Pflege : KI oder Kollaps?
Pflege und IT oder gar Pflege und KI? Das erzeugt bei vielen immer noch mehr Sorge als Hoffnung. Es ist allerdings höchste Zeit, dass die Entlastung für die Pflege aus möglichst vielen Richtungen kommt. Immer mehr insolvente Kliniken, erschreckende Zahlen zum Personalnotstand und der drohende Kollaps der häuslichen Care-Arbeit von Angehörigen – diese Situation schreit förmlich danach: Es wird nur noch mit dem Einsatz entsprechender Innovationen gehen.

Die Zukunftsmusik spielt bereits – und sie erzählt durchaus von etwas anderem, viel Positiverem und Besserem als der befürchteten „Entmenschlichung“ der Pflege. Es geht vor allem um den cleveren Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI), welche die Arbeit erleichtert und die personellen Ausfallquoten – auch aufgrund mentaler Überlastung – verringert. Der Einsatz von Technik und Software passiert schon jeden Tag, indem Pfleger Programmierer mit Fach-Know-how unterstützen – gleichzeitig nimmt die Überalterung der Gesellschaft rasant zu.
Dabei können die Anwendungsszenarien bereits sehr konkret werden, indem sie direkt auf die bestehenden Bedarfe ausgerichtet und abgestimmt werden. Das Interview mit Fabian Höger, Geschäftsführer und Gründer des Karlsruher Start-ups Perspective Care, bietet spannende Einblicke in den Bereich Pflegemonitoring und zeigt, wie nah dran wir schon sind am sinnvollen täglichen Einsatz.
Wenn Menschen an Pflege und Technik denken, dann sind die Vorstellungen und Visionen oft groß. Da liest man bereits von der „Pflegebrille 2“ mit AR-Technologie (Augmented Reality), zahlreichen smarten Anwendungen und konkreten Hightech-Hilfsmitteln, von KI-überwachten Exoskeletten, smarten und intelligenten Pflegebetten bis hin zum Pflegeroboter Pepper. Warum sollten Pflegeinrichtungen und Krankenhäuser vielleicht erst einmal grundsätzlich in Form von kleineren Lösungen die ersten Schritte wagen?
Wenn es um Pflege und Technologie geht, sind die Möglichkeiten in der Tat beeindruckend, vor allem wenn man den Blick mit weniger Angst als vielmehr mit der berechtigten Hoffnung darauf wirft. Hier kommt es darauf an, den Bedarf und den Nutzen für Pflegekräfte und Patienten zu erkennen und in das anwendungsbezogene Potenzial zu verstehen. Kleinere Lösungen können jetzt schon entscheidend helfen, diesen Bedarf zu evaluieren, bevor umfangreichere Technologien eingeführt werden. Das ist längst keine Zukunftsmusik und passiert schon da, wo es gebraucht wird. Wir stecken zwar in den Anfängen, aber die Chancen sind da. Wenn man lösungsbezogen bereits im Kleinen denkt, begegnet man dem „Großen und Ganzen“ in konkreten Lösungsansätzen, bei denen es um Verbesserung und Erleichterung geht und darum, die aktuellen Probleme und Herausforderungen, die wir gerade in der Pflege haben und die – Stand jetzt – sonst nicht weniger werden können, zu vermindern.
Vereinfacht lässt sich hier sagen: Insgesamt sollten Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser eine ausgewogene Herangehensweise wählen, die sowohl die Möglichkeiten von Innovation als auch die praktische Umsetzbarkeit berücksichtigt. Viel wichtiger ist es, nicht so sehr an „Ersatz“ als vielmehr an Ergänzung und Zusammenspiel zu denken. Dann wird es nicht nur ein gutes Ganzes – vielmehr wird dann „ein Schuh daraus“, in dem nicht nur erste Schritte gemacht werden, sondern in dem es sich schon jetzt gut losgehen lässt. Denn damit kann endlich der bereits dringend benötigte Fortschritt eingeleitet werden. Und das mit allem, was der Mensch tun und leisten kann, und da gehört (der Einsatz von) Technik unbedingt dazu!
Ein entscheidender Faktor wird sein, Vorbehalte und die größten Ängste abzubauen – das betrifft sicher nicht nur die entsprechenden Einrichtungen und deren Personal, sondern die Angehörigen, welche sich dann indirekt mit dem Einsatz der Innovationen konfrontiert sehen. Wo und wie sehen Sie gute Chancen, dass Sie mit Ihrer Entwicklung und Technik dazu beitragen, schon jetzt eine große und breite Akzeptanz zu entwickeln? Welche positiven Aspekte der Anwendungen im Pflegealltag sprechen schon im Einzelnen für sich?
Das Pflege- und Mobilitätsmonitoring leistet bereits einen wichtigen Beitrag in der ambulanten und stationären Pflege. Die Vorteile lassen sich konkret benennen.
Es geht um:
- Lebensqualität für Senioren,
- Entlastung für Pflegekräfte,
- Beruhigung und Balance für Angehörige.
Der Fokus liegt dabei auf den Pflegedienstleistenden, denn ohne diese gibt es schlicht keine Pflege. Die Sicherheit im Lebensalltag wird bei Senioren durch die schnelle Reaktion in plötzlich auftretenden Notsituationen erhöht. Hier hilft bereits die Verlaufsanalyse des Pflegemonitorings. Damit kann wesentlich besser auf die individuelle Situation der zu pflegenden Person eingegangen werden.
Zunehmend findet informelle Pflege, bei der pflegende Angehörige stark in die Pflegeorganisation eingebunden sind, über immer weitere Distanzen statt. Auch dieser Entwicklung sollte man Rechnung tragen. Smarte Technologien, wie etwa sensible Sensoren, tragen dazu bei, Situationen besser einzuschätzen und falsche psychische Belastungen oder Gefahren zu vermeiden. Die Erfassung und die Datenerhebung ermöglichen dabei etwas, was weder ein sporadisches Schauen noch ein häufiges Überprüfen durch reine menschliche Mitwirkung leisten könnte. Denn hier kann selbst auf den unberechenbaren Moment des vielleicht stattfindenden Zufalls bzw. schwerwiegenden Vorfalls auf jeden Fall in kürzester Zeit reagiert werden.
Der Mangel an Pflegepersonal betrifft nicht nur die Pflegebranche, sondern ist ein weitreichendes gesellschaftliches Problem. Es ist das Ergebnis einer Kombination aus der Tendenz, im Alter selbstständig zu leben, und der Tatsache, dass unsere Bevölkerung immer älter wird. Dies stellt eine enorme Herausforderung dar, der wir nicht hilflos gegenüberstehen sollten. Das Pflegemonitoring trägt deshalb positiv dazu bei, die Effektivität in den Versorgungsprozessen zu erhöhen und die Effizienz zu verbessern, damit Ärzte und Pflegepersonal mehr Zeit für Zwischenmenschlichkeit und Fürsorge haben, die aufgrund dieser ganzen Entwicklung bereits nicht nur auf traurige Weise, sondern teils in einem besorgniserregenden Maße abgenommen haben.
Die grundsätzliche Verbesserung durch das Pflegemonitoring sieht also so aus: Pflegedienstleister können besser auf die Arbeitsplatzanforderungen ihrer Mitarbeitenden eingehen. Dies erhöht die Attraktivität des Arbeitsplatzes. Ebenso wird der Aufwand in den Verwaltungsbereichen durch die Automatisierung der Dokumentation im Pflegemonitoring verringert. der Pflege betrauten Personen bis natürlich hin zu den (oft sehr stark) involvierten Angehörigen. Geholfen wäre mit dem Einsatz von KI am Ende also allen. Damit verläuft die Pflege nicht nur „reibungsloser“, sondern die Qualität kann gleichzeitig gesteigert werden. Das geschieht insgesamt nicht nur zum Wohle des zu pflegenden Personenkreises, sondern ebenso für die mit den Aufgaben und Anforderung.
Mittels der Technik sollen das pflegerische Handeln und die Menschzu- Mensch-Interaktion keinesfalls ersetzt werden. Vielmehr geht es darum, vor allem die Pflegefachkräfte in ihrem Arbeitsalltag zu entlasten. Wieso ist durch den Einsatz von Pflegemonitoring sogar eine intensivere Betreuung der zu Pflegenden möglich?
Moderne Sensorik kann heute bereits sehr genau Zustände und Positionen von Menschen im dreidimensionalen Raum analysieren. Diese Technologie- Anwendungen stammen ursprünglich vor allem aus der Bau- und Automobilbranche oder der Robotik. Hier erfolgt eine intelligente Übertragung auf die besonderen Bedürfnisse der Pflege. Die Sensoreinheiten erkennen selbstständig Zustände im Patientenzimmern und teilen diese den Pflegenden mit. Der hilfreiche Einsatz kann dadurch in folgenden Bereichen stattfinden:
- Sturzanalyse und Sturzprävention (Aufstehversuche),
- Sturzerkennung,
- Bewegungen des Patienten (Dekubitusprophylaxe),
- ausbleibende Bettrückkehr,
- Anzahl Personen im Raum,
- Schlafstörungen und Unruhe,
- Trinkempfehlung,
- Vitalzeichen.
Durch die Kombination von klassischen Algorithmen und KI wird die Erkennungsrate entscheidend erhöht, wie zum Beispiel bei den Stürzen. Über eine Automatisierung der Dokumentation kann der Arbeitsaufwand in diesem Bereich für Pflegekräfte erheblich reduziert werden. Individuell konfigurierbare Informationen der Pflegekräfte verbessern die Arbeitsabläufe, da jeder zu Pflegende anders ist und andere Bedürfnisse hat.
Solche Unterstützungsformen gewinnen auch deshalb an Bedeutung, da durch sie eine mehr als dringende Entlastung im Arbeitsalltag stattfinden kann. Wenn sich die Zustände für die Pflegekräfte nicht schnell und stark verbessern, werden noch weniger Menschen diesen immer unzumutbareren Beruf wählen wollen. Der Einsatz von Technik soll nicht die Botschaft des Ersetzens senden, sondern Signale in Richtung Zukunft. Wenn die Pflegebereiche mehr Modernität erfahren, können die Berufe wieder interessanter und attraktiver werden für den „Nachwuchs“, der ja selbst mit Technik groß geworden ist und auch sicher in Zukunft weiter damit wachsen will.
Einen besorgten Aufschrei gibt es vermutlich sofort von einigen Seiten in Bezug auf das Thema Datensicherheit und Datenschutz. Sicherlich sollte deswegen nicht nur die ältere Bevölkerung möglichst umfassend mit den Chancen und Risiken der eingesetzten Technik vertraut gemacht werden, um die Vorteile zu verdeutlichen und Akzeptanz zu schaffen. Die Pflegeeinrichtungen selbst fürchten vermutlich zunächst nicht nur die Investitionen für die Implementierung, sie scheuen sich auf der anderen Seite wahrscheinlich ebenso vor einem zu großen Schulungsbedarf bezüglich der Anwendung. Wie können Sie mit Ihrer gezielten Monitoring-Anwendung solche Bedenken zerstreuen?
Die Furcht vor der Technik (und dem Fortschritt) ist vermutlich so „alt“ wie Erfindungen in der Geschichte der Menschheit überhaupt. Wenn es um sensible Bereiche geht, ist sie auch heute noch umso verständlicher. Außerdem macht vieles, was mit Alter und Endlichkeit zu tun hat, ohnehin Angst – das liegt in der Natur der Sache. Das Vertrauen kommt, wenn die Anwendungen und der Einsatz gesehen und verstanden werden und Funktionen sowie die Verlässlichkeit bekannt sind. Natürlich ist es ein Teil bzw. eine Vorstufe der Implementierung, diese Berührungsängste überhaupt erst einmal abzubauen.
Was die Datenerhebung betrifft, ist das auch recht schnell und einfach erklärt: Die von den Sensoren erfasste Daten werden innerhalb der Recheneinheiten verarbeitet. Nur die Benachrichtigungen verlassen die Geräte. Der Schutz der Privatsphäre ist damit von Grund auf gewährleistet. Es geschieht und landet alles da, wo es unmittelbar gebraucht wird.
Aus unseren bisherigen Erfahrungen können wir positiv sagen, dass wir bisher eine 100-prozentige Zustimmung von Angehörigen, Bewohnern und Pflegenden erfahren durften. Erreichen konnten wir das vor allem durch Transparenz und intuitive Implementierungen. Aber auch die Anwendungen haben als solche überzeugt.
Das Wichtigste am ganzen Prozess ist sicherlich, das Große und Ganze zu sehen, in dem der wichtige Teil der Unterstützung eingebaut wird, als ein Zahnrad zum möglichst reibungslosen
und effizienten Zusammenspiel. Mensch und Maschine also zusammen – das hat in den vergangenen Jahrzehnten und sogar den letzten Jahrhunderten schon hervorragend funktioniert. Warum sollte dies in der Pflege nicht genauso sein? Unser Ziel ist es, mit unserer Technik und unseren Systemen aus Angst Hoffnung zu machen und Zweifel in eine neue Stufe des Gefühls von Absicherung bzw. ein höheres Level der Pflegesicherheit zu überführen.
Viele Pflegeeinrichtungen nutzen die derzeit bestehenden Förderungsmöglichkeiten nicht und
lassen sich Geld entgehen, das sie dringend für ihre Digitalisierung gebrauchen könnten. Die DAK-Gesundheit hat darüber berichtet, dass lediglich 32 Prozent der Fördergelder für digitale und technische Anschaffungen in Anspruch genommen und bislang nur ein Drittel der Gesamtfördersumme abgerufen worden sei. Den einzelnen Einrichtungen entgehen bis zu 12.000 Euro, die sie durch das Pflegepersonalstärkungsgesetz für ihre digitale Ausstattung erhalten würden. Bis Ende 2030 können diese Förderungen von ambulanten und stationären Pflegeeinrichtungen beantragt werden. Können solche Mittel bereits gezielt für die Einführung
eines Pflegemonitorings abgerufen und eingesetzt werden?
Wenn es in einem Bereich chronisch an „Zeit“ fehlt – dann in der Pflege. Sobald es um die Ermittlung der Bedarfe geht, gehört die monetäre Seite selbstverständlich auch hier mit dazu. Der besondere Spagat der Pflege ist es ja, dass mit einer Dienstleistung am Menschen hierzulande die wirtschaftlichen Aspekte eng verknüpft sind. Gerade dieser Aspekt hat uns motiviert, sinnvolle Verbesserungen aufgrund des bereits bestehenden Know-hows zu entwickeln und einzusetzen, da es auf der Hand lag, dass auch hier die Digitalisierung über kurz oder lang Einzug halten wird.
Ein umso größeres Anliegen ist es uns, im Rahmen einer umfassenden Dienstleistung alle Unterstützung zu leisten, damit Innovationen endlich zum Einsatz kommen können. Dazu gehört natürlich auch, die „leidigen Formulare“ auszufüllen. Es hilft letztlich hier ebenso, die neuen Schritte möglichst mutig zu gehen, weil jetzt die Zeit gekommen ist, wirklich etwas geschehen muss. Die Argumente sprechen also eindeutig dafür, wo die Möglichkeiten bereits da sind, und das sogar mit der zusätzlichen Chance einer Finanzförderung – eben auch für die Einführung eines Pflegemonitoring –, und wir sind dafür rundum bereit.
Vielen Dank für das Gespräch!
- Das Interview führte Dr. Silvija Franjic(Jobcoach und Redakteurin)