Die Pläne der Bundesregierung und ihre arbeitsrechtlichen Auswirkungen für Unternehmen : Special Wachstumsinitiative
Im Juli wurde zusammen mit dem Haushaltsentwurf die "Wachstumsinitiative - neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland" beschlossen. Zu den geplanten Maßnahmen gehören u. a. steuer- und sozialversicherungsfreie Überstundenzuschläge sowie flexiblere Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit.
Die Bundesregierung hat den Sommer dazu genutzt, um eine Initiative vorzustellen, die darauf abzielt, den Wirtschaftsstandort Deutschland zu stärken und seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Im Juli wurde zusammen mit dem Haushaltsentwurf die „Wachstumsinitiative – neue wirtschaftliche Dynamik für Deutschland“ beschlossen. Zu den geplanten Maßnahmen gehören steuer- und sozialversicherungsfreie Überstundenzuschläge, flexiblere Regelungen zur täglichen Höchstarbeitszeit, Erleichterungen bei der Weiterbeschäftigung von Arbeitnehmern nach Renteneintritt sowie Bürokratieabbau bei der Beschäftigung von ausländischen Fachkräften und Geflüchteten. Obwohl es sich zunächst nur um eine Absichtserklärung handelt, lohnt sich ein genauerer Blick auf die arbeitsrechtlichen Aspekte der geplanten Maßnahmen.
1. Erhöhung der täglichen Höchstarbeitszeit
Nach den Plänen soll eine zeitlich und inhaltlich begrenzte Möglichkeit zur Abweichung von der bisher gesetzlich erlaubten Tageshöchstarbeitszeit von zehn Stunden ermöglicht werden. Dies stellt die Bundesregierung jedoch ausdrücklich unter den Tarifvorbehalt. Danach soll dies lediglich möglich sein, sofern Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen nach tarifvertraglicher Gestattung (Öffnungsklausel) dies vorsehen. Ausdrücklich stellt die Bundesregierung in der Wachstumsinitiative klar, dass Vertrauensarbeitszeit weiter möglich sein soll.
Die Ausweitung der Höchstarbeitszeit ist als Flexibilisierungsinstrument für die Arbeitsvertragsparteien zu begrüßen. Wie schon in § 7 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) angelegt, soll dies jedoch nur über Tarifverträge möglich sein. Hiermit beabsichtigt die Bundesregierung scheinbar eine weitere Stärkung der Tarifbindung. Es ist zu erwarten, dass die Bundesregierung auch hier einen Ausgleichszeitraum festlegt oder § 7 Abs. 8 ArbZG in Bezug nimmt. Im Ausgleichszeitraum – sechs Monate oder 24 Wochen – dürften dann acht Stunden werktäglich im Durchschnitt dennoch nicht überschritten werden. Für Unternehmen wäre dies ein erheblicher Vorteil, die auf konjunkturbedingte Arbeitsbelastungen besser eingehen könnten.
2. Überstundenzuschläge sollen abgabenfrei werden
Zuschläge für geleistete Überstunden über die Vollzeit hinaus sollen in Zukunft steuer- und sozialversicherungsfrei sein. Als Vollzeit will die Bundesregierung 34 Stunden (mit Tarifvertrag) und 40 Stunden (ohne Tarifvertrag) festlegen.
Für die Umsetzung wäre folgendes wichtig: Sollten Teilzeitbeschäftigte hier nicht berücksichtigt werden, trägt der Entwurf die Diskriminierung auf der „Stirn geschrieben“ – zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang insbesondere die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 10. Oktober 2023 (C-660/20), wonach auch Teilzeitkräfte ab der ersten Überstunde den gleichen Zuschlag erhalten müssen wie Vollzeitkräfte ab deren erster Überstunde.
Praxistipp: Werden Zuschläge für Überstunden gewährt, sollten Unternehmen einen genauen Blick auf die Erfassung und Kontrolle von Überstunden legen. Bereits die Vergangenheit hat gelehrt, dass die Überstundenvergütung ein nicht unerhebliches Konfliktpotenzial birgt.
3. Abkehr von Teilzeit wird gefördert
Die Erhöhung der Arbeitszeit Teilzeitbeschäftigter soll steuerlich gefördert werden. Belohnen Unternehmen die Erhöhung der Arbeitszeit mit einer Prämie, soll sie steuerlich begünstigt werden. „Missbrauch“ wird die Bundesregierung nach eigener Aussage „ausschließen“.
Praxistipp: Sollten Unternehmen überlegen, als Anreiz für Teilzeitbeschäftigte für die Erhöhung der Arbeitszeit eine Prämie zu zahlen, sollte hiermit noch etwas abgewartet werden, um dies für Arbeitnehmer noch attraktiver zu machen. Werden Prämien kollektiv gewährt, wäre zudem der Betriebsrat zu beteiligen.
4. Krankschreibungen in der Diskussion
Nachdem ein Anstieg der AU-Zeiten verzeichnetet wird, sollen die Sonderregelungen zur telefonischen Krankschreibung überprüft und angepasst werden. Hierdurch soll ein etwaiger Missbrauch durch telefonische Krankschreibungen gestoppt werden.
Praxistipp: Ob sich Arbeitnehmer telefonisch oder in Präsenz haben untersuchen lassen, kann der sog. eAU bzw. AU nicht entnommen werden. Bei Auffälligkeiten hinsichtlich der AU-Zeiten sollten Unternehmen weiterhin einen Blick in die Arbeitsunfähigkeitsrichtline (AURL) werfen. Widerspricht die ausgestellte eAU bzw. AU den Kriterien, kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden.
5. Erleichterte Beschäftigung älterer Arbeitnehmer
Geplant ist, die Beschäftigung nach Renteneintritt attraktiver zu machen. Hierzu soll das Vorbeschäftigungsverbot gelockert werden. Es sieht vor, dass nicht ohne Sachgrund befristet werden darf, wenn bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen bestand. Unternehmen sollen nun im Anschluss an das Erreichen des Rentenalters befristete Arbeitsverträge mit Arbeitnehmern abschließen können.
Voraussetzung ist ein Anspruch auf Altersrente und, dass die sachgrundlose Befristung die Gesamtdauer von acht Jahren oder die Anzahl von zwölf Vertragsbefristungen nicht übersteigen darf. Auch „Rentner“ sollen profitieren: Sofern nicht freiwillig abgeführt, entfallen die Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitslosen- und Rentenversicherung. Sie sollen stattdessen direkt an die Arbeitnehmer ausgezahlt werden. Darüber hinaus ist eine abgabenfreie Rentenaufschubprämie geplant. Entscheiden sich Arbeitnehmer für einen Rentenaufschub, erhalten sie entweder einen monatlichen Zuschlag oder eine einmalige Prämie in Höhe der entgangenen Rentenzahlung zuzüglich der eingesparten Krankenversicherungsbeiträge.
6. Arbeitsmarktdrehscheibe zur Vernetzung von Unternehmen
Mit Blick auf wirtschaftliche Transformationen stellt die „Arbeitsmarktdrehscheibe“ einen wesentlichen Baustein dar. Sie soll eine virtuelle Plattform bieten, auf der Arbeitgeber aus verschiedenen Branchen und Größen ihre aktuelle Personalsituation austauschen und sich dazu vernetzen können. Es sollen Unternehmen vernetzt werden, die entweder Personal suchen oder abbauen müssen. Durch den Austausch von Arbeitnehmern soll verhindert werden, dass sie in die Arbeitslosigkeit rutschen. In diesem Zusammenhang will die Bundesregierung auch rechtssichere Probebeschäftigungen ermöglichen.
Praxistipp: Insbesondere bei Restrukturierungen kann die Arbeitsmarktdrehscheibe eine wirksame Alternative zur Transfergesellschaft oder eine Ergänzung zum Freiwilligenprogramm darstellen. Unternehmen sollten dies bei Verhandlungen mit den Betriebsräten und Gewerkschaften als „Verhandlungsmasse“ einbringen. Umgekehrt kann die Arbeitsmarktdrehscheibe eine Quelle für Fachkräfte darstellen.
7. Steuergeschenke für ausländischer Fachkräfte
Ausländische Fachkräfte sollen innerhalb noch zu bestimmender Bruttolohngrenzen in den ersten drei Jahren 30, 20 und zehn Prozent des Lohns steuerfrei erhalten. Fachkräfte außerhalb der EU sollen zudem einen leichteren Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Auch soll die – bislang weitgehend verbotene – Arbeitnehmerüberlassung von ausländischen Fachkräften erlaubt werden, sofern ab dem ersten Tag der Beschäftigung der Grundsatz des „equal pay“ befolgt und eine Mindestbeschäftigungsdauer von zwölf Monaten vereinbart wird.
Praxistipp: Unternehmen sollten hierbei ein besonderes Augenmerk auf die Ausgestaltung der Arbeitnehmerüberlassungsverträge legen. Zur Überprüfung der Einhaltung des „Equal pay“-Grundsatzes sind die wesentlichen Arbeitsbedingungen des Entleihers in den Vertrag aufzunehmen. Zudem kann nicht oft genug betont werden, dass bei Arbeitnehmerüberlassungsverträgen weiterhin strikt auf die Einhaltung der Schriftform zu achten ist. Das vierte Bürokratieentlastungsgesetz lässt insoweit noch auf sich warten.
8. Erleichterte Beschäftigung Geflüchteter
Der Zugang Geflüchteter auf den Arbeitsmarkt soll erleichtert werden. Die Bundesregierung will durch eine „Genehmigungsfiktion“ Bürokratie abbauen: Stellt ein Geflüchteter den Antrag auf Arbeitsaufnahme, gilt die Arbeitserlaubnis als erteilt, wenn die Ausländerbehörde nicht innerhalb von zwei Wochen widerspricht. Bisher ist eine ausdrückliche Genehmigung der Behörde notwendig, was in der Praxis mehrere Monate dauern kann.
9. Steuerliche Vorteile bei der Dienstwagenbesteuerung
Für Unternehmen wird rückwirkend zum 1. Juli 2024 eine Sonderabschreibung für neu zugelassene vollelektrische und vergleichbare Nullemissionsfahrzeuge eingeführt, wie beispielsweise solche, die vollständig mit E-Fuels angetrieben werden. Dadurch soll die Anschaffung entsprechender Fahrzeuge deutlich attraktiver gemacht werden. Die Sonderabschreibung gilt bis Ende 2028. Bei der Anschaffung von vollelektrischen und vergleichbaren Nullemissionsfahrzeugen soll der bisherige Deckel hinsichtlich des Brutto-Listenpreises von 70.000 Euro auf 95.000 Euro hinsichtlich der Dienstwagenbesteuerung angehoben werden. Ferner sollen ausschließlich mit E-Fuels betriebene Kraftfahrzeuge mit vollelektrischen Fahrzeugen gleichgestellt werden, insbesondere hinsichtlich der KfZ-Steuer und der Dienstwagenbesteuerung.
10. Datenschutzbeauftragter
Die Schwelle für Unternehmen, ab der ein Datenschutzbeauftragter bestellt werden muss, soll von derzeit 20 auf 50 Arbeitnehmer erhöht werden. Mit dieser Maßnahme zielt die Bundesregierung besonderes auf kleine und mittlere Unternehmen ab.
Praxistipp: Grundsätzlich kann die Bestellung des Datenschutzbeauftragten nur in besonderen Fällen entsprechend dem Maßstab des wichtigen Kündigungsgrunds gem. § 626 Bürgerliches Gesetzbuch widerrufen werden. Nachdem es sich mit der Herabsetzung der Schwelle für kleine und mittlere Unternehmen dann um eine freiwillige Berufung handeln dürfte, sollte ein wichtiger Grund zum Widerruf gegeben sein, wenn Unternehmen keinen Datenschutzbeauftragen mehr bestellen müssen. Insofern dürfte auch dann der Sonderkündigungsschutz (einjährige Nachwirkungszeit) nicht greifen.
11. Bundestariftreuegesetz
Mit dem Bundestariftreuegesetz sollen Ausschreibungen und öffentliche Vergaben von der Tarifbindung und fairen Löhnen abhängig gemacht werden können. Die Bundesregierung möchte damit die Tarifbindung weiter fördern und stärken, um Lohndumping zu verhindern und faire Arbeitsbedingungen sicherzustellen.
12. Überarbeitung der betrieblichen Altersvorsorge
Die betriebliche Altersversorgung (bAV) soll überarbeitet werden, sodass künftig mehr Unternehmen eine bAV anbieten und insbesondere Beschäftigte mit geringen Einkommen gefördert werden.
13. Lockerung des Kündigungsschutzes für Spitzenverdiener im Finanzsektor
Es ist beabsichtigt, die Lockerungen hinsichtlich des Kündigungsschutzes für Spitzenverdiener (sog. Risikoträger) im Finanzsektor auch auf nicht-systemrelevante Banken, Versicherungen, Wertpapierinstitute und Kapitalanlagegesellschafen auszuweiten. Die im Koalitionsvertrag festgeschriebene und erst kürzlich erfolgte Gesetzesnovellierung war wesentlich auf Bemühungen des Bundeslandes Hessen zurückzuführen, um besonders anglo-amerikanischen Kreditinstituten den Zugang nach Deutschland attraktiver zu machen. Diese fürchteten bisweilen den strengen deutschen Kündigungsschutz. Mit dem Vorhaben der Bundesregierung soll die Finanzmetropole Frankfurt a. M. also noch attraktiver für ausländische Finanzinstitute werden.
Nach aktuellem Stand sind Risikoträger, deren Gehalt das Dreifache der Beitragsbemessungsgrenze übersteigt, leitenden Angestellten gleichgestellt. Ist eine Kündigung sozialwidrig i. S. d. § 1 Abs. 2 S. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG), kann das Arbeitsverhältnis dennoch einseitig nach § 9 Abs. 1 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung beendet werden. Bisher gilt dies leidglich für „bedeutende Institute“ (systemrelevante Banken).
Praxistipp: Um von der neuen Flexibilität zu profitieren, sollte schon heute bei Einstellungen ein Augenmerk auf die arbeitsvertragliche Ausgestaltung hinsichtlich der Tätigkeitsbeschreibung gelegt werden. Die Frage, ob sich die berufliche Tätigkeit wesentlich auf das Risikoprofil des Instituts auswirkt, wird sowohl nach vertraglicher und tatsächlicher Vertragsdurchführung beurteilt. Auch kann es eine Überlegung wert sein, die Vergütung auf die geforderte Schwelle des Dreifachen der Beitragsbemessungsgrenze anzuheben, um die Vorteile des erleichterten Kündigungsschutzes zu nutzen. Aktuell beträgt die Beitragsbemessungsgrenze 90.600 Euro in Westdeutschland. Die Schwelle der Bruttojahresvergütung läge damit bei 271.800 Euro.
14. Ausblick
Die Maßnahmen zielen im Wesentlichen auf die Beschäftigungsförderung ab. Wie ein roter Faden zieht sich zudem das Ziel der Stärkung der Tarifbindung durch die Wachstumsinitiative. Daher kommen insbesondere Regelungen zur Erhöhung der täglichen Höchstarbeitszeit und den abgabenfreien Überstundenzuschlägen Tarifgebunden zugute. Die Bundesregierung will damit scheinbar dem zunehmenden Rückgang der Tarifbindung entgegenwirken. Obwohl die Wachstumsinitiative bisher lediglich eine Absichtserklärung darstellt, die vom Gesetzgeber noch umgesetzt werden muss, sollten Unternehmen bereits jetzt die anstehenden Neuerungen in ihre Planung einbeziehen. So können sie rechtzeitig Prozesse anstoßen und die Chancen, die sich durch die Wachstumsinitiative bieten, optimal nutzen.