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Die zehn wichtigsten Punkte : Diskriminierung am Arbeitsplatz – ein Dauerbrenner, aktueller denn je!

2022 – und noch immer ist Diskriminierung am Arbeitsplatz ein Thema. Sogar ein großes und ein topaktuelles. Am 16.08.2022 wurde der Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes für das Jahr 2021 veröffentlicht und verdeutlicht, dass Diskriminierung in Deutschland – nach wie vor – weit verbreitet ist. Über 5.600 Fälle wurden der Antidiskriminierungsstelle im Jahr 2021 gemeldet. Mit die meisten Diskriminierungen (28 Prozent) erfolgen danach am Arbeitsplatz.

Lesezeit 9 Min.

Auch andere repräsentative Umfragen zeigen ähnlich er­schreckende Ergebnisse, so Ferda Ataman, Unabhängige Bundes­beauftragte für Antidiskriminierung, bei der Pressekonferenz zur Veröffent­lichung des aktuellen Antidiskrimi­nierungsberichts. Juristisch knüpfen Diskriminierungen entweder am All­gemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder am Allgemeinen Gleichbe­handlungsgrundsatz an. Der Antidis­kriminierungsbericht und damit auch die genannten Fälle beziehen sich nur auf Sachverhalte, die vom eng um­grenzten Anwendungsbereich des AGG erfasst sind. Mehr als 2.000 Anfragen der gemeldeten Fälle lagen außerhalb des Anwendungsbereichs des AGG und konnten entsprechend nicht verfolgt werden.

Dass die Dunkelziffer der tatsächlich erfolgten Diskriminierungen am Ar­beitsplatz um ein Vielfaches höher ist, liegt auf der Hand. Auch wenn die Anfragen bei der Antidiskriminie­rungsstelle auf einem Höchststand sind, werden zahlreiche Benachteili­gungen, insbesondere in einem intak­ten Arbeitsverhältnis, nicht gemeldet. Zudem ist zu vermuten, dass es – z. B. durch Datenanalysen – zu zahlrei­chen Diskriminierungen kommt, von denen die Betroffenen nichts bemer­ken oder die schwierig nachzuweisen sind. Dr. Michaela Felisiak stellt das Wichtigste zu diesem Thema im Fol­genden vor.

1. Begriffsbestimmung

Unter Diskriminierung ist eine un­gerechtfertigte Benachteiligung im Vergleich zu anderen Personen zu ver­stehen. Das AGG zählt die folgenden sechs Diskriminierungsmerkmale auf:

  • Rasse oder ethnische Herkunft,
  • Geschlecht,
  • Religion oder Weltanschauung,
  • Behinderung,
  • Alter,
  • sexuelle Identität.

Diskriminierungen können sowohl un­mittelbar als auch mittelbar erfolgen.

Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine Person wegen eines der oben genannten Diskrimi­nierungsmerkmale weniger günstig behandelt wird als eine andere Per­son in einer vergleichbaren Situation, ohne dass dies sachlich gerechtfer­tigt ist. Entscheidend ist, dass es hier­bei nicht auf das subjektive Empfinden der betroffenen Person ankommt, sondern auf die Sicht eines vernünf­tigen Dritten in einer vergleichbaren Situation.

Eine mittelbare Benachteiligung liegt hingegen vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen einer der vorgenannten Diskriminierungs­gründe gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen, soweit diese Benachteiligung nicht sachlich gerechtfertigt ist.

2. Antidiskriminierungsbericht 2021 – das Ergebnis

Der Antidiskriminierungsbericht 2021 kommt zu dem Ergebnis, dass der An­tidiskriminierungsstelle die meisten Diskriminierungen im Arbeitsalltag (28 Prozent) und beim Zugang zu pri­vaten Dienstleistungen (33 Prozent) gemeldet wurden. Die Diskriminie­rungen verteilen sich wie folgt auf die Diskriminierungsmerkmale:

  • Rasse oder ethnische Herkunft: 37 Prozent,
  • Behinderung: 32 Prozent,
  • Geschlecht: 20 Prozent,
  • Alter: 10 Prozent,
  • Religion oder Weltanschauung: 9 Prozent,
  • sexuelle Identität: 4 Prozent.

Im Vergleich zum Vorjahr konnten folgende Entwicklungen festgestellt werden:

  • Der im Jahr 2020 signifikante Anstieg der Anfragen bei der Antidiskrimi­nierungsstelle war keine Ausnahme. Vielmehr bleiben die Anfragen auf einem bemerkenswert hohen Niveau.
  • Schon im Vorjahr erfolgten die meisten Benachteiligungen im Zu­sammenhang mit rassistischer Dis­kriminierung.
  • Im Arbeitsleben ist ein Anstieg der Diskriminierungen im Vergleich zum Vorjahr (damals: 23 Prozent, heute: 28 Prozent) zu verzeichnen
  • Insgesamt hatten ca. 1.000 Anfragen (von den mehr als 5.600 Anfragen) einen Zusammenhang mit Corona. Während im Jahr 2020 vor allem Fra­gen zum Mund-Nasen-Schutz im Vordergrund standen und damit auf­grund ihres Bezugs zum Merkmal Behinderung als AGG-Fälle zählten, gingen im Jahr 2021 vor allem Anfra­gen im Zusammenhang mit Impf- und Testungsregelungen bei der Antidiskriminierungsstelle ein. Diese eröffneten oftmals nicht den Anwen­dungsbereich des AGG.
Diskriminierung am Arbeitsplatz
Diskriminierung am Arbeitsplatz

3. Maßstab des Berichts: das AGG

Das AGG wurde 2006 auf Grundlage von Europäischen Richtlinien ein­geführt und gilt insbesondere im Arbeitsleben – aber auch bei Alltagsgeschäften (wie z. B. Wohnungs­markt, Nahverkehr, Einzelhandel oder Zugang zu Krediten). Der Anwen­dungsbereich des AGG, der in § 2 AGG definiert ist, ist damit stark einge­schränkt.

Neben dem eingeschränkten An­wendungsbereich spielen auch die gesetzlich aufgezählten Diskrimi­nierungsmerkmale des AGG bei der Bewertung des Antidiskriminie­rungsberichts eine wichtige Rolle. Zahlreiche Anfragen können von der Antidiskriminierungsstelle des Bun­des nicht bearbeitet werden, da sie keinen unmittelbaren Bezug zum AGG und den dort genannten Diskriminie­rungsmerkmalen aufweisen. Dies ist z. B. bei Diskriminierungen, die sich auf den Familienstand oder den sozia­len Status beziehen, der Fall.

4. Impfstatus und das AGG

Auch Corona beschäftigte die Antidiskriminierungsstelle 2021, insbesondere das Thema Impfstatus. Die Bewertung von Fällen zum Impfsta­tus ist grundsätzlich schwierig, da es immer vom Einzelfall abhängt, ob der Anwendungsbereich des AGG eröffnet ist oder nicht.

Insoweit lässt sich folgender Grund­satz aufstellen: Grundsätzlich schützt das AGG nicht den Impfstatus einer Person, sodass es in der Regel bei Be­nachteiligungen in diesem Zusam­menhang an dem Bezug zu einem Diskriminierungsmerkmal des AGG fehlt. Dies gilt insbesondere, wenn sich Menschen aus persönlichen Grün­den gegen die Impfung entscheiden.

Viele Menschen begründen eine Ent­scheidung gegen eine Corona-Impfung zwar mit politischen oder ideologischen Überzeugungen, was allenfalls dem Diskriminierungsmerkmal Weltan­schauung zugeordnet werden könnte. Auch dies eröffnet jedoch nicht den Schutzbereich des AGG, da der Schutz der Weltanschauung sich ausdrücklich auf das Arbeitsleben beschränkt. Damit bleibt es bei dem Grundsatz, dass in der Regel bei Benachteiligungen wegen des Impfstatus keine Diskriminierung im Sinne des AGG vorliegt. Das AGG ist in Bezug auf den Impfstatus nur anwend­bar, wenn eine Impfung aus zwin­genden medizinischen Gründen nicht möglich ist und dies im Zusammen­hang mit einem der sechs genannten Diskriminierungsmerkmale steht.

5. Vorsicht: geringe Hürde für Entschädigungsanspruch

Das AGG ist ein Dauerbrenner. Ein Grund für die Brisanz ist, dass aus jedem festgestellten Verstoß gegen das AGG immer auch ein Entschädi­gungsanspruch folgt. Dass es insoweit nicht auf ein Verschulden des Arbeit­gebers ankommt, entschied das Bun­desarbeitsgericht letztes Jahr (Urteil v. 28.10.2021, Az. 8 AZR 371/20).

Dies im Hinterkopf, sollten Arbeit­geber nicht nur wegen möglicher „AGG-Hoppern“, sondern vor allem wegen der gesetzlich vorgesehenen Beweislastregelung (§ 22 AGG) bei dem Thema AGG hellhörig werden.

Danach müssen Arbeitnehmer nur ein Indiz für eine Benachteiligung darle­gen. Das heißt: Wenn ein Indiz vor­liegt, das auf eine Diskriminierung hinweist, besteht die Gefahr eines Ent­schädigungsanspruchs (in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern).

6. Stolperfalle Stellenanzeige

Arbeitgeber müssen generell auf­passen, keine Diskriminierungsindi­zien zu schaffen, und sollten daran denken, dass sich ein Indiz für eine Diskriminierung aus sämtlichen For­mulierungen ergeben kann. Dies gilt insbesondere beim Recruiting.

Oftmals führen umgangssprachliche Formulierungen zu Problemen, wie ein Fall zeigt, über den am 09.02.2022 (7 Ca 2291/21) das Arbeitsgericht Kob­lenz zu entscheiden hatte. In dem entschiedenen Fall ging es um die For­mulierung „Wir suchen coole Typen – Anlagenmechaniker – Bauhelfer …“, durch die sich ein transsexuell abge­lehnter Bewerber wegen des Alters und wegen des Geschlechts benachtei­ligt fühlte.

Das Arbeitsgericht Koblenz gab ihm Recht und ging von einer Geschlech­terdiskriminierung aus. Diese ergebe sich zwar nicht aus der Verwendung des Begriffs „Typen“. Dieser stelle für sich betrachtet noch keine Diskrimi­nierung dar, denn eine feminine Form des Begriffs existiere nicht. Jedoch er­gebe sich aus den sonstigen Umstän­den des Falles, dass die Beklagte nur männliche Bewerber suchte, da die nachfolgenden Bezeichnungen der Stellenanzeige („Anlagemechaniker“, „Bauhelfer“) ausschließlich in der mas­kulinen Form formuliert waren.

Diskriminierung am Arbeitsplatz 2
Diskriminierung am Arbeitsplatz 2

Auch ein kürzlich ergangenes Ur­teil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Schleswig-Holstein (Urteil vom 21.06.2022, Az. 2 Sa 21/22) dreht sich um die geschlechterspezifische Dis­kriminierung. In dem entschiedenen Fall ging es um die Formulierung „Se­kretärin gesucht!“. Ein Mann hatte sich auf die Stellenanzeige beworben und verlangte vor Gericht drei Bruttomo­natsgehälter wegen Geschlechterdis­kriminierung als Entschädigung.

Zu Recht, wie das LAG Schleswig-Hol­stein befand. Der Fall hatte zudem die Besonderheit, dass sich die Stellenan­zeige auf Ebay-Kleinanzeigen befand und der Bewerber sich über die Chat­funktion von Ebay hierauf meldete. Auch hier gilt nach Auffassung des LAG das AGG und stellt damit den An­wendungsbereich bzgl. Online-Platt­formen klar.

Die vorstehenden Fälle zeigen, wie schnell man als Arbeitgeber in die AGG-Fälle tappen kann, und schärfen das Bewusstsein für die Bedeutung einer richtig formulierten Stellenanzeige.

7. AGG-konform absagen

Aufgrund der in § 22 AGG angespro­chenen Beweislastumkehr kann auch das Absagen gegenüber Bewerbern „ein heißes Eisen sein“. Daher gilt Fol­gendes: Grundsätzlich besteht keine Pflicht von Unternehmen, Absagen zu begründen. In Einzelfällen kann es Ausnahmen (unter Umständen für schwerbehinderte Bewerber, § 164 Abs. 1 S. 9 Sozialgesetzbuch (SGB) IX) geben.

Um jedoch so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten, sollte man ent­weder auf eine Begründung verzich­ten oder schlicht darauf verweisen, dass ein anderer Kandidat „noch bes­ser geeignet war“. Sollten abgelehnte Bewerber telefonisch nachhaken, ist ebenfalls Zurückhaltung geboten.

8. Vorstellungsgespräch und das AGG

Auch das Vorstellungsgespräch ist ein typischer Stolperstein für Arbeitgeber mit Blick auf das AGG. Es sind nur sol­che Fragen zugelassen, bei denen ein schützenswertes Interesse des Arbeit­gebers besteht.

Stellt der Arbeitgeber eine unzulässige Frage, steht dem Arbeitnehmer ent­weder ein Recht zur Lüge oder – bei einem Bezug zu einem Diskriminie­rungsmerkmal nach dem AGG – ein Entschädigungsanspruch zu.

9. Diskriminierung durch Datenauswertung

Etwaige datenschutzrechtliche The­men außen vor gelassen – es ist davon auszugehen, dass Künstliche Intelli­genz und automatische Datenauswer­tungen immer öfter in Unternehmen eingesetzt werden. Auch hierbei kann es zu Diskriminierungen kommen.

Algorithmen können zum Beispiel dazu verwendet werden, um anhand von anonymisierten Daten die vielver­sprechendsten Mitarbeiter zu identifi­zieren, einzustellen, zu binden und zu belohnen. Hierbei treffen die Algorith­men Annahmen über das Verhalten von Personen (z. B. Verweildauer im Unternehmen). Diese Annahmen wir­ken sich wiederum auf deren Chancen und Möglichkeiten im Unternehmen aus.

Dass dies diskriminierungsfrei ge­schieht, erscheint fraglich. Vielmehr spricht einiges dafür, dass es gerade in diesem Bereich zu diversen unbeab­sichtigten Diskriminierungen kommt, die häufig von den Verwendern über­sehen werden. Denn bereits in der Phase vor der eigentlichen Datenaus­wertung, in der die Daten aufbereitet werden, kann es zu Benachteiligungen geschützter Gruppen (z. B. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Behinderung) kommen. Dies könnte bereits dann passieren, wenn die Daten schlecht ausgewählt, unvollständig, veraltet, falsch oder nicht repräsentativ sind. Aber auch bei der Datenauswertung an sich kann es zu Diskriminierungen kommen. Das Problem ist, dass die je­weilige individuelle Situation nicht berücksichtigt wird.

In den USA wurde die Möglichkeit von algorithmischen Diskriminierungen schon vor einigen Jahren erkannt. Die amerikanische Equal Employment Op­portunity Commission beschäftigt sich seit 2014 mit dieser Frage. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass die Zahl der tat­sächlichen Diskriminierungen um ein Vielfaches höher ist, als der Bericht der Antidiskriminierungsstelle annimmt.

10. AGG-Reform

Die geltenden Regelungen sind für Arbeitgeber bereits jetzt nicht immer einfach zu handhaben. Aber „das Ende der Fahnenstange“ ist noch nicht er­reicht.

Aus dem Antidiskriminierungsbericht 2021 ergibt sich, dass der Schutz der Betroffenen in Deutschland im euro­päischen Vergleich zurückbleibt. Dies fängt bei den Kompetenzen der An­tidiskriminierungsstelle an, die im Vergleich zu anderen Ländern stark eingeschränkt sind, da diese weder Entscheidungs- noch Klagerechte hat. Auch verpflichtende Schlichtungs­befugnisse fehlen ihr. In der Praxis führt dies zu einem unterschiedlichen Schutzniveau vor Diskriminierung in der EU. Um dies zu beheben, schlägt die Antidiskriminierungsstelle ein Verbandsklagerecht sowie ein Klage­recht der Antidiskriminierungsstelle in grundlegenden Fällen vor. Zudem soll auch das AGG inhaltlich verbessert und die Frist zur Geltendmachung von Ansprüchen von zwei auf sechs Mo­nate verlängert werden.

Der Ende 2021 geschlossene Koaliti­onsvertrag stellt größere Änderun­gen am AGG in Aussicht. Ein Teil davon (wie z. B., dass die Leitung der An­tidiskriminierungsstelle zukünftig vom Deutschen Bundestag gewählt und vom Bundespräsidenten ernannt wird) wurde bereits umgesetzt. Es bleibt abzuwarten, inwieweit das AGG konsequent weiterentwickelt und eine AGG-Reform umgesetzt wird.

Dr. Michaela Felisiak, Rechtsanwältin, ADVANT Beiten

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