Betriebliches Gesundheitsmanagement : Ganz oder gar nicht?!
Das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) setzt sich aus drei verschiedenen Säulen zusammen: dem Arbeits- und Gesundheitsschutz, der betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) und dem betrieblichen (Wieder-)Eingliederungsmanagement (BEM). Wir müssen uns anhand der hohen und weiter steigenden Krankenstände fragen, ob die betriebliche Gesundheitsförderung immer noch zu stiefmütterlich behandelt und auch zu wenig ganzheitlich gedacht wird.
Unter dem BGM sind grundsätzlich die Maßnahmen zu verstehen, welche die Befähigung zum gesundheitsfördernden Verhalten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Ziel haben. Das Ziel der BGF hingegen ist es, Ressourcen von Beschäftigten gezielt zu stärken, um ihre Gesundheit und damit die Arbeitsfähigkeit langfristig zu erhalten. Das BGF befasst sich demnach also mit vielen verschiedenen Themen und richtet sich insbesondere an das Individuum und dessen Gesundheitszustand.
Sind die entscheidenden Schritte wirklich schon getan, wenn die Entwicklung der betrieblichen Strukturen und Prozesse implementiert ist, welche die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit und Organisation und die Befähigung zum gesundheitsfördernden Verhalten der Mitarbeitenden zum Ziel haben? Wo müssen wir aber genauso ganz grundsätzlich ansetzen, damit es nicht nur bei Angeboten bleibt, sondern sowohl deren Inanspruchnahme wie auch die Durchführung nachhaltige Erfolge erzielen?
Die Gesundheit der Mitarbeitenden ist gerade im Zuge des Fachkräftemangels nicht nur ein wichtiges Gut, sondern ebenso ein bedeutender Kostenfaktor. Ausfallzeiten kann und sollte man sich im Grunde kaum noch leisten können. In einer immer bindungsärmer werdenden Gesellschaft darf der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht durchaus ernster nehmen und anders ansetzen, als es bisher vielleicht der Fall war. Den Mitarbeitenden etwas gesundheitlich Gutes zu tun, kann durchaus noch mehr in die HR-DNA übergehen.
Prävention spielt wie in der Gesundheitsvorsorge im Allgemeinen eine ganz große Rolle. Deshalb sollten ganzheitliche Angebote unbedingt in den Vordergrund gerückt werden, statt einfach anzunehmen, es sei schon „alles getan“ und gut gemacht, wenn sich jeder irgendetwas herauspicken kann. Zudem ist bei der Planung und Entwicklung zu bedenken: Welche Rolle spielen die Tendenzen im Zeitgeist, der Einsatz von technischen Möglichkeiten, die allgemeinen Beschleunigungstendenzen in unserer Leistungsgesellschaft und welchen Einfluss haben Medien und Benefit-Marketings?
Die Challenge sind wir!?
Im Business reden wir derzeit unglaublich viel von Mindset, Work-Life- Balance und Wellbeing bei oder „trotz“ der Arbeit. Wenn es um das betriebliche Gesundheitswesen geht, dann sind unbedingt die richtigen Initiativen gefragt, aber vielleicht genauso die Motivation und die nachhaltige Umsetzung. Eine zentrale Frage, die man sich unbedingt stellen sollte: Wie will man Menschen erreichen, die selbst (noch) nicht die Notwendigkeit erkennen bzw. noch nicht die konkrete Not haben? Bei all den aktuellen Diskussionen stellt sich gleichzeitig auch die Frage: Brauchen wir einfach (wieder) mehr „Sportsgeist“? Damit ist nicht unbedingt gemeint, Firmen(-Wett)- Läufe zu organisieren, die sich an bereits aktiv(er)e Mitarbeitende richten.
Wenn es an Bewegung und eigener Gesundheitsfürsorge mangelt: Fehlt es hier mittlerweile ganz grundsätzlich ebenso sehr an der Lust und der nötigen Eigenmotivation wie an den richtigen Konzepten? Sind es dabei die 360-Grad-Angebote oder müssen Einzelne nur noch konkreter erreicht werden? Was können wir uns an unübersehbaren und eindeutigen „Missständen“ auch in Bezug auf die finanziellen Folgen von Ausfällen „leisten“? Wo können und dürfen wir keinesfalls mehr wegschauen und wo können und müssen wir das noch genauer tun als bisher?
Schön rund „gesund“?
Machen wir es uns gerade dann, wenn es um das Thema Gewicht geht, mittlerweile zu „einfach“? Nicht nur die Sendung „Die Höhle der Löwen“ investiert, sondern auch die Drogeriemarktketten nehmen sie ins Sortiment auf: Präparate, mit denen ein Gewichtsverlust garantiert gelingen soll und „Promi-Support“ gibt es gleich noch dazu: Um die acht Kilo soll man durch angesagte Abnehmpillen pro Monat verlieren hauptsächlich durch einen 24-Stunden-Fettverbrennmodus und weniger Heißhunger. Das ist der eine aktuelle Hype.
Auf der anderen Seite haben wir den Trend zu „Body Positivity“, bei der jeder körperliche Zustand als gut gilt, in dem man sich aktuell einfach wohlfühlt. Warum und wie müssen Unternehmen dadurch noch höhere Ansprüche an sich haben, die Gesundheit ihrer Mitarbeiter zu fördern und zu erhalten? Was übersehen wir vor allem langfristig am „schnellsten“, wenn (noch) vermeintlich alles gut aussieht? Wie kann sich das Unternehmen „von innen heraus“ gesundheitlich stärken und wie können diese Initiativen Teil einer gelebten Unternehmenskultur werden ohne einfach nur „gut auszusehen“?
Für alles eine App?
Vor den Augen gleich im Sinn? App- Anbieter werben damit, dass die Nicht-Nutzung von BGM-Angeboten oft auch mit der Unkenntnis der konkreten tatsächlich bestehenden Auswahl an Möglichkeiten einhergeht oder zumindest die Erinnerung daran und deren Auffrischung fehlen würden. Haben die standardisierten Newsletter ausgedient und wie kommt man vom „großen Katalog“ zum konkreten Angebot, das dann tatsächlich mit weitsichtigem Augenmaß durchgeführt wird? Wo kann Technik helfen und wann braucht es schlichtweg das (Fach-)Gespräch und die Begutachtung des (Gesundheit-)Zustands am besten vor Ort, wie etwa in geeigneten Physiotherapieeinrichtungen? Das Ziel sollten ja im Grunde immer möglichst ganzheitliche Gesundheitsangebote sein, mit einer möglichst hohen Beteiligung der Mitarbeitenden. Welche Beiträge könnte die gleichzeitige Verbesserung des mentalen und physischen Wohlbefindens der Belegschaft leisten. Welche wirklich innovativen Gesundheits- und Wellbeing- Maßnahmen könnten zusätzlich genutzt werden?
Einfach nur „Hintern hoch“?
Ein kritischer Bewegungsmangel oder der gezielte Bedarf, der nicht umgesetzt wird, kann ja unterschiedliche Ursachen haben. Manche können sich vielleicht schon gar nicht aufraffen, weil sie eher einen „Energizer gegen Erschöpfung“ bräuchten und längst in der Müdigkeitsfalle gefangen sind. Mit welchen Angeboten erreicht man diese Menschen ganz konkret? Dass bestimmte Berufsgruppen wie Busfahrer oder die vielen „Schreibtischtäter“ bestimmte Bedarfe haben, weiß man längst, und das wird bereits berücksichtigt. Wie könnte aber zusätzlich auch geschlechtergerecht der Überalterung der Gesellschaft Rechnung getragen werden? Wie steht es hier um die Erwartungshaltung der jüngeren Generationen, was den Fürsorgeanteil der Führung betrifft?
Und auch an die Älteren gilt es zu denken, bevor sie sich aus dem Arbeitsleben stehlen: Viele Frauen gehen (schamgeprägt) wegen ihrer Wechseljahresbeschwerden still und heimlich in Teilzeit oder Frührente, statt mit diesem Zustand mit Unterstützung durch Sport und Ernährung entgegenzuwirken. Was könnte hier genau helfen, damit gerade die sensibleren Themen nicht sang- und klanglos im bunten Strauß an BGM-Bewegungsangeboten untergehen? Was könnte hier hilfreich sein an ergänzenden Gesundheitsservices, welche medizinische Zusatzversorgung braucht es vielleicht und wie können zusätzliche Anreize durch die Unterstützung bei der Erstattung von Versicherungsleistungen geschaffen werden?
Mehr Bindung durch (echte) Fürsorge?
Die „One-size-fits-all“-Lösung gibt es also definitiv nicht im BGM oder in der betrieblichen Gesundheitsfürsorge. Natürlich kann man in erster Linie stark wirtschaftlich argumentieren, dass man als Unternehmen in sein „Human Capital“ investieren sollte gerade durch den drohenden Fachkräftemangel. Zu einem ebenso bedeutenden Faktor könnte man die emotionale Ebene machen, wo es gezielte Unterstützung braucht. Das sind eindeutige Formen der wirklichen Wahrnehmung und Wertschätzung, welche die Verbundenheit zum Unternehmen sicherlich noch einmal auf eine ganz andere Ebene rücken.
Daher spielen die Themen rund um das betriebliche Gesundheitsmanagement auch eine immer größere Rolle im Recruiting insbesondere durch die starke Prägung der Wahrnehmungen und Diskussionen durch Trends und Zeitgeist. Hier gibt es eine eindeutig in Bewegung geratene Erwartungshaltung durch die nachrückenden Arbeitsgenerationen, welche bereits voraussetzen, dass mehr soziale Verantwortung übernommen wird. Viel offener wird da über das Thema Mental Health gesprochen. Dabei sind Faktoren wie flexible Arbeitszeiten und Work-Life-Balance immer häufiger die Einstiegsbedingungen, bevor es dann an die „eingemachten Details“ geht.
Nachweislich haben junge Menschen immer noch mit den Folgen der COVID-19-Pandemie zu kämpfen. Nachdem viele das Gefühl hatten, den Anschluss verloren zu haben, zeigt sich ein Teil auch nach eigenen Aussagen immer noch schnell überlastet. Damit einher geht bei den Jüngeren längst eine andere Sensibilisierung für mentale Gesundheitsfragen.
Für das BGM heißt das, Ressourcen zum Umgang mit Druck, Stress und anderen psychischen Belastungen zu schaffen. Das bedeutet gleichzeitig, dass bereits im Vorfeld ein offener Umgang mit dem Thema mentale Gesundheit im Unternehmen gefördert werden sollte, damit das Ganze nicht nur ein „Papier- oder Lippenbekenntnis“ bleibt. Die Generationen, denen man unterstellt, sie hingen ohnehin nur an ihren Smartphones, haben zudem durchaus Ansprüche, wenn es um die Umsetzung von Themen im Bereich Digital Health geht.
Gute gesundheitliche Voraussetzungen bei der Arbeit beginnen bereits bei der Arbeitsplatzgestaltung. Dazu gehören grundsätzlich ergonomische Lösungen, aber auch Büros, die durchdacht gestaltet sind, und eine direkte Arbeitsumgebung, in der sowohl Bewegung als auch Entspannung gefördert werden. Umso mehr man gegenüber den nachrückenden jüngeren Generationen also das Gefühl von Zuwendung und gesundheitlicher Sicherheit (bereits im Vorfeld) vermittelt und damit stärkt, umso größer sind auch die Chancen, als Arbeitgeber attraktiv zu werden und zu bleiben.
Bereit für beiderseitige Sensibilisierung?
Das moderne BGM sollte sich also gleichzeitig viel weiter gefasst aufstellen, aber möglichst ebenso mit modernsten Mitteln in die Tiefe gehen, wenn es darum geht, dass Unternehmen ihre Mitarbeitenden auf dem Weg zu einem gesünderen und produktiveren Arbeitsumfeld unterstützen. Welche messbaren Mittel können dafür zusätzlich abseits der bereits bestehenden Reports eingesetzt werden, um eine wertebasierte Brücke zwischen individueller Gesundheitsförderung und unternehmerischer Verantwortung zu schaffen? Hierfür können Gesundheitsmessungen zu einem zentralen Bestandteil werden. Dabei sollte es allerdings nicht nur um eine Zustandserfassung gehen, sondern durch die Verarbeitung von Check-up-Ergebnissen um das konkrete Definieren und Planen von Gesundheitszielen.
Selbstverständlich wollen Mitarbeitende ihre Gesundheitsdaten insbesondere im Arbeitsumfeld so geheim und vertraulich als möglich behandelt wissen. Aber genau hier liegt ein wertvoller Zugang und Schlüssel, individuell und ganz gezielt in die Tiefe zu gehen. Durch das ganz genaue Hinsehen und das datenschutzkonforme Verarbeiten von sensibelsten und vertraulichsten Daten könnten durch konkrete Messungen mit Sicherheit auch sehr individuelle Lösungen vorbereitet werden. Aufgrund des bereits sehr hohen Nutzungsgrads von Smart- Watches und Handy-Apps zur eigenen Gesundheitsdatenerfassung sollte es mittlerweile in dieser Hinsicht weniger Berührungsängste geben, wenn es darum geht, die Belegschaft für kritische Gesundheitsthemen zu sensibilisieren.
Dabei müsste eindeutig klargestellt und nachvollziehbar gewährleistet sein, dass die Daten nicht zur Kontrolle „gegen“ die Beschäftigten gesammelt und ausgewertet werden, sondern dazu dienen sollen, Ergebnisse bereitzustellen, um den eigenen Lebenswandel auf eine individuelle Art und Weise anzupassen. Geschehen kann so etwas auf Basis anonymer 48-Stunden-Check-ups, welche die Teilnehmenden bequem von zu Hause aus durchführen können. Alle persönlichen Gesundheitsdaten werden im Detail ausschließlich der betroffenen Person zugänglich gemacht, die damit auch selbst Erkenntnisse gewinnen könnte, wo darüber hinaus zusätzliche eigenverantwortliche Schritte außerhalb des Arbeitsumfelds vorgenommen werden sollten.
Als Grundlage hierfür dienen bereits einfache und effektive Methoden, welche die tägliche Stressbelastung, körperliche Aktivitäten, die Herzgesundheit und ebenso die Schlafqualität erfassen und entsprechend auswerten. Auf Unternehmensseite kann diese Datenbasis dazu verwendet werden, objektive Erkenntnisse zu gewinnen, welche unter strengsten Datenschutzauflagen eingesetzt werden könnten, um zielgerichtete Maßnahmen für die Belegschaft zu ergreifen für eine umfassende Gesundheitsförderung und zugunsten einer möglichen Produktivitätssteigerung.
Gesundheitsmessungen stellen damit einen weiteren optionalen Bestandteil ganzheitlicher und gezielter Ansätze dar. Durch sie können Aussagen zur konkreten Aktivitätsvielfalt, zu Belastungsintensitäten und Herzfrequenzraten bis hin zu BMI-Parametern getroffen werden. Alles Werte, aus denen Handlungs- und Verbesserungspotenziale herausgelesen und wirklich maßgeschneiderte gesundheitsfördernde Maßnahmen abgleitet werden könnten. Hier geht es also dann schon mess- und passgenau in die persönlichen Detailtiefen.
Fazit
Damit bleibt zu sagen: Am Anfang und am Ende jeder dieser genannten Möglichkeiten des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der konkreten Maßnahmen steht allerdings ein ganz entscheidender Faktor: die beiderseitige Bereitschaft, das Richtige (in Bezug auf die Gesundheitsförderung) zu tun, dafür etwas zu unternehmen und bei Bedarf auch ändern zu wollen.

