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Datenschutz: Schadensersatz wegen Google-Recherche im Bewerbungsprozess bei einem AGG-Hopper

Google-Recherchen über Bewerber sind zwar grundsätzlich zulässig – allerdings unterliegen diese strengen Voraussetzungen. Dass auch die Informationspflicht nach Art. 14 DSGVO eine wichtige Rolle spielen kann und Arbeitgeber sich andernfalls schadenersatzpflichtig machen können, zeigt eine aktuelle Entscheidung des LAG Düsseldorf.

Lesezeit 6 Min.
Foto: © stock.adobe.com/Daniel Berkmann

LAG Düsseldorf, Urteil vom 10.04.2024 – 12 Sa 1007/23

“AGG-Hopper” stellen für Arbeitgeber eine erhebliche Herausforderung dar. Dabei handelt es sich um professionelle Scheinbewerber, die sich regelmäßig auf ausgeschriebene Stellen bewerben, nicht mit dem Ziel, den Job tatsächlich anzunehmen, sondern um Entschädigungen wegen vermeintlicher Verstöße gegen das Diskriminierungsverbot zu erhalten. Einige dieser Scheinbewerber mussten sich bereits vor Strafverfolgungsbehörden und Gerichten verantworten.

Nun gibt es eine neue Entwicklung in diesem Bereich – nämlich die Kombination von AGG-Hoppern und datenschutzrechtlichen Klagen, die auf die Zahlung von Schadensersatz gerichtet sind. In dem vom LAG Düsseldorf entschiedenen Fall ging es um Fragen von Background-Checks durch Google Recherche im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens. Dass diese zwar grundsätzlich zulässig sind, aber auch hierbei Art. 14 DSGVO beachtet werden muss, zeigt das Urteil des LAG Düsseldorf.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um einen materiellen Schadensersatzanspruch und eine Entschädigung im Zusammenhang mit einem Bewerbungsverfahren bei der Beklagten, einer staatlichen Universität. Diese hatte eine befristete Stelle als Volljurist:in (m/w/d) ausgeschrieben, die organisatorisch an das Justiziariat angebunden sein sollte und unter anderem das Führen von Gerichtsverfahren und die Betreuung der AGG-Beschwerdestelle beinhalten sollte.

Der Kläger ist Volljurist und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er wurde mit Urteil vom 06.07.2020 vom Landgericht München I erstinstanzlich wegen Betrugs in drei Fällen und versuchten Betrugs in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Über den Kläger existierte ein Wikipedia-Eintrag, in welchem neben anderen Aspekten Angaben zum Strafverfahren gegenüber diesem enthalten waren.

Das Bewerbungsverfahren, inklusive virtuellem Vorstellungsgespräch wurde – u.a. mit dem Kläger durchgeführt. Nach den Gesprächen wurde ein Auswahlvermerk zu drei Personen angefertigt. Der Auswahlvermerk enthielt Angaben zu den Verfahrensdaten, der Personalvorauswahl, dem Ablauf des Vorstellungsgesprächs, den Grundlagen der Auswahlentscheidung sowie zur Auswahlentscheidung an sich. Abschließend enthielt der Auswahlvermerk folgende Anmerkung:

„Aus öffentlich zugänglichen Quellen ist zu entnehmen, dass Herr Y. bereits erstinstanzlich wegen gewerbsmäßigen Betruges zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung verurteilt wurde (Landgericht München, Urteil vom 06. Juli 2020, Az. 12 KLs 231 Js 139171/12). Der Vorwurf lautete, Herr Y. habe vielfach fingierte Bewerbungen eingereicht, um potenzielle Arbeitgeber anschließend wegen angeblicher Diskriminierung zur Zahlung von Entschädigungen (nach AGG) zu veranlassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Herr Y. hat hiergegen Revision beim BGH eingelegt.

Der o. g. Sachverhalt ist ein solch negativer Aspekt, der in gebotener Weise bei der Besetzung der Stelle „Volljurist*in“ in der Stabsstelle Justitiariat zu berücksichtigen ist.

Eine Einstellung von Herrn Y. könnte nur unter der auflösenden Bedingung eines einwandfreien Führungszeugnisses erfolgen. Zwar steht die Entscheidung des BGH bzgl. der Revision im o. g. Verfahren noch aus, jedoch kann der L. als öffentlichem Arbeitgeber nicht zugemutet werden, diese Entscheidung abzuwarten. Es besteht ein (nicht ganz unwahrscheinliches) Risiko, dass die Verurteilung wegen Betruges Rechtskraft erlangt. Zudem werden in der Stabsstelle Justitiariat organisatorisch alle AGG-Fälle betreut. Hierbei ist eine sachliche und objektive Bearbeitung aller Fälle notwendig, was bei Herrn Y. jedoch zu bezweifeln ist.

Aus diesen Gründen wird Herr Y. als nicht geeigneter Bewerber bewertet.“

Der Kläger erhielt daraufhin eine Absage mit der Begründung, man habe sich für eine andere Bewerberin entschieden, die das Anforderungsprofil der Stelle besser erfülle. Der Kläger bat mit E-Mail vom 18.09.2021 um Übersendung der dem Auswahlverfahren zugrundeliegenden Dokumentationen und forderte die Beklagte auf, von einer Besetzung der Stelle einstweilen abzusehen. Die Beklagte hatte die andere Bewerberin allerdings bereits eingestellt.

Am 23.09.2021 erhielt der Kläger eine zurückgerufene E-Mail von der Mitarbeiterin Z. der Beklagten. Mit Schreiben vom 24.09.2021 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Stelle bereits besetzt worden sei. Sie verwies erneut darauf, dass sie sich für eine andere Bewerberin entschieden habe, die das Anforderungsprofil der Stelle nach dem Grundsatz der Bestenauslese besser erfülle. Unter anderem hieß es in dem Schreiben:

„Die andere Bewerberin verfügt im Vergleich zu Ihnen über die bessere Fachkompetenz, was sich unter anderem in den Examensnoten im ersten und zweiten juristischen Staatsexamen zeigt. Auch im Fachgespräch vermochten Sie gegenüber der anderen Bewerberin keinen anderen, besseren Eindruck zu hinterlassen.

So haben Sie im Vorstellungsgespräch zwar zu vielen Themen fachlich sehr gut geantwortet, jedoch haben Sie hierbei weniger gut die Schwerpunkte erkennen lassen. Auch hier vermochte die von uns ausgewählte Kandidatin besser zu überzeugen.

Im Gespräch mit Ihrem Gegenüber sind Sie einerseits sehr selbstsicher, aber auch deutlich dominanter als die von uns ausgewählte Kandidatin aufgetreten. Im Hinblick auf die Gesprächspartner innerhalb der Universität ist dies nicht immer angezeigt. Die für die ausgeschriebene Position indizierte Mischung aus fachlicher Ausgewogenheit, Zurückhaltung, Diplomatie und Offenheit erschien der Auswahlkommission in der ausgewählten Kandidatin besser ausgeprägt.

Die Schwerbehindertenvertretung der L. wurde vor der Auswahlentscheidung ordnungsgemäß beteiligt und trägt ausdrücklich die Entscheidung der Dienststelle.

Ihrer Bitte, Ihnen die dem Auswahlverfahren zugrundeliegende Dokumentation zur Verfügung zu stellen, möchten wir aus datenschutzrechtlichen Erwägungen nicht nachkommen. Wir haben die für unsere Entscheidung wesentlichen Aspekte in diesem Schreiben aufgeführt.“

Der Kläger machte daraufhin mit E-Mail vom 30.09.2021 seinen Auskunftsanspruch aus Art. 15 DSGVO geltend. So erhielt er den teilweise geschwärzten Auswahlvermerk vom 16.07.2021 und nahm die Beklagte wegen materiellen und immateriellen Schadensersatzanspruch in Anspruch. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.

 

Die Entscheidung

Anders das LAG. Das LAG urteilte, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von 1.000,00 Euro gemäß Art. 82 Abs. 1 DSGVO zu zahlen, weil sie den Kläger entgegen Art. 14 Abs. 1 lit. d DSGVO nicht über die Kategorie der von ihr im Rahmen des Auswahlverfahrens verarbeiteten Daten, nämlich der strafrechtlichen Verurteilung durch das Landgericht München I, informiert hat. Im Übrigen hatte die Berufung des Klägers keinen Erfolg, weil diesem die von ihm in zulässiger Weise geltend gemachten Ansprüche nicht zustehen.

 

#KurzErklärt

  • Interessant ist, dass das LAG die Internetrecherche über den Bewerber grundsätzlich als rechtmäßig bewertete:

Entgegen der Ansicht des Klägers besteht aufgrund der Art der Informationsbeschaffung seitens der Beklagten mittels Internetrecherche und Wikipedia über seine Verurteilung kein Beweisverwertungsverbot betreffend die Verurteilung durch das Landgericht München I, weil die Internetrecherche über den Kläger als solche rechtmäßig war. Der Verstoß gegen die Informationspflicht aus Art. 14 Abs. 1 lit. d DSGVO führt zu keinem Beweisverwertungsverbot.“ (Rn. 194)

  • Auffällig ist außerdem, dass das LAG die Grundlage für die Datenerhebung im Bewerbungsverfahren in 6 Abs. 1 S. 1 lit. b DSGVO sieht und keine Einwilligung verlangt.
  • Das Gericht ist nicht weiter auf Art. 10 DSGVO eingegangen, der besondere Anforderungen an die Verarbeitungen personenbezogener Daten über strafrechtliche Verurteilungen stellt. Auch die immer wieder stritte Anwendbarkeit des § 26 Abs. 1 BDSG lies das Gericht offen.
Praxistipp

Praxistipp
Ob das Urteil auch auf nicht öffentlich-rechtliche Arbeitgeber übertragbar ist, ist unklar, da das LAG die Erforderlichkeit der Datenerhebung mit Art. 33 Abs. 2 GG begründet hat. Es spricht aber viel dafür. In jedem Fall sind Arbeitgeber aller Branchen gut beraten, im Umgang mit Bewerberdaten Vorsicht walten zu lassen. Kürzlich wurde von dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationstechnik eine Zusammenstellung zu dem Thema „Bewerberdatenschutz und Recruiting im Fokus“ (Abrufbar unter: https://datenschutz-hamburg.de/fileadmin/user_upload/HmbBfDI/Datenschutz/Informationen/240606_Information_Bewerberdatenschutz_und_Recruiting.pdf) veröffentlicht. Hieraus lassen sich die wesentlichen Leitlinien für die Praxis entnehmen.

von Frau Dr. Felisiak von Eversheds Sutherland (Germany) Rechtsanwälte