Lohnsteuer – KOMPAKT für die Personalpraxis : Lkw-Fahrer und weiträumiges Tätigkeitsgebiet
Hat ein Lkw-Fahrer ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet und kann daher die Fahrtkosten nicht nach Reisekostengrundsätzen geltend machen?
Entscheidung des Gerichts
Die Richter des Finanzgerichts Mecklenburg-Vorpommern haben mit Urteil vom 01.09.2022 zum Aktenzeichen 2 K 104/19 entschieden, dass ein Lkw-Fahrer ohne erste Tätigkeitsstätte, der aufgrund arbeitsvertraglicher Weisung den betrieblich genutzten Lkw abends innerhalb eines vom Arbeitgeber vorgegebenen Gebiets abzustellen und von dort am nächsten Tag seine Tätigkeit wieder aufzunehmen hat, die Fahrten zum Abstellort des Lkw nach Reisekostengrundsätzen geltend machen kann.

Sachverhalt
Der Arbeitnehmer war als Möbelmonteur angestellt. Nach Arbeitsvertrag war Haupteinsatzgebiet die Region Norddeutschland. In der Einkommensteuererklärung machte der Arbeitnehmer für Fahrten zwischen Wohnung (…) und erster Tätigkeitsstätte (A….) eine Entfernungspauschale i. H. v. … Euro geltend.
Diese setzte sich aus Fahrten mit dem eigenen Pkw (106 Tage × … km × 0,30 Euro = … Euro) und Kosten für eine Fahrgemeinschaft (118 Tage × … km × 0,30 Euro = … Euro, begrenzt auf 4.500 Euro) zusammen.
Er legte dazu eine Bestätigung seines Arbeitgebers vor, nach der er den von ihm genutzten Lkw nicht zur Heimfahrt nutzen dürfe, sondern diesen in A… abstellen müsse. Nach einer weiteren Bestätigung des Arbeitgebers musste der Arbeitnehmer insgesamt 197 Tagen Auslieferungsware im Zentrallager in A… laden.
Auf Anfrage des Finanzamts erklärte der Arbeitgeber, dass dem Arbeitnehmer für die Fahrten von S… (Sammelstelle) nach A… (Firmensitz) ein Firmenfahrzeug zur Verfügung stehe. Das Firmenfahrzeug werde täglich an der Sammelstelle in S… abgestellt. Später ergänzte der Arbeitgeber, dass sich die Sammelstelle in W… befinde und das Abstellen vom Arbeitgeber festgelegt worden sei. Das Unternehmen in W… habe keine betriebseigene Sammelstelle. Mit dem Arbeitnehmer sei vielmehr vereinbart worden, dass dieser mit dem Firmenfahrzeug bis maximal W… fahren dürfe. Der Arbeitnehmer stelle das Fahrzeug auf einem von ihm frei wählbaren öffentlichen Parkplatz ab.

Der Arbeitnehmer ist der Ansicht, dass der Sammelpunkt nach den geänderten Angaben des Arbeitgebers nicht vom Betrieb festgelegt worden sei. Der Lkw könne an jedem beliebigen Ort zwischen A… und W… abgestellt werden. Zum Teil sei der Lkw auch von einem Kollegen mit nach Hause genommen worden; es sei zwischen beiden sodann vereinbart worden, wo dieser den Arbeitnehmer abholen solle. Mithin sei nicht lediglich die Entfernungspauschale, sondern die Kilometerpauschale für Reisekosten zu berücksichtigen. Das Finanzamt berücksichtigte für Wege zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte lediglich die Entfernungspauschale i. H. v. … Euro (197 Tage × … km × 0,30 Euro) als Werbungskosten.
Es sei davon auszugehen, dass der Arbeitgeber des Arbeitnehmers durch eine dienst- oder arbeitsrechtliche Festlegung bestimmt habe, dass sich der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich an einem festgelegten Ort (Stellplatz) einfinden solle, um von dort seine Tätigkeit aufzunehmen. Fahrten zu diesem Ort könnten nur wie Fahrten zu einer ersten Tätigkeitsstätte behandelt werden.
Entscheidung
Die Richter gaben dem Arbeitnehmer recht
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 EStG sind Werbungskosten auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für beruflich veranlasste Fahrten, die nicht Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte oder Familienheimfahrten sind.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG sind Aufwendungen eines Arbeitnehmers ohne erste Tätigkeitsstätte für Fahrten zwischen seiner Wohnung und einem Ort oder dem nächstgelegenen Zugang zu einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet jedoch nur mit der Entfernungspauschale zu berücksichtigen, wenn der Arbeitnehmer nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen des Arbeitgebers zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat. Nach Ansicht der Richter hatte der Arbeitnehmer in den Streitjahren keine erste Tätigkeitsstätte i. S. d. § 9 Abs. 4 EStG.
Erste Tätigkeitsstätte ist die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist (§ 9 Abs. 4 Satz 1 EStG). Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden.

Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht. Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören.
Von einer dauerhaften Zuordnung ist nach § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Die Richter sind der Ansicht, dass der Arbeitnehmer nicht einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung seines Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet wurde und mithin keine erste Tätigkeitsstätte im Sinne von § 9 Abs. 4 EStG hatte.
Der Arbeitnehmer hatte nach den Feststellungen im vorbereitenden Verfahren lediglich einen Lkw, den er im Zentrallager in A… zu beladen hatte und mit dem er sodann die Kunden im gesamten Gebiet Norddeutschland anzufahren hatte. Nach Ansicht der Richter liegt auch kein Sammelpunkt vor. Hat ein Arbeitnehmer keine erste Tätigkeitsstätte und hat er nach den dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie den diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen (sog. Sammelpunkt), gilt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG für die Fahrten von der Wohnung zu diesem Ort entsprechend. Es ist nur die Entfernungspauschale anzusetzen. Es handelt sich auch hier um eine Auswärtstätigkeit, sodass Verpflegungsmehraufwendungen und Übernachtungskosten unbeschadet der Anwendung der Entfernungspauschale zu gewähren sind.
Nach Auffassung der Richter ist die Frage, ob ein Arbeitnehmer ohne erste Tätigkeitsstätte zur Aufnahme seiner beruflichen Tätigkeit dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat, durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen entschieden. Dies regelt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG.
Zu den arbeits- oder dienstrechtlichen Weisungen und Verfügungen zählen nach Ansicht der Richter alle schriftlichen, aber auch mündlichen Absprachen oder Weisungen. Solche Absprachen und Weisungen können insbesondere im Arbeitsvertrag oder aber auch durch Ausübung des Direktionsrechts kraft der Organisationsgewalt des Arbeitgebers oder Dienstherrn erfolgen. Entscheidend ist, so die Richter, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat.

Die arbeitsrechtliche Anordnung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden, so die Richter weiter. Die Richter sind der Auffassung, dass der vom Arbeitnehmer selbst zu wählende Abstellplatz des Lkw auf einem öffentlichen Parkplatz innerhalb eines vorgegebenen räumlich begrenzten Bereichs kein vom Arbeitgeber bestimmter konkreter Ort i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG ist. Die Fahrten des Arbeitnehmers mit dem Pkw zum Abstellort des Lkw sind nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen. Auch liegt nach Auffassung der Richter kein weiträumiges Tätigkeitsgebiet des Arbeitnehmers vor. Ein „weiträumiges Tätigkeitsgebiet“ i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG setzt eine vom Arbeitgeber festgelegte Fläche voraus, innerhalb der der Arbeitnehmer seine vereinbarte Arbeitsleistung erbringen soll.
Ein im Arbeitsvertrag bloß mit „Nordeutschland“ bezeichneter Bereich reicht dafür nicht aus, so die Richter. Nach Auffassung der Richter ist der weiträumige geografische Bereich, der von „Mecklenburg-Vorpommern bis W… und die gesamte Ostseeküste Schleswig-Holsteins bis nach Hamburg“ geht, nicht mit dem vom Gesetzgeber in den Blick genommenen Tätigkeiten von Arbeitern in einem Hafengebiet, Schornsteinfegern, Forstarbeitern oder Briefzustellern vergleichbar.
Die Richter sind zwar der Ansicht, dass in der Regel – und damit „typischerweise“ – der Arbeitnehmer seine Tätigkeit im Gewerbegebiet K… begonnen hat, um den dort am Vorabend abgestellten Lkw wieder zu übernehmen. Danach wurde der Lkw lediglich an wenigen Tagen an seinem – westlich von W… gelegenen – Wohnort, in dem acht Kilometer entfernten Gewerbegebiet R… oder vor langen Wochenenden oder Feiertagen und Urlaub in A… abgestellt.
Für die Richter ist damit feststehend, dass überwiegend und damit „im Normalfall“ die Tätigkeit mit der Übernahme des Lkw im Gewerbegebiet K… begonnen und auch wieder beendet wurde. Es fehlt jedoch an einer Anweisung des Arbeitgebers, arbeitstäglich einen festgelegten Ort aufzusuchen, um von dort aus die berufliche Tätigkeit zu beginnen, so die Richter. Nach Ansicht der Richter fehlt es an einer Anweisung für einen bestimmten konkretisierten Ort. Der Arbeitgeber bekam nur vorgegeben, den Lkw irgendwo im Gebiet zwischen A… und W… abzustellen.
Es war der Eigenverantwortung der Mitarbeiter überlassen, wo der Lkw abgestellt werde. Damit hat der Arbeitgeber jedoch keinen konkreten Ort bestimmt, sondern lediglich ein räumliches Gebiet eingegrenzt, so die Richter. Die Entscheidung, wo genau der Lkw innerhalb dieses Gebiets abgestellt werden sollte und ob dies auf einem Parkplatz in einem der beiden Gewerbegebiete an der Autobahn bei W… oder bei dem Zeugen N… zu Hause geschehen solle, oblag dabei somit dem Arbeitnehmer. Dieser habe mit seinem Beifahrer jeden Tag neu entschieden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) kommt es entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer aus der Sicht ex ante nach den arbeitsrechtlichen Festlegungen dauerhaft denselben Ort oder dasselbe weiträumige Tätigkeitsgebiet typischerweise arbeitstäglich aufzusuchen hat. Daher ist hier maßgeblich auf die Weisung des Arbeitgebers abzustellen. Diese war lediglich darauf gerichtet, dass der Arbeitnehmer den Lkw maximal bis W… fahren darf, dort abzustellen und von dort am nächsten Tag wieder loszufahren hat.
Der Arbeitnehmer konnte sich aus der ex ante Sicht daher nicht darauf einstellen, an welchem konkreten – vom Arbeitgeber angewiesenen – Ort er das Fahrzeug arbeitstäglich zu übernehmen hatte, so die Richter.
Aus Sicht der Richter kommt es nicht darauf an, dass der Arbeitnehmer aus Praktikabilitätsgründen tatsächlich in der Regel immer denselben Parkplatz aufgesucht hat.
Dies geschah jedenfalls nicht auf Anweisung seines Arbeitgebers und war für ihn aus Sicht ex ante auch nicht vorhersehbar. Im Ergebnis lag somit eine Auswärtstätigkeit vor. Der Arbeitnehmer durfte die Kilometerpauschale nach Reisekostengrundsätze geltend machen.
Praxishinweis
Der Arbeitgeber hätte umgekehrt auch eine steuerfreie Erstattung der Kosten vornehmen können.
Daniela Karbe-Geßler