Aktuelles aus dem Sozialversicherungsrecht : Corona Spezial
Seit Ausbruch der Corona-Krise war der Gesetzgeber sehr aktiv, um mit – größtenteils befristeten – Maßnahmen die Folgen für Bürger und Wirtschaft zu mildern. Die wichtigsten Regelungen für den Bereich der Sozialversicherung haben wir im Folgenden zusammengestellt.
Kurzarbeitergeld
In diesem Bereich wurden sehr früh weitreichende Veränderungen beschlossen.
- Musste bisher mindestens ein Drittel der Beschäftigten vom Arbeitsausfall betroffen sein, damit Kurzarbeit beantragt werden konnte, wurde dieser Schwellenwert auf nur noch 10 Prozent der Beschäftigten gesenkt.
- Statt nur zur Hälfte werden die vom Arbeitgeber zu zahlenden Sozialversicherungsbeiträge für das Kurzarbeitergeld nun in voller Höhe erstattet.
- Die Möglichkeit, Kurzarbeitergeld zu erhalten, wurde auf Beschäftigte in Zeitarbeit erweitert. • Für Betriebe, in denen Vereinbarungen zu Arbeitszeitschwankungen bestehen, wird auf den Aufbau negativer Arbeitszeitkonten verzichtet.
- Die maximale Bezugsdauer für Kurzarbeitergeld wurde von zwölf auf 24 Monate verlängert. Darüber hinaus wurde für Kurzarbeitsgeldbezieher die zeitgleiche Beschäftigung in einem anderen Betrieb zugelassen, ohne dass dadurch der Anspruch auf Kurzarbeitergeld verringert wird oder entfällt. Voraussetzung: Es handelt sich bei dem neuen Arbeitgeber um einen systemrelevanten Betrieb. Dazu gehören insbesondere das Gesundheits- und Transportwesen, die Landwirtschaft und der Lebensmitteleinzelhandel.
Weitere Voraussetzung: Das erzielte Gesamteinkommen aus Arbeitsentgelt und Kurzarbeitergeld darf das Bruttoeinkommen aus der ursprünglichen Beschäftigung nicht übersteigen.
Diese Regelung ist für die Zeit vom 01.04.2020 bis zum 31.10.2020 befristet.
Vom 1. Mai 2020 an gilt die Regelung für alle Beschäftigten in Kurzarbeit.
Ende April hat sich die große Koalition auf weitere Erleichterungen für Kurzarbeiter verständigt. Die Erhöhung des Kurzarbeitergeldes erfolgt in Staffeln. Arbeitnehmer, deren Arbeitszeit aufgrund von Kurzarbeit um mindestens 50 Prozent reduziert wird, erhalten ab dem vierten Monat der Kurzarbeit 70 Prozent bzw. 77 Prozent (mit Kind) Kurzarbeitergeld. Ab dem siebten Monat des Bezugs wird die Leistung auf 80 Prozent bzw. 87 Prozent (mit Kind) erhöht. Diese Regelung ist zunächst bis zum 31. Dezember 2020 befristet.
Zudem wurde eine Sonderregelung zum Elterngeld beschlossen. Dieses wird durch den Bezug von Kurzarbeitergeld oder Arbeitslosengeld I nicht reduziert. So sollen Nachteile für Eltern und werdende Eltern wegen der Corona-Krise vermieden werden.
Rentenbezieher
Die Hinzuverdienstgrenze für Rentner vor Erreichen der Regelaltersgrenze wird für das Kalenderjahr 2020 erhöht. Statt normalerweise 6.300 Euro sind jetzt bis zu 44.590 Euro unschädlich für die Altersrente. Das gilt auch für die Alterssicherung der Landwirte.
Beitragszahlung
Viele Unternehmen sind durch den Shutdown in Liquiditätsschwierigkeiten geraten. Deshalb sind nicht nur Steuerstundungen möglich, sondern auch die Zahlung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge kann vorübergehend ausgesetzt werden. Ein Erlass ist allerdings nicht vorgesehen.
Voraussetzungen für die Stundung:
- Eine sofortige Einziehung der Beiträge wäre mit erheblichen Härten verbunden und
- diese besondere Härte ist gegeben, obwohl andere Möglichkeiten wie Kurzarbeitergeld, Fördermittel oder Kredite in Anspruch genommen worden sind.
Auf die sonst notwendigen Sicherheitsleistungen wird ebenso verzichtet wie auf die Zahlung von Stundungszinsen.
Für die Stundung ist ein formloser Antrag bei der Einzugsstelle erforderlich. Dabei muss der Arbeitgeber bestätigen, dass die wirtschaftlichen Schäden durch die Pandemie bzw. durch hohe Umsatzeinbußen entstanden sind. Die Vereinfachungsregelung ist zunächst auf die Beiträge für die Monate März und April 2020 begrenzt, eine Stundung ist aber auch für noch nicht gezahlte Beiträge vor diesem Zeitraum möglich. Eine Verlängerung scheint aber denkbar (stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest).
Für bereits fällig gewordene Beiträge, also ohne Stundungsantrag, können die Einzugsstellen auf die Erhebung von Säumniszuschlägen und Mahngebühren verzichten. Wurden diese bereits geltend gemacht, können sie auf Antrag erlassen werden. Auf Vollstreckungsmaßnahmen sollen die Einzugsstellen zunächst verzichten.
Beitragspflicht/Beitragsfreiheit
Freiwillig versicherte Selbstständige
Selbstständige können Soforthilfen des Bundes und zusätzlich von einigen Bundesländern erhalten. Diese Soforthilfen gelten steuerrechtlich als Betriebseinnahmen und erhöhen ggf. den Gewinn. Dadurch wirken sie sich auch auf die Höhe der Krankenversicherungsbeiträge bei freiwillig Versicherten aus. Das gilt nicht für Darlehen, die zurückgezahlt werden müssen.
Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz
Wird eine Quarantäne nach dem Infektionsschutzgesetz angeordnet, wird der Verdienstausfall durch eine Entschädigung ausgeglichen. Als Verdienstausfall gilt bei Arbeitnehmern das Nettoarbeitsentgelt. Der Arbeitgeber hat seinen Arbeitnehmern die Verdienstausfallentschädigung für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, für die Entschädigungsbehörde auszuzahlen. Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der Entschädigungsbehörde erstattet. Die Beiträge werden nach dem Entgelt berechnet, das der Berechnung der Entschädigungszahlung zugrunde liegt, im Regelfall also das bisherige Bruttoarbeitsentgelt. Dieser Betrag ist dann entsprechend bei der Erstellung der nächsten Entgeltmeldung zu berücksichtigen.
Tipp: Neben der Entschädigung kann der Arbeitgeber auch seine Beitragsanteile geltend machen.
Verdienstausfallentschädigung wegen Schul- und KitaSchließung
Diese neue Leistung führt dazu, dass die Versicherung und Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger erhalten bleibt – wie etwa bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Auszahlung und Beitragszahlung erfolgen, wie bei der Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz, durch den Arbeitgeber. Die Beiträge werden berechnet aus 80 Prozent des zugrunde liegenden vorherigen Bruttoentgelts, maximal jedoch aus 80 Prozent der jeweiligen Beitragsbemessungsgrenze. Die Beiträge erstattet die zuständige Entschädigungsbehörde in voller Höhe.
Beispiel: Das monatliche Arbeitsentgelt, aus dem die Ausfallentschädigung gezahlt wird, beträgt 5.000 Euro. Die Beiträge werden wie folgt berechnet.
Kranken- und Pflegeversicherung:
Beitragsbemessungsgrenze: 4.687,50 Euro davon 80 Prozent: 3.750 Euro – daraus werden die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung berechnet. Renten- und Arbeitslosenversicherung: Beitragsbemessungsgrenze (West): 6.900 Euro 80 Prozent von 5.000 Euro (Begrenzung ist nicht erforderlich): 4.000 Euro – daraus werden die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie die Umlagen (U1, U2, Insolvenzgeldumlage) berechnet.
Corona-Sonderzahlungen für Beschäftigte
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können ihren Beschäftigten Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag von 1.500 Euro steuerfrei auszahlen oder als Sachleistungen gewähren. Die Sonderregelungen gelten für Zusatzleistungen, die die Beschäftigten zwischen dem 1. März 2020 und dem 31. Dezember 2020 erhalten. Voraussetzung ist, dass die Zahlungen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet werden.
Die Steuerfreiheit hat gleichzeitig die Beitragsfreiheit in der Sozialversicherung zur Folge.
Die Regelung ist nicht auf sogenannte systemrelevante Branchen oder Berufe beschränkt, sondern gilt, insbesondere aufgrund von Abgrenzungsproblemen, für alle Arbeitnehmer. Auch der Umfang der Tätigkeit spielt keine Rolle, die Zahlung kann also auch für Teilzeitbeschäftigte und sogar für Minijobber gezahlt werden.
Die Sonderzahlung muss im Lohnkonto dokumentiert werden, ist aber nicht in der Lohnsteuerbescheinigung auszuweisen und auch nicht in der Einkommenssteuererklärung anzugeben.
Geringfügige Beschäftigungen
Die Zeitgrenzen für die kurzfristige Beschäftigung (§ 8 Abs. 1 Nr. 2 SGB IV) wurden für die Zeit vom 1. März 2020 bis 31. Oktober 2020 von bisher drei Monaten oder 70 Arbeitstagen auf fünf Monate oder 115 Arbeitstage angehoben. Eine kurzfristige Beschäftigung liegt jedoch weiterhin nicht vor, wenn die Beschäftigung berufsmäßig ausgeübt wird und das monatliche Arbeitsentgelt 450 Euro übersteigt.
Analog dazu gilt die Zeitgrenze von fünf Monate auch für ein vorübergehendes unvorhersehbares Überschreiten der Entgeltgrenze bei geringfügig entlohnten Beschäftigungen (Minijobs).
Tipp: Die Verlängerung der zulässigen Überschreitung wirkt sich auch auf die Familienversicherung aus. Hier ist ein Überschreiten der Entgeltgrenze für die kostenfreie Mitversicherung von maximal fünf Monaten ebenfalls unschädlich (im genannten Zeitraum). Besondere Beachtung muss auf die Übergangsfälle gelegt werden, also befristete Beschäftigungen, die vor dem 01.03.2020 begonnen haben oder nach dem 31.10.2020 enden. Hier ist zum Stichtag das jeweils geltende Recht zu berücksichtigen, so dass es innerhalb der befristeten Beschäftigung zu einer Änderung der versicherungsrechtlichen Beurteilung kommen kann.
Beispiel 1: Eine Hausfrau nimmt am 01.02.2020 eine Beschäftigung als Aushilfsverkäuferin gegen ein monatliches Arbeitsentgelt von 1.300 Euro (5-Tage-Woche) auf. Die Beschäftigung ist von vornherein bis zum 30.06.2020 befristet. Vorbeschäftigungszeiten liegen nicht vor.
Die am 01.02.2020 aufgenommene Beschäftigung ist nicht kurzfristig und damit versicherungspflichtig in der Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung, weil zu ihrem Beginn feststeht, dass die am 01.02.2020 geltende Zeitgrenze für kurzfristige Beschäftigungen von drei Monaten überschritten wird.
Für die Zeit ab 01.03.2020 ist die Beschäftigung neu zu beurteilen, weil aufgrund der gesetzlichen Neuregelung eine Änderung in den Verhältnissen eintritt. Ab diesem Zeitpunkt liegt eine kurzfristige Beschäftigung vor, weil die Beschäftigungsdauer seit ihrem Beginn (01.02.2020) nicht mehr als fünf Monate beträgt.
Die Beschäftigung ist vom 01.03.2020 bis zum 30.06.2020 versicherungsfrei in der Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie nicht versicherungspflichtig in der Pflegeversicherung, da sie auch nicht berufsmäßig ausgeübt wird.
Beispiel 2: Eine Hausfrau nimmt am 01.07.2020 eine Beschäftigung als Fahrerin eines Lieferservice gegen ein monatliches Arbeitsentgelt von 1.200 Euro (5-Tage-Woche) auf. Die Beschäftigung ist von vornherein bis zum 30.11.2020 befristet. Vorbeschäftigungszeiten liegen nicht vor.
Die am 01.07.2020 aufgenommene Beschäftigung ist kurzfristig und daher versicherungsfrei in der Kranken-, Rentenund Arbeitslosenversicherung sowie nicht versicherungspflichtig in der Pflegeversicherung, weil zu ihrem Beginn feststeht, dass die am 01.07.2020 geltende Zeitgrenze für kurzfristige Beschäftigungen von fünf Monaten nicht überschritten und die Beschäftigung nicht berufsmäßig ausgeübt wird.
Für die Zeit ab 01.11.2020 ist die Beschäftigung neu zu beurteilen, weil aufgrund der Beendigung der gesetzlichen Übergangsregelung zum 31.10.2020 eine Änderung in den Verhältnissen eintritt. Ab dem 01.11.2020 liegt keine kurzfristige Beschäftigung mehr vor, weil die (ab diesem Zeitpunkt wieder geltende) Zeitdauer von drei Monaten ausgehend vom Beschäftigungsbeginn im Laufe des Beschäftigungsverhältnisses überschritten wird.
Ab dem 01.11.2020 liegt aufgrund der Höhe des erzielten Arbeitsentgelts eine versicherungspflichtige Beschäftigung vor.
Werkstudenten
Studenten sind in einer neben dem Studium ausgeübten Beschäftigung versicherungsfrei in der Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung, wenn die Beschäftigung an nicht mehr als 20 Stunden wöchentlich ausgeübt wird.
Bei einer längeren Arbeitszeit bleiben sie versicherungsfrei, wenn diese Beschäftigung nur in der vorlesungsfreien Zeit ausgeübt wird (Semesterferien). Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger haben sich darauf verständigt, dass die Zeit der Einstellung des Lehrbetriebs an der Hochschule aufgrund der Corona-Krise dem Werkstudentenprivileg nicht entgegensteht. Sie können also auch in dieser Zeit mehr als 20 Stunden wöchentlich arbeiten und bleiben trotzdem versicherungsfrei (Versicherungspflicht besteht aber in der Rentenversicherung).
Voraussetzung ist, dass die Beschäftigung an mehr als 20 Wochenstunden insgesamt im Laufe eines Jahres nicht mehr als insgesamt 26 Wochen/182 Kalendertage ausmacht.
Altersteilzeit
Bei der Altersteilzeit müssen eine Reihe von Bedingungen eingehalten werden. Grundsätzlich wird im Blockmodell die Arbeitszeit in der Arbeitsphase in Vollzeit erbracht, danach folgt die Freistellungsphase.
Unschädlich für die Altersteilzeit ist eine vorübergehende Freistellung bei Fortzahlung des Arbeitsentgelts. Voraussetzung ist, dass kurzfristige unplanbare betriebsbedingte Anlässe die Arbeitsleistung nicht mehr zulassen. Die Spitzenverbände der Sozialversicherung vertreten die Auffassung, dass eine Freistellung aufgrund der Corona-Krise wie betriebsbedingte Freistellungen zu bewerten, also unschädlich für die Altersteilzeitregelungen ist. Das gilt auch für die Zeit einer angeordneten Quarantäne bei Zahlung der Verdienstausfallentschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz.
Bei einer Wiederaufnahme der Beschäftigung in der Freistellungsphase aufgrund der Corona-Krise in Gesundheitsberufen (insbesondere von Krankenhauspersonal) oder vergleichbaren Beschäftigungen gehen die Spitzenverbände entgegen der allgemeinen Rechtsauffassung davon aus, dass die Altersteilzeitbeschäftigung fortbesteht. Bei den Beiträgen sind in solchen Fällen vorrangig die Rentenversicherungsbeiträge aus den fiktiven Einnahmen zu berücksichtigen.
Elterngeld
Bei Elterngeld und Elternzeit hat der Gesetzgeber Corona-bedingte Nachteile ausgeschlossen. Rückwirkend zum 01.03.2020 wurden im Wesentlichen folgende Änderungen beschlossen:
In systemrelevanten Branchen und Berufen arbeitende Eltern können die Elterngeldmonate aufschieben, also auch nach dem 14. Lebensmonat des Kindes in Anspruch nehmen, spätestens zum Juni 2021.
Wird die Verschiebung in Anspruch genommen, wird dadurch bei einem weiteren Kind die Höhe des Elterngeldes nicht gemindert.
Durch die Pandemie beeinflusste Einkommensminderungen wie Kurzarbeit sollen die Höhe des Elterngeldes nicht verringern. Deshalb werden solche Monate von der Berechnung der Höhe des Elterngeldes ausgenommen.
Der Partnerschaftsbonus, den Eltern erhalten, wenn sie beide in Teilzeit arbeiten, entfällt nicht, wenn die Eltern wegen der Pandemie mehr oder weniger arbeiten als vorgesehen.
Jürgen Heidenreich, Fachautor und Fachjournalist