Stier meint …!
Seit August wissen wir, wie hoch die Gasumlage in den kommenden Monaten sein wird: 2,419 Cent pro Kilowattstunde (kWh). Doch dabei bleibt es nicht. Die Umlage ist umsatzsteuerpflichtig und wird somit auch noch um den Steuersatz erhöht. Bei der Frage, in welcher Höhe der Umsatzsteuersatz nun anzuwenden ist, war sich dann aber die Bundesregierung nicht mehr einig. Gingen die meisten vom regulären Steuersatz, sprich den 19 Prozent aus, sprachen andere wiederum von der ermäßigten Besteuerung oder gar der Steuerfreiheit. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) war es dann, der ein Machtwort sprach und verkündete, die Umsatzsteuer auf den gesamten Gaspreis zu senken. Durch die Besteuerung mit den ermäßigten 7 Prozent statt der regulären 19 Prozent wird das Gas am Ende doch wieder günstiger als ggf. vor der Umlage.
Nach den Äußerungen des Bundeskanzlers waren die Medien voll von Experten und deren Tipps zum richtigen Energiesparen. Doch wie das meist bei Experten so ist, kommt die Antwort nicht direkt auf die Frage des Reporters oder Nachrichtensprechers, sondern erst, nachdem die Nebelwolken aus allgemeinen Darstellungen sich verzogen haben.

Dabei ist mir noch ein Dialog aus einer Nachrichtensendung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Erinnerung. Die Nachrichtensprecherin fragt: „Welche Schritte sind nun für Familien notwendig, um am Ende durch die Gasrechnung nicht überrascht zu werden?“ Der Experte antwortet: „Das kommt drauf an, wie viel der Kunde aktuell für sein Gas bezahlt. Fest steht, die Mehrkosten für die Umlage betragen 2,4 Cent plus 7 Prozent Mehrwertsteuer, im Ergebnis also 2,6 Cent.“ Wahnsinn – welch eine souveräne, aber auch gleichzeitig umfassende Antwort. Der Experte ist wirklich sein Geld wert – davon muss es mehr geben.
Aber das war noch nicht alles: Denn seine weiteren Darstellungen machten deutlich, wer jetzt noch keine Preiserhöhung von seinem Anbieter erhalten hat, den wird es eiskalt erwischen. Diejenigen dagegen, die schon in den letzten Wochen und Monaten eine Preiserhöhung hatten, bei denen wird der Unterschied zur Jahresabrechnung unter Umständen nur minimal sein.
Spätestens jetzt fehlen mir die Worte. Ich wäre niemals darauf gekommen, dass, wenn ich bereits eine Preiserhöhung hatte, die Differenz zur Jahresabrechnung geringer ausfallen kann. Jetzt werde ich unruhig und suche nach meinem Ordner mit den Vertragsunterlagen meines Anbieters. Als Entgeltabrechner habe ich natürlich auch für die privaten Unterlagen ein umfassendes Ablagesystem eingeführt. Ich kann bei meinem Energieversorger die Preisentwicklung der letzten 20 Jahre nachvollziehen. Fein säuberlich ist jeder Brief, jede Information, jede Abrechnung, jeder Ableseabschnitt geordnet und nach Datum sortiert abgelegt.
Ich könnte dem Experten die Preisentwicklung der letzten 20 Jahre kleinteilig darstellen. Aber irgendwie finde ich die letzte Abrechnung nicht. Sollte sich da etwa in meiner Ablage ein Fehler eingeschlichen haben? Ich kann es mir nicht erklären, aber es fehlt die Jahresabrechnung für das Jahr 2021. Von Preisinformationen keine Spur. Wie kann das nur sein?
Als Erste verdächtige ich meine Ehefrau, vielleicht hat sie die Unterlagen gesichtet und versehentlich die letzten Seiten falsch abgeheftet. Auf Nachfrage wird meine Vermutung verneint. Mein Labrador, der übrigens Hitze nicht mag, wird sich um die Gasabrechnung auch nicht gekümmert haben. Also kann der Fehler nur bei mir liegen.

Ich beschließe, die Suche abzubrechen und die Sache am nächsten Morgen aufzuklären. Sicherlich ist nur ein Ablagefehler der Grund. Doch auch am nächsten Morgen lässt sich der Fehler nicht gleich klären. Kennen Sie das, wenn Sie etwas suchen und es nicht finden können, Sie wissen aber, dass Sie es noch vor kurzem in der Hand hielten?
Am Abend – ich hatte immer noch keine Klarheit – sitze ich mit meinem Tablet im Wohnzimmer und lese noch die aktuellen Nachrichten. Da fällt es mir wieder ein. Jetzt, wo ich das Tablet in der Hand halte und die Apps auf dem Bildschirm sehe: Mein Energieversorger hat aus Kostengründen den Rechnungs- und Postversand im Jahr 2021 komplett eingestellt und auf Digitalisierung umgestellt. Wie konnte ich das nur vergessen? Da sind sie wieder, die letzten Jahre, mit Übermittlungsprotokollen und Rechnungen, mit Preisinformationen und Werbung. Alles fein säuberlich in der App nach Kalenderjahren abgelegt.
Als ich schmunzelnd aufatme und meine Frau mich fragt, ob sich eigentlich meine gestrige Frage zum Energieversorger erledigt hat, antworte ich ihr: „Ja.“ Allerdings nicht, ohne den Übeltäter zu benennen. Wäre da nicht dieser Experte im Fernsehen gewesen, der mit seinen Tipps zum Energiesparen das Ganze ins Rollen gebracht hat, wäre ich nicht so spät noch auf die Suche nach der Preisinformation gegangen und hätte natürlich auch an der richtigen Stelle gesucht.
In diesem Sinne … der Experte ist schuld!
Markus Stier