Offener Brief: Die neue Normalität
Liebe Leserin, lieber Leser, neuerdings habe ich es ein wenig mit der Philosophie. Was ist eigentlich „normal“? Diese Frage zu beantworten, ist schon schwierig genug und wird zu vielen verschiedenen Antworten führen – je nachdem, wen man fragt.
Aber es ist ja noch viel schlimmer. Jetzt haben wir schon die „neue Normalität“, also das, was nach Corona als normal gilt. Klar, im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie hat sich einiges verändert. Auch wenn es keine nennenswerten Einschränkungen wegen des Coronavirus mehr gibt, werden zum Beispiel viele Dienstreisen nicht mehr unternommen – der Video-Call macht es möglich. Die Arbeit im Homeoffice ist in breiten Schichten der arbeitenden Bevölkerung „normal“ – zumindest zeitweise. Das ist ja per se erst einmal nichts Schlechtes.
Normal geworden sind aber anscheinend auch hohe Krankenstände – die höchsten aller Zeiten gab es im letzten Jahr und in diesem scheint es nicht wirklich besser zu werden. Neben den Infektionskrankheiten, ob Corona, klassische Grippe oder andere (Nachholeffekt!), sind vor allem die psychischen Erkrankungen immer mehr geworden. Als Zyniker könnte man sagen: „Normal ist es, nicht normal zu sein.“ Wobei das gegenüber den Menschen mit ernsten psychischen Problemen diskriminierend wäre und wir das deshalb so nicht formulieren sollten.
Auch die drastischen Folgen des Ukrainekrieges gehören inzwischen zur neuen Normalität. Hohe Inflation? Galoppierende Energiekosten? Hektische Versuche der Politik, Energie zu sparen, neue Energiequellen zu erschließen, Grundsätze über den Haufen zu werfen – alles normal?
Fachkräftemangel an allen Ecken, aber weiterhin hohe Hürden für den Zuzug und den Einsatz ausländischer Fachkräfte in Deutschland durch schwierige und langwierige Anerkennungsverfahren – auch alles normal?
Steigende Beiträge in der Kranken- und Pflegeversicherung, aber ohne die Konsequenz, dass die im Gesundheits- und Pflegebereich tätigen Menschen endlich anständig bezahlt werden – alles normal?
Und damit bin ich wieder bei der Eingangsfrage: Was ist eigentlich normal? Ob alte oder neue Normalität – ich blicke nicht mehr durch. Wahrscheinlich ist alles normal, an das man sich schnell gewöhnt hat – ob gewollt oder gemusst. Manchmal wünsche ich mir die Zeiten zurück, wo nicht alles so schnell „normal“ war – aber das wird wohl nichts. Die Welt dreht sich scheinbar immer schneller und damit verändert sich auch die Normalität in immer höherer Geschwindigkeit – jedenfalls schneller, als uns lieb sein kann.
In diesem Sinne: Versuchen Sie, so normal wie möglich zu bleiben – was auch immer das für Sie persönlich bedeutet. Dann kommen wir schon klar.
Herzlichst, Ihr
Felix, der Glückliche