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Im Blick: Arbeitsrecht

Lesezeit 16 Min.

Update Befristungsrecht: Vorbeschäftigung von acht Wochen hindert sachgrundlose Befristung nicht!

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 15.12.2021 – 7 AZR 530/20

Das BAG präzisiert seine Rechtsprechung zur Vorbeschäftigung bei sachgrundlosen Befristungen und schafft Klarheit, wann ausnahmsweise eine Vorbeschäftigung einer Befristung nicht entgegensteht. Dies ist – in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – der Fall, wenn die Vorbeschäftigung von sehr kurzer Dauer war. Bei der Bewertung, ob dies der Fall ist, kommt es auf die genauen Umstände des Einzelfalls an. Im entschiedenen Fall handelte es sich um eine Vorbeschäftigung von acht Wochen, welche 13 Jahre zurücklag. Eine erneute Befristung war nach dem BAG zulässig.

Verortung des Urteils

In § 14 Abs. 2 Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG) ist die sachgrundlose Befristung geregelt. Danach ist eine sachgrundlose Befristung für eine Dauer von höchstens zwei Jahren zulässig. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist eine sachgrundlose Befristung jedoch dann nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat (sog. Zuvorbeschäftigungsverbot).

Diese Regelung zur Vorbeschäftigung hat die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung schon umfassend beschäftigt. Zunächst hatte das BAG nach Inkrafttreten des TzBfG im Jahr 2001 die Auffassung vertreten, dass „zuvor“ so zu verstehen ist, dass mit demselben Arbeitgeber noch niemals zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden haben darf. Im Jahr 2011 machte das BAG jedoch eine Kehrtwende und weichte das Zuvorbeschäftigungsverbot auf. Es entschied, dass es der Zulässigkeit einer sachgrundlosen Befristung nicht entgegensteht, wenn das vorhergehende Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber mehr als drei Jahre zurückliegt. Diesen Rechtsgedanke entnahm das BAG dem zivilrechtlichen Verjährungsrecht.

Die Entscheidung des BAG aus dem Jahr 2011 geriet stark in die Kritik. Vor allem in der Literatur wurden zahlreiche Stimmen gegen diese Auslegung erhoben. Die Kritik bezog sich insbesondere darauf, dass der Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG (absolutes Zuvorbeschäftigungsverbot) eindeutig sei und das BAG die Grenzen der richterrechtlichen Fortbildung überschritten habe.

Im Jahr 2018 äußerte sich das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hierzu und entschied, dass das absolute Zuvorbeschäftigungsverbot mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Allerdings nicht uneingeschränkt. Der Schutzzweck des Zuvorbeschäftigungsverbots (Schutz vor Kettenbefristungen) muss berücksichtigt werden. Danach können die Fachgerichte – so das BVerfG – den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG in den Fällen einschränken, in denen offensichtlich keine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Arbeitnehmer besteht. Dies hat das BAG nun getan und seine Rechtsprechung zu den Ausnahmen zum Vorbeschäftigungsverbot bei einer sachgrundlosen Befristung weiterentwickelt. Danach steht eine Vorbeschäftigung von ca. acht Wochen bei demselben Arbeitgeber dem Abschluss eines sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisses nicht entgegen.

Der Sachverhalt

Zwischen den Parteien bestand in der Zeit vom 21.06.2004 bis zum 14.08.2004 ein Arbeitsverhältnis. Der Kläger war damals als Aushilfe beschäftigt. Vom 01.10.2012 bis zum 28.02.2014 sowie vom 04.08.2016 bis zum 31.08.2016 und ab dem 10.02.2017 war der Kläger im Wege der Arbeitnehmerüberlassung bei der Beklagten tätig. Im Frühjahr/Sommer 2017 suchte die Beklagte ca. 40 Arbeitnehmer als befristete Aushilfen. Noch während seines Einsatzes als Leiharbeitnehmer bewarb sich der Kläger und schloss mit der Beklagten am 21.07.2017 einen befristeten Arbeitsvertrag für tarifliche Arbeitnehmer beginnend ab dem 01.09.2017.

Das Arbeitsverhältnis war zunächst befristet bis zum 31.12.2017 und wurde in der Folgezeit durch einen Zusatzvertrag bis zum 31.12.2018 und durch einen weiteren Zusatzvertrag bis zum 31.08.2019 verlängert. Der Kläger arbeitete in dieser Zeit als ungelernter Maschinenführer in der Lkw-Produktion und machte im September 2019 die Unwirksamkeit der Befristung geltend.

Die Entscheidung

Die Vorinstanzen folgten der Ansicht des Arbeitgebers und stellten fest, dass die Befristung des Arbeitsvertrags nach § 14 Abs. 2 TzBfG ohne Vorliegen eines Sachgrundes zulässig war. Auch das BAG folgte dieser Auffassung und entschied, dass die Regelung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nicht ausnahmslos jede frühere Beschäftigung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber verbietet.

Vielmehr ist der Anwendungsbereich der Norm – wie vom BVerfG verlangt – in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift einzuschränken. Das BAG betont, dass das BVerfG das Verbot des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG nur unter der Prämisse der verfassungskonformen Auslegung für verfassungskonformn erachtet hatte. Das Zuvorbeschäftigungsverbot gilt danach nicht, wenn seine Anwendung für die Parteien unzumutbar ist.

Unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerfG von 2018 stellte das BAG klar, dass das absolute Zuvorbeschäftigungsverbot nicht gerechtfertigt ist, wenn eine Zuvorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist. Das BVerfG hatte nicht näher ausgeführt, wann eine Vorbeschäftigung „sehr lange“ zurückliegt, „ganz anders“ geartet oder „von sehr kurzer“ Dauer ist. Bei der Anwendung und Konkretisierung dieser unbestimmten Rechtsbegriffe bedarf es einer Würdigung des jeweiligen Einzelfalls.

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein stellte als Vorinstanz in dem vom BAG entschiedenen Fall fest, dass die Beschäftigung zwar nicht sehr lange, aber immerhin lange zurücklag und zudem von sehr kurzer Dauer war. Dieser Beurteilung folgt auch das BAG.

Trotz der Festlegung, dass acht Wochen als „sehr kurz“ angesehen werden können, stellt das BAG dennoch klar, dass besondere Umstände des Einzelfalls möglicherweise trotzdem zu einer Anwendung des Befristungsverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG führen können. Das könnte etwa im Falle von mehreren, sehr kurzfristigen Vorbeschäftigungen angenommen werden. In dem entschiedenen Fall stellte sich diese Frage jedoch nicht.

Das BAG äußerte sich auch zur Unzumutbarkeit aufgrund der Zeitspanne zwischen der Zuvorbeschäftigung und dem Abschluss des sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrags. Die Zeitspanne spielt im Rahmen der Gesamtbetrachtung eine Rolle. Während das BAG in seinem Urteil vom 12.06.2019 – 7 AZR 429/17 neun Jahre nicht als „sehr lang“ betrachtete, scheint das BAG 13 Jahre nun ausreichen zu lassen. Argument: Denn 13 Jahre seien immerhin mehr als ein Viertel des Erwerbslebens.

Kurz Erklärt

  • Ausnahmen (durch verfassungskonforme Auslegung) von dem in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG geregelten Verbot der Anschlussbeschäftigung sind denkbar, wenn keine Ausnutzung des Arbeitnehmers gegeben ist und keine Gefahr von Kettenbefristungen besteht. Dies ist der Fall, wenn eine Vorbeschäftigung bei demselben Arbeitgeber entweder sehr lange zurückliegt oder ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer war.
  • Wann eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, hatte das BVerfG offengelassen. Das BAG versucht dies in einzelnen Entscheidungen zu konkretisieren: Nicht ausreichend ist es, wenn zwischen den Arbeitsverhältnissen fünf Jahre und vier Monate (BAG 12.06.2019, 7 AZR 477/17), fünf Jahre und sechs Monate (BAG, 23.01.2019, 7 AZR 13/17), acht Jahre (BAG, 23.01.2019, 7 AZR 733/19), neun Jahre (BAG, 12.06.2019, 7 AZR 429/17) oder sogar 15 Jahre (BAG, 17.04.2019, 7 AZR 323/17) liegen. Ausreichend sind aber 22 Jahre (BAG, 21.08.2019, 7 AZR 452/17). Also: Nach 22 Jahren kann ein befristetes Arbeitsverhältnis ohne Sachgrund geschlossen werden. Zudem spricht die aktuelle Entscheidung dafür, dass bereits ein Zeitraum von 13 Jahren – anders als in der Vergangenheit angenommen – ausreichend sein kann, jedenfalls wenn die Vorbeschäftigung von sehr kurzer Dauer war.
  • Auch die Frage, wann eine sehr kurze Vorbeschäftigung vorliegt, hatte das BVerfG offengelassen. Dies wird aber durch die aktuelle Entscheidung konkretisiert. Danach ist eine Dauer von ca. acht Wochen bis maximal drei Monaten als sehr kurze Dauer anzusehen.
  • Die Beschäftigung als Leiharbeitnehmer im Betrieb des Arbeitgebers in der Zwischenzeit ist ohne Bedeutung.
  • Liegt weder eine sehr kurze Vorbeschäftigung vor noch eine Vorbeschäftigung, die sehr lange zurückliegt, kann eine sachgrundlose Befristung dennoch zulässig sein, wenn es sich bei der „neuen“ Tätigkeit um eine ganz andere Tätigkeit handelt. Dafür muss es sich um eine Tätigkeit handeln, die wesentlich unterschiedliche oder erhebliche zusätzliche Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert (BAG, 12.06.2019, 7 AZR 477/17).

Wichtig: Seit dem 1. August 2021 gibt es eine gesetzliche Neuerung im TzBfG.

Neben den Änderungen im Nachweisgesetz, die im Zusammenhang mit der Umsetzung der europäischen Arbeitsbedingungenrichtlinie stehen, wird auch das TzBfG angepasst. Dies betrifft die Probezeit. Nach dem neuen § 15 Abs. 3 TzBfG muss eine vereinbarte Probezeit „im Verhältnis“ zu der Dauer der Befristung des Arbeitsverhältnisses und der Art der Tätigkeit stehen.

Künftig ist die Probezeitvereinbarung bei befristeten Verträgen damit nach dem neuen § 15 Abs. 3 TzBfG zunächst an der Dauer der Befristung zu messen. Die Probezeit muss in einem angemessenen Verhältnis zur Laufzeit des befristeten Arbeitsverhältnisses stehen. Leider enthalten weder das Gesetz noch die Gesetzesbegründung Vorgaben oder Maßstäbe dazu. Entsprechende Orientierungspunkte werden durch die Rechtsprechung noch definiert. Es spricht aber schon jetzt viel dafür, dass die pauschale Ausschöpfung der vollen sechs Monate unverhältnismäßig und daher unwirksam sein wird. Es besteht daher Anpassungsbedarf bzgl. der Vertragsmuster für befristete Verträge.

Praxistipp

Das Urteil des BAG bringt zwar mehr Klarheit im Hinblick auf die verfassungskonforme Auslegung des sachgrundlosen Befristungsverbots nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG, allerdings keine Rechtssicherheit. Grundsätzlich darf man davon ausgehen, dass eine Vorbeschäftigung von nur acht Wochen „sehr kurz“ ist und einer Befristung nicht entgegensteht – andernfalls wäre die Unzumutbarkeit de facto nur in absoluten Extremfällen gegeben. Dennoch spielen die genauen Umstände des Einzelfalls eine große Rolle. Für Arbeitgeber verdeutlicht das Urteil, wie wichtig es ist, im Vorfeld von Befristungen zu prüfen, ob die jeweiligen Voraussetzungen vorliegen.

Rückzahlungsklauseln: Dringender Handlungsbedarf!

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil vom 01.03.2022 – 9 AZR 260/21

Ein Dauerbrenner im Arbeitsrecht – Rückzahlungsklauseln. Sie sind grundsätzlich zulässig, aber dennoch graut es Arbeitgebern davor, da die rechtlichen Hürden an eine wirksame Rückzahlungsklausel sehr hoch sind. Dass eine Vielzahl der verwendeten Rückzahlungsklauseln unwirksam sein dürfte und daher dringender Handlungsbedarf besteht, zeigt eine jüngst ergangene Entscheidung des BAG.

Verortung des Urteils

Gut ausgebildete Arbeitskräfte sind für Arbeitgeber essenziell. Arbeitgeber haben daher ein Interesse daran, die berufliche Fortbildung ihrer Mitarbeiter zu fördern. Gleichzeitig wollen Arbeitgeber sichergehen, dass ihnen das erlernte Wissen der Arbeitnehmer auch zugutekommt. Daher werden oftmals Rückzahlungsklauseln vereinbart. Arbeitgeber müssen dabei jedoch die Rechtsprechung im Blick behalten.

Bereits 2018 hatte das BAG (Urteil vom 11.12.2018 – 9 AZR 383/18) entschieden, dass eine Klausel, die auch für den Fall einer berechtigten personenbedingten Kündigung durch den Arbeitnehmer einen Rückzahlungsanspruch des Arbeitgebers vorsieht, unwirksam ist. Hintergrund dieser Entscheidung war eine Sonderkonstellation eines Piloten, der an einer gesetzlich vorgeschriebenen Fortbildung teilnahm. Die hierzu zwischen den Parteien geschlossene Vereinbarung sah eine durchaus übliche Rückzahlungsverpflichtung des Piloten für den Fall vor, dass das Arbeitsverhältnis innerhalb einer festgeschriebenen Bindungsdauer aus einem nicht vom Arbeitgeber veranlassten, auch nicht mitveranlassten Grund durch den Piloten gekündigt wird. Flankierend hierzu war im Arbeitsvertrag des Piloten eine sog. Suspendierungsklausel enthalten, die bei Verlust der Flugtauglichkeit das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, also das Ausbleiben der Gehaltszahlungen, vorsah.

Das BAG hielt die Rückzahlungsklausel in Kombination mit der Suspendierungsklausel für unwirksam. Es lag – so das BAG – eine nicht mehr zu rechtfertigende Risikoverschiebung zu Lasten des Piloten vor, und dies stellte eine unangemessene Benachteiligung dar, die zur Unwirksamkeit der Rückzahlungsklausel im Ganzen führte. Obwohl das BAG sich in dieser Entscheidung mit einer Sonderkonstellation befasste, ließ sich bereits aus den Entscheidungsgründen dieser Entscheidung zwischen den Zeilen lesen, dass eine wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit erfolgte Eigenkündigung generell keine Rückzahlungspflicht des Arbeitnehmers auslösen darf. Dies bestätigte nun das BAG.

Der Sachverhalt

Eine Arbeitnehmerin arbeitete als Altenpflegerin in einer Klinik. Sie schloss mit ihrem Arbeitgeber einen Vertrag über eine berufliche Fortbildung. Das Unternehmen sollte demnach die hierfür entstehenden Kosten tragen. Im Gegenzug enthielt der Vertrag eine Rückzahlungsklausel, nach der der Arbeitnehmer die Kosten unter anderem dann zurückzuzahlen hat, wenn er das Arbeitsverhältnis innerhalb einer Bindungsfrist von sechs Monaten kündigt und die Kündigung auf Gründen beruht, die nicht der Arbeitgeber zu vertreten hat.

Die Arbeitnehmerin schloss die im Fortbildungsvertrag vorgesehene Fortbildungsmaßnahme erfolgreich ab und kündigte das Arbeitsverhältnis tatsächlich innerhalb der Bindungsfrist.

Daraufhin forderte der Arbeitgeber zur Rückzahlung der anteiligen Fortbildungskosten auf. Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung aus dem Jahr 2018 lehnte die Arbeitnehmerin dies ab und berief sich auf die Unwirksamkeit der Klausel. Argument: Die Klausel enthalte eine unangemessene Benachteiligung, weil sie den Arbeitnehmer auch dann zur Rückzahlung verpflichte, wenn er unverschuldet dauerhaft nicht mehr in der Lage sei, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen, und das Arbeitsverhältnis aus diesem Grund personenbedingt kündige. Die Forderung des Arbeitgebers wurde vom Arbeitsgericht und vom Landesarbeitsgericht abgewiesen.

Die Entscheidung

Das BAG hat diese Entscheidungen bestätigt. Die Rückzahlungsklausel in dem vorformulierten Vertrag war nach Ansicht des BAG unwirksam formuliert, da sie den Arbeitnehmer unangemessen benachteilige.

Die Rückzahlungsklausel des Fortbildungsvertrags knüpft unter anderem – ohne Differenzierung – an sämtliche Eigenkündigungen des Arbeitnehmers an, die nicht auf einem vom Arbeitgeber zu vertretender Grund beruhen. Der Fall einer „unverschuldeten, dauerhaften Leistungsunfähigkeit“ des Arbeitnehmers, wie beispielsweise bei einer schweren Erkrankung, ist dagegen nicht ausgenommen.

Wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Bindungsfrist kündigt, weil er unverschuldet dauerhaft die Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, so kann der Arbeitgeber jedoch kein Interesse mehr am Fortbestehen des „sinnentleerten“ Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Bindungsfrist haben, da er die erworbene Qualifikation des Arbeitnehmers ohnehin nicht nutzen kann. Der Umstand, dass sich die Investition in die Fortbildung aufgrund unverschuldeter dauerhafter Leistungsunfähigkeit für ihn nicht amortisiert, sei dem unternehmerischen Risiko zuzurechnen.

Der Arbeitnehmer sei zudem in seiner Berufswahlfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz eingeschränkt, da er zur Vermeidung der Rückzahlungspflicht das Arbeitsverhältnis ggfs. auch nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums bis zum Ende der Bindungsfrist fortsetzen müsste. Die Beschränkung der Berufswahlfreiheit durch die Rückzahlungsklausel ist somit nicht durch einen entsprechenden finanziellen Vorteil ausgeglichen.

#KurzErklärt

  • Das Urteil bestätigt die bisherige Rechtsprechung des BAG, dass die unverschuldete Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht von einer Rückzahlungspflicht umfasst sein darf. Eine Eigenkündigung kann z. B. dann berechtigt sein, wenn die Tauglichkeit des Arbeitnehmers für die Ausübung des Berufs in Zukunft unwiederbringlich aufgehoben ist. Bei der Formulierung einer Rückzahlungsklausel sind solche Fälle explizit auszunehmen.
  • Besonders misslich für Unternehmen: Es spielt für die Beurteilung der Wirksamkeit der Rückzahlungsklausel keine Rolle, ob der Arbeitnehmer im Entscheidungsfall durch personen- (also krankheits-) bedingte Gründe tatsächlich zur Eigenkündigung veranlasst wurde oder nicht. Maßgeblich ist allein, ob dieser theoretische Fall bei der Klauselerstellung bedacht wurde.
  • D. h. Arbeitgeber müssen immer in die Rückzahlungsklausel aufnehmen, dass im Fall einer berechtigten personenbedingten Eigenkündigung des Arbeitnehmers keine Rückzahlungspflicht besteht.
  • Werden unwirksame Rückzahlungsklauseln verwendet, ist die gesamte Klausel gegenstandslos. Hier gilt der Grundsatz: „Ein faules Ei verdirbt den ganzen Brei.“ Eine geltungserhaltende Reduktion, die die Klausel auf ein noch zulässiges Maß reduzieren würde, lässt die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung nicht zu. Daher ist eine sorgsame Formulierung der Rückzahlungsklausel sehr wichtig!
  • Zukünftig empfiehlt es sich, den Fall der Eigenkündigung wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit explizit herauszunehmen, so dass hierdurch generell keine Rückzahlungsverpflichtung ausgelöst werden kann. Betrachtet man es genau, werden die Fälle, in denen ein Arbeitnehmer tatsächlich sein Arbeitsverhältnis wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit (eigen-)kündigt, sehr gering sein. Der tatsächliche Anwendungsbereich der herausgenommenen Fälle ist also überschaubar und steht in keinem Verhältnis zu der abstrakt-generellen Unwirksamkeit der Gesamtklausel. Sämtliche Klauseln sollten daher (vorsichtshalber) entsprechend angepasst werden.

Praxistipp

Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, dass beim Abschluss von Fortbildungsvereinbarungen ein besonderes Augenmerk auf die Formulierung der Rückzahlungsklausel zu legen ist. Die Rechtsprechung stellt hier verschiedene, teils sehr genaue Anforderungen auf. Eine Rückzahlungsklausel ist dennoch zu empfehlen, da hierdurch zumindest die Fälle abgedeckt werden können, in denen das Arbeitsverhältnis aufgrund des Verschuldens des Arbeitnehmers beendet wird.

Gesetzliche Unfallversicherung: Arbeitsplatzbewerberin ist bei „Kennenlern-Praktikum“ geschützt

Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 31.03.2022 – B 2 U 13/20 R

Im Rahmen eines „Kennenlern-Praktikums“ kann bei der Besichtigung des Unternehmens Unfallversicherungsschutz bei der gesetzlichen Unfallversicherung bestehen. Voraussetzung für den Unfallschutz ist aber, dass der Unfallversicherungsträger – die Berufsgenossenschaft – dies in seiner Satzung so auch vorsieht, urteilte das BSG.

Verortung des Urteils

Einfühlungsverhältnis, Arbeit auf Probe oder Kennenlern-Praktika – es klingt verlockend, Bewerber vor der Vertragsunterschrift besser kennenzulernen. Hierbei gibt es jedoch diverse rechtliche Risiken.

Wer zahlt bei einem Unfall? Bei bezahlter Probearbeit zahlt die gesetzliche Unfallversicherung. Der Arbeitgeber ist in diesem Fall verpflichtet, die „Probearbeit“ der zuständigen Berufsgenossenschaft zu melden. In der Regel wird ein „Schnuppertag“ aber nicht bezahlt und dient – jedenfalls auch – dem Interesse des Bewerbers. Was gilt dann?

Der Sachverhalt

Im Streitfall ging es um eine arbeitslose Frau. Diese hatte sich auf eigene Initiative auf eine Stelle als IT-Administrator/ Operator beworben. Das Unternehmen wollte sie näher kennenlernen und schloss mit ihr am 18. April 2017 eine „Kennenlern-/ Praktikumsvereinbarung“. Danach sollte sie unbezahlt an einem Tag in dem Unternehmen ein Praktikum absolvieren. Es waren Fachgespräche mit der IT-Abteilung und auch eine Betriebsführung, unter anderem eine Besichtigung des Hochregallagers, vorgesehen.

Bei der Besichtigung des Hochregallagers stürzte die Bewerberin und brach sich den rechten Oberarm.

Unfallversicherung
Unfallversicherung

Sie konnte später die Stelle ergattern, wollte aber den Unfall von der Berufsgenossenschaft (BG) Holz und Metall als versicherten Arbeitsunfall anerkannt haben.

Doch die BG lehnte ab. Es habe kein versichertes Arbeitsverhältnis vorgelegen. Auch sei die Frau nicht als versicherte, sogenannte „Wie-Beschäftigte“ anzusehen. Danach könnten zwar Personen, die „wie“ eine Beschäftigte tätig sind, unter Versicherungsschutz stehen. Voraussetzung hierfür sei aber, dass die Tätigkeit von „wirtschaftlichem Wert“ für den Arbeitgeber sei. Der Zweck des eintägigen Praktikums habe aber nur im Kennenlernen bestanden.

Auch die Unfallversicherung Bund und Bahn, die für den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz für Arbeitslose zuständig ist, lehnte einen Unfallschutz ab. Dieser greife nur bei Arbeitsuchenden, die nach Aufforderung der Arbeitsagentur bei einem Arbeitgeber vorstellig werden. Hier habe sich die Frau jedoch auf eigene Initiative beworben.

Die Entscheidung

Das eigene, grundsätzlich nicht versicherte Interesse der Bewerberin am Kennenlernen des potenziellen zukünftigen Arbeitgebers steht dem Unfallversicherungsschutz kraft Satzung in diesem Fall nicht entgegen, da die Satzung den Unfallversicherungsschutz nicht auf Personen beschränkt, deren Aufenthalt im Unternehmen ausschließlich der Besichtigung dient.

Unfallversicherung 2
Unfallversicherung 2

Das Bundessozialgericht (BSG) stellte – anders als die beklagte Berufsgenossenschaft und die Vorinstanzen – einen Arbeitsunfall fest. Dies jedoch nur deshalb, da die Satzung der Berufsgenossenschaft Teilnehmer einer Unternehmensbesichtigung unfallversicherte.

Die Vorinstanz hatte noch eine enge Auslegung vertreten und war der Auffassung, dass ein satzungsrechtlich vorgesehener Versicherungsschutz für Teilnehmer einer Betriebsbesichtigung nicht greift, wenn ein Rundgang nicht wesentlich eine Betriebsbesichtigung bezweckt.

#KurzErklärt

  • Es ist für jeden Betrieb zu prüfen, ob die jeweils zuständige Berufsgenossenschaft eine vergleichbare Satzungsregelung beschlossen hat. Dies ist nicht immer der Fall. Ohne eine solche Satzungsregelung besteht Unfallversicherungsschutz für „Kennenlern-Praktikanten“ kraft Gesetzes nur selten.
  • Eine vom Versicherungsschutz umfasste Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch liegt nur dann vor, wenn der Verletzte sich in ein fremdes Unternehmen eingliedert und seine Handlungen dem Weisungsrecht eines Unternehmens insbesondere in Bezug auf Zeit, Dauer, Ort und Art der Verrichtung unterordnet (vgl. BSG vom 12. Dezember 2013 – B 4 AS 87/12 R). Maßgebliches Kriterium ist ein Tätigwerden im fremden Interesse. Bei „Kennenlern-Praktika“ steht jedoch in der Regel das eigene Interesse der Bewerber am Kennenlernen des potenziellen Arbeitgebers im Vordergrund. Personen, die im Wesentlichen im eigenen Interesse tätig werden, sind jedoch nicht vom Unfallversicherungsschutz kraft Gesetzes umfasst.

Praxistipp

Vor „Kennenlern-Praktika“ sollten zwingend Vereinbarungen mit den Bewerbern geschlossen werden. Nicht nur im Hinblick auf den Versicherungsschutz bestehen Stolperfallen, auch zur Vermeidung einer Vergütungspflicht ist Achtsamkeit gefordert.

Ein „Kennenlern-Praktikum“ oder „Probearbeiten“ kann ohne vertragliche Vereinbarung ein „faktisches“ und damit unbefristetes Arbeitsverhältnis entstehen lassen, im Rahmen dessen dem Bewerber u. a. ein Vergütungsanspruch für geleistete Arbeit zustehen kann. Ein sogenanntes echtes „Einfühlungsverhältnis“, das nach richtiger Ansicht nicht als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist, besteht zudem nur dann, wenn keine Pflicht des Bewerbers zur Arbeitsleistung besteht und das Einfühlungsverhältnis tatsächlich nur die Gelegenheit einräumen soll, den Betrieb und einen potenziellen Arbeitsplatz kennenzulernen. In diesem Fall darf kein Weisungsrecht des Arbeitgebers vereinbart und ausgeübt werden, d. h. an den Bewerber dürfen keine Anordnungen adressiert werden. Ein „Probearbeiten“ scheidet damit faktisch aus. Richtigerweise kann ein solches „Einfühlungsverhältnis“ auch nur sehr kurze Zeit durchgeführt werden, um keine Lohnansprüche und insbesondere Ansprüche auf den gesetzlichen Mindestlohn auszulösen. Bewerber sollten zudem vertraglich dazu verpflichtet werden, auf eigene Kosten einen Unfallversicherungsschutz abzuschließen.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, ADVANT Beiten

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