gestanden hätte. (BAG, Urteil vom 20.06.2018 – 5 AZR 377/17

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